Grüne kündigen S21-Stresstest unter Beteiligung der Kritiker an
Ein "fairer" Stresstest und am Ende womöglich ein Volksentscheid: Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir erklärt im Interview, wie seine Partei mit dem Streitthema Stuttgart 21 verfahren will.
Jörg Degenhardt: Die Grünen haben in Baden-Württemberg einen historischen Wahlsieg errungen, wer wollte da widersprechen, und auch in Rheinland-Pfalz haben sie ein hervorragendes Ergebnis eingefahren. Hier wie da werden sie mitregieren, in Stuttgart sogar den Ministerpräsidenten stellen mit Winfried Kretschmann. Also eitel Sonnenschein im grünen Lager, sollte man meinen. Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen und aus Baden-Württemberg kommend, ist jetzt mein Gesprächspartner. Guten Morgen!
Cem Özdemir: Guten Morgen, Herr Degenhardt.
Degenhardt: Ich nehme an, es war eine kurze Nacht für Sie. Weiß Ihre Partei schon, was da auf sie in Baden-Württemberg zukommt?
Özdemir: Es war eine kurze Nacht, aber die Grünen Baden-Württembergs sind ja nun seit 1980 im Landtag vertreten, von Anfang an mit Winfried Kretschmann. Insofern gibt es kaum einen Landesverband, der so gut vorbereitet ist auf die Frage einer Regierungsbeteiligung. Wir haben mehrere Oberbürgermeister in Baden-Württemberg, die in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie auch eine Stadt führen können. Aber ein Land führen und ein Land eben nicht nur als Juniorpartner führen, sondern aus der Staatskanzlei heraus, das ist tatsächlich eine neue Herausforderung für uns, für Bündnis 90/Die Grünen. Wir haben den besten dafür als Kandidaten aufgestellt gehabt, Winfried Kretschmann, und jetzt wollen wir uns dieser Aufgabe stellen. Wir sind uns aber der Verantwortung bewusst.
Degenhardt: Machen wir es gleich mal konkret. Wird Grün-Rot das Bahnprojekt Stuttgart 21 beerdigen? Das könnte ja richtig teuer werden.
Özdemir: Da gilt das, was Winfried Kretschmann gesagt hat. Es ist jetzt ein Stresstest beschlossen worden bei der Schlichtung. Bislang sollte der Stresstest ohne die Kritiker stattfinden; wir werden dafür sorgen, dass es zu einem richtigen, fairen Stresstest kommt, und werden dann schauen, ob das umgesetzt werden kann. Es geht um Zusatzkosten von bis zu einer halben Milliarde Euro, die jetzt anstehen, die bislang schöngerechnet worden sind. Wir werden ehrliche Zahlen machen, wir gucken, dass wir es gründlich durchrechnen, und am Ende könnte möglicherweise auch eine Abstimmung der Bevölkerung darüber stehen. Auch das werden wir sicherlich in Erwägung ziehen müssen.
Degenhardt: Das heißt, die Grünen können also mehr als nur dagegen sein. Das ist ihnen ja immer wieder von der CDU, auch von der Kanzlerin vorgeworfen worden.
Özdemir: Ja. Das haben wir aber schon damals nicht übermäßig ernst genommen, denn ich meine, dass eine Opposition – und das waren wir ja nun bislang immer – auch Projekte der Regierung ablehnt, nehmen Sie die Verlängerung der Laufzeit für Atomkraftwerke, liegt irgendwie in der Natur der Sache. Wir sind halt für andere Projekte wie die Union: wir sind für erneuerbare, wir sind für Energie sparen, wir sind für Energieeffizienz, wir sind für eine saubere, pünktliche Bahn, und die sind halt für Atomkraftwerke und für Stuttgart 21. Also insofern ist jede Partei irgendwie eine Dagegenpartei und jede Partei ist auch eine Dafürpartei. Etwas komplexer darf auch die Konkurrenz argumentieren.
Degenhardt: Ihr potenzieller Partner, die SPD, schwächelt. Wenn wir nach Rheinland-Pfalz schauen beispielsweise, dort haben die Sozialdemokraten kräftig verloren. Ist die CDU auf Landesebene zumindest unter bestimmten Voraussetzungen noch oder wieder eine Alternative?
Özdemir: Also vor allem zeigt das ganze, wie vorsichtig man mit Prognosen sein sollte. Erinnern Sie sich an Hamburg, da hieß es noch, die SPD ist wieder da und braucht vielleicht die Grünen gar nicht, und jetzt ist sie in Baden-Württemberg hinter uns. Also man muss sehr vorsichtig sein. Das gilt auch für uns. Es hat sich nichts daran geändert: wir freuen uns über die Wahl, wir müssen nicht in den Kohlenkeller gehen, um uns zu freuen, aber ich bin jemand, der ist im Schwäbisch-Pietistischen aufgewachsen, und Winfried Kretschmann ist jemand, der bodenständig ist, bodenständiger geht es gar nicht mehr.
Insofern werden wir jetzt auch klar machen, heute ist der erste Arbeitstag und die Wählerinnen und Wähler haben uns gewählt, weil sie ein hohes Vertrauen in uns setzen, darunter auch eine Menge Leute, die noch nie vorher in ihrem Leben die Grünen gewählt haben. Die zu behalten, ist ein ehrgeiziges Unterfangen. Das macht man nicht, indem man jetzt allen alles verspricht, sondern das macht man vor allem, indem man sich jetzt so schnell wie möglich daran setzt, die Verantwortung entsprechend zu übernehmen. Das gilt in Rheinland-Pfalz, das gilt in Baden-Württemberg, das gilt im übrigen auch in Hessen in der einen oder anderen Kommune, wo wir jetzt die Chance haben mitzuregieren. Das wollen wir so gut wie möglich machen, in Zeiten der Schuldenbremse, in Zeiten knapper Kassen, wo zugleich die Erwartungen immens sind. Einfach wird das sicherlich nicht.
