Grüne warnen vor vorschnellen Entscheidungen über Syrien
Besonders auf den Libanon, Jordanien und den Irak würde ein militärisches Eingreifen in Syrien destabilisierend wirken, meint der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour. Für diese drei Länder stehe nun im Vordergrund, dass ihnen geholfen werde im Umgang mit den Flüchtlingen aus Syrien.
Christopher Ricke: Die Chemiewaffeninspekteure der Vereinten Nationen, heute sollen sie mit der Untersuchung des mutmaßlichen Giftgasangriffs östlich von Damaskus beginnen. Das Assad-Regime hat zugestimmt, der internationale Druck war erheblich, es stand die Kriegsdrohung im Raum, und ich spreche jetzt mit Omid Nouripour von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestages und der Verteidigungsexperte seiner Fraktion. Guten Morgen, Herr Nouripour!
Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!
Ricke: Jetzt dürfen die Kontrolleure also kommen - ist das nicht ein bisschen spät?
Nouripour: Es ist hoffentlich noch machbar, etwas festzustellen. Es ist total notwendig und wichtig, dass das überhaupt passiert, nach einer solchen Horrorgeschichte, wie wir sie letzte Woche erlebt haben. Wir werden sehen, ob die Inspekteure tatsächlich auch zur Aufklärung beitragen müssen, aber diese muss man definitiv abwarten, bevor man vorschnell Entscheidungen trifft.
Ricke: Wie ist das denn politisch einzuordnen? War das jetzt ein Spielen auf Zeit, waren das gute Argumente der UN-Vermittlerin, was hat letztlich Assad dazu gebracht?
Nouripour: Ich glaube, dass Assad festgestellt hat, dass in dem Falle von Hunderten von Toten durch den Einsatz von Massenvernichtungswaffen es eigentlich überhaupt gar keine Alternative gibt als eine unabhängige Beobachtung. Und ich hoffe, wie gesagt, dass jetzt nun belastbare Ergebnisse vorgetragen werden können.
Wenn das die Assad-Regierung war, dann muss man natürlich schauen, dass die Russen keinerlei Ausreden mehr haben, warum sie Assad noch unterstützen, warum sie ihn noch weiterhin schützen. Und wenn es nicht Assad war, dann müssen wir dringlichst mit sogenannten strategischen Partnern wie zum Beispiel Saudi-Arabien und Katar darüber reden, wen sie eigentlich mit welchen Mitteln in Syrien unterstützen.
Ricke: Glauben Sie denn wirklich, dass die UN-Inspekteure in der Lage sind herauszufinden, wer es war? Ich dachte immer, die könnten nur herausfinden, ob etwas passiert ist.
Nouripour: Auch das ist natürlich eine relevante Frage. Es ist natürlich eine indizienbasierte Geschichte. Man steckt ja sozusagen nicht vor Ort, man muss sich das genau anschauen. Es ist natürlich unter bestimmten Umständen auch denkbar, dass sie herauskommen und sagen, dass es Hinweise gibt, dass die eine oder andere Seite das war, aber das Zentrale ist natürlich, dass es eine unabhängige Stelle gibt, die vor Ort überhaupt agieren kann.
Und man kann eigentlich darauf aufbauend auch hoffen, dass man das jetzt nutzt, diese eine Chance, die es jetzt gegeben hat, dass Assad endlich Internationale ins Land gelassen hat, nutzt, damit man auch in weiteren Fällen, und zwar nicht nur bei einem Einsatz von Chemiewaffen, auch vor Ort agieren kann.
"Eine unglaublich unübersichtliche Lage"
Ricke: Letztlich ist es ja eigentlich völlig egal, wer Massenvernichtungswaffen einsetzt, es muss aufhören. Das Leiden der Bevölkerung muss aufhören. Ist das nicht ein Argument dafür, in jedem Fall einzugreifen und dieses Morden zu beenden?
