"Windkraft ist das Rückgrat der Energiewende"
Die geplante Deckelung von Windkraftanlagen an Land stößt auf Kritik. Es sei nicht zielführend, dass gerade die kostengünstigste erneuerbare Energie nach den Vorstellungen von Wirtschaftsminister Gabriel zurückgefahren werden soll, sagt der Energie-Experte Martin Faulstich.
Hanns Ostermann: Wer dicke Bretter bohren muss, der darf sich über Widerstand nicht wundern. Wirtschaftsminister Gabriel dürfte also gewusst haben, dass sein Eckpunktepapier zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes auf Kritik stößt. Trotzdem drückt er aufs Tempo. Vier Wochen nach seiner Vereidigung soll schon heute der Plan bei der Kabinettsklausur in Brandenburg genehmigt werden. Aber was taugt die Reform, wo werden richtige, wo falsche Akzente gesetzt? Darüber rede ich jetzt mit Professor Martin Faulstich, er forscht und lehrt an der technischen Universität Clausthal und ist Vorsitzender des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Guten Morgen, Herr Faulstich!
Martin Faulstich: Ja, guten Morgen, Herr Ostermann!
Ostermann: Setzt Gabriel die richtigen Akzente, wenn er vor allem die Windkraft an Land drosseln will?
Faulstich: Das ist nun ausgerechnet der falsche Akzent, aber vielleicht darf man ja auch zunächst mal das Positive herausstellen: Die Energiewende geht weiter. Es ist auch richtig, das EEG zu reformieren, das hat der Sachverständigenrat ja auch vor einigen Monaten ernsthaft gefordert, und es sind etliche gute Elemente auch drin. Dass zum Beispiel alle erneuerbaren Anlagen verpflichtend direkt vermarkten müssen, dass also die erneuerbaren Anlagen sich stärker auch mit dem Markt beschäftigen; dass die Biomasse vorzugsweise auf Abfälle und Reststoffe sich konzentrieren soll; dass die vielen Ausnahmetatbestände für die Industrie abgebaut werden sollen. Das sind ja alles auch gute Elemente. Allerdings, dass es jetzt Ausbaukorridore geben soll, Deckel für die Windkraft, das halten wir jetzt nicht für zielführend.
Ostermann: Sie haben eben gerade also dem Bundeswirtschaftsminister auf die Schultern geklopft, ihm gratuliert, aber zugleich eben gesagt, einiges ist nicht in Ordnung. Warum ist die Drosselung der Windkraft an Land aus Ihrer Sicht der falsche Ansatz?
Die Netze wachsen mit
Faulstich: Man muss ja sagen, dass es bei den vielen Technologien, die jetzt zur Verfügung stehen, Sonne, Offshore-Wind, Onshore-Wind, gerade der Wind an Land im Augenblick die kostengünstigste erneuerbare Energie ist. Und ausgerechnet die jetzt zu drosseln und unter Umständen abzuwürgen, das ist eigentlich der falsche Ansatz, und da wird sicherlich Wirtschafts- und Energieminister Gabriel auch starken Gegenwind natürlich aus den Nordländern erhalten, denn das ist natürlich das Rückgrat der Energiewende, und da sollte man eigentlich keinen Deckel drauf setzen, sondern eher dafür sorgen, dass aktiv schnell und weiter ausgebaut wird.
Ostermann: Aber würde zu viel produziert, und die Gefahr besteht ja irgendwann einmal – wohin damit, wenn die entsprechenden Trassen zum Transport überhaupt nicht da sind?
Faulstich: Das ist natürlich richtig, dass man sich gleichzeitig darum kümmern muss, dass der Ausbau der Erneuerbaren und auch die Netze entsprechend synchronisiert werden. Natürlich müssen wir zukünftig den Windstrom vorzugsweise auch in den Süden transportieren. Das wird ja auch geschehen, aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht so ein Henne-Ei-Problem bekommen, dass dann die, die die Netze ausbauen sollen, sagen, na ja, gut, wenn der Wind nicht so stark ausgebaut wird, brauchen wir die Netze auch nicht ausbauen. Also, das könnte auch eine Schraube nach unten werden, und ich glaube, wenn man den Wind kräftig ausbaut, dann werden die Netze auch mitwachsen.
Ostermann: Gabriel betont immer wieder, der Strompreis muss im Zaum gehalten werden. Das hat er in den letzten Tagen pausenlos betont, aber ist dieser Blick auf die Kosten für die Verbraucher aus Ihrer Sicht eigentlich der richtige?
