Grünen-Politiker fordert mehr Teilhabe für Behinderte
Der behindertenpolitische Sprecher der grünen Bürgerschaftsfraktion in Bremen, Horst Frehe, beklagt, dass die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland noch nicht ausreichend umgesetzt ist. "Wir haben eine ganze Reihe von Dingen, die dazu führen, dass behinderte Menschen benachteiligt werden", sagt Frehe.
Christopher Ricke: Eigentlich ist es ja ganz einfach, steht sogar im Grundgesetz, Artikel 3 – ein Satz aus dem Artikel 3: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Aber es hapert noch bei der sozialen Teilhabe, sagen Behindertenverbände. Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen hat sogar einen Gesetzentwurf zur sozialen Teilhabe behinderter Menschen vorgestellt und beruft sich dabei auf die UN-Behindertenrechtskonvention. Der Vorsitzende dieses Forums ist Horst Frehe von den Bündnisgrünen, Mitglied der bremischen Bürgerschaft. Er sitzt selbst im Rollstuhl. Guten Morgen, Herr Frehe!
Horst Frehe: Guten Morgen!
Ricke: Wenn man sich auf eine UN-Behindertenrechtskonvention beruft, dann heißt das doch, dass offenbar diese Standards in Deutschland noch nicht erfüllt werden. Ist dem so?
Frehe: Ja, mit Sicherheit. Wir sind noch weit davon entfernt, umfassend die Behindertenrechtskonvention in Deutschland umzusetzen. Wir haben eine ganze Reihe von Dingen, die dazu führen, dass behinderte Menschen benachteiligt werden. Nehmen wir zum Beispiel Menschen, die geistige Behinderung haben und selber Kinder aufziehen wollen, die haben überhaupt keine gesetzliche Regelung dafür, dass sie dabei Unterstützung bekommen können, sondern es werden ihnen immer noch die Kinder weggenommen und in Pflegefamilien oder zur Adoption gegeben oder zur Adoption freigegeben. Das kann nicht richtig sein!
Ricke: Jetzt gibt es aber doch den Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Behindertenrechtskonvention – schießt man da nicht quer, wenn man da eigene Gesetzentwürfe vorlegt?
Frehe: Nein. Dieser Aktionsplan erfüllt überhaupt nicht die Erwartungen, die wir in den gesetzt haben. Es sind im Grunde genommen wohlfeile Formulierungen dort drin, aber keinerlei wirkliche Veränderungen anvisiert. Es gibt kaum gesetzliche Vorschläge in diesem Aktionsplan, und der bringt uns überhaupt nicht weiter. Wir brauchen klare gesetzliche Regelungen. Wir haben im deutschen Rehabilitationsrecht zur medizinischen Rehabilitation ganz ausführliche Bestimmungen, wir haben auch zur beruflichen Rehabilitation ausführliche Bestimmungen, aber zur sozialen Teilhabe haben wir nichts.
Ricke: Beschäftigen wir uns doch mal mit dem Begriff der sozialen Teilhabe. Verständlich ist ja Teilhabe zum Beispiel in der Arbeitswelt, wo Behinderte gleichgestellt werden, besondere Hilfsmittel bekommen. Aber was brauchen wir denn in der sozialen Teilhabe?
Frehe: Die Leute wollen genau so ins Kino gehen können wie andere auch, sie wollen an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, wenn sie zum Beispiel gehörlos sind, brauchen sie dann einen Gebärdensprachdolmetscher, es muss möglich sein, dass man als Mensch mit Lernbehinderung das versteht, was man an Bescheiden oder an Dokumenten bekommt – das muss einem möglicherweise erläutert werden –, all diese Rechte, die sind nicht umgesetzt.
Ricke: Da sind wir sehr schnell beim Thema des persönlichen Assistenten, der auch bezahlt werden muss. Was müssen wir hier tun?
Frehe: Also, persönlicher Assistent ist ja der Kernbereich unseres Gesetzentwurfes. Die persönliche Assistenz soll dazu beitragen, dass die Leute mit der entsprechenden Hilfe genau so wie jeder andere am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Das heißt also, das, was jemand nicht selber machen kann – wenn er gepflegt werden muss, wenn er auf die Toilette gebracht werden muss, wenn er für die Kommunikation jemanden braucht –, das soll durch die persönliche Assistenz sichergestellt werden.
