Grünen-Chef: Atompläne der Koalition nicht "christlich"
Der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/ Die Grünen, Cem Özdemir, hat heftigen Widerstand gegen die Atomenergiepläne der Bundesregierung angekündigt. Im Parlament und mit "vielen, vielen Leuten" auf der Straße werde seine Partei alles tun, um die angekündigten Laufzeitverlängerung der Kraftwerke zu verhindern
Deutschlandradio Kultur: Herr Özdemir, einer Ihrer Amtsvorgänger, nämlich Ludger Vollmer, hat sich kürzlich zu Wort gemeldet und sinngemäß gesagt: Die sozialökologische Ausrichtung der Grünen sei durch das Konzept einer Art grünen FDP ersetzt worden. Und Gründungsmitglied Jutta Ditfurth, Sie werden das Zitat kennen, geht noch weiter. Sie bezeichnet die Grünen als "FDP mit Fahrrad". Alles nur Blödsinn oder ist da irgendwie was dran?
Cem Özdemir: Das sehen zumindest 10,7 % der Wählerinnen und Wähler bei der letzten Bundestagswahl anders, jetzt aktuell bei den Umfragen 14 % deutschlandweit, 15 % in Bayern. Also, irgendwas muss es ja geben, warum die uns wählen oder wählen wollen. Es ist immer schwierig, wenn man in einer Partei aktiv war, sich dann nicht immer durchgesetzt hat und dann geht, und dann anschließend über seine Ex-Partei oder die Partei, in der man aktiv war, spricht. Es geht nicht allen gut. Und Ludger Vollmer und Jutta Ditfurth würde ich in die Kategorie zählen.
Deutschlandradio Kultur: Aber wo stehen denn die Grünen heute? Nehmen wir ein anderes Zitat von Jürgen Trittin. Er sagt: "Es gibt keine Partei, deren Mitglieder sich so klar links definieren und sich so klar in der Mitte repräsentieren." Also ist die Mitte jetzt nach links gerückt oder ist links mehr in der Mitte? Oder was will er uns damit sagen?
Cem Özdemir: Ich halte von diesem ganzen Begriffsuchen da nicht so sehr viel. Wir sind die Grünen. Wir sind die Grünen ohne Zusatz, ohne Bindestrich. Wir sind nicht die Rot-Grünen, nicht die Schwarz-Grünen, nicht die Was-weiß-ich-was-Grünen, sondern wir sind einfach grün. Wir vertreten das, wovon viele früher in der Konkurrenz gesagt haben, dass es absurd ist, dass es nicht finanzierbar ist, dass es nur in Zeiten schönen Wetters gelingt ..
Deutschlandradio Kultur: Aber alle reden von Ökologie.
Cem Özdemir: Eben. Darauf will ich ja hinaus. Und früher hat man immer gesagt, das ist alles Blödsinn. Jetzt reden die alle drüber, aber es bleibt halt oft beim Reden. Sie haben sich schöne grüne Mäntelchen zugelegt. Und wenn man unter den Mantel schaut, dann ist da nicht viel übrig. Und wir sind eben nach wie vor die Partei, die einen klaren ökologischen Kompass hat und die immer dann, wenn's weh tut, wenn man sich entscheiden muss, auch dann steht und sich nicht vom Acker macht.
Und nehmen Sie den aktuellen Umweltminister Norbert Röttgen, der ja ein guter Freund von mir ist, den ich sehr kenne, persönlich auch schätze. Der sagt ja viele vernünftige Dinge. Aber wenn er's umsetzen muss, wenn er beispielsweise eine Laufzeitverlängerung, wenn er die abwehren muss, dann wird er sich nicht durchsetzen können in der Koalition, in der er da gegenwärtig ist. Wenn er sich für die Kerosinsteuer einsetzen soll, damit der Flugverkehr teurer wird, wenn er sich dafür einsetzen soll, dass das Bahnfahren billiger wird, wenn er sich dafür einsetzen soll, dass wir eine konsequente Energiewende ohne neue Kohlekraftwerke, das alles geht mit denen nicht, weil denen der ökologische Kompass fehlt.
Deutschlandradio Kultur: Wie sieht's denn bei Ihnen aus in der Sozialpolitik. Fritz Kuhn sagt: "Die Grünen müssen bei der Erneuerung des Sozialstaats die Themenführerschaft erringen." Das sagen andere auch. Haben Sie da vielleicht etwas Nachholbedarf?
Cem Özdemir: Ich glaube, da gibt’s ne Lücke in der deutschen Politik. Der Platz, den ich sehe für uns als Grüne, ist, dass wir einerseits um die kümmern, die ausgegrenzt sind, die benachteiligt sind, aber klar machen, dass es nicht drum geht, andern was wegzunehmen.
Um ein konkretes Beispiel zu geben: In der Bildungspolitik haben wir gegenwärtig einen für meine Begriffe sehr absurden Streit zwischen traditionell links, traditionell rechts. Die konservativen Parteien kümmern sich um diejenigen, die aufs Gymnasium gehen. Die linken Parteien kümmern sich um diejenigen, die auf die Hauptschule gehen. Und man tut so, als ob's ein Gegensatz wäre. Das heißt, wenn's den einen besser geht, muss es den anderen schlechter gehen. Warum können wir nicht ein Bildungssystem haben, wo alle nach ihren Fähigkeiten optimal gefördert werden, ohne frühzeitig ausselektiert zu werden, indem wir – unabhängig davon, ob die Eltern reich oder arm sind, Akademiker oder nicht Akademiker sind, ob sie Deutsche oder nicht deutsch sind, biodeutsch oder sonst was sind – allen die bestmögliche Förderung zuteil werden lassen und dadurch übrigens auch einen Beitrag dazu leisten, dass aus Hartz-IV-Empfängerkindern eines Tages auch mal Akademiker werden können. Das ist in der jetzigen Gesellschaft nicht der Fall. Das scheint mir eine der dringendsten Fragen der Sozialpolitik zu sein.
Aber natürlich, da wir gerade jetzt mit der schwarz-gelben Koalition konfrontiert sind, die die Elternfreibeträge erhöht hat, das Kindergeld erhöht hat, aber die Kinder von Hartz-IV-Empfängern leer ausgehen lässt, auch das ist natürlich eine sozialpolitische Sauerei erster Kategorie.
Deutschlandradio Kultur: Und dann haben Sie angekündigt, wenn sich das nicht ändert, werden die Grünen möglicherweise auch auf die Straße gehen, um gegen diese Misere bei der Bildung oder bei Hartz-IV-Empfängern zu demonstrieren. Das heißt, Sie organisieren demnächst die Montagsdemos, die bisher Die Linke gemacht hat?
Cem Özdemir: Also, ich muss das nicht ankündigen. Wir haben schon demonstriert und demonstrieren weiter. Wir haben in Gorleben demonstriert. Wir haben demonstriert vor der Bundestageswahl, auch für Bürgerrechte, für den Datenschutz. Wir haben demonstriert in Berlin mit vielen anderen Initiativen zusammen gegen die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Und wenn die Regierung das umsetzt, was sie offensichtlich vor hat, nämlich diese unbeherrschbare Energieform Atomenergie, die, wie wir jetzt gerade aktuell in der Asse wieder sehen, Müll hinterlässt für Jahrmillionen, der nicht beherrschbar ist….
Denn heute schauen wir in die Asse rein und sehen, da hat man ein Loch reingemacht, hat die Fässer reingeworfen und nach dem Motto gehandelt, nach uns die Sintflut. Das hat mit christlich nichts zu tun, mit anständig nichts zu tun, mit demokratisch nichts zu tun. Das ist schlicht und ergreifend unanständig. Diejenigen, die das gemacht haben, das sind dieselben, die jetzt die Laufzeit von Atomkraftwerken verlängern wollen. Und da haben wir einen sehr klaren Kompass und sagen: Das wird’s mit uns definitiv nicht geben. Und da sage ich ganz klar: Wir werden im Parlament alles tun, um das zu verhindern, aber wir werden auch auf die Straße gehen mit vielen, vielen Leuten. Und da werden Sie auch viele christdemokratische und liberale Wähler an unserer Seite sehen, die nicht wollen, dass diese verbrecherische Energieform Atomenergie verlängert wird.
Deutschlandradio Kultur: Werden Sie denn auch auf der Straße gegen die Agenda 2010 demonstrieren? Stellen Sie das gesamte Reformwerk jetzt infrage? Verlangen Sie eine Grundrevision oder wie sieht das bei Ihnen aus?
Cem Özdemir: Vieles von dem, worüber jetzt diskutiert wird, was Frau von der Leyen angesprochen hat und andere sagen, das hätte man schon einfacher haben können, wenn die CDU damals oder die CDU-CSU im Bundesrat auf das gehört hätte, was wir gesagt haben. Man darf ja nicht vergessen, die Union hat das mit abgestimmt. Wir konnten uns leider nicht durchsetzen. Ich bedaure, dass man manches damals sehr hastig gemacht hat. Die Grundidee von Hartz IV ist nach wie vor richtig. Die Grundidee, dass jemand, der vom Staat Geld bekommt, dafür auch was tun muss, eine Gegenleistung bringen muss, ist im Prinzip nicht falsch. Die Grundidee, dass man Sozialhilfeempfänger besser stellt, ist im Prinzip nicht falsch. Die Grundidee mit den Job-Centern ist nicht falsch. Die machen ja nicht wir kaputt, sondern die Regierung vermasselt das gegenwärtig durch eine Verfassungsänderung, die sie nicht auf den Weg bringt.
