Grüne warnen vor "unermesslichen Gefahren" bei Freihandelsabkommen
Ein Festhalten an den "guten Standards" in Europas Landwirtschaft fordert die Grünen-Politikerin Rebecca Harms. Bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den USA müsse für eine Ausnahme des Agrarsektors gekämpft werden.
Nana Brink: Nach viel Wirbel um die Datenspionage gab es gestern gleich wieder jede Menge Stoff für transatlantische Streitigkeiten. Die USA und Vertreter der EU haben sich zusammengefunden, um über das Freihandelsabkommen zu verhandeln. Es geht wirklich um viel, ein Wirtschaftsraum mit mehr als 800 Millionen Konsumenten soll ja entstehen. Bereits jetzt tauschen die EU und die USA täglich Waren und Dienstleistungen im Wert von rund zwei Milliarden Euro aus, und das pro Tag. Und gemeinsam haben sie fast die Hälfte der weltweiten Wirtschaftskraft. Aber um diesen gigantischen Handelsraum zu schaffen, muss man auf Zölle und Quoten verzichten und sich auch auf gemeinsame Standards einigen.
Kein leichtes Unterfangen, auch gerade, weil zum Beispiel amerikanische Farmer eine völlig andere Vorstellung über genmanipulierte Nahrungsmittel haben - Beitrag in Ortszeit, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio) Ulrike Römer berichtet.
Brink: Der US-Farmer Richard Wilkins aus Delaware also hofft auf neue Märkte, aber wie sehen wir das in Deutschland? Rebecca Harms ist im Vorstand der Grünen Fraktion im Europaparlament. Schönen guten Morgen, Frau Harms.
Rebecca Harms: Guten Morgen.
Brink: Genmanipulierte Lebensmittel, Hormonfleisch, Chlorhähnchen: Begriffe, bei denen es den Deutschen schaudert. Müssen wir diese US-Spezialitäten vielleicht bald ins Land lassen?
Harms: Das kommt darauf an, welcher Abschluss beim Handelsabkommen dann irgendwann erfolgt. Ich bin der Meinung, dass so ähnlich wie das zum Datenschutz im Moment überall diskutiert wird, man auch bei diesen ganzen Verhandlungen zum Agrarsektor, wenn man sie nicht komplett ausklammert, als Erstes mal geklärt werden müsste, welche Standards wir für Verbraucherschutz, aber auch für Umweltschutz – das ist ja in der Landwirtschaft sehr wichtig –, welche Standards wir als Europäer in keinem Fall preisgeben wollen zugunsten von Arbeitsplätzen oder Handel, den wir überhaupt nicht ermessen können im Moment.
Brink: Welche Standards wären denn das, um mal ganz konkret zu werden?
Harms: In Europa ist es so, dass durch den großen Widerstand von Verbrauchern wir überhaupt nicht offensiv, sondern sehr defensiv nur zulassen genetisch veränderte, zum Beispiel, Saaten für Mais oder für Raps. Das hat viele Begründungen, Gesundheitsschutz spielt nicht die größte Rolle, sondern die größte Rolle spielt eigentlich die Biodiversität und die Angst vor Resistenzen in Pflanzen.
Brink: Nun haben wir ja diesen US-Farmer gehört, der halt gesagt hat, dass das nur ein vorgeschobenes Argument. Die Wissenschaft denkt da auch anders. Ist das nicht vielleicht auch immer Interpretationssache?
Harms: Also ich glaube, dass tatsächlich es sehr gute Gründe gibt, sich nicht auf die Gentechnik in der Landwirtschaft einzulassen. Wir können mit konventionellen Pflanzen und mit konventionellen Weiterentwicklungen, Züchtungen von Pflanzen alles das leisten, was die Landwirtschaft heute braucht. Ich glaube auch, dass die Auseinandersetzung um Gentechnik nur ein Zipfel der Auseinandersetzung ist, um die es eigentlich zwischen der US-Landwirtschaft, dem Agrarsektor dort und dem europäischen Landwirtschaftssektor geht, weil wir gehen einfach in eine Wettbewerbssituation, die unsere Ideen von Landwirtschaft, nicht von Kleinstbauern, aber von bäuerlicher Landwirtschaft völlig auf den Kopf stellen wird.
Brink: Nun sind wir aber nicht die Beglücker dieser Welt. Das heißt, wenn man eine Partnerschaft, ein Abkommen eingeht, müssen wahrscheinlich beide Seiten Kompromisse machen. Wäre nicht ein deutscher Kompromiss, auch zu sagen: Wenn ihr schon diese genmanipulierten Nahrungsmittel habt, dann müsst ihr sie auch kennzeichnen?
Harms: Die Kennzeichnung allein wir überhaupt nicht ausreichen. Wir brauchen Gentechnik nicht, um gute Landwirtschaft zu machen, wir kaufen uns Gefahren ein, die unermesslich sind. Es geht auch nicht nur um genetisch veränderte Nahrungsmittel im Markt, sondern es geht eben auch um Hormone im Kalbsfleisch, es geht um Schweinefleisch, das mit Wachstumsförderern, die in Europa verboten sind, produziert wird. Es geht wirklich um einen völlig anderen Ansatz in der Agro-Industrie der USA.
Wir haben hier in Europa eine Situation, in der über zehn Millionen Bauern wirtschaften auf relativ wenig Ackerland. In den USA treten wir dann an gegen zwei Millionen Farmer, die auf mehr als der doppelten Fläche wirtschaften. Da ist wirklich das angesagt, was wir hier Agro-Industrie nennen, flächendeckend. Und ich fürchte eben, dass im Bereich der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelindustrie in Europa eher sehr viel Arbeit und Beschäftigung und auch Standards verloren gehen als bisher bekannt ist.
Brink: Wenn ich denn Ihrer Argumentation folge, dann ziehe ich daraus den Schluss, dass diese Standards, diese europäischen, auch diese deutschen Standards für Sie nicht verhandelbar sind.
Harms: Meiner Meinung nach sind wir mit unseren Ideen einer nachhaltigeren Landwirtschaft völlig in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Bürgerinnen in Europa. Das sieht man immer wieder, zum Beispiel bei Abstimmungen über Gentechnik …
Brink: Ja gut, aber das ist unsere Seite. Entschuldigen Sie, Frau Harms, das ist unsere Seite, das ist aber unsere Seite. Wie weit würden Sie denn gehen? Würden Sie dann diese Verhandlungen scheitern lassen, um die letzte Konsequenz …
Harms: Meine Auffassung war, dass man, so wie die Franzosen gekämpft haben für die Ausnahme der Kultur, so hätte ich mich gerne eingesetzt europäisch für die Ausnahme des Agrarsektors. Und ich hätte, bevor die Handelsverhandlungen begonnen werden, gesagt, wir müssen als Erstes mal klären, welches sollen die Standards sein, die wir Europäer in keinem Fall bereit sind preiszugeben, weil wir sie für eine nachhaltige Entwicklung zugunsten von Landwirtschaft und Verbrauchern für unverzichtbar halten.
Brink: Können wir es denn riskieren, uns nicht zu einigen auf die Gefahr, dass uns dann zum Beispiel China seine Standards aufzwingt?
Harms: China ist bestimmt nicht in allen Bereichen gut, aber zum Beispiel gibt es Wachstumsförderer für Schweine, die in China und in Europa verboten sind, aber in den USA eingesetzt werden. Also die Klärung von Standards, die muss doch politisch erfolgen. Die muss in einem Dialog zwischen Verbrauchern und Bürgern und der Politik passieren. Das ist in Europa entwickelter als in den USA. Und solange wir die Standards nicht geklärt habe, da lasse ich doch nicht zu, dass durch Handelsinteressen das, was wir an guten Standards in Europa erreicht haben, kaputt gemacht wird.
Brink: Viel Stoff also noch für Diskussionen. Herzlichen Dank, Rebecca Harms, im Vorstand der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Und wir sprachen über die unterschiedlichen Vorstellungen im Bezug auf die genmanipulierten Nahrungsmittel. Das transatlantische Handelsabkommen wird ja gerade in Washington verhandelt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Kein leichtes Unterfangen, auch gerade, weil zum Beispiel amerikanische Farmer eine völlig andere Vorstellung über genmanipulierte Nahrungsmittel haben - Beitrag in Ortszeit, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio) Ulrike Römer berichtet.
Brink: Der US-Farmer Richard Wilkins aus Delaware also hofft auf neue Märkte, aber wie sehen wir das in Deutschland? Rebecca Harms ist im Vorstand der Grünen Fraktion im Europaparlament. Schönen guten Morgen, Frau Harms.
Rebecca Harms: Guten Morgen.
Brink: Genmanipulierte Lebensmittel, Hormonfleisch, Chlorhähnchen: Begriffe, bei denen es den Deutschen schaudert. Müssen wir diese US-Spezialitäten vielleicht bald ins Land lassen?
Harms: Das kommt darauf an, welcher Abschluss beim Handelsabkommen dann irgendwann erfolgt. Ich bin der Meinung, dass so ähnlich wie das zum Datenschutz im Moment überall diskutiert wird, man auch bei diesen ganzen Verhandlungen zum Agrarsektor, wenn man sie nicht komplett ausklammert, als Erstes mal geklärt werden müsste, welche Standards wir für Verbraucherschutz, aber auch für Umweltschutz – das ist ja in der Landwirtschaft sehr wichtig –, welche Standards wir als Europäer in keinem Fall preisgeben wollen zugunsten von Arbeitsplätzen oder Handel, den wir überhaupt nicht ermessen können im Moment.
Brink: Welche Standards wären denn das, um mal ganz konkret zu werden?
Harms: In Europa ist es so, dass durch den großen Widerstand von Verbrauchern wir überhaupt nicht offensiv, sondern sehr defensiv nur zulassen genetisch veränderte, zum Beispiel, Saaten für Mais oder für Raps. Das hat viele Begründungen, Gesundheitsschutz spielt nicht die größte Rolle, sondern die größte Rolle spielt eigentlich die Biodiversität und die Angst vor Resistenzen in Pflanzen.
Brink: Nun haben wir ja diesen US-Farmer gehört, der halt gesagt hat, dass das nur ein vorgeschobenes Argument. Die Wissenschaft denkt da auch anders. Ist das nicht vielleicht auch immer Interpretationssache?
Harms: Also ich glaube, dass tatsächlich es sehr gute Gründe gibt, sich nicht auf die Gentechnik in der Landwirtschaft einzulassen. Wir können mit konventionellen Pflanzen und mit konventionellen Weiterentwicklungen, Züchtungen von Pflanzen alles das leisten, was die Landwirtschaft heute braucht. Ich glaube auch, dass die Auseinandersetzung um Gentechnik nur ein Zipfel der Auseinandersetzung ist, um die es eigentlich zwischen der US-Landwirtschaft, dem Agrarsektor dort und dem europäischen Landwirtschaftssektor geht, weil wir gehen einfach in eine Wettbewerbssituation, die unsere Ideen von Landwirtschaft, nicht von Kleinstbauern, aber von bäuerlicher Landwirtschaft völlig auf den Kopf stellen wird.
Brink: Nun sind wir aber nicht die Beglücker dieser Welt. Das heißt, wenn man eine Partnerschaft, ein Abkommen eingeht, müssen wahrscheinlich beide Seiten Kompromisse machen. Wäre nicht ein deutscher Kompromiss, auch zu sagen: Wenn ihr schon diese genmanipulierten Nahrungsmittel habt, dann müsst ihr sie auch kennzeichnen?
Harms: Die Kennzeichnung allein wir überhaupt nicht ausreichen. Wir brauchen Gentechnik nicht, um gute Landwirtschaft zu machen, wir kaufen uns Gefahren ein, die unermesslich sind. Es geht auch nicht nur um genetisch veränderte Nahrungsmittel im Markt, sondern es geht eben auch um Hormone im Kalbsfleisch, es geht um Schweinefleisch, das mit Wachstumsförderern, die in Europa verboten sind, produziert wird. Es geht wirklich um einen völlig anderen Ansatz in der Agro-Industrie der USA.
Wir haben hier in Europa eine Situation, in der über zehn Millionen Bauern wirtschaften auf relativ wenig Ackerland. In den USA treten wir dann an gegen zwei Millionen Farmer, die auf mehr als der doppelten Fläche wirtschaften. Da ist wirklich das angesagt, was wir hier Agro-Industrie nennen, flächendeckend. Und ich fürchte eben, dass im Bereich der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelindustrie in Europa eher sehr viel Arbeit und Beschäftigung und auch Standards verloren gehen als bisher bekannt ist.
Brink: Wenn ich denn Ihrer Argumentation folge, dann ziehe ich daraus den Schluss, dass diese Standards, diese europäischen, auch diese deutschen Standards für Sie nicht verhandelbar sind.
Harms: Meiner Meinung nach sind wir mit unseren Ideen einer nachhaltigeren Landwirtschaft völlig in Übereinstimmung mit der Mehrheit der Bürgerinnen in Europa. Das sieht man immer wieder, zum Beispiel bei Abstimmungen über Gentechnik …
Brink: Ja gut, aber das ist unsere Seite. Entschuldigen Sie, Frau Harms, das ist unsere Seite, das ist aber unsere Seite. Wie weit würden Sie denn gehen? Würden Sie dann diese Verhandlungen scheitern lassen, um die letzte Konsequenz …
Harms: Meine Auffassung war, dass man, so wie die Franzosen gekämpft haben für die Ausnahme der Kultur, so hätte ich mich gerne eingesetzt europäisch für die Ausnahme des Agrarsektors. Und ich hätte, bevor die Handelsverhandlungen begonnen werden, gesagt, wir müssen als Erstes mal klären, welches sollen die Standards sein, die wir Europäer in keinem Fall bereit sind preiszugeben, weil wir sie für eine nachhaltige Entwicklung zugunsten von Landwirtschaft und Verbrauchern für unverzichtbar halten.
Brink: Können wir es denn riskieren, uns nicht zu einigen auf die Gefahr, dass uns dann zum Beispiel China seine Standards aufzwingt?
Harms: China ist bestimmt nicht in allen Bereichen gut, aber zum Beispiel gibt es Wachstumsförderer für Schweine, die in China und in Europa verboten sind, aber in den USA eingesetzt werden. Also die Klärung von Standards, die muss doch politisch erfolgen. Die muss in einem Dialog zwischen Verbrauchern und Bürgern und der Politik passieren. Das ist in Europa entwickelter als in den USA. Und solange wir die Standards nicht geklärt habe, da lasse ich doch nicht zu, dass durch Handelsinteressen das, was wir an guten Standards in Europa erreicht haben, kaputt gemacht wird.
Brink: Viel Stoff also noch für Diskussionen. Herzlichen Dank, Rebecca Harms, im Vorstand der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Und wir sprachen über die unterschiedlichen Vorstellungen im Bezug auf die genmanipulierten Nahrungsmittel. Das transatlantische Handelsabkommen wird ja gerade in Washington verhandelt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.