"Bei Geldwäsche sind wir keine Waisenknaben"
Bei der Bekämpfung von Geldwäsche sei international zu wenig geschehen, beklagt Grünen-Europapolitiker Sven Giegold. Der Wirtschaftsexperte fordert nach den Enthüllungen der "Panama Papers" für Deutschland eine "effektive Finanzpolizei".
Dieter Kassel: Rund 214.000 Briefkastenfirmen befinden sich auf einer Liste, die als "Panama Papers" nun an die Öffentlichkeit gelangt ist. Man muss immer wieder dazusagen, dass der Besitz einer solchen Briefkastenfirma grundsätzlich nicht illegal ist, auch in Deutschland nicht, aber vielen Besitzern solcher Firmen geht es entweder um Steuerhinterziehung oder Verkürzung, nicht selten aber sogar um Geldwäsche oder die Finanzierung illegaler Geschäfte, was es nun auch nicht besser macht.
In die Debatte um die "Panama Papers" und mögliche Konsequenzen daraus hat sich inzwischen auch der finanz- und wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Sven Giegold, eingemischt. Schönen guten Morgen, Herr Giegold!
Sven Giegold: Guten Morgen!
Kassel: Beweisen die jetzt veröffentlichten Unterlagen – gerade gestern gab es auch vieles über das Verhalten deutscher Banken zum Beispiel –, beweisen diese Unterlagen, dass die Europäische Union im Umgang mit dem Phänomen Briefkastenfirmen versagt hat?
"Da muss jetzt dringend gehandelt werden"
Giegold: Das zeigt auf jeden Fall, dass das, was bisher geschehen ist, nicht genügt hat. Nach den letzten beiden großen Skandalen Lux-Leaks und Offshore-Leaks sind Maßnahmen ergriffen worden in Europa, aber vor allem auch international. Das sind sicherlich große Fortschritte. Denken Sie an das Ende des Bankgeheimnisses selbst bei notorischen Steueroasen wie der Schweiz, aber gerade bei der Geldwäsche ist international wenig geschehen. Auch Briefkastenfirmen existieren nach wie vor, wie Sie es auch gesagt haben, missbraucht werden, und da muss jetzt dringend gehandelt werden.
Kassel: Aber kann die EU das alleine machen oder sogar ein einzelnes Mitgliedsland? Sie haben gerade international gesagt – anderes Stichwort ist Globalisierung: Kann es die EU mit der Welt aufnehmen diesbezüglich?
Giegold: Sowohl Einzelstaaten wie Deutschland als auch die EU als Ganzes können da wirklich viel tun, denn das Geld nützt Ihnen ja nichts, wenn es in Panama liegt oder auf den britischen Virgin Islands. Sie brauchen dann das Geld im internationalen Finanzsystem. Ansonsten können Sie damit nichts verdienen. Genau da können Länder wie Deutschland oder auch die Europäische Union als Ganzes effektiv handeln.
Kassel: Was konkret muss jetzt geschehen?
"Keine effektive Finanzpolizei in Deutschland"
Giegold: Sehen Sie, ich finde eins wichtig: Herr Schäuble hat jetzt angekündigt, er wird diesen Skandal nutzen. Das finde ich gut. Das hat er bei den letzten Skandalen auch gemacht, aber beim Thema Geldwäsche haben wir in Deutschland selbst ein großes Handlungsdefizit, und das Handeln auf globaler Ebene darf nicht von Versäumnissen in Deutschland ablenken.
Nach wie vor haben wir keine effektive Finanzpolizei in Deutschland, sondern zuständig für die Geldwäsche sind nach wie vor Gewerbeaufsichtsämter, zum Teil Standesbeamte, und deshalb gibt es im internationalen Vergleich so wenige Verurteilungen. Wir brauchen wirklich Handlungsdruck.
Die deutschen Immobilienmärkte boomen gerade in den Großstädten und sind sehr attraktive Ziele für die entsprechenden Gelder auch aus Steueroasen. Wir haben darüber aber keine Transparenz. In dem Bereich muss Herr Schäuble wirklich nachlegen. Bei der Geldwäsche sind wir nämlich hier in Deutschland wirklich keine Waisenknaben.
Kassel: Ich habe über die "Panama Papers" nicht nur mit Journalisten und Politikern und Wirtschaftsexperten gesprochen, ich rede manchmal auch noch mit normalen Menschen, und die haben teilweise viel weniger entsetzt reagiert, als manche Experten: Die haben sinngemäß oft gesagt, na ja, das wussten wir auch schon vorher, dass die Reichen und Mächtigen über dem Gesetz stehen und dass die ohnehin machen, was die wollen.
Was muss man an Maßnahmen auch ergreifen, die wirklich auch der Bevölkerung zeigen, es ist eben auch der Politik nicht egal, dass manche Menschen glauben, gewisse Regeln gelten für sie nicht?
"Das nährt auch Populisten"
Giegold: Sehen Sie, Sie haben genau recht. Das ist das eigentlich Gefährliche an den Steueroasen, nämlich dieser Eindruck, dass die Reichen und Mächtigen, für die ein anderes Gesetz gilt als für normale Leute, und das nährt auch Populisten, die gerne dieses Lied singen, hier die guten Bürger, dort die korrupten Eliten, das nährt genau dieses Vorurteil. Deshalb muss auch das jetzige Handeln glaubwürdig sein, und die Glaubwürdigkeit beginnt nun mal immer erst mal im eigenen Land, ansonsten ist es so, dass wir auf internationaler Ebene auch nicht ernst genommen werden.