Das geht im Augenblick nur durch Rechtsansprüche, die teilweise über Krankenversicherung, teilweise in der Rentenversicherung, teilweise in der Pflegeversicherung, teilweise in soziales Recht verankert sind, und das muss man sich zusammenklauben, um dann genügend Stunden zusammenzuhaben, um dann die Hilfe auch in Anspruch nehmen zu können. Und das ist furchtbar kompliziert, und wir wollen, dass es an einer Stelle, aus einem geregelt ist, aus einer Hand kommt, und einfach auch für die Leute zu erwerben ist, und auch nicht von Einkommen und Vermögen abhängig ist.
Ricke: Da sind wir ja schon beim Thema Geld. Das klingt ja alles schön und wünschenswert, es muss aber auch bezahlt werden!
Frehe: Erstens versuchen wir Ansprüche, die bereits jetzt bestehen, einfach zusammenzufassen und besser auszustatten. Das kostet natürlich auch mehr Geld, aber vor einigen Tagen war die Diskussion ums Dienstwagenprivileg im Gange. Das soll acht Milliarden den Steuerzahler kosten. In diesen Kategorien bewegen wir uns auch. Wenn man die Bevorteilung von Dienstwagen wegnehmen würde, könnte man das finanzieren.
Ricke: Herr Frehe, wie beurteilen Sie denn aktuell das politische und auch das gesellschaftliche Klima bei der Integration, bei der Teilhabe, also nicht nur aus der Sicht der Behinderten, die gerne teilnehmen möchten, sondern auch aus der Sicht der Mehrheitsgesellschaft, die ja diese Teilhabe auch noch ermöglichen sollte. Sind wir offener geworden, entwickelt sich da etwas zum Guten?
Frehe: Ich sitze ja nun seit über 40 Jahren im Rollstuhl, und meine Erfahrung ist, dass in der breiten Bevölkerung wesentlich mehr Verständnis da ist und wesentlich mehr Offenheit erreicht worden ist. Ein Beispiel ist, wir haben in Bremen jetzt gerade die Inklusion geistig behinderter Schüler, überhaupt aller behinderten Schüler in Regelschulen umgesetzt. Und das hat kaum Widerstände in der allgemeinen Bevölkerung gegeben.
Ich glaube, das Problem ist die Politik, um es ganz klar zu sagen, diejenigen, die Entscheidungen treffen. Die sind noch sehr stark von alten Denken, von Fürsorgedenken geleitet und haben noch nicht verstanden, dass die Behindertenrechtskonvention das Recht auf gleiche Teilhabe absichert. Da liegt das Problem, also eher bei Leuten wie Angela Merkel als bei Leuten auf der Straße.
Ricke: Horst Frehe von den Bündnisgrünen und vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen. Vielen Dank, Herr Frehe!
Frehe: Ich danke Ihnen!
Horst Frehe: Guten Morgen!
Ricke: Wenn man sich auf eine UN-Behindertenrechtskonvention beruft, dann heißt das doch, dass offenbar diese Standards in Deutschland noch nicht erfüllt werden. Ist dem so?
Frehe: Ja, mit Sicherheit. Wir sind noch weit davon entfernt, umfassend die Behindertenrechtskonvention in Deutschland umzusetzen. Wir haben eine ganze Reihe von Dingen, die dazu führen, dass behinderte Menschen benachteiligt werden. Nehmen wir zum Beispiel Menschen, die geistige Behinderung haben und selber Kinder aufziehen wollen, die haben überhaupt keine gesetzliche Regelung dafür, dass sie dabei Unterstützung bekommen können, sondern es werden ihnen immer noch die Kinder weggenommen und in Pflegefamilien oder zur Adoption gegeben oder zur Adoption freigegeben. Das kann nicht richtig sein!
Ricke: Jetzt gibt es aber doch den Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der EU-Behindertenrechtskonvention – schießt man da nicht quer, wenn man da eigene Gesetzentwürfe vorlegt?
Frehe: Nein. Dieser Aktionsplan erfüllt überhaupt nicht die Erwartungen, die wir in den gesetzt haben. Es sind im Grunde genommen wohlfeile Formulierungen dort drin, aber keinerlei wirkliche Veränderungen anvisiert. Es gibt kaum gesetzliche Vorschläge in diesem Aktionsplan, und der bringt uns überhaupt nicht weiter. Wir brauchen klare gesetzliche Regelungen. Wir haben im deutschen Rehabilitationsrecht zur medizinischen Rehabilitation ganz ausführliche Bestimmungen, wir haben auch zur beruflichen Rehabilitation ausführliche Bestimmungen, aber zur sozialen Teilhabe haben wir nichts.