Da sind eine Menge richtige Dinge drin, aber es war falsch, dass wir Rückstellungen beispielsweise von Leuten für ihre Altersrente, dass wir an die rangehen. Das war damals schon falsch, ist es jetzt. Und das zu ändern wäre richtig.
Deutschlandradio Kultur: Wird ja jetzt korrigiert.
Cem Özdemir: Und deshalb unterstützen wir das. Wegen mir kann man da gerne auch weitergehen.
Die Ein-Euro-Jobs waren sicherlich nicht die beste Idee in dem ganzen Projekt. Dafür war die Ich-AG beispielsweise eine sehr gute Idee, wenn man Leute aktiviert und sie dabei unterstützt.
Deutschlandradio Kultur: Und wenn jetzt der Paritätische Wohlfahrtsverband sagt, nein, wir bräuchten eine Totalrevision, wir müssen das gesamte Werk noch mal auseinander nehmen, neu zusammenbauen, damit es sinnvoll wird, davon halten Sie nichts?
Cem Özdemir: Dann sage ich: Wir schauen uns das genau im Detail an und da, wo es Änderungsbedarf gibt, machen wir das. Und da, wo das Projekt richtig war, halten wir dran fest, bauen es entsprechend so um, dass es auch in Zukunft zukunftssicher ist.
Das Grundproblem, um das noch mal zu sagen, ist doch, dass wir für diejenigen, die Hartz-IV-Empfänger sind, vernünftige Angebote brauchen, Jobangebote brauchen, dass Sie natürlich auf der einen Seite jetzt die Sätze erhöht werden müssen auf 24 Euro mindestens, damit wir hier einigermaßen menschenwürdige Lebensumstände haben, und das, was ich vorhin schon angesprochen haben, wir müssen uns um die Kinder kümmern. Wenn der Grundsatz stimmt, dass alle Kinder gleich viel wert sind, also auch die Kinder von Hartz-IV-Empfängern, dann haben wir da konkret Handlungsbedarf. Diese sozialpolitische Sauerei erster Güte muss abgestellt werden.
Aber das reicht mir nicht. Ein Sozialstaat, wie wir ihn uns vorstellen, der trägt auch dazu bei, dass Menschen von ihrer Arbeit menschenwürdig leben können müssen. Da reicht's nicht aus, dass der Sozialminister von Nordrhein-Westfalen sich vor Schlecker hinstellt und demonstriert. Dann soll er bittschön mit uns für Mindestlöhne stimmen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben gerade das Stichwort Nordrhein-Westfalen genannt. Da gibt es einen CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. Der fordert eine Grundrevision von Hartz IV. Rüttgers war es auch, der sich sehr stark gemacht hat für die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitslose. Und Rüttgers war es auch, der als erster für eine Ausweitung des Schonvermögens plädiert hat, was ja jetzt auch kommen soll. Im Grunde genommen, wenn ich Sie recht verstehe, ist da Rüttgers doch der richtige Mann, mit dem man da was machen könnte.
Cem Özdemir: Wenn ich wüsste, welche Rüttgers. Ich kenne mindestens zwei Rüttgers. Der hat jetzt dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz zugestimmt, das in Wirklichkeit ein Schuldenvermehrungsgesetz ist und ein Lobby-Klientel-Bedien-Gesetz ist. Und auf der anderen Seite macht er jetzt in Wahlkampf, weil er Umfrageergebnisse lesen kann. Jetzt, wo ihm das Gesäß auf Grundeis geht, sagt der Dinge, die er wahrscheinlich so die letzten fünf Jahre nicht nur nicht gemacht hat, sondern auch in den nächsten fünf Jahren nicht macht, wenn er wiedergewählt wird. Ich kenne einen Rüttgers, der einen Armin Laschet zum Integrationsminister macht und der nun gelegentlich vernünftige Dinge sagt. Und ich kenne einen anderen Rüttgers, der im Wahlkampf Ausländerfeindlichkeit bedient. Also, welcher Rüttgers? Das ist meine Gegenfrage.
Deutschlandradio Kultur: Ausschließen würden Sie Schwarz-Grün bei der wichtigen Wahl in NRW nicht?
Cem Özdemir: Schauen Sie, wir hatten jetzt kürzlich die 30-Jahresfeier der Grünen hier in Berlin. Da hat der Generalsekretär der CDU gesprochen, der stellvertretende Parteivorsitzende der SPD. Und ich hatte das Gefühl, dass beide ein bisschen um uns Grüne werben. Das ist erst mal für einen Parteivorsitzenden keine ganz unangenehme Situation, wenn die Parteien, die einen früher ja hart bekämpft haben, sich aktiv um einen bemühen und werben. Das reicht uns aber nicht. Es gibt die Grünen nicht ohne einen Verzicht auf eine Verlängerung von Atomkraftwerken.
Deutschlandradio Kultur: Moment. In NRW gibt’s kein Atomkraftwerk.
Cem Özdemir: Aber es gibt in NRW Pläne Kohlenergie auszubauen, ein neues Kohlekraftwerk zu bauen. Herr Rüttgers geht sogar so weit, Gesetze zu ändern, um den Klimaschutz rauszustreichen, nur damit er ein Kohlekraftwerk bauen kann. Da wird er sich daran messen lassen müssen. Das wird’s mit uns nicht geben. Das kann er mit der FDP gerne haben. Das kann er wahrscheinlich sogar mit der SPD machen. Insofern muss jeder wissen, der die SPD in Nordrhein-Westfalen wählt, bekommt möglicherweise einen Juniorpartner mit der CDU zusammen und mit Sicherheit ein neues Kohlekraftwerk. Wer Kohlekraft langsam beenden möchte in Nordrhein-Westfalen, wer in Richtung erneuerbare Energien möchte, wer beispielsweise auch in der Bildungspolitik einen Kurswechsel möchte, der muss in Nordrhein-Westfalen die Grünen wählen.
Deutschlandradio Kultur: Also, Ihre Entschlossenheit in Ehren, Herr Özdemir, aber Ihre Partei ist gerade mal in drei von 16 Landesregierungen vertreten.
Cem Özdemir: Immerhin. Nach der Bundestagswahl, nach der vorletzten, waren wir nirgendwo drin. Da haben alle gesagt, die Grünen sind out. Jetzt sind wir schon in drei Regierungen drin. Und warten Sie mal ab, was in Nordrhein-Westfalen passiert. Das ist das größte Bundesland. Man spürt ja geradezu den Angstschweiß im Nacken von FDP und CDU dort.
Deutschlandradio Kultur: Angstschweiß vielleicht, weil Sie auch sich für Rot-Rot-Grün erwärmen können?
Cem Özdemir: Ich kann mich erst mal für die Grünen erwärmen. Da bin ich nämlich Vorsitzender. Und wenn's nach mir ginge, bräuchte ich auch keine anderen Parteien. Aber ich vermute mal, dass es in Nordrhein-Westfalen mit der Alleinregierung der Grünen noch nicht ganz reichen wird. Insofern werden wir nach der Wahl anschauen, mit wem grüne Politik am besten umsetzbar ist. Und wenn wir zum Ergebnis kommen, das geht, dann unterhält man sich und prüft dieses. Und wenn man merkt, das geht nicht, dann werden wir nicht in die Regierung gehen, sondern dann gehen wir dahin, wo wir jetzt schon sind, nämlich in die Opposition. Denn eines ist klar: Nordrhein-Westfalen ist nicht nur eine Abstimmung über Herrn Rüttgers und über die Politik, die Schwarz-Gelb dort für unsere Begriffe in einem katastrophalen Zustand gemacht haben, sondern das ist auch eine Abstimmung darüber, ob wir die Steuersenkungen von Herrn Rüttgers, die er ja auch mit der Union mitgetragen hat und mitzutragen gedenkt, wie wir von Frau Merkel gehört haben, ob's die weiter geben soll. Steuersenkungen auf Pump, mit Geld, das wir nicht haben, zu Lasten unserer Kinder und Kindeskinder, für Leute, die das Geld nicht benötigen, oder ob wir auf der anderen Seite das Geld investieren in marode Schulen, in Kindergärten, in soziale Gerechtigkeit, in Mindestlöhne und natürlich auch in den Klimaschutz.
Deutschlandradio Kultur: Ganz kurze Antwort: Ich habe Sie richtig verstanden? Jamaika geht da schon mal gar nicht?
Cem Özdemir: Meine Fantasie reicht nicht aus, um mir vorzustellen, wie eine Politik von Herrn Pinkwart und von Herrn Rüttgers mit Grün zusammen funktionieren soll. Diese Politik, die dort gegenwärtig in Düsseldorf gefahren wird, die muss nach der Landtagswahl beendet werden.
Deutschlandradio Kultur: Sollte es eine Mehrheit geben zwischen Rot-Rot-Grün, mit Hannelore Kraft an der Spitze, den Grünen und dann noch eine Linke, von der man überhaupt nicht weiß, was sie in NRW will? Wie wollen Sie denn mit denen zusammenarbeiten?