Nouripour: Es ist natürlich emotional absolutes Verständnis, ich höre das. Seit zweieinhalb Jahren kommen Leute und sagen voller Empörung, man muss doch den Mördern in den Arm fallen. Das ist zweifelsfrei hundertprozentig richtig, die Frage ist nur, wie macht man das. Die Frage ist nur, wem genau fällt man wie in den Arm. Und wir haben mittlerweile Gräueltaten von beiden Seiten, die jede Vorstellung übertreffen, und eine unglaublich unübersichtliche Lage.
Wir haben eine Opposition, die täglich nahezu neue Strukturen hat, die immer mehr Kommandostrukturen entwickelt. Da ist es sehr, sehr leicht zu sagen, wir müssen dort auch reingehen und das Morden beenden, aber ich hab‘ noch niemanden gesehen, der genau erklären kann, wie das gehen soll.
Ricke: Was ich höre, auch was ich fühle, ist ja eine allgemeine Ratlosigkeit, und vielleicht gibt’s auf der geopolitischen Ebene eine Antwort. Was würde denn ein Eingreifen für die Gesamtregion bewirken, meinetwegen von Ägypten bis hin zum Iran? Haben Sie da eine Antwort?
Nouripour: Es gibt sehr vieles, was zu befürchten ist. Wir haben ja jetzt schon die Situation, dass im Libanon, in Jordanien und im Irak sind mindestens drei der Nachbarstaaten, bei denen es so ist, immer mehr die Gefahr steigt, dass der Konflikt übergreift. Und das würde möglicherweise durch eine größere militärische Intervention auch beschleunigt. Und deshalb muss man da höllisch aufpassen.
Wir müssen jetzt gucken, dass wir diesen drei Ländern in erster Linie helfen, damit sie mit ihren Flüchtlingen vorankommen, damit sie mit ihnen klarkommen, damit sie denen Unterstützung geben können. Weil alles, was wir jetzt in Syrien nicht tun können, sollten wir in diesen Nachbarstaaten machen, damit der Konflikt nicht übergeht.
Ricke: Ihre Partei, die Grünen, haben ja im Kosovo damit begonnen, sich zu einer Art gerechtem Krieg zu bekennen. Es könnte sein, dass so etwas auf die Bundeswehr wieder zukommt. Wir haben aktuell die Debatte, Sie gehen nachher in den Untersuchungsausschuss zum Euro Hawk, wir haben aktuell eine Debatte über angeblich ungeeignete Hubschrauber für die Marine - sind wir denn international als Deutschland, als das Land, das die Bundeswehr senden könnte, überhaupt in der Lage, einzugreifen?
"Die geopolitische Situation ist ein Syrien extrem verfahren"
Nouripour: Die Bundeswehr könnte bei dieser hochspekulativen Frage natürlich bei bestimmten Einsätzen mitmachen, in vielen Ländern, ist bündnisfähig, aber das ist eine Frage, die sich derzeit in Syrien nicht stellt. Und wir haben beim Kosovokrieg ein nicht – gerechter Krieg ist ein ganz komischer Begriff …
Wir haben im Falle von Kosovo versucht, sozusagen massive ethische Vertreibungen zu verhindern und ein massives Morden - das war eine deutlich übersichtlichere Situation im deutlich kleineren Land -, aber haben im Nachhinein auch als Grüne gesagt, das war eine Einmaligkeit und wir brauchen einen VN-Beschluss, auch weil es völkerrechtlich weiterentwickelt hat im Falle von Schutzverantwortung.
Die geopolitische Situation in Syrien ist extrem verfahren, wir haben einen regionalen Konflikt, und wir haben auch mittlerweile einen internationalen Konflikt mit glasklaren Playern auf zwei Seiten, die USA und die Russen stehen sich heftig gegenüber. Das ist deutlich schärfer als im Falle von Kosovo. Und deshalb finde ich im Gesamttableau den Vergleich nicht wirklich machbar.
Ricke: Der Verteidigungsexperte von Bündnis90/Die Grünen Omid Nouripour. Vielen Dank, Herr Nouripour!
Nouripour: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links auf dradio.de:
Die Zeit drängt für einen Nachweis von Nervenkampfstoffen in Syrien-
Chemiewaffen-Experte: Das UN-Inspektorenteam muss jetzt rasch Proben vor Ort nehmen
Zerstörtes Land, zerstörtes Leben- Das Leid der syrischen Flüchtlinge in Jordanien
Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!
Ricke: Jetzt dürfen die Kontrolleure also kommen - ist das nicht ein bisschen spät?
Nouripour: Es ist hoffentlich noch machbar, etwas festzustellen. Es ist total notwendig und wichtig, dass das überhaupt passiert, nach einer solchen Horrorgeschichte, wie wir sie letzte Woche erlebt haben. Wir werden sehen, ob die Inspekteure tatsächlich auch zur Aufklärung beitragen müssen, aber diese muss man definitiv abwarten, bevor man vorschnell Entscheidungen trifft.
Ricke: Wie ist das denn politisch einzuordnen? War das jetzt ein Spielen auf Zeit, waren das gute Argumente der UN-Vermittlerin, was hat letztlich Assad dazu gebracht?
Nouripour: Ich glaube, dass Assad festgestellt hat, dass in dem Falle von Hunderten von Toten durch den Einsatz von Massenvernichtungswaffen es eigentlich überhaupt gar keine Alternative gibt als eine unabhängige Beobachtung. Und ich hoffe, wie gesagt, dass jetzt nun belastbare Ergebnisse vorgetragen werden können.
Wenn das die Assad-Regierung war, dann muss man natürlich schauen, dass die Russen keinerlei Ausreden mehr haben, warum sie Assad noch unterstützen, warum sie ihn noch weiterhin schützen. Und wenn es nicht Assad war, dann müssen wir dringlichst mit sogenannten strategischen Partnern wie zum Beispiel Saudi-Arabien und Katar darüber reden, wen sie eigentlich mit welchen Mitteln in Syrien unterstützen.
Ricke: Glauben Sie denn wirklich, dass die UN-Inspekteure in der Lage sind herauszufinden, wer es war? Ich dachte immer, die könnten nur herausfinden, ob etwas passiert ist.
Nouripour: Auch das ist natürlich eine relevante Frage. Es ist natürlich eine indizienbasierte Geschichte. Man steckt ja sozusagen nicht vor Ort, man muss sich das genau anschauen. Es ist natürlich unter bestimmten Umständen auch denkbar, dass sie herauskommen und sagen, dass es Hinweise gibt, dass die eine oder andere Seite das war, aber das Zentrale ist natürlich, dass es eine unabhängige Stelle gibt, die vor Ort überhaupt agieren kann.
Und man kann eigentlich darauf aufbauend auch hoffen, dass man das jetzt nutzt, diese eine Chance, die es jetzt gegeben hat, dass Assad endlich Internationale ins Land gelassen hat, nutzt, damit man auch in weiteren Fällen, und zwar nicht nur bei einem Einsatz von Chemiewaffen, auch vor Ort agieren kann.
"Eine unglaublich unübersichtliche Lage"
Ricke: Letztlich ist es ja eigentlich völlig egal, wer Massenvernichtungswaffen einsetzt, es muss aufhören. Das Leiden der Bevölkerung muss aufhören. Ist das nicht ein Argument dafür, in jedem Fall einzugreifen und dieses Morden zu beenden?
Nouripour: Es ist natürlich emotional absolutes Verständnis, ich höre das. Seit zweieinhalb Jahren kommen Leute und sagen voller Empörung, man muss doch den Mördern in den Arm fallen. Das ist zweifelsfrei hundertprozentig richtig, die Frage ist nur, wie macht man das. Die Frage ist nur, wem genau fällt man wie in den Arm. Und wir haben mittlerweile Gräueltaten von beiden Seiten, die jede Vorstellung übertreffen, und eine unglaublich unübersichtliche Lage.
Wir haben eine Opposition, die täglich nahezu neue Strukturen hat, die immer mehr Kommandostrukturen entwickelt. Da ist es sehr, sehr leicht zu sagen, wir müssen dort auch reingehen und das Morden beenden, aber ich hab‘ noch niemanden gesehen, der genau erklären kann, wie das gehen soll.
Ricke: Was ich höre, auch was ich fühle, ist ja eine allgemeine Ratlosigkeit, und vielleicht gibt’s auf der geopolitischen Ebene eine Antwort. Was würde denn ein Eingreifen für die Gesamtregion bewirken, meinetwegen von Ägypten bis hin zum Iran? Haben Sie da eine Antwort?
Nouripour: Es gibt sehr vieles, was zu befürchten ist. Wir haben ja jetzt schon die Situation, dass im Libanon, in Jordanien und im Irak sind mindestens drei der Nachbarstaaten, bei denen es so ist, immer mehr die Gefahr steigt, dass der Konflikt übergreift. Und das würde möglicherweise durch eine größere militärische Intervention auch beschleunigt. Und deshalb muss man da höllisch aufpassen.
Wir müssen jetzt gucken, dass wir diesen drei Ländern in erster Linie helfen, damit sie mit ihren Flüchtlingen vorankommen, damit sie mit ihnen klarkommen, damit sie denen Unterstützung geben können. Weil alles, was wir jetzt in Syrien nicht tun können, sollten wir in diesen Nachbarstaaten machen, damit der Konflikt nicht übergeht.
Ricke: Ihre Partei, die Grünen, haben ja im Kosovo damit begonnen, sich zu einer Art gerechtem Krieg zu bekennen. Es könnte sein, dass so etwas auf die Bundeswehr wieder zukommt. Wir haben aktuell die Debatte, Sie gehen nachher in den Untersuchungsausschuss zum Euro Hawk, wir haben aktuell eine Debatte über angeblich ungeeignete Hubschrauber für die Marine - sind wir denn international als Deutschland, als das Land, das die Bundeswehr senden könnte, überhaupt in der Lage, einzugreifen?
"Die geopolitische Situation ist ein Syrien extrem verfahren"
Nouripour: Die Bundeswehr könnte bei dieser hochspekulativen Frage natürlich bei bestimmten Einsätzen mitmachen, in vielen Ländern, ist bündnisfähig, aber das ist eine Frage, die sich derzeit in Syrien nicht stellt. Und wir haben beim Kosovokrieg ein nicht – gerechter Krieg ist ein ganz komischer Begriff …
Wir haben im Falle von Kosovo versucht, sozusagen massive ethische Vertreibungen zu verhindern und ein massives Morden - das war eine deutlich übersichtlichere Situation im deutlich kleineren Land -, aber haben im Nachhinein auch als Grüne gesagt, das war eine Einmaligkeit und wir brauchen einen VN-Beschluss, auch weil es völkerrechtlich weiterentwickelt hat im Falle von Schutzverantwortung.
Die geopolitische Situation in Syrien ist extrem verfahren, wir haben einen regionalen Konflikt, und wir haben auch mittlerweile einen internationalen Konflikt mit glasklaren Playern auf zwei Seiten, die USA und die Russen stehen sich heftig gegenüber. Das ist deutlich schärfer als im Falle von Kosovo. Und deshalb finde ich im Gesamttableau den Vergleich nicht wirklich machbar.
Ricke: Der Verteidigungsexperte von Bündnis90/Die Grünen Omid Nouripour. Vielen Dank, Herr Nouripour!
Nouripour: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Zerstörtes Land, zerstörtes Leben- Das Leid der syrischen Flüchtlinge in Jordanien