Bei der Steuerflucht hat Deutschland immer international für stärkere Regeln plädiert. Bei der Geldwäsche haben wir selber bei uns jede Menge aufzuräumen. Deshalb ist so wichtig, dass da jetzt nicht abgelenkt wird auf Gipfel beim Internationalen Währungsfonds im April. Das ist alles schön und gut, aber hier in Deutschland im Bundestag müssen diese Fragen debattiert werden, und die Bundesregierung steht in der Verantwortung, für Deutschland selbst ein Programm zur Bekämpfung von Geldwäsche vorzulegen.
Kassel: Nun sagen viele, und auch wir müssen das immer dazusagen – also ich meine jetzt ausnahmsweise mit wir mal uns beide im Gespräch –, weil es juristisch so ist: Der Besitz einer Briefkastenfirma ist grundsätzlich nicht illegal. Was die Zukunft angeht, habe ich den Eindruck, es gibt zwei Meinungen: Die einen sagen, das soll auch so bleiben, es muss bloß transparenter werden. Manche sagen aber auch, man sollte Briefkastenfirmen generell verbieten. Nun frage ich Sie Folgendes: Warum sollte man letzteres nicht tun? Können Sie mir irgendeinen legitimen Grund nennen, eine solche Firma zu haben?
"Ein automatischer Informationsfluss ist faktisch ein Verbot"
Giegold: Also, das Ding ist, eine Briefkastenfirma ist grundsätzlich eine Firma wie jede andere. Sie können auch in Deutschland eine Firma öffnen und die zur Geldwäsche benutzen. Ist das dann keine Briefkastenfirma? Eine Briefkastenfirma ist es dann, wenn das Heimatfinanzamt nicht weiß, welche Geschäfte Sie betreiben, und deshalb braucht es einen automatischen Informationsfluss zwischen dem Land, wo Sie die Firma errichtet haben, und dem Heimatfinanzamt desjenigen, der letztlich begünstigt ist. In dem Moment, wo es diesen automatischen Informationsfluss gibt, bricht dieses Geschäftsfeld zusammen, und Sie werden die kostspieligen Einrichtungen einer solchen Briefkastenfirma und deren Verwaltung – das kostet alles Geld –, Sie werden das dann nur noch machen, wenn Sie wirklich einen guten Grund haben.
Daher ist ein automatischer Informationsfluss faktisch ein Verbot, aber dieser automatische Informationsfluss, gegen den wehren sich viele Länder. Zum Beispiel die Vereinigten Staaten zwingen zwar erfolgreich den Rest der Welt, auf solche Konstruktionen zu Amerikaner zu verzichten, sie sind aber selber eine der größten Steueroasen. Dort ist es nach wie vor möglich, anonyme Firmen zu gründen. Das bedeutet, dann muss man auch bereit sein, in den Konflikt zu gehen. Diese Konfliktbereitschaft, die fehlte bisher oft.
Kassel: Ich bleibe aber trotzdem bei der Frage, weil die Grundidee einer Briefkastenfirma ist, dass Sie eine ganze Firma haben an einem Ort, an dem Sie nicht mal ein Büro haben, da haben Sie nicht mal ein Klo, da haben Sie eben tatsächlich nur einen Briefkasten. Das kann eigentlich nie wirklich einen legitimen Sinn machen. Hätte es nicht über Symbolpolitik heraus doch einen gewissen Reiz, zu sagen, das geht nicht mehr, man muss zum Beispiel schlicht nachweisen, dass da, wo der Sitz der Firma ist, auch mindestens einer Vollzeit arbeitet?
"Das wird an dem Kern nichts ändern"
Giegold: Sie können gerne noch solche Auflagen machen, das wird an dem Kern aber nichts ändern. In dem Moment – die Firmen haben häufig auch irgendeine Funktion. Sie können eine Firma errichten in einem Land, damit Sie Eigentumsverhältnisse unter denjenigen klären, die einen Wert gemeinsam machen, also zum Beispiel ein Business eröffnen. Natürlich, Firmen, die einfach nur der Verschleierung gelten, die sollten natürlich verschwinden, aber in dem Moment – ich sage es noch mal –, wo die Informationen automatisch fließen und öffentlich transparent ist, wer eigentlich hinter den Firmen steht, ist der Missbrauch zu Ende, weil dann der Zweck der Verschleierung nicht mehr möglich ist. Das setzt aber voraus, dass dieser Informationsfluss tatsächlich öffentlich und automatisch ist.
Genau da beginnt die politische Kontroverse, denn die Bundesregierung war bisher sowohl bei dem jetzt geplanten Register wirtschaftlich Begünstigter als auch bei den internationalen Meldepflichten – den sogenannten länderbezogenen Informationspflichten von Unternehmen – immer dagegen, dass diese Informationen öffentlich werden. Sie wollen das nur zwischen den Verwaltungen. Ob das klappt, das ist wirklich unklar, weil bisher wir immer auf den Druck der Öffentlichkeit angewiesen waren, und deshalb muss Deutschland seinen Widerstand gegen öffentliche Transparenz endlich aufgeben. Da hat Herr Schäuble leider eine sehr ungute Rolle gespielt sowohl in Brüssel als auch bei den Debatten, wie man bei den Geldwäscheregistern, also über wirtschaftlich Begünstigte wirklich vorgeht.
Kassel: Sagt Sven Giegold, der finanz- und wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament. Herr Giegold, vielen Dank für das Gespräch!
Giegold: Gerne!
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