Cem Özdemir: Ich teile das ausdrücklich, was Sie über die Tiefroten oder die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen sagen. Die Linkspartei sagt ja selber, sie will nicht regieren. Dann kann ich nur sagen, dann geht auch nicht ins Parlament. Dann lasst bitte die Politik machen, die NRW verändern wollen, die gestalten wollen. Ich höre und lese von Herrn Gysi, dass er sich an die eigene Partei wendet, man möge es doch noch mal überlegen, ob man nicht doch regieren will. Bei der Linkspartei wissen wir gegenwärtig nicht, wer ist eigentlich Ansprechpartner. Ist es Herr Lafontaine, ist es Herr Bartsch, von dem man jetzt hört, er möchte vielleicht nicht mehr kandidieren? Ist es Herr Gysi? Wer ist eigentlich da zuständig? Wer ist der Ansprechpartner? Was ist der Kurs der Linkspartei? Insofern haben die Grünen da eine ganz besondere Verantwortung. Denn wir sind die Alternative zu Schwarz-Gelb. Und die SPD ist mit ihrem Kurs beschäftigt. Die Linkspartei zerlegt sich gegenwärtig.
Deutschlandradio Kultur: Herr Özdemir, bei den politischen Mitbewerbern findet zumindest teilweise ein Generationenwechsel statt. Die Liberalen verjüngen sich an der Spitze, auch die CSU. Wann übernehmen denn "Joschkas Enkel" wichtige Positionen bei den Grünen?
Cem Özdemir: Also, wenn ich mich da umschaue in den Bundesländern, sehe ich überall junge Fraktionsvorsitzende, Landesvorsitzende, allenthalben Oberbürgermeister.
Deutschlandradio Kultur: Aber die wollen nicht in die erste Reihe.
Cem Özdemir: Na ja, einer von denen ist jetzt Bundesvorsitzender. Ich sehe eine Menge junge Gesichter in der Bundestagsfraktion. Wir haben die jüngste Fraktion aller Fraktionen im Deutschen Bundestag. Also, ich glaub, das ist ein Luxusproblem.
Deutschlandradio Kultur: Wir sehen, dass es Leute wie Jürgen Trittin, Renate Künast, Fritz Kuhn sind, die eigentlich für Rot-Grün stehen, die eine Generation repräsentieren.
Cem Özdemir: Ja, was ja nicht falsch ist. Die haben wichtige Dinge gemacht. Die haben diese Republik tiefgreifend verändert unter Rot-Grün, wenn ich an den Atomausstieg denke von Jürgen Trittin, wenn ich an den Verbraucherschutz denke, die alternative Landwirtschaftspolitik von Renate Künast.
Deutschlandradio Kultur: Aber Rot-Grün, ist das noch das Zukunftsmodell? Und sind das die Leute dann in die Zukunft gehen, möglicherweise in anderen Konstellationen?
Cem Özdemir: Ich bin nicht jemand, der für Modelle plädiert. Ich will, dass die Grünen so stark wie möglich sind. Und ich will die Grünen gerne in die Regierung führen. 2013 ist es Zeit, dass die Grünen wieder regieren im Bund. Wir verlieren wertvolle Zeit, was den Klimawandel angeht. Das Ergebnis von Kopenhagen ist für uns Europäer und für uns Deutsche geradezu katastrophal. Insofern werden wir uns drauf vorbereiten müssen.
Deutschlandradio Kultur: Aber das lag nicht an der CDU.
Cem Özdemir: Es lag auch an der Kanzlerin, weil die Kanzlerin zu wenig gemacht hat. Wir sehen ja an ihrer Europapolitik, dass der Kanzlerin Europa ziemlich egal, ziemlich gleichgültig ist. Ich bedaure das, denn das war in Deutschland unter Kohl zumindest anders.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Die Grünen entscheiden rechtzeitig vorher, wer 2013 dort die Grünen in die Auseinandersetzung führen wird. Aber Sie können davon ausgehen, es wird eine Entscheidung sein, die wir so treffen werden, wie wir das immer machen, nämlich in der Breite getragen. Und auf eines können Sie sich einstellen: Diese Bundestagsfraktion wird kräftig einheizen, wie sie es bislang schon gemacht hat. Diese Regierung wird von uns mit einer kräftigen Manndeckung verfolgt werden. Und wir werden dafür sorgen, dass klar ist, was die Alternative ist.
Deutschlandradio Kultur: Herr Özdemir, Sie sprachen eben an, dass in der Grünen-Fraktion der Nachwuchs sehr stark vertreten ist. Vielleicht haben wir ja ein Wahrnehmungsproblem, aber wo sind denn heute die jungen aufmüpfigen Grünen, die die Welt verändern wollen? Gehen die alle zur Piratenpartei oder zu Attac oder haben die sich noch nicht zu Wort gemeldet?
Cem Özdemir: Na ja, einer der Mitgründer von Attac, Sven Giegold , ist jetzt Europaabgeordneter bei den Grünen. Ich habe das Gefühl, wenn ich auf die Anti-Atom-Demonstration oder die Demonstration gegen Kohlekraftwerke gehe, da sind wir Grünen sehr aktiv präsent und vertreten. Und da sind eine Menge Leute, die genau wissen, dass wir es sind, die im Zweifelsfall den Kopf hinhalten und die Kämpfe austragen in den Parlamenten.
Was die Nachwuchsfrage angeht: Wir haben Tarek Al-Wazir in Hessen. Wir haben Boris Palmer als Oberbürgermeister in Tübingen, eine Menge Politiker, die die Grünen bislang prägen und beeinflussen und die künftig das Gesicht noch stärker prägen werden, von denen wir nicht nur auf örtlicher und auf Landesebene, sondern auch Bundesebene sicherlich in den nächsten Jahren noch mehr hören werden.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie kennen die Kritik, dass speziell die Leute, die Sie eben ansprachen, sagen: Da, wo ich jetzt politisch wirke, fühle ich mich wohl. Mehr will ich eigentlich nicht. – Ob das Ratzmann ist, ob das Al-Wazir ist oder ob das Boris Palmer ist.
Cem Özdemir: Na ja, wir müssen auf allen Ebenen Politik gestalten. Es können nicht alle gleichzeitig im Bund sein. Wir brauchen auch noch Leute im Land, in den Kommunen, in Europa. Wir versuchen, alle Ebenen bestens abzudecken. Und ich finde, wenn man mal das politische Personal von uns vergleicht auf der jeweiligen Ebene mit den anderen Parteien, dann kann ich als Bundesvorsitzender nur sagen, da sind wir sehr gut aufgestellt.
Deutschlandradio Kultur: Da will ich noch mal auf die Bundesebene gehen. Sie haben vorher gesagt, Sie wollen der Regierung in den nächsten Jahren kräftig einheizen. Bei Ihrer Gründung vor 30 Jahren haben Sie sich ja auf die Fahnen geschrieben: "sozial, ökologisch, basisdemokratisch, gewaltfrei". Wenn wir heute, 30 Jahre danach, hinschauen: ökologisch ja, basisdemokratisch Fragezeichen, gewaltfrei, weiß man nicht so genau. Welche Projekte sind es denn für die nächsten Jahre, wo Sie sagen, ja, dafür stehen die Grünen?
Cem Özdemir: Es ist nach wie vor das, was uns damals unter anderem zusammengebracht hat, nämlich die Frage: Wie schaffen wir es, so zu wirtschaften, so zu leben, so zu haushalten, dass wir nicht mehr verbrauchen, als einer Generation zusteht, dass wir nicht mehr Energie verbrauchen, dass wir nicht mehr Müll produzieren, nicht mehr Umweltbelastung erzeugen, wie unsere Generation wieder beseitigen kann, ohne künftigen Generationen Hürden zu überlassen, die unannehmbar sind.
Das Gleiche gilt übertragen für den Haushalt. Wir müssen so wirtschaften, dass wir nicht Schulden anhäufen, die künftige Generationen abtragen müssen, aber nicht abtragen können. Man kann das im Prinzip auch übertragen auf alle anderen Politikbereiche. Das ist nach wie vor das Kernprojekt der Grünen. Dazu kommen viele andere Fragen. Nehmen Sie die Frauenpolitik, belächelt von vielen. Mittlerweile haben andere Parteien nicht nur eine Frauenquote, selbst die CDU hat sich damals unter Helmut Kohl heftigst gestritten, ob sie nicht eine Quote einführen wollen. Nehmen Sie das Thema Bürgerrechte.
Deutschlandradio Kultur: Das ist ja ein Punkt für die Grünen, Punkt für Sie, gut erreicht. Jetzt stellt sich aber doch die Frage in Zeiten dieser Globalisierung, und Fritz Kuhn hat das auch benannt. Er sagt: Wir müssen uns eigentlich um die Modernisierungsverlierer kümmern. Sonst laufen die alle zur Linken, wo auch immer hin. Wir brauchen eine Erneuerung des Sozialstaats, wo wir nicht nur sagen, wir müssen mehr Geld rein pumpen, sondern wir müssen den auch intelligenter machen. Das sind doch die Aufgaben, mit denen Sie sich beschäftigen müssen. Wo ist denn da Ihre Antwort?
Cem Özdemir: Absolut. Ich will Ihnen mal ein Beispiel geben an Beispiel der Sozialpolitik. Ich habe vorher Mindestlöhne angesprochen. Ein weiteres Beispiel, wo man dazu beitragen kann, dass Leute aus Hartz IV, dass Leute aus illegalen Beschäftigungen rauskommen, aus der Schwarzarbeit rauskommen in den normalen Arbeitsmarkt, ist das Projekt des so genannten Progressivlohns, das heißt, dass Sie bis 2.000 Euro Einkommen dazu beitragen, dass die Lohnnebenkosten gesenkt werden, gestaffelt gesenkt werden, mit der Konsequenz, dass Beschäftigung unter 2.000 Euro attraktiver wird. Das ist ein Beispiel, wie man mit weniger Geld, wie es die Bundesregierung macht, viel mehr erreichen kann.
