Grüne Schotteninseln

Von Sebastian Hesse |
Schottland will bei der Entwicklung erneuerbarer Energien ganz vorne mitmischen. Das Land zwischen Atlantik und Nordsee ist wie kaum eine andere Region Europas dazu prädestiniert, Wind, Wellen und Gezeitenströmungen für die Stromerzeugung zu nutzen.
Es geht urig zu in dem kleinen Pub, der sich etwas vermessen Lounge nennt und in Lerwick wegen seiner häufigen Musik-Sessions beliebt ist. Wenn es draußen, wie fast immer auf den Shetland Inseln, stürmt und tost, treffen sich hier in den späten Abendstunden einheimische Musiker zum jammen. Zu den Stammgästen zählt Andy Steven. Er stammt eigentlich aus Edinburgh. Auf die Shetlands hat es ihn eher zufällig verschlagen. Heute kümmert er sich um deren Marketing.

"Sessions können jederzeit irgendwo losgehen! Plötzlich tauchen Leute in einem Pub wie der Lounge hier in Lerwick auf und man weiß nie, was passieren wird. Die spielen nicht für Touristen, aber wenn Sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, dann könnte das eine unvergessliche Nacht werden!"

Lerwick, die Hauptstadt der Shetlands, unterscheidet sich wenig von anderen Ortschaften im Norden Schottlands. Nur die grauen Granithäuser wirken wie Trutzburgen, gebaut, um den unablässig tosenden Winden zu trotzen. Mein Ziel ist aber weniger die Hauptstadt der Shetlands, als die Insel Unst, zweieinhalb Stunden mit dem Bus und zwei Fährfahrten von Lerwick entfernt.

Unst ist die nördlichste der Shetland-Inseln. Der Name ist ein altes Wikinger-Wort und bedeutet so viel wie "nächstgelegen". Das karge, moosüberzogene Eiland war von Norwegen aus, wo die Wikinger in See stachen, das nächstgelegene Ziel. Nördlich von Unst kommt nur noch der Polarkreis. Die Insel liegt auf der Höhe des südlichen Grönland.

Unst ist so dünn besiedelt, dass es nicht einmal zusammenhängende Dörfer gibt. Nur frei in der baumlosen Landschaft stehende Gebäude, wie die Büro-Baracken, in denen das PURE Energy Center seinen Sitz hat. Hier empfängt mich Ross Gazey, der als junger Ingenieur-Student vor gut zehn Jahren eine zündende Idee hatte. Er entwickelte ein Verfahren, mit dem man Windenergie zur Wasserstoff-Gewinnung nutzen kann. Gazey gründete PURE, was für "Promoting Unst Renewable Energy" steht, zu Deutsch etwa "Erneuerbare Energie auf Unst fördern".

"Das ursprüngliche PURE-Projekt entstand aus einer kommunalen Initiative! Daraus wurde dann das PURE ENERGY CENTER, das lebendiger denn je ist."

Das Geniale an Gazey's Idee war, dass windkraftgenerierter Wasserstoff zweifach genutzt werden kann: Als Energiespeicher für windarme Perioden, wenn sich die Windräder einmal nicht drehen. Und als eigenständiger Treibstoff für den Energiemix der Zukunft.

"Wasserstofftechnologie haben viele zunächst für Blödsinn gehalten, doch jetzt wird sie immer verbreiteter. Ihr Potential als Treibstoff und zum Heizen ist enorm. Jetzt könnte zwar noch jemand eine magische Black Box erfinden, die die tollsten Sachen kann. Aber aus heutiger Sicht wird Wasserstoff eine wachsende Rolle spielen bei der Energieversorgung."

Gazey's Konzept wurde nicht nur weltweit oft kopiert, sondern ermöglichte es, auf Unst mit dem PURE Energy Center ein Consulting-Unternehmen in Sachen Erneuerbare Energie entstehen zu lassen. Dessen Business Development Manager ist Elizabeth Johnson.

"Das war wirklich Neuland: Das erste kommunale Wasserstoff-Projekt der Welt. Wir hatten das erste wasserstoffgetriebene Fahrzeug, das in Großbritannien für die Straße zugelassen wurde. Das hat viele Wissenschaftler hier auf die Insel gelockt. Wir wissen gar nicht mehr, wie viele Übernachtungen das waren. So viele internationale Besucher hatten die Leute hier auf den Inseln noch nie gesehen!"