Faulstich: Die Kostendiskussion wird aus unserer Sicht eigentlich überzogen dargestellt. Natürlich hat das jetzt auch Kostensteigerungen in den Privathaushalten gegeben. Die sind aber überschaubar, und man muss vor allem sehen, wenn man langfristig auf erneuerbare Energien setzt, werden langfristig die Kosten insgesamt sinken. Sie werden im Übergang etwas teurer sein, und es gibt ja letztendlich auch keine Alternative dazu. Wir wollen den Atomausstieg. Die Kohle wird auch teurer, die Kohle ist klimaschädlich. Das ist übrigens noch ein weiterer Nachteil, dass in dem Papier natürlich vorzugsweise das EEG angesprochen wird. Es gibt keine Hinweise, wie man den Kohleausstieg auch vorantreiben sollte. Es gibt keine Hinweise, wie man im Emissionshandel in Europa weiterkommen soll. Man darf sich nicht nur um die Erneuerbaren kümmern, man muss sich ja auch darum kümmern, dass wir schnell und langfristig komplett aus der Kohle aussteigen.
Ostermann: Ich habe auch nichts über den künftigen Netzausbau gefunden, und es soll ja wohl auch irgendwann mal und muss über die Privilegien für die Industrie gesprochen werden. Ich frag mich: Wenn man einen Baustein der Energiewende vorstellt, ohne die anderen gleichzeitig zu nennen, ist das wirklich so richtig und sachlich dienlich?
"Wir haben die höchste Braunkohleverstromungsrate seit 20 Jahren"
Faulstich: Man muss natürlich insgesamt mit einem Systemansatz an das Thema herangehen. Einzelne Elemente herauszugreifen, ist sicherlich nicht hilfreich. Deswegen sagte ich ja gerade, wir müssen die Erneuerbaren ausbauen. Wir wollen natürlich auch, dass es kostengünstige Pfade gibt. Wir müssen aber gleichzeitig auch dafür sorgen, dass wir aus der Kohle rauskommen. Im Augenblick muss man sagen, haben wir die höchste Braunkohleverstromungsrate seit 20 Jahren, obwohl wir eigentlich die Energiewende haben. Da liegen eigentlich die Probleme.
Die Industriebefreiung, das muss man sagen, ist in dem Papier ja durchaus angesprochen. Man muss diese ganzen Befreiungen auf die Industriezweige zurückführen, die wirklich im internationalen Wettbewerb stehen. Das sind relativ wenig Branchen, beispielsweise Stahlwerke. Aber es sind ja auch Lebensmittelverarbeiter und Kieswerke und Hartsteinwerke, die alle nicht im internationalen Wettbewerbe stehen, dort berücksichtigt. Selbst der Braunkohleabbau fällt unter die Befreiung – das kann es ja alles nicht sein.
Ostermann: Und da frage ich mich: Es gibt nun Sie als Fachmann, es gibt den Sachverständigenrat, da hört sich also der Bundeswirtschaftsminister die entsprechenden Argumente der Fachleute an. Aber dann verbeugt er sich in Richtung Düsseldorf und geht nicht an diese wirklich wichtigen Dinge wie die Kohlekraftwerke.
Faulstich: Ja, man muss ja erst mal sehen, das ist jetzt das erste Papier, und es ist ja sicherlich auch lobenswert und dankenswert, dass in innerhalb von so wenigen Wochen jetzt was auf den Markt gekommen ist. Jetzt wird natürlich die politische Diskussion erst mal losgehen. Und da werden natürlich alle Branchen beteiligt sein. Die Ökostrombranche hat mittlerweile genauso gute Lobbyisten wie die andere Branche. Man darf aber nicht vergessen, Nordrhein-Westfalen und auch Brandenburg sind natürlich auch SPD-regierte Länder. Von daher wird man dort sich natürlich auch stark bemühen, die Kohle möglichst lange im Bestand zu halten. Und diesen Widerstand, den muss man dann natürlich aushalten. Wir werden natürlich unseren Teil dazu beitragen, dass die Energiewende ambitioniert fortgesetzt wird und dass wir auch möglichst schnell aus der Kohle herauskommen.
Ostermann: Heute berät das Bundeskabinett bei seiner Klausur die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Ich sprach mit Professor Martin Faulstich. Er ist Vorsitzender des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Danke schön, Herr Faulstich, und Ihnen einen schönen Tag!
Faulstich: Ja, ebenso. Danke schön, Herr Ostermann!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.