Wer sich um die Frage des halben Mehrwertsteuersatzes im Hotel kümmert, wer sich um Steuerberater kümmert und um Erben kümmert, dem fehlt offensichtlich der Blick fürs gesellschaftlich Ganze.
Jede Partei, die regieren möchte und die regiert, hat, sobald sie regiert, spätestens eine Verantwortung für die gesamte Gesellschaft und nicht nur für diejenigen, die einen unmittelbar gewählt haben, sondern die gesamte Gesellschaft muss erreicht werden von der Politik. Das heißt beispielsweise für uns, obwohl ich weiß, dass viele unserer Wähler ja Wähler sind, die nicht unbedingt alle Hartz-IV-Empfänger sind: Gerade unsere Wähler sind in besonderer Weise bereit und unterstützen die Politik, die sich eben auch um diejenigen kümmert, die Modernisierungsverlierer sind.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie denn ein konsistentes Modell vielleicht auch jetzt dieser Tage in Weimar entwickelt, wie man bei den Steuern weiter verfahren soll? Sie haben jetzt gesagt, was nicht geht. Was geht denn Ihrer Meinung nach? Wie sollte es gehen? Vielleicht ein Steuersystem mit ökologischen Lenkungseffekten? Und wenn ja, wie ist das mit Leben zu erfüllen?
Cem Özdemir: Also, wir müssen beispielsweise dazu beitragen, dass ökologisch unsinnige Subventionen gestrichen werden. Dafür wird’s aber einige Bereiche geben, die teurer werden. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Das Dienstwagenprivileg. Es geht hier um einige Milliarden. Der Daimler würde ohne das Dienstwagenprivileg ungefähr die Hälfte seiner Fahrzeuge nicht mehr verkaufen. Also kann ich als Schwabe und als Stuttgarter das Dienstwagenprivileg sicherlich nicht von einem Tag auf den anderen senken, aber was ich tun kann, ich kann ein Signal geben. Das ist genau das, was die Politik machen muss, indem ich einen Rahmen vorgebe und sage, das Dienstwagenprivileg wird künftig auf der CO2-Basis vergeben. Das heißt, CO2-ärmere Wagen werden entsprechend bevorteilt und CO2-Dreckschleudern werden nicht mehr gefördert. Das hat zur Konsequenz, dass der Daimler sich drauf einstellen kann und gerne jedes andere Unternehmen, dass sie wissen, das sind die Autos, die künftig am Markt gefragt sind, für die es Geld gibt. Und für die anderen gibt es eben kein Geld.
Wenn man mit den Leuten von Daimler und von anderen spricht, dann passieren immer zwei Dinge. Erstens sagt einem die offizielle Wirtschaft: Was wir von der Politik wollen, ist, dass wir wissen, wohin die Reise geht, kein Zickzackkurs, eine langfristige Orientierung. Das genau versprechen wir. Wir sagen: Wir haben ein Klimaschutzziel, das sich dran orientiert, dass wir die zwei Grad Klimaveränderung maximal nicht verfehlen dürfen. Zweitens, wir wollen minus 40 Prozent CO2-Emission bis 2020. Das ist ja auch das, was die Kanzlerin gesagt hat. Wenn wir das erreichen wollen, dann misst sich jeder einzelne Beschluss des deutschen Bundestages, von Landesparlamenten daran, ob wir das Ziel erreichen können. Dann gibt’s kein Dienstwagenprivileg mehr. Dann gibt’s dafür ein Tempolimit. Dann werden wir die Landwirtschaftspolitik so umbauen müssen, dass die Landwirtschaft ihren Beitrag leistet zum Thema Klimaschutz. Und alle Politikbereiche müssen entsprechend hier nachjustiert werden. Das geht nur mit den Grünen. Und da haben wir nach wie vor den radikalsten, wenn Sie so wollen, den konsequentesten Politikentwurf, weil wir einen klaren Kompass haben. Der Kompass zeigt in Richtung Klimaschutz. Und da kann's keine Kompromisse geben.
Deutschlandradio Kultur: Das ist dann möglicherweise die Perspektive für 10, 20 Jahre und mehr. Sie haben aber möglicherweise auch das Problem…
Cem Özdemir: Vielleicht ist ja unser Problem, dass wir zu sehr in Vierjahreszyklen denken.
Deutschlandradio Kultur: Aber was sagen Sie den Leuten in Stuttgart und Umgebung, die im Moment die Kurzarbeitergeldregelung haben, die aber im Laufe diesen Jahres ausläuft?
Cem Özdemir: Das kann ich Ihnen sagen. Denen sage ich, dass diejenigen, die den Hybridmotor verpennt haben, gerade dabei sind, die nächste große Technologie zu verpennen, nämlich die Elektromobilität. Staat fünf Milliarden in eine Abwrackprämie zu stecken, hätten wir dieselbe Summe besser in die Erforschung und in die Anwendung von Elektromobilität gesteckt, von der uns alle sagen, dass sie ein Teil der Lösung des Individualverkehrs in Zukunft sein wird. Die kommt natürlich auch von selber, aber sie kommt halt woanders. Das heißt, sie kommt dann Made in Japan, Made in China, Made in Südkorea, vielleicht auch Made in USA. Der Vorwurf an die Wirtschaft und an die Politik: Beide gemeinsam haben es verpennt, dass man mit grünen Ideen, wie Fritz Kuhn immer richtig sagt, schwarze Zahlen schreiben kann, dass dort die Arbeitsmärkte der Zukunft sind in der Verbindung von Wirtschaft und Ökologie und nicht im Widerspruch desselben. Jetzt sind wir mitten drin und wir merken, dass wir gepennt haben und damit auch wichtige Absatzmärkte verpennt haben. Ich will vermeiden, dass nach dem Hybrid die nächste Technik ebenfalls an uns vorbei geht.
Weil Sie gerade gesagt haben "Kurzarbeit", wir hatten Kurzarbeit. Kurzarbeit haben wir vor allem in der Zuliefererindustrie. Was macht eigentlich künftig die Zulieferindustrie um die Automobilstandorte drum rum, die dann nicht mehr die Dinge verkaufen können, die sie verkaufen? Denn sie sind ausgerichtet auf den Otto-Motor, auf den Dieselmotor, aber nicht auf Elektromobiltechnik. Also muss man sich heute überlegen: Wo sind künftige Absatzmärkte für die Zulieferindustrie, wenn wir die Produkte, die die herstellen, nicht mehr brauchen, weil wir neue Antriebstechniken haben? Das heißt, man muss sich überlegen: Gibt’s Zukunft in der Medizintechnik? Gibt’s ne Zukunft im Bereich der Windturbinen etc.?
Deutschlandradio Kultur: Das hilft vielleicht mittelfristig. Aber kurzfristig, wenn diese Betriebe, die Zulieferer, von denen Sie geredet haben, ihre Einspritzdüsen nicht mehr wegkriegen für Dieselmotoren, was sagen Sie denen in sechs, acht Monaten, dass Sie es verpennt haben?
Cem Özdemir: Das hab ich ja gerade gesagt, da unterscheiden wir uns von den anderen. Wir sind da für Ehrlichkeit. Wir sagen, die ökologische Transformation, wenn Sie so wollen, die ökologische Industriereform, die bringt viele neue Arbeitsplätze beispielsweise, indem wir eine vernünftige Altbausanierung machen, indem wir dazu beitragen, dass alle Gebäude auf dem Stand der Technik sind, was Energieverbrauch angeht. Das machen wir jetzt bei neuen Gebäuden, Gott sei Dank. Aber wir müssen es auch beim Altwohnungsbaubestand machen. Das schafft viele Arbeitsplätze in der Chemieindustrie – Dämmstoffe. Das, was ich gerade gesagt habe, Elektromobiltechnik, schafft viele Arbeitsplätze, aber es geht auch einher mit dem Verlust von Arbeitsplätzen. Das ist immer so in der Transformation von Wirtschaft. Da muss die Politik klare Ansagen machen, damit Wirtschaft weiß, wohin die Reise geht.
Deutschlandradio Kultur: Herr Özdemir, wir machen an dieser Stelle mal einen Schnitt und würden zum Schluss gerne mal von Ihnen wissen: Wenn wir uns nicht völlig verrechnet haben, dann sind Sie im jungen Alter von nicht einmal ganz 16 Jahren zu den Grünen gekommen.
Cem Özdemir: Ich war Ende 15. Das durfte man eigentlich gar nicht.
Deutschlandradio Kultur: Die Grünen waren da großzügiger. Das heißt, Sie sind seit fast 30 Jahren, solange wie es die Grünen gibt, seit fast 30 Jahren Berufspolitiker, mehr oder weniger.
Cem Özdemir: Na ja, Berufspolitiker? Ich hab im Ortsverband plakatiert, im Kreisverband ehrenamtlich gearbeitet. Bundespolitiker bin ich seit 1994.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie sind immer dabei gewesen. Sind Sie nun der Politiker alten Typs, der bis zum Rentenalter dabei bleibt? Oder können Sie sich vorstellen, à la longue auch mal was völlig ganz anderes zu machen als Berufspolitiker?
Cem Özdemir: Ich hab ja Gott sei Dank einen gelernten Beruf. Ich bin Erzieher und Sozialpädagoge. 2002, als es um miles and more ging, hab ich gezeigt, dass ich auch bereit bin, außerhalb der Politik meine Brötchen zu verdienen. Ich glaub, das merkt jeder, der sich mit mir auseinandersetzt, dass ich Politik leidenschaftlich mache. Aber ich weiß, dass es auch ein Leben außerhalb der Politik gibt. Nicht zuletzt deshalb, als mein zweites Kind geboren wurde, hab ich mir die Babypause genehmigt.
