Grüne Gentechnik

"Die Leute haben keine Ahnung"

Petrischale mit Weizenähre und Biogefährungszeichen
Auch Gen-Weizen lehnen viele Deutsche ab © imago / blickwinkel
Christiane Nüsslein-Volhard im Gespräch mit Dieter Kassel |
Gentechnik im Salat? Nein danke, sagen die meisten Deutschen. Völlig zu Unrecht, meint Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard. Die Leute seien ignorant und wüssten nichts über die Vorteile gentechnisch veränderter Pflanzen.
Die Biologin Christiane Nüsslein-Volhard hat kein Verständnis für die hierzulande verbreitete Ablehnung grüner Gentechnik. Inzwischen würden auf zehn Prozent der Agrarflächen gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut, so die Nobelpreisträgerin: "Es hat sich nichts Schädliches dabei herausgestellt - eigentlich nur positive Erscheinungen." So könne man dank der Gentechnik Pestizide einsparen: "Die chemischen Waffen, die man einsetzt, sind meiner Ansicht nach viel bedenklicher als gentechnisch veränderte Pflanzen."
Total romantische Vorstellung von der Nahrungsmittelproduktion
Den Konsumenten warf Nüsslein-Volhard eine "unglaubliche Ignoranz" vor. Sie hätten eine "total romantische Vorstellung" von der Nahrungsmittelproduktion, wüssten nicht, wo das Essen herkomme und welche Vorteile die Gentechnik bringen könne: "Die Leute haben (...) wirklich keine Ahnung, wie man Pflanzen züchtet und wovon es abhängt, dass sie gesund sind und wie man sie anbaut".
Es sei "ganz unrealistisch" anzunehmen, man könne sich komplett von der Gentechnik fernhalten. So befänden sich jetzt schon entsprechende Enzyme in Waschmitteln, Baumwolle sei zu 80 Prozent aus gentechnisch veränderten Baumwollpflanzen hergestellt, Viehfutter enthalte gentechnisch veränderte Sojabohnen.
Ein gewisses Risiko steckt in allen Innovationen
In Amerika seien sogar 90 Prozent der Nahrungsmittel gentechnisch verändert - auch dort sei "überhaupt nichts passiert", so Nüsslein-Volhard. "In keinem Bereich ist man so pingelig. (...) Das kann man sich doch gar nicht leisten." Zugleich räumte die Biologin mit Blick auf mögliche negative Spätfolgen ein, dass ein "gewisses Risiko" in allen Innovationen stecke - "das muss doch sein". Darüber hinaus kritisierte Nüsslein-Volhard, dass in Deutschland ausgebildete Gentechniker zum Arbeiten ins Ausland gehen müssten. Die Grundlagenforschung greife ins Leere. "Das finde ich auch empörend", sagte sie.

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wenn man über die kritische Haltung weiter Teile unserer Gesellschaft gegenüber neuen technischen Entwicklungen spricht, dann kommt man an der Gentechnik nicht vorbei. Zumal heute, wo die Agrarminister der Länder darüber beraten, ob künftige Anbauverbote einheitlich von Berlin oder aber einzeln von jeder der 16 Landesregierungen verhängt werden.
Aber warum überhaupt Verbote? Warum ist die Furcht gerade vor gentechnisch veränderten Pflanzen so groß? Darüber wollen wir jetzt mit Christiane Nüsslein-Volhard reden. Sie ist Direktorin der Abteilung Genetik am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen und erhielt 1995 den Nobelpreis für Medizin. Schönen guten Morgen, Frau Nüsslein-Volhard!
Christiane Nüsslein-Volhard: Guten Morgen!
Kassel: Haben Sie Verständnis für die Angst, die viele Menschen in Deutschland vor genetisch veränderten Pflanzen haben?
Nüsslein-Volhard: Ehrlich gesagt, langsam geht es mir aus. Wie das noch ganz neu war vor 15 Jahren oder so, da hat man schon verstanden, dass man erst mal ein bisschen mit Vorsicht darangehen sollte. Aber inzwischen werden gentechnisch veränderte Pflanzen auf zehn Prozent der Agrarflächen angebaut, seit Jahren, und es hat sich nichts Schädliches dabei herausgestellt, eigentlich nur positive Erscheinungen. Und da kann man eigentlich wirklich ... ist man etwas fassungslos über dieses Unverständnis, was in Deutschland und auch in ganz Europa noch herrscht.
Pestizide sind viel gefährlicher als gentechnisch veränderte Pflanzen
Kassel: Viele Menschen bei uns sind sich, glaube ich, sicher, dass sie es bisher geschafft haben, nichts zu sich zu nehmen, was Bestandteile von gentechnisch veränderten Pflanzen enthält. Ist das realistisch inzwischen noch?