Endgültig auf den internationalen Radarschirm katapultierte sich PURE jedoch mit einem Rechtsstreit:

"Zu den Systemen, die hier entwickelt und in aller Welt kopiert wurden, zählt der Hy-Pod, ein tragbares System zur Wasserstoff-Erzeugung. Apple hat uns dann verklagt wegen des Markenzeichens: Hy-Pod klingt eben wie iPod. Das PURE Energy Center auf dieser kleinen Insel nördlich von Schottland hat dann gegen Apple gewonnen: Das hat unseren Ruhm begründet!"

Elizabeth muss grinsen, obwohl sie die Geschichte hunderte von Malen erzählt hat. Sie stammt gebürtig von Unst, ist Mutter von vier Kindern und hätte sich nie träumen lassen, einmal für ein global tätiges Unternehmen zu arbeiten.

"Bei den kleinen Projekten konzentrieren wir uns auf Gemeinden hier auf Shetland oder in Schottland. Aber eigentlich arbeiten wir weltweit. Gerade haben wir einen Solarenergie-Workshop in Tunis abgehalten. Der Ort mit dem wenigsten Sonnenschein belehrt also einen der sonnigsten Orte der Welt über Solarenergie!"

Von Unst aus dauert die Fährfahrt auf die nächstgelegene Insel Yell nur etwa zehn Minuten. Am Fährhafen holt mich Andrew Nisbet ab, ein pensionierter Seemann. Andrew wurde mit Blick auf den Atlantik auf Yell geboren und seither zieht es ihn hinaus aufs offene Meer: Sein Leben lang ist er zur See gefahren. Seit er bei der Handelsmarine abgemustert hat, umrundet er in seinem kleinen Motorboot die Inseln, wann immer es Wind und Wetter zulassen. Ansonsten widmet sich Andrew seinem Lebenstraum: Einem Windpark, der auf Yell entstehen soll.

"Das ist ein kommunales Projekt. Wir wollen mit der Windfarm Geld machen, das dann in Infrastrukturmaßnahmen fließt. Außerdem dachten wir, dass Erneuerbare Energien hier neue Jobs für unsere Jugend entstehen lassen."

Das hört man überall auf den Inseln: Dass die jungen Leute abwandern, weil es keine Jobs gibt. Der Bereich Erneuerbare Energien gilt als Hoffnungsträger. Andrew und seine Mitstreiter haben den Standort für ihre Windkraftanlage längst ausgewiesen, - aber das Projekt kommt nicht so recht in Gang:

"Es ist frustrierend, weil sich das Genehmigungsverfahren so lange hinzieht und es keine Netzanbindung in Shetland gibt. 2016 erst sollen die Kabel verlegt werden."

Andrew träumt zudem von einem kleinen Gezeitenkraftwerk in einem der Fjorde von Yell, aber auch dafür gibt es erst eine Genehmigung, wenn die Vernetzung steht: Nur so lassen sich Schwankungen bei der Stromerzeugung ausgleichen. Andrew schmunzelt; --- er weiß genau, dass solche Projekte andernorts eher am Widerstand der Bevölkerung scheitern.

"Es gab viel Unterstützung für unser Vorhaben, und keinerlei Einwände. Wir hatten eigentlich beim Genehmigungsverfahren mit Widerspruch gerechnet. Jetzt brauchen wir nur noch den Netzanschluss!"

Auf der Hauptinsel von Shetland ist die Stimmungslage eine ganz andere. Hier entsteht die umstrittene Viking Windfarm, ein Windpark mit gewaltigen Dimensionen. Kein überschaubares, kommunales Projekt zur Deckung des Eigenbedarfs, sondern ein massiver Wald aus 103 Windkraftanlagen, betrieben von einer eigens gegründeten Gesellschaft. Gemeinderat Allan Wishart schwört auf das Zusammenwirken von Privatwirtschaft und öffentlicher Hand:

"Der Gemeinderat hat sich mit dem Energieversorger Scottish & Southern Energy, SSE, zusammen getan. Gemeinsam haben wir während der letzten acht Jahre den Windpark hier auf der Hauptinsel geplant, der soeben von der schottischen Regierung genehmigt wurde."

Shetlands Kommunalverwaltung gilt als eine der reichsten im Vereinigten Königreich: Als in den 70er-Jahren vor der Küste des Archipels Öl gefunden wurde, kam ein lukrativer Deal mit der Ölindustrie zustande: Millionen-Einnahmen für Shetland, die die Politik klug anlegte: In einem Treuhandfonds, dem "Shetland Charitable Trust", von dessen Zinsen heute noch die laufenden Ausgaben der Verwaltung bestritten werden. Councillor Wishart findet, dass es jetzt, am Ende der Öl-Ära, an der Zeit ist, in zukunftsträchtige Energiegewinnung zu investieren. Doch das sehen nicht alle so:

"Es geht die Angst um, dass unsere durch die Öl-Einnahmen gebildeten Rücklagen bei diesem Projekt verplempert werden. Und dass die Landschaft verschandelt wird. Dabei sind die Windräder mindestens einen Kilometer vom nächsten Haus entfernt. Außerdem sollen sie möglichst in der Landschaft hinter Hügeln verborgen bleiben."

Was auf Shetland noch wie spontanes Aufbegehren wirkt, trägt andernorts in Schottland Züge organisierten Widerstands. In einem Dörfchen bei Ayr, einer Kleinstadt südlich von Glasgow, treffe ich mich mit Vertretern einer professionell organisierten Bürgerinitiative gegen Windenergie. So professionell, dass es ihr vergangenes Jahr gelang, mit ihrer ersten Anti-Windkraft-Konferenz europaweit Aufsehen zu erregen. Zu den Gründungsmitgliedern zählt Aileen Jackson:

"Wegen des Lärms hat das hier angefangen: Das ist der schlimmste Aspekt bei Windrädern. Wir konnten nachts nicht mehr schlafen, sind unruhig im Haus auf und ab gelaufen. Im Sommer konnten wir die Fenster nicht mehr öffnen. Bei unserem 23-jährigen Sohn wurde drei Monate nach Inbetriebnahme der Windfarm eine Depression diagnostiziert. Vorher hatte er nie etwas in dieser Richtung."

Die Initiative von Aileen und ihren Mitstreitern geißelt zwar Windenergie als uneffektiv und gesundheitsschädlich, verweigert sich aber nicht Erneuerbaren Energie insgesamt. Ihr schwebt ein Energiemix vor, der von nuklear bis solar reicht. Zunächst will die Initiative jedoch ihre Kritiker davon überzeugen, dass sie nicht aus eigennützigen, wehleidigen Fortschrittsverweigerern besteht.

"Man muss die Bevölkerung darüber aufklären! Was die Leute auf dem Lande zu ertragen haben. Viele denken: Die spinnen doch! Windräder sind tolle grüne Wundermaschinen, die den Planeten retten, den CO2-Ausstoss vermindern und die Eisbären retten, weil die Polkappen nicht mehr abschmelzen. Die kapieren nichts und wir müssen sie erreichen."

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Initiative von der schottischen Regierung in Edinburgh Unterstützung erfährt. Seit vergangenem Jahr regiert dort mit komfortabler Mehrheit die SNP, die Scottish National Part'. Deren Parteichef, Ministerpräsident Alex Salmond, ist ein glühender Anhänger Erneuerbarer Energien. Bis 2050, so sein ehrgeiziges Ziel, soll Schottland seinen Energiebedarf zu 100 Prozent aus Erneuerbaren decken. Und nicht nur das: Überschüssiger Öko-Strom soll nach Europa verkauft werden.

"Deshalb befürworten wir ja auch so enthusiastisch die Idee eines europäischen Supernetzes. Schottland war das erste Land, das eingeladen wurde, am Supernetz-Komitee der EU-Kommission mitzuwirken. Vor allem die nordeuropäischen Länder sollen an ein gemeinsames Stromnetz angeschlossen werden, in das überschüssige Energie eingespeist wird. Eine Idee, deren Stunde gekommen ist."

Die Orkney Islands, geographisch zwischen den Shetlands und dem schottischen Festland gelegen, ähneln ihrem Schwester-Archipel: Auch hier tosen die Winde unablässig und auch hier haben die Atlantik-Brecher eine schroffe Steilküste geschaffen. Aber Orkney hat gegenüber Shetland einen erheblichen Vorteil: Die Inseln sind mit dem britischen Stromnetz verbunden; weil sie näher am Festland liegen. Deshalb sieht sich auch Richard Gauld perspektivisch als Energie-Exporteur. Er ist Chef der Orkney Sustainable Energy Ltd', die Privatinvestoren Windkraftanlagen verkauft und errichtet.

"Die Orkneys sind ein Archipel, der aus 70 Inseln besteht. Wir sind durch ein Unterwasserkabel an das schottische Stromnetz angeschlossen und damit an das gesamtbritische. Es gibt aber auch Bestrebungen, dieses Kabel quer durch die Nordsee zu verlängern und uns an Dänemark oder Deutschland anzuschließen. Das kann ich mir gut vorstellen."

Seine Firma Orkney Sustainable Energy hat sich komplett aufs Privatkundengeschäft verlagert.

"Landwirtschaft wird immer schwieriger und viele Farmer sehen, dass ihre Nachbarn auf Erneuerbare Energien-Projekte umsteigen. Die wollen dann auch ein Stück vom Kuchen und das sind die Kunden, mit denen ich heutzutage zu tun habe."

Im Osten der Hauptinsel von Orkney liegt der nach Kirkwall zweitgrößte Ort: Stromness, windgeschützt in einer Bucht gelegen. Hier hat eine europaweit einmalige Institution ihren Sitz: EMEC, das European Marine Energy Center. Im Auftrag der Europäischen Union wird hier seit über einem Jahrzehnt das Potential sogenannter Meeresenergien ausgelotet, erklärt der Managing Director von EMEC, Neil Kermode:

"Wir haben jetzt einige Jahre an Wellen- und Gezeitenenergie gearbeitet. Die Idee für eine Testanlage ist im Jahre 2000 entstanden, als in Großbritannien begonnen wurde, über Energiegewinnung aus dem Meer zu diskutieren. Damals glaubte man, sich für eine der beiden Methoden entscheiden zu müssen: Deshalb haben wir erst mit Wellen- und dann erst mit Gezeitenenergie gearbeitet."

Wellenenergie ist im Prinzip eine Spielart der Windenergie: Die Kraft der Wellen, die vom Wind vorangepeitscht werden, betreibt Turbinen und Generatoren, die Elektrizität erzeugen. Gezeitenenergie dagegen macht sich den Wechsel von Ebbe und Flut zunutze, den Tidenhub.

"Gezeitenenergie ist im Prinzip Schwerkraftenergie, kinetische Energie, die beim Auf und Ab des Wassers entsteht. Wellenenergie liegt dagegen im Wasser, das vom Wind bewegt wird."

Weltweit gibt es zahlreiche Ingenieurbüros, in denen entsprechende Anlagen erdacht und konstruiert werden. Doch nur auf Orkney gibt es eine Testanlage, wo man das Potential, die Leistungsfähigkeit und auch die Schwächen des jeweiligen Produkts ausprobieren kann. Hersteller verbringen also ihre Prototypen nach Stromness, - alles Weitere macht EMEC:

"Im Grunde besteht EMEC aus Kabeln, die im offenen Meer verlegt wurden. Diese Kabel münden in verschiedenen Wassertiefen. Daran können die Hersteller von Generatoren ihre Maschinen anschließen: So können sie die gewonnene Energie direkt ins britische Stromnetz einspeisen."

Nach einem guten Jahrzehnt des ausführlichen Testens für die EU und die Technologie-Pioniere ist Neil Kermode überzeugt: Wellen- und Gezeitenenergie funktionieren!

"Wir haben zum ersten Mal nachgewiesen, dass man aus Meereswasser Elektrizität gewinnen kann. Das klingt wie Alchemie. Aber das funktioniert, was wir wahnsinnig aufregend finden."

Bei EMEC glaubt man, dass gerade entlegene, strukturschwache Regionen wie Orkney und Shetland hier eine Riesenchance haben: Energie sei bei entsprechender Technologieentwicklung in schier unbegrenztem Masse aus dem Meer zu gewinnen. Bei systematischer Vernetzung könne diese Energie an die entferntesten Abnehmer geliefert werden: eine Ökoutopie mit enormem wirtschaftlichen Potential. Beim Council von Orkney in Kirkwall ist man längst auf den Wirtschaftsfaktor Erneuerbare Energien aufmerksam geworden. Offensiv wurden Existenzgründer im Bereich von Umweltberatung, Ingenieurbüros und sogar professionelle Taucher angeworben, die als Zulieferer für die Energieerzeuger tätig sind. Und der frühere Councillor Ian Johnstone hat noch einen Wirtschaftszweig ausgemacht:

"Für Erneuerbare Energien-Tourismus interessieren sich viele: Fragen Sie mal EMEC, wie viele Besucher die letztes Jahr hatten. Und das waren beileibe nicht nur Journalisten, sondern normale Touristen. Vor allem, wenn wir unterschiedliche Energiegewinnungsmöglichkeiten auf verschiedenen Anlagen zeigen können, auch vom Boot aus, dürfte das die Leute anziehen. Wir haben gerade erst damit angefangen, versprechen uns aber einiges davon für die Zukunft."