Deutschlandradio Kultur: Und heute ist Ihr erstes großes Interview. Und dafür danken wir ganz herzlich.
Cem Özdemir: Gerne.
Cem Özdemir: Das sehen zumindest 10,7 % der Wählerinnen und Wähler bei der letzten Bundestagswahl anders, jetzt aktuell bei den Umfragen 14 % deutschlandweit, 15 % in Bayern. Also, irgendwas muss es ja geben, warum die uns wählen oder wählen wollen. Es ist immer schwierig, wenn man in einer Partei aktiv war, sich dann nicht immer durchgesetzt hat und dann geht, und dann anschließend über seine Ex-Partei oder die Partei, in der man aktiv war, spricht. Es geht nicht allen gut. Und Ludger Vollmer und Jutta Ditfurth würde ich in die Kategorie zählen.
Deutschlandradio Kultur: Aber wo stehen denn die Grünen heute? Nehmen wir ein anderes Zitat von Jürgen Trittin. Er sagt: "Es gibt keine Partei, deren Mitglieder sich so klar links definieren und sich so klar in der Mitte repräsentieren." Also ist die Mitte jetzt nach links gerückt oder ist links mehr in der Mitte? Oder was will er uns damit sagen?
Cem Özdemir: Ich halte von diesem ganzen Begriffsuchen da nicht so sehr viel. Wir sind die Grünen. Wir sind die Grünen ohne Zusatz, ohne Bindestrich. Wir sind nicht die Rot-Grünen, nicht die Schwarz-Grünen, nicht die Was-weiß-ich-was-Grünen, sondern wir sind einfach grün. Wir vertreten das, wovon viele früher in der Konkurrenz gesagt haben, dass es absurd ist, dass es nicht finanzierbar ist, dass es nur in Zeiten schönen Wetters gelingt ..
Deutschlandradio Kultur: Aber alle reden von Ökologie.
Cem Özdemir: Eben. Darauf will ich ja hinaus. Und früher hat man immer gesagt, das ist alles Blödsinn. Jetzt reden die alle drüber, aber es bleibt halt oft beim Reden. Sie haben sich schöne grüne Mäntelchen zugelegt. Und wenn man unter den Mantel schaut, dann ist da nicht viel übrig. Und wir sind eben nach wie vor die Partei, die einen klaren ökologischen Kompass hat und die immer dann, wenn's weh tut, wenn man sich entscheiden muss, auch dann steht und sich nicht vom Acker macht.
Und nehmen Sie den aktuellen Umweltminister Norbert Röttgen, der ja ein guter Freund von mir ist, den ich sehr kenne, persönlich auch schätze. Der sagt ja viele vernünftige Dinge. Aber wenn er's umsetzen muss, wenn er beispielsweise eine Laufzeitverlängerung, wenn er die abwehren muss, dann wird er sich nicht durchsetzen können in der Koalition, in der er da gegenwärtig ist. Wenn er sich für die Kerosinsteuer einsetzen soll, damit der Flugverkehr teurer wird, wenn er sich dafür einsetzen soll, dass das Bahnfahren billiger wird, wenn er sich dafür einsetzen soll, dass wir eine konsequente Energiewende ohne neue Kohlekraftwerke, das alles geht mit denen nicht, weil denen der ökologische Kompass fehlt.
Deutschlandradio Kultur: Wie sieht's denn bei Ihnen aus in der Sozialpolitik. Fritz Kuhn sagt: "Die Grünen müssen bei der Erneuerung des Sozialstaats die Themenführerschaft erringen." Das sagen andere auch. Haben Sie da vielleicht etwas Nachholbedarf?
Cem Özdemir: Ich glaube, da gibt’s ne Lücke in der deutschen Politik. Der Platz, den ich sehe für uns als Grüne, ist, dass wir einerseits um die kümmern, die ausgegrenzt sind, die benachteiligt sind, aber klar machen, dass es nicht drum geht, andern was wegzunehmen.
Um ein konkretes Beispiel zu geben: In der Bildungspolitik haben wir gegenwärtig einen für meine Begriffe sehr absurden Streit zwischen traditionell links, traditionell rechts. Die konservativen Parteien kümmern sich um diejenigen, die aufs Gymnasium gehen. Die linken Parteien kümmern sich um diejenigen, die auf die Hauptschule gehen. Und man tut so, als ob's ein Gegensatz wäre. Das heißt, wenn's den einen besser geht, muss es den anderen schlechter gehen. Warum können wir nicht ein Bildungssystem haben, wo alle nach ihren Fähigkeiten optimal gefördert werden, ohne frühzeitig ausselektiert zu werden, indem wir – unabhängig davon, ob die Eltern reich oder arm sind, Akademiker oder nicht Akademiker sind, ob sie Deutsche oder nicht deutsch sind, biodeutsch oder sonst was sind – allen die bestmögliche Förderung zuteil werden lassen und dadurch übrigens auch einen Beitrag dazu leisten, dass aus Hartz-IV-Empfängerkindern eines Tages auch mal Akademiker werden können. Das ist in der jetzigen Gesellschaft nicht der Fall. Das scheint mir eine der dringendsten Fragen der Sozialpolitik zu sein.
Aber natürlich, da wir gerade jetzt mit der schwarz-gelben Koalition konfrontiert sind, die die Elternfreibeträge erhöht hat, das Kindergeld erhöht hat, aber die Kinder von Hartz-IV-Empfängern leer ausgehen lässt, auch das ist natürlich eine sozialpolitische Sauerei erster Kategorie.
Deutschlandradio Kultur: Und dann haben Sie angekündigt, wenn sich das nicht ändert, werden die Grünen möglicherweise auch auf die Straße gehen, um gegen diese Misere bei der Bildung oder bei Hartz-IV-Empfängern zu demonstrieren. Das heißt, Sie organisieren demnächst die Montagsdemos, die bisher Die Linke gemacht hat?
Cem Özdemir: Also, ich muss das nicht ankündigen. Wir haben schon demonstriert und demonstrieren weiter. Wir haben in Gorleben demonstriert. Wir haben demonstriert vor der Bundestageswahl, auch für Bürgerrechte, für den Datenschutz. Wir haben demonstriert in Berlin mit vielen anderen Initiativen zusammen gegen die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Und wenn die Regierung das umsetzt, was sie offensichtlich vor hat, nämlich diese unbeherrschbare Energieform Atomenergie, die, wie wir jetzt gerade aktuell in der Asse wieder sehen, Müll hinterlässt für Jahrmillionen, der nicht beherrschbar ist….
Denn heute schauen wir in die Asse rein und sehen, da hat man ein Loch reingemacht, hat die Fässer reingeworfen und nach dem Motto gehandelt, nach uns die Sintflut. Das hat mit christlich nichts zu tun, mit anständig nichts zu tun, mit demokratisch nichts zu tun. Das ist schlicht und ergreifend unanständig. Diejenigen, die das gemacht haben, das sind dieselben, die jetzt die Laufzeit von Atomkraftwerken verlängern wollen. Und da haben wir einen sehr klaren Kompass und sagen: Das wird’s mit uns definitiv nicht geben. Und da sage ich ganz klar: Wir werden im Parlament alles tun, um das zu verhindern, aber wir werden auch auf die Straße gehen mit vielen, vielen Leuten. Und da werden Sie auch viele christdemokratische und liberale Wähler an unserer Seite sehen, die nicht wollen, dass diese verbrecherische Energieform Atomenergie verlängert wird.
Deutschlandradio Kultur: Werden Sie denn auch auf der Straße gegen die Agenda 2010 demonstrieren? Stellen Sie das gesamte Reformwerk jetzt infrage? Verlangen Sie eine Grundrevision oder wie sieht das bei Ihnen aus?
Cem Özdemir: Vieles von dem, worüber jetzt diskutiert wird, was Frau von der Leyen angesprochen hat und andere sagen, das hätte man schon einfacher haben können, wenn die CDU damals oder die CDU-CSU im Bundesrat auf das gehört hätte, was wir gesagt haben. Man darf ja nicht vergessen, die Union hat das mit abgestimmt. Wir konnten uns leider nicht durchsetzen. Ich bedaure, dass man manches damals sehr hastig gemacht hat. Die Grundidee von Hartz IV ist nach wie vor richtig. Die Grundidee, dass jemand, der vom Staat Geld bekommt, dafür auch was tun muss, eine Gegenleistung bringen muss, ist im Prinzip nicht falsch. Die Grundidee, dass man Sozialhilfeempfänger besser stellt, ist im Prinzip nicht falsch. Die Grundidee mit den Job-Centern ist nicht falsch. Die machen ja nicht wir kaputt, sondern die Regierung vermasselt das gegenwärtig durch eine Verfassungsänderung, die sie nicht auf den Weg bringt.
Da sind eine Menge richtige Dinge drin, aber es war falsch, dass wir Rückstellungen beispielsweise von Leuten für ihre Altersrente, dass wir an die rangehen. Das war damals schon falsch, ist es jetzt. Und das zu ändern wäre richtig.
Deutschlandradio Kultur: Wird ja jetzt korrigiert.
Cem Özdemir: Und deshalb unterstützen wir das. Wegen mir kann man da gerne auch weitergehen.