Nüsslein-Volhard: Nein, das ist natürlich ganz unrealistisch. In sehr vielen Bereichen der Nahrungsmittelindustrie sind auf gentechnischem Wege hergestellte Produkte inzwischen sehr verbreitet. Das wird nicht gekennzeichnet, das ist auch nicht schlimm. Wie gesagt, es gibt keine Auswirkungen, die eindeutig damit korrelierbar sind. Zum Beispiel Enzyme in Waschmitteln, Baumwolle ist zu 80 Prozent mit gentechnisch veränderten Baumwollpflanzen hergestellt, Viehfutter ist viel mit Sojabohnen, die auf gentechnisch verändertem Wege gewonnen werden, weil das einfach wirtschaftlicher ist und auch schonender.
Und weshalb ich mich dafür sehr einsetze, ist, dass gentechnisch veränderte Pflanzen eben helfen, Pestizide einzusparen. Und die Pestizideinsparung zurzeit beträgt ungefähr 30 bis 40 Prozent. Und das finde ich doch ganz, ganz toll! Denn die Insektenvernichtungsmittel, also die chemischen Waffen, die man einsetzt, sind meiner Ansicht nach viel, viel bedenklicher als die gentechnisch veränderten Pflanzen.
Kassel: Aber bei diesem Argument sagen ja manche Gegner, wir versuchen da gerade, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Die sagen dann auch, okay, bisher ist nichts passiert und man kann noch keine Schäden nachweisen, aber wer kann uns wirklich garantieren, wenn der Anteil gentechnisch manipulierter Pflanzen auch in unserer Nahrungskette immer weiter steigt, wer kann uns garantieren, dass es nicht in 20, 30, 40 Jahren Spätfolgen gibt?
Ein gewisses Risiko steckt in allen Innovationen
Nüsslein-Volhard: Aber geht doch mal nach Amerika, da ist das praktisch, 90 Prozent der Nahrungsmittel, die die Leute dort aufnehmen, sind gentechnisch verändert und da ist doch überhaupt nichts passiert, was soll denn das? Und in keinem anderen Bereich ist man so pingelig. Auch wenn wir überhaupt gar nichts messen, es ist trotzdem vielleicht schlimm ... Das kann man sich doch gar nicht leisten, ein gewisses Risiko muss doch immer ... in allen neuen Innovationen ist doch da drin, das muss doch sein!
Kassel: Haben Sie – gerade weil Sie, man spürt das auch, sich langsam darüber aufregen, dass sich eigentlich an den Standpunkten nichts ändert in dieser Diskussion –, haben Sie eine Erklärung dafür, warum die Ablehnung gerade in Deutschland so groß ist?
Nüsslein-Volhard: Ich glaube, die Leute wissen überhaupt nicht Bescheid, wo das Essen herkommt. Es ist eine unglaubliche Ignoranz und die Leute lesen Zeitschriften wie "Landlust" und "Landliebe" und denken, das müsste wieder auf den Acker zurück, den unsere Großeltern noch mit Hand bestellt haben, und haben eine total romantische Vorstellung von der Nahrungsmittelproduktion und wissen überhaupt nicht, welche großen Vorteile die Gentechnik bringen kann.
Kassel: Ich glaube, manche Leute wissen inzwischen, dass auch das, was wir alltäglich essen und für so normal halten, nicht so ist, wie die Natur sich das mal ausgedacht hatte. Das Beispiel sind immer die Möhren, die eigentlich ja nicht orangefarben waren. Aber warum ist das so ein großer Unterschied, dass man sagt, wenn wir durch "normale" Züchtung Pflanzen total verändern, dann ist es egal; wenn wir es im Labor mit den Genen tun, ist es hoch gefährlich?
Nüsslein-Volhard: Die meisten Kulturpflanzen, die wir essen, sind hochgradig genetisch verändert, weil sie sehr, sehr lange selektioniert worden sind aus ursprünglichen Formen, die ganz ungenießbar waren zum Beispiel. Und man kann diese Züchtung eben abkürzen durch gentechnische Methoden und man kann sie auch viel eleganter machen, insofern bietet die Gentechnik wirklich enorme Vorteile.
Zum Beispiel auch, dass man Pflanzen züchten kann, die besser an schlecht bearbeitbare Böden angepasst sind, an Salzböden oder an Karst, an Trockenheit und so. Das kann man mit Gentechnik viel, viel einfacher machen als auf konventionellem Wege. Aber die Leute haben, wie gesagt, wirklich keine Ahnung, wie man Pflanzen züchtet und wovon es abhängt, dass die gesund sind, und wie man sie anbaut.
