Grünen-Politikerin: Größtes Problem in Libyen ist Regierungsführung

Barbara Lochbihler im Gespräch mit Ute Welty |
Barbara Lochbihler, Abgeordnete des Europaparlaments (Bündnis 90/Grüne), sieht in Libyen zwei Wochen vor der Wahl zur Nationalversammlung positive Entwicklungen - aber auch viele ungelöste Probleme. Unklar sei, wie das Land die Gaddafi-Ära mit ihren Menschenrechtsverletzungen aufarbeiten solle.
Ute Welty: Ägypten macht Schlagzeilen und natürlich Syrien, aber um Libyen ist es fast beängstigend still geworden. Das dürfte sich in spätestens genau zwei Wochen ändern, denn dann wird in Libyen gewählt. Mehr als 2000 Kandidaten bewerben sich um die 200 Sitze der allgemeinen Nationalkonferenz, das ist eine Art Übergangsparlament.

Im Vorfeld der Wahl ist die grüne Europaabgeordnete Barbara Lochbihler nach Tripolis geflogen, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Guten Morgen, Frau Lochbihler!

Barbara Lochbihler: Guten Morgen.

Welty: Was ist Ihre Erfahrung jetzt? Tut es dem Land vielleicht auch ganz gut, dass es nicht mehr so sehr im grellen Schlaglicht der Öffentlichkeit steht?

Lochbihler: Also dass es nicht so spektakulär gefeatured wird, das ist, glaube ich, schon ganz gut, aber Sie haben natürlich noch enorme Probleme, die nicht so leicht zu lösen sind, und sind auch offen für die internationale Gemeinschaft um Ratschläge. Zum Beispiel wurden ja von unseren Gesprächspartnern, und wir haben mit einer von drei Frauen im nationalen Übergangsrat gesprochen, mit dem Vize-Außenminister, mit dem Staatssekretär im Premierministerium. Die haben alle gesagt, die Sicherheitslage intern ist nicht gelöst.

Also hier gibt es sehr viele Brigaden und Milizen, die Kontrolle haben. Man sieht das hier auch in Tripolis auf der Straße. Es ist gestern wieder ein Milizenführer gekidnappt worden, worauf dann der Flughafen gesperrt wurde. Oder die Milizen kontrollieren auch Zentren, wo früher die Migranten waren und bestimmen, was mit denen geschieht. Und es gibt auch immer wieder, ja, Angriffe auf die oder Destabilisierungen an den Grenzen von ehemaligen Gaddafi-Anhängern.

Welty: Rechnen Sie damit, dass sich die Sicherheitslage in den nächsten zwei Wochen bis zur Wahl noch weiter verschärft?

Lochbihler: Also, die Wahlvorbereitungen sind eigentlich positiv. Es haben sich sehr viele Menschen registrieren lassen. Es gibt auch einzelne Milizen, die sich transformieren in politische Gruppierungen, aber es kann sehr gut sein, dass das zunimmt. Wobei also von den Gesprächspartnern wurde das nicht als das größte Problem thematisiert.

Auch zivilgesellschaftliche Vertreter, wir haben mit vielen Frauenorganisationen gesprochen, die sagen, man freut sich eigentlich generell auf die Wahl, man bereitet sich vor. Es gibt nicht so viele Parteien, die schon als solche wahrgenommen werden, aber generell gibt es einen Konsens, würde ich fast sagen, dass die libysche Bevölkerung eigentlich einen demokratischen Rechtsstaat schaffen will, in dem man die Konflikte friedlich löst.

Welty: Wenn es nicht die Sicherheitslage ist, was wird denn dann als das größte Problem beschrieben?

Lochbihler: Also das ist die Regierungsführung, um das mal vielleicht so zu beschreiben. Also es gibt sehr viele Ad-hoc-Regelungen. Zum Beispiel, wie gehen wir mit – oder wie geht Libyen jetzt mit Arbeitsmigranten um. Weil sie haben einen enormen Bedarf. Also, viele Baustellen sind verwaist, aber auch ungelernte Arbeit wird gesucht. Und sie haben kein Programm dafür. In manchen Gegenden in Libyen werden Migranten, die geblieben sind oder jetzt neu kommen und Arbeit suchen, eigentlich schon fast wie Sklaven gehalten. Teilweise haben wir auch Entsetzliches gehört, dass die verkauft werden.