Die Ein-Euro-Jobs waren sicherlich nicht die beste Idee in dem ganzen Projekt. Dafür war die Ich-AG beispielsweise eine sehr gute Idee, wenn man Leute aktiviert und sie dabei unterstützt.
Deutschlandradio Kultur: Und wenn jetzt der Paritätische Wohlfahrtsverband sagt, nein, wir bräuchten eine Totalrevision, wir müssen das gesamte Werk noch mal auseinander nehmen, neu zusammenbauen, damit es sinnvoll wird, davon halten Sie nichts?
Cem Özdemir: Dann sage ich: Wir schauen uns das genau im Detail an und da, wo es Änderungsbedarf gibt, machen wir das. Und da, wo das Projekt richtig war, halten wir dran fest, bauen es entsprechend so um, dass es auch in Zukunft zukunftssicher ist.
Das Grundproblem, um das noch mal zu sagen, ist doch, dass wir für diejenigen, die Hartz-IV-Empfänger sind, vernünftige Angebote brauchen, Jobangebote brauchen, dass Sie natürlich auf der einen Seite jetzt die Sätze erhöht werden müssen auf 24 Euro mindestens, damit wir hier einigermaßen menschenwürdige Lebensumstände haben, und das, was ich vorhin schon angesprochen haben, wir müssen uns um die Kinder kümmern. Wenn der Grundsatz stimmt, dass alle Kinder gleich viel wert sind, also auch die Kinder von Hartz-IV-Empfängern, dann haben wir da konkret Handlungsbedarf. Diese sozialpolitische Sauerei erster Güte muss abgestellt werden.
Aber das reicht mir nicht. Ein Sozialstaat, wie wir ihn uns vorstellen, der trägt auch dazu bei, dass Menschen von ihrer Arbeit menschenwürdig leben können müssen. Da reicht's nicht aus, dass der Sozialminister von Nordrhein-Westfalen sich vor Schlecker hinstellt und demonstriert. Dann soll er bittschön mit uns für Mindestlöhne stimmen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben gerade das Stichwort Nordrhein-Westfalen genannt. Da gibt es einen CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. Der fordert eine Grundrevision von Hartz IV. Rüttgers war es auch, der sich sehr stark gemacht hat für die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitslose. Und Rüttgers war es auch, der als erster für eine Ausweitung des Schonvermögens plädiert hat, was ja jetzt auch kommen soll. Im Grunde genommen, wenn ich Sie recht verstehe, ist da Rüttgers doch der richtige Mann, mit dem man da was machen könnte.
Cem Özdemir: Wenn ich wüsste, welche Rüttgers. Ich kenne mindestens zwei Rüttgers. Der hat jetzt dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz zugestimmt, das in Wirklichkeit ein Schuldenvermehrungsgesetz ist und ein Lobby-Klientel-Bedien-Gesetz ist. Und auf der anderen Seite macht er jetzt in Wahlkampf, weil er Umfrageergebnisse lesen kann. Jetzt, wo ihm das Gesäß auf Grundeis geht, sagt der Dinge, die er wahrscheinlich so die letzten fünf Jahre nicht nur nicht gemacht hat, sondern auch in den nächsten fünf Jahren nicht macht, wenn er wiedergewählt wird. Ich kenne einen Rüttgers, der einen Armin Laschet zum Integrationsminister macht und der nun gelegentlich vernünftige Dinge sagt. Und ich kenne einen anderen Rüttgers, der im Wahlkampf Ausländerfeindlichkeit bedient. Also, welcher Rüttgers? Das ist meine Gegenfrage.
Deutschlandradio Kultur: Ausschließen würden Sie Schwarz-Grün bei der wichtigen Wahl in NRW nicht?
Cem Özdemir: Schauen Sie, wir hatten jetzt kürzlich die 30-Jahresfeier der Grünen hier in Berlin. Da hat der Generalsekretär der CDU gesprochen, der stellvertretende Parteivorsitzende der SPD. Und ich hatte das Gefühl, dass beide ein bisschen um uns Grüne werben. Das ist erst mal für einen Parteivorsitzenden keine ganz unangenehme Situation, wenn die Parteien, die einen früher ja hart bekämpft haben, sich aktiv um einen bemühen und werben. Das reicht uns aber nicht. Es gibt die Grünen nicht ohne einen Verzicht auf eine Verlängerung von Atomkraftwerken.
Deutschlandradio Kultur: Moment. In NRW gibt’s kein Atomkraftwerk.
Cem Özdemir: Aber es gibt in NRW Pläne Kohlenergie auszubauen, ein neues Kohlekraftwerk zu bauen. Herr Rüttgers geht sogar so weit, Gesetze zu ändern, um den Klimaschutz rauszustreichen, nur damit er ein Kohlekraftwerk bauen kann. Da wird er sich daran messen lassen müssen. Das wird’s mit uns nicht geben. Das kann er mit der FDP gerne haben. Das kann er wahrscheinlich sogar mit der SPD machen. Insofern muss jeder wissen, der die SPD in Nordrhein-Westfalen wählt, bekommt möglicherweise einen Juniorpartner mit der CDU zusammen und mit Sicherheit ein neues Kohlekraftwerk. Wer Kohlekraft langsam beenden möchte in Nordrhein-Westfalen, wer in Richtung erneuerbare Energien möchte, wer beispielsweise auch in der Bildungspolitik einen Kurswechsel möchte, der muss in Nordrhein-Westfalen die Grünen wählen.
Deutschlandradio Kultur: Also, Ihre Entschlossenheit in Ehren, Herr Özdemir, aber Ihre Partei ist gerade mal in drei von 16 Landesregierungen vertreten.
Cem Özdemir: Immerhin. Nach der Bundestagswahl, nach der vorletzten, waren wir nirgendwo drin. Da haben alle gesagt, die Grünen sind out. Jetzt sind wir schon in drei Regierungen drin. Und warten Sie mal ab, was in Nordrhein-Westfalen passiert. Das ist das größte Bundesland. Man spürt ja geradezu den Angstschweiß im Nacken von FDP und CDU dort.
Deutschlandradio Kultur: Angstschweiß vielleicht, weil Sie auch sich für Rot-Rot-Grün erwärmen können?
Cem Özdemir: Ich kann mich erst mal für die Grünen erwärmen. Da bin ich nämlich Vorsitzender. Und wenn's nach mir ginge, bräuchte ich auch keine anderen Parteien. Aber ich vermute mal, dass es in Nordrhein-Westfalen mit der Alleinregierung der Grünen noch nicht ganz reichen wird. Insofern werden wir nach der Wahl anschauen, mit wem grüne Politik am besten umsetzbar ist. Und wenn wir zum Ergebnis kommen, das geht, dann unterhält man sich und prüft dieses. Und wenn man merkt, das geht nicht, dann werden wir nicht in die Regierung gehen, sondern dann gehen wir dahin, wo wir jetzt schon sind, nämlich in die Opposition. Denn eines ist klar: Nordrhein-Westfalen ist nicht nur eine Abstimmung über Herrn Rüttgers und über die Politik, die Schwarz-Gelb dort für unsere Begriffe in einem katastrophalen Zustand gemacht haben, sondern das ist auch eine Abstimmung darüber, ob wir die Steuersenkungen von Herrn Rüttgers, die er ja auch mit der Union mitgetragen hat und mitzutragen gedenkt, wie wir von Frau Merkel gehört haben, ob's die weiter geben soll. Steuersenkungen auf Pump, mit Geld, das wir nicht haben, zu Lasten unserer Kinder und Kindeskinder, für Leute, die das Geld nicht benötigen, oder ob wir auf der anderen Seite das Geld investieren in marode Schulen, in Kindergärten, in soziale Gerechtigkeit, in Mindestlöhne und natürlich auch in den Klimaschutz.
Deutschlandradio Kultur: Ganz kurze Antwort: Ich habe Sie richtig verstanden? Jamaika geht da schon mal gar nicht?
Cem Özdemir: Meine Fantasie reicht nicht aus, um mir vorzustellen, wie eine Politik von Herrn Pinkwart und von Herrn Rüttgers mit Grün zusammen funktionieren soll. Diese Politik, die dort gegenwärtig in Düsseldorf gefahren wird, die muss nach der Landtagswahl beendet werden.
Deutschlandradio Kultur: Sollte es eine Mehrheit geben zwischen Rot-Rot-Grün, mit Hannelore Kraft an der Spitze, den Grünen und dann noch eine Linke, von der man überhaupt nicht weiß, was sie in NRW will? Wie wollen Sie denn mit denen zusammenarbeiten?
Cem Özdemir: Ich teile das ausdrücklich, was Sie über die Tiefroten oder die Linkspartei in Nordrhein-Westfalen sagen. Die Linkspartei sagt ja selber, sie will nicht regieren. Dann kann ich nur sagen, dann geht auch nicht ins Parlament. Dann lasst bitte die Politik machen, die NRW verändern wollen, die gestalten wollen. Ich höre und lese von Herrn Gysi, dass er sich an die eigene Partei wendet, man möge es doch noch mal überlegen, ob man nicht doch regieren will. Bei der Linkspartei wissen wir gegenwärtig nicht, wer ist eigentlich Ansprechpartner. Ist es Herr Lafontaine, ist es Herr Bartsch, von dem man jetzt hört, er möchte vielleicht nicht mehr kandidieren? Ist es Herr Gysi? Wer ist eigentlich da zuständig? Wer ist der Ansprechpartner? Was ist der Kurs der Linkspartei? Insofern haben die Grünen da eine ganz besondere Verantwortung. Denn wir sind die Alternative zu Schwarz-Gelb. Und die SPD ist mit ihrem Kurs beschäftigt. Die Linkspartei zerlegt sich gegenwärtig.
