Eine Partei im Aufschwung
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Die Grünen hatten in Brandenburg lange das Image als Partei des Westens. Die Zeiten scheinen vorbei zu sein. Zur Europawahl hat die Ökopartei rund zwölf Prozent geholt. Vor Monaten hat dieser Erfolg begonnen und er soll weitergehen.
Bei der Europawahl konnten die Grünen auch in Brandenburg triumphieren: Bislang waren sie in dem ländlich geprägten, rot-rot regierten Bundesland eine Splitterpartei mit nur sechs Prozent der Stimmen. Am vergangenen Sonntag aber legten sie auf rund zwölf Prozent zu. Begonnen hat dieser Trend schon vor Monaten:
"Ja, meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, das Jahr hat ja für uns Bündnisgrüne wirklich super gut angefangen, am 2.1. diese schöne Prognose, wo wir endlich mal zweistellig wurden bei der Prognose für die Landtagswahl mit zwölf Prozent. Das ist schon für uns ein ziemlicher Erdrutsch und ein ziemliches Ausrufungszeichen."
Grüne werden im Brandenburg respektiert
Neujahrsempfang der Grünen im Potsdamer Landtag. Fraktionschefin Ursula Nonnemacher strahlt von der Bühne: Endlich wird die Kernerarbeit des kleinen Trüppchens von sechs Abgeordneten belohnt: Während die Regierungspartei SPD auf traurige 20 Prozent herabgesunken ist, wächst die Zustimmung der Bevölkerung für die grüne Opposition.
"Annalena Baerbock kommt noch, unsere Bundesvorsitzende. Aber unsere Landesvorsitzende Petra Budke ist schon da, zusammen mit Clemens Rostock und 30 Neumitgliedern, 36 Neumitgliedern. Und nachdem sie beim letzten Mal noch weniger als elfhundert Mitglieder vertreten haben, vertreten sie heute 1412 grüne Mitglieder in Brandenburg."
Vertreter der anderen Fraktionen im Landtag sind zum Neujahrsempfang gekommen, die Gewerkschaften natürlich, aber auch die IHKs und die Unternehmerverbände: Die Grünen werden respektiert im politischen Potsdam. Nach der anstehenden Landtagswahl im Herbst könnten sie das Zünglein an der Waage einer neuen Koalition sein.
Fünf Monate später: Ursula Nonnemacher, die 62-jährige ehemalige Ärztin aus dem Westen, ist per Urwahl erneut zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl gekürt worden. 1590 Mitglieder hat der Landesverband Ende Mai: Ein Plus von mehr als 30 Prozent binnen Jahresfrist.
"Es treten vor allen Dingen Leute ein, die darauf brennen, sich auch zu engagieren. Da ist etwas passiert, auch im Osten. Und wir haben Daten, dass dieses kulturelle Fremdheitsgefühl, was den Grünen lange Zeit in Ostdeutschland entgegengebracht worden ist, sehr, sehr stark zurückgegangen ist."
Image als Westpartei abgelegt
In Brandenburg galten die Grünen bislang als eine Partei des Westens, etwas für Großstädter, die Sojamilch im Bio-Latte trinken und die "taz" lesen. Doch zurzeit können die Grünen ihr Stammklientel ausweiten. Auch dort, wo es bislang weit und breit keine Grünen gab, werden neue Ortsgruppen gegründet. Bei der Kommunalwahl am vergangenen Sonntag kamen sie auf elf Prozent, ein Plus von fast fünf Prozentpunkten. Die Ursachen dieses Aufschwungs seien vielfältig, sagt die Grünen-Spitzenfrau Ursula Nonnemacher. Da ist einmal die Klimakrise:
"Wir haben die Fridays-for-Future-Bewegung, die auch in Brandenburg, was sehr kleinstädtisch geprägt ist, angekommen ist. In allen möglichen Städtchen und Städten waren Schülerdemonstrationen und sind sie immer noch. Unsere Themen sind spürbar geworden und sie sind bei den Menschen am Abendbrottisch angekommen und werden diskutiert."
Wenn man neu eingetretene Mitglieder nach ihren Motiven fragt, steht tatsächlich der Kampf gegen die bedrohliche Erderwärmung ganz oben auf der Liste. Bei Janine Nyuken zum Beispiel, Vizepräsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).
"Das ganze Thema Klima liegt mir schon lange am Herzen, aber meine Kinder kommen gerade in das Fridays-for-Future-Alter und da kommen nochmal ganz neue Diskussionen und für mich nochmal so der Anstoß, mich stärker zu engagieren."
