Ein Denkmal für die Opfer deutscher Kolonialherrschaft
Die Verbrechen in den deutschen Kolonien waren im Bundestag immer ein schwieriges Thema. Die Grünen wollen nun ein Umdenken forcieren: Neben einer systematischen Aufarbeitung der Kolonialzeit fordern sie auch eine zentrale Gedenkstätte für die Opfer.
Es ist ein neuer Impuls, um das koloniale Erbe Deutschlands kulturpolitisch auch im Bundestag wieder auf die Agenda zu setzen. In ihrem Antrag fordern die Grünen eine systematische Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen. Schon in der kommenden Woche, so der Plan von Kirsten Kappert-Gonther, der Initiatorin des Antrags und zugleich kulturpolitischen Sprecherin der Grünenfraktion, soll über den Antrag, der dem Deutschlandradio-Hauptstadtstudio exklusiv vorliegt, im Plenum debattiert werden:
"Vor 100 Jahren ist die deutsche Kolonialherrschaft zu Ende gegangen. Und wer die Vergangenheit verdrängt, der trifft falsche Entscheidungen für Gegenwart und Zukunft. Und noch immer ist dieses Kapitel deutscher Kolonialherrschaft ein viel verdrängtes Kapitel in unserer Erinnerungskultur. Wir wollen, dass endlich begonnen wird, diese dunkle Seite der deutschen Geschichte aufzuarbeiten."
Daher fordern die Grünen die Errichtung einer zentralen Erinnerungsstätte für die Opfer deutscher Kolonialverbrechen im Zentrum Berlins - unter Beteiligung von Nachfahren der Opfer. Dadurch, so die Hoffnung, soll die Debatte auch in der Gesellschaft verankert und die deutsche Erinnerungskultur grundlegend erweitert werden. Zudem gebe es bislang - bis auf eine kleine Gedenktafel - keine Gedenkorte in der Bundeshauptstadt.
"Es geht auch darum, Deutungsmacht abzugeben"
Darüber hinaus fordern die Grünen: Die Bundesregierung soll jährlich einen Betrag in zweistelliger Millionenhöhe bereitstellen – unter anderem für Provenienzforschung – und eine Überprüfung der bisherigen Restitutionspraxis. Am wichtigsten sei jedoch, dass dieser Prozess der kulturpolitischen Aufarbeitung gemeinsam mit den Nachfahren der Betroffenen geschehe, so Kirsten Kappert-Gonther. Ihr Blick müsse in den Mittelpunkt des Geschehens rücken:
"Da geht es auch darum, Deutungsmacht abzugeben. Dass es nicht bedeutet, wir sind das Maß aller Dinge, sondern anzuerkennen: Wir sind nicht das Maß aller Dinge. Sondern es geht auch um eine fragende Suchbewegung zu sagen: Welche Folgen hat das denn in diesen Staaten gehabt?"
Der Zeitpunkt des Grünen-Antrags ist bewusst gewählt. Seit einiger Zeit wird auch in der deutschen Politik über den richtigen Umgang mit Kulturgütern aus kolonialem Kontext debattiert. Die Debatte um das Humboldtforum, dem ein unbedarfter Umgang mit kolonialer Raubkunst vorgeworfen wurde, und auch die Verhandlungen mit Namibia über eine Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama haben einen Prozess des Umdenkens in Gang gebracht.
Der hat seinen Niederschlag sogar im Koalitionsvertrag der großen Koalition gefunden. Darin haben Union und SPD festgeschrieben, dass die deutsche Kolonialvergangenheit künftig ebenso Bestandteil der deutschen Gedenk- und Erinnerungskultur sein soll, wie die NS-Vergangenheit und der DDR-Unrechtsstaat.
Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Michelle Müntefering, Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, hatten sich zuletzt für die Aufarbeitung eingesetzt - und unter anderem in einer gemeinsamen Erklärung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gefordert, die erinnerungs- und kulturpolitische Gedächtnislücke zu schließen.
"Viel zu lange war die Kolonialzeit ein fast blinder Fleck in der Erinnerungskultur bei uns. Aber auch die aufzuarbeiten ist Teil unserer Verantwortung in Deutschland – gegenüber ehemaligen Kolonien und natürlich dann auch Voraussetzung für Versöhnung und Verständigung", so Kulturstaatsministerin Grütters noch im Sommer 2018. Die Erforschung der Herkunft von Museumsbeständen aus kolonialem Kontext bezeichnet sie als die wichtigste kulturpolitische Aufgabe ihrer zweiten Amtszeit.
Rückenwind vom Nachbar Frankreich
Auslöser für dieses Umdenken dürfte auch ein Bericht der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und des senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron gewesen sein. Ihr Vorschlag: Praktisch alle aus der Kolonialzeit stammenden Kunstwerke müssen an die Herkunftsländer in Afrika zurückgegeben werden. Macron machte sich den Bericht zu eigen – und verhalf der Debatte damit auch in Deutschland zu neuem Schwung.
Dieses Momentum, so Kirsten Kappert-Gonther, wollen die Grünen nun nutzen:
"Wir haben den Eindruck, dass im Moment ein Fenster aufgestoßen wurde, wo über diese deutsche Kolonialherrschaft wirklich noch mal vertieft nachgedacht werden kann. Und wir hoffen mit unserem Antrag einen Beitrag dafür leisten zu können, dass diese ganze Debatte konkreter wird. Dass diese Debatte nicht nur im Bereich der Behauptungen bleib, sondern in Richtung Handlungen geht."
Spannend wird sein, wie Union und SPD auf den Antrag reagieren werden. Bei ähnlichen Anträgen der Linksfraktion hatte sich die Koalition im Bundestag der Debatte stets verschlossen. Diesmal dürfte das - auch vor dem Hintergrund der Vereinbarung im Koalitionsvertrag - schwierig werden.