Deutschlandradio Kultur: Herr Özdemir, bei den politischen Mitbewerbern findet zumindest teilweise ein Generationenwechsel statt. Die Liberalen verjüngen sich an der Spitze, auch die CSU. Wann übernehmen denn "Joschkas Enkel" wichtige Positionen bei den Grünen?
Cem Özdemir: Also, wenn ich mich da umschaue in den Bundesländern, sehe ich überall junge Fraktionsvorsitzende, Landesvorsitzende, allenthalben Oberbürgermeister.
Deutschlandradio Kultur: Aber die wollen nicht in die erste Reihe.
Cem Özdemir: Na ja, einer von denen ist jetzt Bundesvorsitzender. Ich sehe eine Menge junge Gesichter in der Bundestagsfraktion. Wir haben die jüngste Fraktion aller Fraktionen im Deutschen Bundestag. Also, ich glaub, das ist ein Luxusproblem.
Deutschlandradio Kultur: Wir sehen, dass es Leute wie Jürgen Trittin, Renate Künast, Fritz Kuhn sind, die eigentlich für Rot-Grün stehen, die eine Generation repräsentieren.
Cem Özdemir: Ja, was ja nicht falsch ist. Die haben wichtige Dinge gemacht. Die haben diese Republik tiefgreifend verändert unter Rot-Grün, wenn ich an den Atomausstieg denke von Jürgen Trittin, wenn ich an den Verbraucherschutz denke, die alternative Landwirtschaftspolitik von Renate Künast.
Deutschlandradio Kultur: Aber Rot-Grün, ist das noch das Zukunftsmodell? Und sind das die Leute dann in die Zukunft gehen, möglicherweise in anderen Konstellationen?
Cem Özdemir: Ich bin nicht jemand, der für Modelle plädiert. Ich will, dass die Grünen so stark wie möglich sind. Und ich will die Grünen gerne in die Regierung führen. 2013 ist es Zeit, dass die Grünen wieder regieren im Bund. Wir verlieren wertvolle Zeit, was den Klimawandel angeht. Das Ergebnis von Kopenhagen ist für uns Europäer und für uns Deutsche geradezu katastrophal. Insofern werden wir uns drauf vorbereiten müssen.
Deutschlandradio Kultur: Aber das lag nicht an der CDU.
Cem Özdemir: Es lag auch an der Kanzlerin, weil die Kanzlerin zu wenig gemacht hat. Wir sehen ja an ihrer Europapolitik, dass der Kanzlerin Europa ziemlich egal, ziemlich gleichgültig ist. Ich bedaure das, denn das war in Deutschland unter Kohl zumindest anders.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Die Grünen entscheiden rechtzeitig vorher, wer 2013 dort die Grünen in die Auseinandersetzung führen wird. Aber Sie können davon ausgehen, es wird eine Entscheidung sein, die wir so treffen werden, wie wir das immer machen, nämlich in der Breite getragen. Und auf eines können Sie sich einstellen: Diese Bundestagsfraktion wird kräftig einheizen, wie sie es bislang schon gemacht hat. Diese Regierung wird von uns mit einer kräftigen Manndeckung verfolgt werden. Und wir werden dafür sorgen, dass klar ist, was die Alternative ist.
Deutschlandradio Kultur: Herr Özdemir, Sie sprachen eben an, dass in der Grünen-Fraktion der Nachwuchs sehr stark vertreten ist. Vielleicht haben wir ja ein Wahrnehmungsproblem, aber wo sind denn heute die jungen aufmüpfigen Grünen, die die Welt verändern wollen? Gehen die alle zur Piratenpartei oder zu Attac oder haben die sich noch nicht zu Wort gemeldet?
Cem Özdemir: Na ja, einer der Mitgründer von Attac, Sven Giegold , ist jetzt Europaabgeordneter bei den Grünen. Ich habe das Gefühl, wenn ich auf die Anti-Atom-Demonstration oder die Demonstration gegen Kohlekraftwerke gehe, da sind wir Grünen sehr aktiv präsent und vertreten. Und da sind eine Menge Leute, die genau wissen, dass wir es sind, die im Zweifelsfall den Kopf hinhalten und die Kämpfe austragen in den Parlamenten.
Was die Nachwuchsfrage angeht: Wir haben Tarek Al-Wazir in Hessen. Wir haben Boris Palmer als Oberbürgermeister in Tübingen, eine Menge Politiker, die die Grünen bislang prägen und beeinflussen und die künftig das Gesicht noch stärker prägen werden, von denen wir nicht nur auf örtlicher und auf Landesebene, sondern auch Bundesebene sicherlich in den nächsten Jahren noch mehr hören werden.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie kennen die Kritik, dass speziell die Leute, die Sie eben ansprachen, sagen: Da, wo ich jetzt politisch wirke, fühle ich mich wohl. Mehr will ich eigentlich nicht. – Ob das Ratzmann ist, ob das Al-Wazir ist oder ob das Boris Palmer ist.
Cem Özdemir: Na ja, wir müssen auf allen Ebenen Politik gestalten. Es können nicht alle gleichzeitig im Bund sein. Wir brauchen auch noch Leute im Land, in den Kommunen, in Europa. Wir versuchen, alle Ebenen bestens abzudecken. Und ich finde, wenn man mal das politische Personal von uns vergleicht auf der jeweiligen Ebene mit den anderen Parteien, dann kann ich als Bundesvorsitzender nur sagen, da sind wir sehr gut aufgestellt.
Deutschlandradio Kultur: Da will ich noch mal auf die Bundesebene gehen. Sie haben vorher gesagt, Sie wollen der Regierung in den nächsten Jahren kräftig einheizen. Bei Ihrer Gründung vor 30 Jahren haben Sie sich ja auf die Fahnen geschrieben: "sozial, ökologisch, basisdemokratisch, gewaltfrei". Wenn wir heute, 30 Jahre danach, hinschauen: ökologisch ja, basisdemokratisch Fragezeichen, gewaltfrei, weiß man nicht so genau. Welche Projekte sind es denn für die nächsten Jahre, wo Sie sagen, ja, dafür stehen die Grünen?
Cem Özdemir: Es ist nach wie vor das, was uns damals unter anderem zusammengebracht hat, nämlich die Frage: Wie schaffen wir es, so zu wirtschaften, so zu leben, so zu haushalten, dass wir nicht mehr verbrauchen, als einer Generation zusteht, dass wir nicht mehr Energie verbrauchen, dass wir nicht mehr Müll produzieren, nicht mehr Umweltbelastung erzeugen, wie unsere Generation wieder beseitigen kann, ohne künftigen Generationen Hürden zu überlassen, die unannehmbar sind.
Das Gleiche gilt übertragen für den Haushalt. Wir müssen so wirtschaften, dass wir nicht Schulden anhäufen, die künftige Generationen abtragen müssen, aber nicht abtragen können. Man kann das im Prinzip auch übertragen auf alle anderen Politikbereiche. Das ist nach wie vor das Kernprojekt der Grünen. Dazu kommen viele andere Fragen. Nehmen Sie die Frauenpolitik, belächelt von vielen. Mittlerweile haben andere Parteien nicht nur eine Frauenquote, selbst die CDU hat sich damals unter Helmut Kohl heftigst gestritten, ob sie nicht eine Quote einführen wollen. Nehmen Sie das Thema Bürgerrechte.
Deutschlandradio Kultur: Das ist ja ein Punkt für die Grünen, Punkt für Sie, gut erreicht. Jetzt stellt sich aber doch die Frage in Zeiten dieser Globalisierung, und Fritz Kuhn hat das auch benannt. Er sagt: Wir müssen uns eigentlich um die Modernisierungsverlierer kümmern. Sonst laufen die alle zur Linken, wo auch immer hin. Wir brauchen eine Erneuerung des Sozialstaats, wo wir nicht nur sagen, wir müssen mehr Geld rein pumpen, sondern wir müssen den auch intelligenter machen. Das sind doch die Aufgaben, mit denen Sie sich beschäftigen müssen. Wo ist denn da Ihre Antwort?
Cem Özdemir: Absolut. Ich will Ihnen mal ein Beispiel geben an Beispiel der Sozialpolitik. Ich habe vorher Mindestlöhne angesprochen. Ein weiteres Beispiel, wo man dazu beitragen kann, dass Leute aus Hartz IV, dass Leute aus illegalen Beschäftigungen rauskommen, aus der Schwarzarbeit rauskommen in den normalen Arbeitsmarkt, ist das Projekt des so genannten Progressivlohns, das heißt, dass Sie bis 2.000 Euro Einkommen dazu beitragen, dass die Lohnnebenkosten gesenkt werden, gestaffelt gesenkt werden, mit der Konsequenz, dass Beschäftigung unter 2.000 Euro attraktiver wird. Das ist ein Beispiel, wie man mit weniger Geld, wie es die Bundesregierung macht, viel mehr erreichen kann.
Wer sich um die Frage des halben Mehrwertsteuersatzes im Hotel kümmert, wer sich um Steuerberater kümmert und um Erben kümmert, dem fehlt offensichtlich der Blick fürs gesellschaftlich Ganze.