Degenhardt: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch. – Das war Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Und einen guten Tag noch!
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Özdemir: Es war eine kurze Nacht, aber die Grünen Baden-Württembergs sind ja nun seit 1980 im Landtag vertreten, von Anfang an mit Winfried Kretschmann. Insofern gibt es kaum einen Landesverband, der so gut vorbereitet ist auf die Frage einer Regierungsbeteiligung. Wir haben mehrere Oberbürgermeister in Baden-Württemberg, die in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie auch eine Stadt führen können. Aber ein Land führen und ein Land eben nicht nur als Juniorpartner führen, sondern aus der Staatskanzlei heraus, das ist tatsächlich eine neue Herausforderung für uns, für Bündnis 90/Die Grünen. Wir haben den besten dafür als Kandidaten aufgestellt gehabt, Winfried Kretschmann, und jetzt wollen wir uns dieser Aufgabe stellen. Wir sind uns aber der Verantwortung bewusst.
Degenhardt: Machen wir es gleich mal konkret. Wird Grün-Rot das Bahnprojekt Stuttgart 21 beerdigen? Das könnte ja richtig teuer werden.
Özdemir: Da gilt das, was Winfried Kretschmann gesagt hat. Es ist jetzt ein Stresstest beschlossen worden bei der Schlichtung. Bislang sollte der Stresstest ohne die Kritiker stattfinden; wir werden dafür sorgen, dass es zu einem richtigen, fairen Stresstest kommt, und werden dann schauen, ob das umgesetzt werden kann. Es geht um Zusatzkosten von bis zu einer halben Milliarde Euro, die jetzt anstehen, die bislang schöngerechnet worden sind. Wir werden ehrliche Zahlen machen, wir gucken, dass wir es gründlich durchrechnen, und am Ende könnte möglicherweise auch eine Abstimmung der Bevölkerung darüber stehen. Auch das werden wir sicherlich in Erwägung ziehen müssen.
Degenhardt: Das heißt, die Grünen können also mehr als nur dagegen sein. Das ist ihnen ja immer wieder von der CDU, auch von der Kanzlerin vorgeworfen worden.
Özdemir: Ja. Das haben wir aber schon damals nicht übermäßig ernst genommen, denn ich meine, dass eine Opposition – und das waren wir ja nun bislang immer – auch Projekte der Regierung ablehnt, nehmen Sie die Verlängerung der Laufzeit für Atomkraftwerke, liegt irgendwie in der Natur der Sache. Wir sind halt für andere Projekte wie die Union: wir sind für erneuerbare, wir sind für Energie sparen, wir sind für Energieeffizienz, wir sind für eine saubere, pünktliche Bahn, und die sind halt für Atomkraftwerke und für Stuttgart 21. Also insofern ist jede Partei irgendwie eine Dagegenpartei und jede Partei ist auch eine Dafürpartei. Etwas komplexer darf auch die Konkurrenz argumentieren.
Degenhardt: Ihr potenzieller Partner, die SPD, schwächelt. Wenn wir nach Rheinland-Pfalz schauen beispielsweise, dort haben die Sozialdemokraten kräftig verloren. Ist die CDU auf Landesebene zumindest unter bestimmten Voraussetzungen noch oder wieder eine Alternative?
Özdemir: Also vor allem zeigt das ganze, wie vorsichtig man mit Prognosen sein sollte. Erinnern Sie sich an Hamburg, da hieß es noch, die SPD ist wieder da und braucht vielleicht die Grünen gar nicht, und jetzt ist sie in Baden-Württemberg hinter uns. Also man muss sehr vorsichtig sein. Das gilt auch für uns. Es hat sich nichts daran geändert: wir freuen uns über die Wahl, wir müssen nicht in den Kohlenkeller gehen, um uns zu freuen, aber ich bin jemand, der ist im Schwäbisch-Pietistischen aufgewachsen, und Winfried Kretschmann ist jemand, der bodenständig ist, bodenständiger geht es gar nicht mehr.
Insofern werden wir jetzt auch klar machen, heute ist der erste Arbeitstag und die Wählerinnen und Wähler haben uns gewählt, weil sie ein hohes Vertrauen in uns setzen, darunter auch eine Menge Leute, die noch nie vorher in ihrem Leben die Grünen gewählt haben. Die zu behalten, ist ein ehrgeiziges Unterfangen. Das macht man nicht, indem man jetzt allen alles verspricht, sondern das macht man vor allem, indem man sich jetzt so schnell wie möglich daran setzt, die Verantwortung entsprechend zu übernehmen. Das gilt in Rheinland-Pfalz, das gilt in Baden-Württemberg, das gilt im übrigen auch in Hessen in der einen oder anderen Kommune, wo wir jetzt die Chance haben mitzuregieren. Das wollen wir so gut wie möglich machen, in Zeiten der Schuldenbremse, in Zeiten knapper Kassen, wo zugleich die Erwartungen immens sind. Einfach wird das sicherlich nicht.
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