Grüne in der Opposition

Die Erben der FDP

Von Annette Rollmann · 19.11.2013
In der Opposition könnten die Grünen sich endlich aus der Umarmung der SPD lösen, meint die Journalistin Annette Rollmann. Sie haben nun Raum, zu einer Partei der neuen Mitte zu werden. Und sie könnten die FDP beerben, ohne sie zu kopieren.
In der Opposition könnten die Grünen sich endlich aus der Umarmung der SPD lösen, meint die Journalistin Annette Rollmann. Sie haben nun Raum, zu einer Partei der neuen Mitte zu werden. Und sie könnten die FDP beerben, ohne sie zu kopieren.
Die Grünen haben bei der Bundestagswahl eines ihrer schlechtesten Ergebnisse eingefahren. Und dennoch eröffnet sich ihnen in dieser Legislaturperiode eine beachtliche Chance. Denn erstmalig seit Gründung der Bundesrepublik ist der politische Konkurrent FDP nicht in den Bundestag eingezogen. Wann und ob sie wiederkommt, steht in den Sternen. Vielmehr: Die FDP ist zur "verbrannten Marke" geworden. Das räumt sogar Parteivize Wolfgang Kubicki ein.
Die Grünen haben nun freien Raum, zu einer Partei der neuen Mitte zu werden. Sie könnten den Takt der Opposition vorgeben und die FDP beerben, ohne sie zu kopieren. Themen, sich zu profilieren, gibt es viele.
Bürgerrechte haben durch den NSA-Spähskandal mehr Bedeutung denn je. Solidarität mit Flüchtlingen fände sich nicht mit dem nassen Tod im Mittelmeer ab. Grüne Ideen brächten der Wirtschaft schwarze Zahlen und trieben die Energiewende voran. Und der Kampf gegen die europäischen Schulden verlangte nach einer Hilfe zur Selbsthilfe, gleichberechtigt neben dem Prinzip der Austerität.
Doch: Wo bleiben die Grünen? Wo profilieren sie sich mit ihrer angeblichen Kernkompetenz in der Umweltpolitik? Wo mit einer Europapolitik, die der Agenda der Kanzlerin etwas entgegenstellt? Sie müssten ein eigenes Narrativ finden. Der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament, Reinhard Bütikofer, hat es bereits vorgeschlagen. Es heißt Solidarität, Solidität, Nachhaltigkeit.
In der Partei vollzieht sich gerade ein Generationenwechsel, der ihr gut tun und helfen kann, sich neu auszurichten. Weit entfernt ist sie von jenen Anfangsjahren, wo grüne Abgeordnete als Fundis auftraten und tote Tannen ins Parlament schleppten. Opposition um der Opposition willen zu betreiben, wie unreife Jugendliche gegenüber ihren Eltern, haben grüne Politiker nicht mehr nötig.
Partei stammt aus bürgerlichem Milieu, nicht aus der Arbeiterschaft
Nein, sie sind politisch groß geworden. Neben Großvätern aus Gründerzeiten sitzen dort Väter und Mütter neben jungen Erwachsenen. Zu hoffen ist, dass die Grünen sich endlich öffnen für eine neue Mitte, für neue Bündnisse jenseits von Rot-Grün, vor allem mit der Union. Dass diese Option nicht schon längst vorbereitet worden ist, hat sich eben erst als strategischer Fehler erwiesen.
Anders als gern behauptet, stehen die Grünen eben nicht nur den Sozialdemokraten nahe. Sie haben ihre Partei aus neuen sozialen Bewegungen heraus gegründet, protestierten damals gegen die Atompolitik und den Nato-Doppelbeschluss, also vor allem gegen die SPD und ihren Kanzler Helmut Schmidt. Sie stammen aus bürgerlichem Milieu, nicht aus der Arbeiterschaft; am Fließband haben die wenigsten gestanden.
Jetzt, in der Opposition, haben die Grünen die Chance, sich endlich aus der Umarmung der Sozialdemokraten zu lösen, die SPD vor sich her zu treiben und der Unzufriedenheit mit der Großen Koalition eine Stimme zu geben – überzeugender übrigens als es die Linke vermag.
Noch jedoch stehen sie sich selbst im Wege. Es waren nicht nur die angekündigten Steuererhöhungen und Abgaben, mit denen sich die Grünen um ihren Wahlerfolg gebracht haben. Es war auch der Vorschlag zur Einführung eines Veggiedays, der zu negativer Symbolpolitik wurde. Denn wenn die Grünen auch jenseits ihres angestammten Milieus Erfolg haben wollen – und Erfolg heißt, dass man gemocht wird –, dann sollten sie aufhören ständig bis in jedes Detail zu erklären, wie die Bürger zu leben haben. Eine Gebotspartei ist anstrengend, sie ist moralinsauer.
Als Erben der FDP müssten die Grünen Freiheit als etwas Positives verstehen – über Bürgerrechte und Staatsferne hinaus, eine Freiheit beschreiben, die anregt, aus Einsicht grüner Politik zu folgen, mit gutem Beispiel die Gesellschaft und die Welt zu ändern – und trotzdem nicht der Beliebigkeit anzuhängen.
Die Grünen sollten ihre Themen nicht links, nicht rechts, sondern nach vorne gedacht erzählen. Manchmal ist ein altes Motto sehr aktuell.
Annette Rollmann, Journalistin, wurde 1965 in Hamburg geboren. Sie war Redakteurin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und Korrespondentin im Hauptstadtbüro des "Rheinischen Merkurs". Die Politologin lebt als freie Autorin in Berlin.
Annette Rollmann, Journalistin
Annette Rollmann, Journalistin© privat
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