Jede Partei, die regieren möchte und die regiert, hat, sobald sie regiert, spätestens eine Verantwortung für die gesamte Gesellschaft und nicht nur für diejenigen, die einen unmittelbar gewählt haben, sondern die gesamte Gesellschaft muss erreicht werden von der Politik. Das heißt beispielsweise für uns, obwohl ich weiß, dass viele unserer Wähler ja Wähler sind, die nicht unbedingt alle Hartz-IV-Empfänger sind: Gerade unsere Wähler sind in besonderer Weise bereit und unterstützen die Politik, die sich eben auch um diejenigen kümmert, die Modernisierungsverlierer sind.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie denn ein konsistentes Modell vielleicht auch jetzt dieser Tage in Weimar entwickelt, wie man bei den Steuern weiter verfahren soll? Sie haben jetzt gesagt, was nicht geht. Was geht denn Ihrer Meinung nach? Wie sollte es gehen? Vielleicht ein Steuersystem mit ökologischen Lenkungseffekten? Und wenn ja, wie ist das mit Leben zu erfüllen?
Cem Özdemir: Also, wir müssen beispielsweise dazu beitragen, dass ökologisch unsinnige Subventionen gestrichen werden. Dafür wird’s aber einige Bereiche geben, die teurer werden. Ich will Ihnen ein Beispiel geben. Das Dienstwagenprivileg. Es geht hier um einige Milliarden. Der Daimler würde ohne das Dienstwagenprivileg ungefähr die Hälfte seiner Fahrzeuge nicht mehr verkaufen. Also kann ich als Schwabe und als Stuttgarter das Dienstwagenprivileg sicherlich nicht von einem Tag auf den anderen senken, aber was ich tun kann, ich kann ein Signal geben. Das ist genau das, was die Politik machen muss, indem ich einen Rahmen vorgebe und sage, das Dienstwagenprivileg wird künftig auf der CO2-Basis vergeben. Das heißt, CO2-ärmere Wagen werden entsprechend bevorteilt und CO2-Dreckschleudern werden nicht mehr gefördert. Das hat zur Konsequenz, dass der Daimler sich drauf einstellen kann und gerne jedes andere Unternehmen, dass sie wissen, das sind die Autos, die künftig am Markt gefragt sind, für die es Geld gibt. Und für die anderen gibt es eben kein Geld.
Wenn man mit den Leuten von Daimler und von anderen spricht, dann passieren immer zwei Dinge. Erstens sagt einem die offizielle Wirtschaft: Was wir von der Politik wollen, ist, dass wir wissen, wohin die Reise geht, kein Zickzackkurs, eine langfristige Orientierung. Das genau versprechen wir. Wir sagen: Wir haben ein Klimaschutzziel, das sich dran orientiert, dass wir die zwei Grad Klimaveränderung maximal nicht verfehlen dürfen. Zweitens, wir wollen minus 40 Prozent CO2-Emission bis 2020. Das ist ja auch das, was die Kanzlerin gesagt hat. Wenn wir das erreichen wollen, dann misst sich jeder einzelne Beschluss des deutschen Bundestages, von Landesparlamenten daran, ob wir das Ziel erreichen können. Dann gibt’s kein Dienstwagenprivileg mehr. Dann gibt’s dafür ein Tempolimit. Dann werden wir die Landwirtschaftspolitik so umbauen müssen, dass die Landwirtschaft ihren Beitrag leistet zum Thema Klimaschutz. Und alle Politikbereiche müssen entsprechend hier nachjustiert werden. Das geht nur mit den Grünen. Und da haben wir nach wie vor den radikalsten, wenn Sie so wollen, den konsequentesten Politikentwurf, weil wir einen klaren Kompass haben. Der Kompass zeigt in Richtung Klimaschutz. Und da kann's keine Kompromisse geben.
Deutschlandradio Kultur: Das ist dann möglicherweise die Perspektive für 10, 20 Jahre und mehr. Sie haben aber möglicherweise auch das Problem…
Cem Özdemir: Vielleicht ist ja unser Problem, dass wir zu sehr in Vierjahreszyklen denken.
Deutschlandradio Kultur: Aber was sagen Sie den Leuten in Stuttgart und Umgebung, die im Moment die Kurzarbeitergeldregelung haben, die aber im Laufe diesen Jahres ausläuft?
Cem Özdemir: Das kann ich Ihnen sagen. Denen sage ich, dass diejenigen, die den Hybridmotor verpennt haben, gerade dabei sind, die nächste große Technologie zu verpennen, nämlich die Elektromobilität. Staat fünf Milliarden in eine Abwrackprämie zu stecken, hätten wir dieselbe Summe besser in die Erforschung und in die Anwendung von Elektromobilität gesteckt, von der uns alle sagen, dass sie ein Teil der Lösung des Individualverkehrs in Zukunft sein wird. Die kommt natürlich auch von selber, aber sie kommt halt woanders. Das heißt, sie kommt dann Made in Japan, Made in China, Made in Südkorea, vielleicht auch Made in USA. Der Vorwurf an die Wirtschaft und an die Politik: Beide gemeinsam haben es verpennt, dass man mit grünen Ideen, wie Fritz Kuhn immer richtig sagt, schwarze Zahlen schreiben kann, dass dort die Arbeitsmärkte der Zukunft sind in der Verbindung von Wirtschaft und Ökologie und nicht im Widerspruch desselben. Jetzt sind wir mitten drin und wir merken, dass wir gepennt haben und damit auch wichtige Absatzmärkte verpennt haben. Ich will vermeiden, dass nach dem Hybrid die nächste Technik ebenfalls an uns vorbei geht.
Weil Sie gerade gesagt haben "Kurzarbeit", wir hatten Kurzarbeit. Kurzarbeit haben wir vor allem in der Zuliefererindustrie. Was macht eigentlich künftig die Zulieferindustrie um die Automobilstandorte drum rum, die dann nicht mehr die Dinge verkaufen können, die sie verkaufen? Denn sie sind ausgerichtet auf den Otto-Motor, auf den Dieselmotor, aber nicht auf Elektromobiltechnik. Also muss man sich heute überlegen: Wo sind künftige Absatzmärkte für die Zulieferindustrie, wenn wir die Produkte, die die herstellen, nicht mehr brauchen, weil wir neue Antriebstechniken haben? Das heißt, man muss sich überlegen: Gibt’s Zukunft in der Medizintechnik? Gibt’s ne Zukunft im Bereich der Windturbinen etc.?
Deutschlandradio Kultur: Das hilft vielleicht mittelfristig. Aber kurzfristig, wenn diese Betriebe, die Zulieferer, von denen Sie geredet haben, ihre Einspritzdüsen nicht mehr wegkriegen für Dieselmotoren, was sagen Sie denen in sechs, acht Monaten, dass Sie es verpennt haben?
Cem Özdemir: Das hab ich ja gerade gesagt, da unterscheiden wir uns von den anderen. Wir sind da für Ehrlichkeit. Wir sagen, die ökologische Transformation, wenn Sie so wollen, die ökologische Industriereform, die bringt viele neue Arbeitsplätze beispielsweise, indem wir eine vernünftige Altbausanierung machen, indem wir dazu beitragen, dass alle Gebäude auf dem Stand der Technik sind, was Energieverbrauch angeht. Das machen wir jetzt bei neuen Gebäuden, Gott sei Dank. Aber wir müssen es auch beim Altwohnungsbaubestand machen. Das schafft viele Arbeitsplätze in der Chemieindustrie – Dämmstoffe. Das, was ich gerade gesagt habe, Elektromobiltechnik, schafft viele Arbeitsplätze, aber es geht auch einher mit dem Verlust von Arbeitsplätzen. Das ist immer so in der Transformation von Wirtschaft. Da muss die Politik klare Ansagen machen, damit Wirtschaft weiß, wohin die Reise geht.
Deutschlandradio Kultur: Herr Özdemir, wir machen an dieser Stelle mal einen Schnitt und würden zum Schluss gerne mal von Ihnen wissen: Wenn wir uns nicht völlig verrechnet haben, dann sind Sie im jungen Alter von nicht einmal ganz 16 Jahren zu den Grünen gekommen.
Cem Özdemir: Ich war Ende 15. Das durfte man eigentlich gar nicht.
Deutschlandradio Kultur: Die Grünen waren da großzügiger. Das heißt, Sie sind seit fast 30 Jahren, solange wie es die Grünen gibt, seit fast 30 Jahren Berufspolitiker, mehr oder weniger.
Cem Özdemir: Na ja, Berufspolitiker? Ich hab im Ortsverband plakatiert, im Kreisverband ehrenamtlich gearbeitet. Bundespolitiker bin ich seit 1994.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie sind immer dabei gewesen. Sind Sie nun der Politiker alten Typs, der bis zum Rentenalter dabei bleibt? Oder können Sie sich vorstellen, à la longue auch mal was völlig ganz anderes zu machen als Berufspolitiker?
Cem Özdemir: Ich hab ja Gott sei Dank einen gelernten Beruf. Ich bin Erzieher und Sozialpädagoge. 2002, als es um miles and more ging, hab ich gezeigt, dass ich auch bereit bin, außerhalb der Politik meine Brötchen zu verdienen. Ich glaub, das merkt jeder, der sich mit mir auseinandersetzt, dass ich Politik leidenschaftlich mache. Aber ich weiß, dass es auch ein Leben außerhalb der Politik gibt. Nicht zuletzt deshalb, als mein zweites Kind geboren wurde, hab ich mir die Babypause genehmigt.
Deutschlandradio Kultur: Und heute ist Ihr erstes großes Interview. Und dafür danken wir ganz herzlich.
Cem Özdemir: Gerne.