Ricke: Beschäftigen wir uns doch mal mit dem Begriff der sozialen Teilhabe. Verständlich ist ja Teilhabe zum Beispiel in der Arbeitswelt, wo Behinderte gleichgestellt werden, besondere Hilfsmittel bekommen. Aber was brauchen wir denn in der sozialen Teilhabe?
Frehe: Die Leute wollen genau so ins Kino gehen können wie andere auch, sie wollen an öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen können, wenn sie zum Beispiel gehörlos sind, brauchen sie dann einen Gebärdensprachdolmetscher, es muss möglich sein, dass man als Mensch mit Lernbehinderung das versteht, was man an Bescheiden oder an Dokumenten bekommt – das muss einem möglicherweise erläutert werden –, all diese Rechte, die sind nicht umgesetzt.
Ricke: Da sind wir sehr schnell beim Thema des persönlichen Assistenten, der auch bezahlt werden muss. Was müssen wir hier tun?
Frehe: Also, persönlicher Assistent ist ja der Kernbereich unseres Gesetzentwurfes. Die persönliche Assistenz soll dazu beitragen, dass die Leute mit der entsprechenden Hilfe genau so wie jeder andere am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Das heißt also, das, was jemand nicht selber machen kann – wenn er gepflegt werden muss, wenn er auf die Toilette gebracht werden muss, wenn er für die Kommunikation jemanden braucht –, das soll durch die persönliche Assistenz sichergestellt werden.
Das geht im Augenblick nur durch Rechtsansprüche, die teilweise über Krankenversicherung, teilweise in der Rentenversicherung, teilweise in der Pflegeversicherung, teilweise in soziales Recht verankert sind, und das muss man sich zusammenklauben, um dann genügend Stunden zusammenzuhaben, um dann die Hilfe auch in Anspruch nehmen zu können. Und das ist furchtbar kompliziert, und wir wollen, dass es an einer Stelle, aus einem geregelt ist, aus einer Hand kommt, und einfach auch für die Leute zu erwerben ist, und auch nicht von Einkommen und Vermögen abhängig ist.
Ricke: Da sind wir ja schon beim Thema Geld. Das klingt ja alles schön und wünschenswert, es muss aber auch bezahlt werden!
Frehe: Erstens versuchen wir Ansprüche, die bereits jetzt bestehen, einfach zusammenzufassen und besser auszustatten. Das kostet natürlich auch mehr Geld, aber vor einigen Tagen war die Diskussion ums Dienstwagenprivileg im Gange. Das soll acht Milliarden den Steuerzahler kosten. In diesen Kategorien bewegen wir uns auch. Wenn man die Bevorteilung von Dienstwagen wegnehmen würde, könnte man das finanzieren.
Ricke: Herr Frehe, wie beurteilen Sie denn aktuell das politische und auch das gesellschaftliche Klima bei der Integration, bei der Teilhabe, also nicht nur aus der Sicht der Behinderten, die gerne teilnehmen möchten, sondern auch aus der Sicht der Mehrheitsgesellschaft, die ja diese Teilhabe auch noch ermöglichen sollte. Sind wir offener geworden, entwickelt sich da etwas zum Guten?
Frehe: Ich sitze ja nun seit über 40 Jahren im Rollstuhl, und meine Erfahrung ist, dass in der breiten Bevölkerung wesentlich mehr Verständnis da ist und wesentlich mehr Offenheit erreicht worden ist. Ein Beispiel ist, wir haben in Bremen jetzt gerade die Inklusion geistig behinderter Schüler, überhaupt aller behinderten Schüler in Regelschulen umgesetzt. Und das hat kaum Widerstände in der allgemeinen Bevölkerung gegeben.
Ich glaube, das Problem ist die Politik, um es ganz klar zu sagen, diejenigen, die Entscheidungen treffen. Die sind noch sehr stark von alten Denken, von Fürsorgedenken geleitet und haben noch nicht verstanden, dass die Behindertenrechtskonvention das Recht auf gleiche Teilhabe absichert. Da liegt das Problem, also eher bei Leuten wie Angela Merkel als bei Leuten auf der Straße.
Ricke: Horst Frehe von den Bündnisgrünen und vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen. Vielen Dank, Herr Frehe!
Frehe: Ich danke Ihnen!