Klimafreundlicher Wasserstoff dank Windkraft?
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Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft: Er ist leicht, lässt sich gut speichern und hinterlässt als Verbrennungsrückstand nur Wasser. Der Haken: Wasserstoff ließ sich bisher nicht klimaneutral herstellen. Doch jetzt gibt es neue Ansätze.
Die Ansage in der Regionalbahn 33 klingt ungewohnt. "Wir wünschen Ihnen eine angenehme Fahrt im Coradia iLint, dem Nahverkehrstriebzug mit Brennstoffzellenhybridtechnologie", tönt es aus den Lautsprechern. Eine Oberleitung gibt es auf der norddeutschen Nebenstrecke zwischen Buxtehude und Cuxhaven nicht. Trotzdem wird der Zug elektrisch angetrieben: Den Strom erzeugt eine Brennstoffzelle aus Wasserstoff. Vor einem Jahr fand die Premierenfahrt statt und seitdem sind die weltweit ersten beiden Wasserstoffzüge fahrplanmäßig unterwegs.
Gebaut wurden die blauen Züge bei Alstom in Salzgitter. "Es war uns wichtig, dass wir keinen Paradiesvogel bauen", sagt Geschäftsführer Jörg Nikutta. Der Wasserstoffzug sollte von Tag eins absolut zuverlässig sein. Das gelte bereits für die beiden Vorserienzüge, die derzeit unterwegs sind. "Sie sind genauso zuverlässig wie herkömmliche Serienzüge es sind."
Grüner Wasserstoff für die Schiene
Das Antriebsprinzip ist vergleichsweise simpel: In der Brennstoffzelle reagiert der Wasserstoff mit Sauerstoff aus der Luft, aus dem Auspuff des Zugs kommt Wasser. Doch der Antrieb ist nicht emissionsfrei, denn der Wasserstoff kommt per Tanklaster aus den Niederlanden. Dort wird er in einer Fabrik aus Erdgas hergestellt. Das Verfahren ist energieintensiv, aber das solle sich ändern, so Nikutta: "Die Serienzüge werden mit grünem Wasserstoff bestückt und da wird die Kohlendioxid-Bilanz perfekt sein." Heißt: Während des gesamten Betriebs entsteht keinerlei Emission.
Voraussetzung dafür ist, dass der Wasserstoff ausschließlich mit erneuerbarer Energie hergestellt wurde. Dabei spalten sogenannte Elektrolyseure Wasser mithilfe von Strom in Sauerstoff und Wasserstoff auf. Und hier kommen Windparks ins Spiel: Bisher müssen sie auch bei guten Windverhältnissen häufig still stehen: Es gibt nicht genug Leitungen, um den Strom zu den Verbrauchern zu bringen. Über fünf Terawattstunden gingen so im vergangenen Jahr verloren, das entspricht fünf Prozent des insgesamt erzeugten Windstroms.
Der Ingenieur Tobias Moldenhauer vom norddeutschen Energieversorger EWE sieht deshalb große Vorteile in einer Kombination von Wind und Wasserstoff. "Den können wir speichern und losgelöst von der Erzeugung in verschiedenen Absatzmärkten verwenden", so Moldenhauer. Der entscheidende Punkt sei, mit Wasserstoff die Erzeugung und den Bedarf voneinander entkoppeln zu können.
Hilfe aus dem Legokasten
Offshore-Windparks könnten für die Wasserstoffproduktion besonders geeignet sein. Wenn die Betreiber das energiereiche Gas nämlich direkt neben neuen Windrädern auf hoher See erzeugen, würden sie den teuren Netzanschluss sparen. Der kostet – je nach Entfernung von der Küste – weit über einer Milliarde Euro. Aber wie würde so eine Wind-Wasserstoff-Produktion am effizientesten gestaltet? Jimmy Langham vom Energieversorger Eon wollte es genau wissen und griff in die Lego-Kiste. "Wir haben mit ganz viel Lego so eine Plattform gebaut, an der wir bestimmt drei Monate saßen", erzählt er. Insgesamt habe das Team "drei- bis viertausend Euro" für die Plastikbausteine ausgegeben.
Im Vergleich zu der dreistelligen Millionensumme, die eine echte Pilotanlage kosten würde, war die Lego-Bastelei ausgesprochen günstig. Jimmy Langham hat daraus gelernt, wie Wasseraufbereitung, Elektrolyseure und Wasserstofftanks auf einer Offshore-Plattform am effektivsten und kostengünstigsten angeordnet werden müssten. Vor allem ist Langham klar geworden, dass die Wind-Wasserstoff-Idee auf hoher See grundsätzlich funktionieren kann.
Anbieter fordern mehr Tempo der Politik
Doch derzeit fehlen die politischen Rahmenbedingungen. Will Deutschland seine Klimaziele einhalten, müsse sich daran allerdings bald etwas ändern, meint der Eon-Experte. Bis Mitte der zwanziger Jahre müsse Deutschland Anlagen im dreistelligen Megawatt-Bereich bauen, um die Ziele für das Jahr 2030 des Netzentwicklungsplans zu schaffen. Aus Offshore-Windsicht seien fünf Jahre nichts. "Fünf Jahre ist übermorgen und deshalb muss es jetzt beginnen", so Langham.
Im Wasserstoffzug hören Fahrgäste die Durchsage: "Nächster Halt: Buxtehude." Es ist die Endstation der Line 33, doch kein Schlusspunkt der Reise. Denn an Abnehmern für den grünen Wasserstoff dürfte es jedenfalls nicht fehlen. Wenn der Verkehr künftig ohne Benzin oder Diesel auskommen soll, dann können die meisten PKW zwar mit Batterien elektrisch fahren, Schwerlaster, Überseeschiffe oder gar Flugzeuge aber nicht. Denn die nötigen Batterien wären zu schwer. Wasserstoff enthält dagegen bei gleichem Gewicht mehr als die hundertfache Energiemenge einer modernen Lithium-Ionen-Batterie. Deshalb eignet er sich auch so gut für den Antrieb schwerer Züge.