Ingenieur Peter Hauptmann ging zu den Grünen, weil er im Fahrradclub aktiv ist und den ÖPNV ausgebaut sehen will, ebenfalls mit Blick auf das Klima. Da boten sich die Grünen an: Sie waren im Braunkohleland Brandenburg schon für einen schnellen Ausstieg, als im Bund davon noch keine Rede war und die hiesigen Sozialdemokaten sich offensiv dafür einsetzten, die Braunkohlekraftwerke so lange wie möglich am Netz zu lassen. Allen voran Ministerpräsident Dietmar Woidke. Die SPD kam darum für Peter Hauptmann nicht in Frage, Anfang des Jahres wurde er Mitglied bei den Grünen.
"Der letzte Anlass war, dass die die Direktkandidaten für die Landtagswahl, die ersten beiden Listenplätze, von der Basis gewählt werden konnten. Das fand ich als basisdemokratisch bewegter Mensch eine gute Idee."
Die Grünen als Sammelbecken für AfD-Gegner
Jochen Franzke ist Politikwissenschaftler an der Universität Potsdam, er beobachtet den kleinen Landesverband der Grünen schon seit Jahren. In diesem Superwahljahr in Brandenburg biete sich die Partei nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Landesebene als Sammelbecken an für Gegner der Rechtspopulisten, erklärt er.
Die AfD liegt in Brandenburg in den Umfragen für die Landtagswahl bei um die 20 Prozent, teils gleichauf mit der Regierungspartei SPD. Bei der Europawahl wurden die Rechtspopulisten mit knapp 20 Prozent gar stärkste Kraft im Land. Clemens Rostock, Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg, bestätigt die Einschätzung des Wissenschaftlers:
"Wir beobachten verstärkt bei unseren Neumitgliedertreffen, zu denen wir regelmäßig einladen, dass viele Menschen sagen: Die AfD-Wahlergebnisse haben sie stark erschreckt. Und wir werden als die Partei wahrgenommen, die die klare Kante zieht."
Außerdem, sagt Politikwissenschaftler Jochen Franzke, könnten die Grünen im rot-rot regierten Brandenburg auch in Konkurrenz zur Partei Die Linke treten, weil sie ihr politisches Profil erfolgreich um soziale Themen erweitert hätten.
"Wie verbindet man diese sozialen Herausforderungen, die im Osten Deutschlands ganz spezifische Herausforderungen sind, mit diesen langfristigen politischen Veränderungsprozessen? Das haben sie besser verstanden und da punkten sie im Augenblick ganz besonders.
Ökologische und soziale Themen überzeugen Neumitglieder
Neumitglied Maria Gottschalk ist Sozialarbeiterin in einer Unterkunft für Geflüchtete in Bad Saarow. Sie ist bei den Grünen eingetreten, nachdem sie sich diesen Schritt wochenlang überlegt hatte.
"Da ist meine Entscheidung für die Grünen gefallen, weil die sich sozial gut aufstellen. Bildung, Bezahlung von Pflegekräften, Ausbildung von Pflegekräften: Sich da Gedanken zu machen und Ideen zu entwickeln und Vorschläge zu machen. Die Umweltpolitik wird immer wichtiger, und da ist es für mich momentan die einzige Partei, die sich in beiden Bereichen gut aufstellt."
Ein Sonntagabend im Mai in Potsdam: Annalena Baerbock, Robert Habecks weibliches Pendant an der Parteispitze, hat zum – Neudeutsch – "Townhall Meeting" geladen. Etwa 150 Leute sind gekommen: Das Realo-Führungsduo ist auch in Brandenburg beliebt. Annalena Baerbock war hier Landesvorsitzende, hat in der Mark ihren Bundestagswahlkreis.
Immer wieder werden besonders die Frauen aufgefordert, ihr Fragen zu stellen. Zum Beispiel warum viele Menschen gar nicht mehr wählen gingen. Die Politikverdrossenheit habe viele Ursachen, meint Baerbock. Politiker müssten darum auch auf dem Lande präsent sein.
"Weil, wenn all das nicht mehr da ist, wenn kein Bus mehr fährt, keine Bahn mehr fährt, in Ostbrandenburg zwei Drittel der Frauen keine Hebamme mehr haben und beim Wochenbett noch nicht mal betreut werden, dann fühlt man sich nicht abgehängt, man ist abgehängt. Und wenn wir da nichts gegen tun, dann haben wir ein sehr, sehr großes Problem."
Derzeit aber setzen die Grünen erst einmal ihren Höhenflug auch im ostdeutschen Brandenburg fort. Nach der Landtagswahl am 1. September ist eine Regierung ohne sie angesichts der neuen Kräfteverhältnisse kaum vorstellbar. Bündnis 90/Die Grünen haben schon angekündigt, für alle Koalitionen offen zu sein, auch für ein Bündnis mit der CDU. Mit einer Ausnahme: der AfD.