Und die Regierung hat das nicht in der Hand, das koordiniert zu steuern. Und ich denke, das bezieht sich auch auf andere Bereiche. Also wie bilde ich ein funktionierendes Innenministerium aus? Wir haben geredet eben mit dem Staatssekretär im Premierministeramt, wie gehe ich um mit einer Vergangenheit, in der unter Gaddafi-Zeit es viele Menschenrechtsverletzungen gab. Aber dann auch in der Revolution vom 17. Februar, wie die hier genannt wird, ist es ja auch zu Menschenrechtsverletzungen durch jetzige Regierungsvertreter oder auch Milizen gekommen. Wie arbeite ich auf, und da bauen sie so eine Institution für Wahrheitsfindung und Versöhnung, und da sieht man schon, dass das zwar auf dem richtigen Weg ist, aber noch sehr an den Anfängen, wie man das machen soll.

Welty: Der Blick zurück ist das eine, der Blick nach vorne das andere. Nach wie vor prekär ist die Situation der Flüchtlinge, die vor allem vermehrt nach Malta kommen. Das hat dort bereits zum Rücktritt des Innenministers geführt. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die europäische Politik?

Lochbihler: Ja, also wir haben gehört, dass das letzte Jahr mit das tödlichste Jahr war für viele Flüchtlinge, die versucht haben, nach Europa zu kommen. Wir hatten Gespräche mit dem Vertreter des UN-Flüchtlingswerkes. Und für die europäische Politik ist es wichtig, zu unterscheiden zwischen Migration, Arbeitsmigration und Flüchtlingen, und es gibt viele Flüchtlinge hier, die nicht zurück können in ihre Länder. Wie Eritrea, wie Somalia, und da müssen wir Lösungen finden, zum Beispiel, dass man Flüchtlinge aufnimmt in sogenannten Resettlement-Programmen bei uns, dass die angesiedelt werden auch mit ihren Familien.

Und da sollte sich nicht nur Deutschland, sondern auch andere EU-Mitgliedsstaaten großzügig zeigen. Und wir müssen auf die europäische Grenzsicherungspolitik schauen, wie die Grenzagentur Frontex oder nationale Grenzbehörden, dass die nicht wegschauen dürfen, wenn Schiffe auf dem Mittelmeer treiben, wie wir jetzt hier wiederholt gehört haben, wo teilweise 20 schwangere Frauen drin sind und denen nicht geholfen wird. Und nicht mal geprüft wird, wie man helfen kann. Also das, glaube ich, das muss stärker öffentlich thematisiert werden, aber auch mit den EU-Verantwortlichen.

Welty: Kontrovers diskutiert worden in Deutschland ist ja der Militäreinsatz in Libyen, der inzwischen so als Blaupause gilt für eine mögliche Intervention in Syrien. Wie sehen Sie diesen Zusammenhang, und wie, denken Sie, muss sich Deutschland da nach dem Fiasko, will ich es mal nennen, im Weltsicherheitsrat bei der Abstimmung über Libyen, wie muss sich Deutschland da positionieren?

Lochbihler: Also, ich glaube, es kann nicht eine Blaupause geben, weil die Situation in jedem Land anders ist. Und in Syrien kann man wahrscheinlich nicht davon ausgehen, dass eine Intervention, wie wir sie in Libyen hatten, mit in Anführungszeichen, muss ich jetzt sagen, relativ wenigen zivilen Opfern, dass man das eins zu eins übertragen kann. Es wird ja gesprochen, dass sich durch eine, in Syrien durch eine militärische Intervention die verheerende Menschenrechtssituation und die Situation der Zivilbevölkerung noch einmal verschlechtern würde - und massiv.

Also hier, glaube ich, kann man nicht von einer Blaupause sprechen. Was ich hier bei den Gesprächspartnern in Libyen erlebe, ist eigentlich nicht eine Kritik an Deutschland, dass sie da im Sicherheitsrat nicht dafür gestimmt haben, sondern jetzt rückblickend gesehen wird eigentlich Deutschland mit sehr viel Respekt und hoher Wertschätzung behandelt. Man will unseren Rat, unser technisches Know-how beim Aufbau. Also das ist - wurden wir dann, wurde Deutschland nicht kritisiert im Vergleich zum Beispiel, wie das Verhalten Frankreichs war.

Welty: Die grüne Europaabgeordnete Barbara Lochbihler, unterwegs in Libyen. Unser Dank geht nach Tripolis.

Lochbihler: Danke Ihnen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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