Kassel: Aber ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass der durchschnittliche US-Amerikaner oder auch der durchschnittliche Engländer, die sind ja auch sehr viel offener, was das angeht, das so viel besser weiß als die Deutschen!
Nüsslein-Volhard: Denen ist es doch egal, Hauptsache, das Essen ist gut und das Essen ist billig. Das ist doch ganz klar, die fragen nicht danach, wie das gemacht worden ist. Und der Engländer ... Übrigens, die sind auch sehr skeptisch, aber ich glaube aus anderen Gründen. Nicht nur die Deutschen.
Deutsche Wissenschaftler müssen ins Ausland gehen
Kassel: Diese Skepsis, diese Ablehnung, behindert das auch Ihre Grundlagenforschung?
Nüsslein-Volhard: Wahr ist, dass in der Max-Planck-Gesellschaft es mindestens drei, ich glaube, es gibt noch mehr Gruppen, aber es gibt drei große Institute, die eindeutig der Pflanzenzüchtung oder Pflanzenforschung gewidmet sind. Und die sind sehr erfolgreich und sehr, sehr gut und wir bilden hervorragende Wissenschaftler aus, die aber, wenn sie einen Job finden wollen, alle ausnahmslos ins Ausland gehen müssen, denn in Deutschland können sie auf diesem Sektor überhaupt nichts machen, was dann anwendbar wäre. Das heißt, die Grundlagenforschung, die ja im Grunde eine Vorbereitung auch auf angewandte Forschung sein sollte und auch ist, die greift da ins Leere. Und das finde ich auch eigentlich empörend.
Kassel: Ist es nicht auch ein Problem – man braucht ja auch bei großen Forschungsgesellschaften immer auch die berühmten Drittmittel, also Gelder –, dass vielleicht der eine oder andere mögliche Geber schon aus Imagegründen sagt, ich möchte nicht dabei erwischt werden, so was zu fördern?
Nüsslein-Volhard: Na ja, die forschen halt nicht mit Nutzpflanzen und die forschen auch nicht in der Pflanzenzüchtung. Früher gab es ja dieses Max-Planck-Institut in Köln-Vogelsang und die arbeiten jetzt nur noch an Modellorganismen, die man also gar nicht nach außen transportiert und die eigentlich reine Modelluntersuchungen sind, wo dann irgendjemand später vielleicht mal irgendwas in einem anderen Land zur Anwendung bringen könnte.
Es dauerte 14 Jahre, bis gentechnisch verändertes Insulin zugelassen wurde
Kassel: Das heißt, das ist wirklich für Sie ein Beispiel, wo man sagen kann, diese Ablehnung in der Bevölkerung kann dafür sorgen, tut es vielleicht jetzt schon, dass wir den Anschluss verlieren und dass wissenschaftliche Chancen zumindest in diesem Land nicht genutzt werden?
Nüsslein-Volhard: Das hatten wir ja schon mal, bei der roten Gentechnik, wie es um die Herstellung von Insulin ging, da hat es ja 14 Jahre gebraucht, bis das Insulin auch in Deutschland gentechnisch hergestellt wurde. Jetzt gibt es nur noch gentechnisch hergestelltes Insulin, weil es viel besser und sauberer und angepasster an die Physiologie des Menschen ist als das Insulin, was man früher aus, ich weiß es nicht, Kälbern oder sonst wem gewonnen hat. Und in der Medikamentenherstellung ist die Gentechnik längst vollkommen akzeptiert, weil die dem Menschen natürlich auch viel bringt.
Kassel: Halten Sie Deutschland, halten Sie die Deutschen auch über die Frage der Gentechnik hinaus generell für besonders technikfeindlich?
Nüsslein-Volhard: Also, technikfeindlich kann ich nicht sehen, denn bei den Autoherstellern oder Handys sind wir ja auch ziemlich führend, denke ich mal. Und vor Autos hat keiner Angst. Und ich sehe allerdings ein gewisses Ressentiment bei der Wissenschaft, zum Beispiel bei der Stammzellforschung. Das war ja auch ein ganz heißes Thema in Deutschland, und in anderen Ländern war man da relativ viel großzügiger. Und auch in der Reproduktionsmedizin sind die Deutschen eher vorsichtig und fortschrittsfeindlich, würde ich sagen. Aber sonst, generell, halte ich Deutschland nicht für technikfeindlich.
Kassel: Christiane Nüsslein-Volhard, Medizinnobelpreisträgerin und Direktorin am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen über die für sie unverständliche und unbegründete Angst vor der Gentechnik in Deutschland. Frau Nüsslein-Volhard, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Nüsslein-Volhard: Bitte, Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema