Bio-Lebensmittel und Tierwohl

Auch die besten Vorsätze platzen in der Inflation

06:31 Minuten
Auf einem Messestand der Grünen Woche 2007 stehen Biolebensmittel in einem Regal. Einer Person davor trägt eine grüne Schürze mit einem Aufdruck "Bio nach EG-Öko-Verordnung".
Auf der Grünen Woche 2007 gab es einen Bio-Laden auf dem Messegelände. Das Bewusstsein für Umwelt- und Klimaschutz ist zwar seither gewachsen, aber der Wert des Geldes schrumpft und das verschreckt viele Kunden. © picture alliance / photothek / Liesa Johannssen
Von Dieter Nürnberger · 20.01.2023
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In Umfragen sagen neun von zehn Deutschen, sich künftig umweltbewusster ernähren zu wollen. Zuletzt ging der Bio-Anteil beim Lebensmittelkauf aber zurück. Das Geld wird knapp. Bauern und Naturschützer sind alarmiert und hoffen auf Cem Özdemir.
Nach zwei Jahren Coronapause sind die Messehallen unter dem Berliner Funkturm wieder ein Besuchermagnet. Tausende flanieren zwischen den Ausstellungsständen, schließlich gilt es, kulinarische Spezialitäten aus aller Welt zu entdecken. Dem Publikum auf der Grünen Woche geht es allerdings kaum anders als den meisten Verbraucherinnen und Verbrauchern, die tagtäglich ihren Einkauf machen: Sie schauen aufs Geld.

Sparen beim Lebensmittelkauf

Innerhalb eines Jahres sind die Preise im Lebensmittelbereich hierzulande im Schnitt um 20 Prozent nach oben gegangen. Inflation und die Auswirkungen des russischen Überfalls auf die Ukraine verteuern das Angebot. Glaubt man den Marktforschern, dann wird beim Einkauf inzwischen deutlich gespart: weniger teure Markenprodukte, mehr Sonderangebote, mehr Billigfleisch. Der Anteil von Bio-Lebensmitteln und Produkten aus tiergerechter Haltung im Einkaufswagen geht zurück.

Verunsicherung bei den Bauern

Verunsicherung herrscht deshalb auch bei Joachim Rukwied, dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes, der gerade den Erlebnisbauernhof in Halle 3 den Besuchern vorgestellt hat: „Wenn ich das aktuelle Einkaufsverhalten betrachte, dann macht mir das Sorge. Weil sehr stark im Preiseinstiegssegment eingekauft wird", sagt der Verbandschef: "Mehr Tierwohl gelingt nur gemeinsam.“ Die Lage in der Agrarbranche beschreibt Joachim Rukwied deshalb als angespannt.

Bio-Bauern stark betroffen

Für die Hersteller von ökologischem Obst, Getreide und Gemüse sowie Fleisch und Fisch aus artgerechter Haltung gilt das umso mehr. „Zu den Krisengewinnlern gehören die Bio-Milchviehbetriebe derzeit nicht", sagt Georg Janßen, der Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft.
Der Interessenverband vertritt viele kleinere Betriebe und setzt sich für eine umweltverträgliche Landwirtschaft ein. Die Kaufrückhaltung der Konsumenten treffe viele „seiner“ Betriebe derzeit besonders stark, sagt Janßen. "Die Kosten sind weit höher als die Gewinne. Das führt dazu, dass die Debatte geführt wird: Sollen wir rückumstellen?"
Die zukünftige Entwicklung hänge auch von den Rahmenbedingungen ab, hebt er mit Blick auf die Politik hervor. "Da hat der Bundesagrarminister nicht nur von einem notwendigen Systemwechsel zu reden, er kann auch Maßnahmen ergreifen.“

Enttäuschung über Özdemir

Auf der Grünen Woche ist deshalb auch Enttäuschung spürbar. Bundesernährungs- und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ist seit über einem Jahr im Amt. Der Grünen-Politiker will die Agrarwende vorantreiben, beispielsweise bis 2030 einen Bio-Anteil von 30 Prozent hierzulande bei den Lebensmitteln erreichen. Özdemirs Ziel ist ehrgeizig, denn Ende 2021 lag der Anteil lediglich bei knapp sieben Prozent, und im Krisenjahr 2022 ging der Anteil sogar erstmals zurück.
Cem Özdemir, ein Mann Mitte 50, hält eine Tafel hoch: Senkrecht steht auf dieser "Tierhaltung", dann folgen untereinander fünf Kategorien mit einem Kästschen davor: Bio, Auslauf/Freiland, Frischluftstall, Stall+ Platz sowie Stall, das Kästchen Auslauf/Freiland ist durch eine schwarze Füllung markiert. Ganz rechts ist ein QR-Code zu sehen.
Cem Özdemir beim traditionellen Rundgang des Bundeslandwirtschaftsminister auf der Grünen Woche in Berlin: Der Grünen-Politiker will eine verbindliche Kennzeichnung für die Haltung von Tieren gesetzlich verankern.© IMAGO / Political-Moments / IMAGO
Auch beim Tierwohl, der artgerechteren Haltung, will Cem Özdemir punkten. „Entscheidend ist für mich, dass wir jetzt endlich den ersten gesetzlichen Schritt für eine verbindliche Kennzeichnung gehen", sagt er. "Verbraucherinnen und Verbraucher wollen zurecht wissen, wie das Tier gehalten wurde, dessen Fleisch auf ihre Teller kommt.“
Künftig soll es also eine einheitliche und verbindliche Tierwohlkennzeichnung über die unterschiedlichen Haltungsformen geben. Den Vertretern einer tiergerechten und ökologischen Landwirtschaft fehlt aber ein Gesamtkonzept, wie die Ziele erreicht werden sollen, beispielsweise, wie die Politik das finanziell fördern wird.

Null Prozent Mehrwertsteuer auf Gemüse

Eine schnell umsetzbare Maßnahme, um die Agrarwende voranzubringen und auch ein Preissignal zu setzen, hört man auf der Grünen Woche immer öfter. Es geht um die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Für Martin Kaiser, Geschäftsführer bei Greenpeace, ein Muss. Es gehe auch um eine sozial gerechte Agrarwende. Der Landwirtschaftsminister solle – was auch die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt – pflanzliche Ernährung aus Gemüse und Obst steuerlich begünstigen.
"Die Mehrwertsteuer sollte hier auf null abgesenkt werden", fordert er. "Das würde den Staat ungefähr vier Milliarden Euro pro Jahr kosten, aber das wäre extrem gut investiertes Geld – in die Gesundheit und eine ökologische Agrarwende.“ Bundesernährungsminister Özdemir findet das gut, die politische Entscheidung steht allerdings noch aus.

Die Verbraucher sind gefragt

In Umfragen geben übrigens rund 90 Prozent der Deutschen an, sich künftig umwelt- und klimabewusster ernähren und auch auf das Tierwohl achten zu wollen. Experten wissen aber, dass das tatsächliche Einkaufsverhalten dann doch oft anders aussieht, Beispiel Fleischverbrauch: Über ein Kilo werde pro Kopf und Woche in Deutschland gegessen, sagt Jörg Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbundes Deutschland. Seit Jahren sei dieser Wert gleichbleibend.
Doch weniger Fleisch- und Wurstwaren zu essen, könnte schon sehr viel bewirken. „Das würde schon die Spielräume bringen, die wir brauchen, um wirklich die Flächen für mehr biologische Vielfalt und für weniger Intensität hinzukriegen. Das würde uns helfen, unser Grünland zu erhalten", sagt Krüger. Das wäre auch gut für den Wasserhaushalt, meint er und sei für eine ökologische Landwirtschaftswende erforderlich.
Viele Vorschläge liegen somit auf dem Tisch, um zu einer ökologischeren Landwirtschaft zu kommen. Allerdings spielt mehr und mehr der Preis die Hauptrolle beim Lebensmittelkauf. Gefordert ist nicht nur die Politik, sondern sind auch die Verbraucherinnen und Verbraucher. 

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