Ralf Fücks ist geschäftsführender Gesellschafter des "Zentrums Liberale Moderne" in Berlin. Er war zuvor Vorstand der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, wo er für die Inlandsarbeit der Stiftung sowie für Außen- und Sicherheitspolitik, Europa und Nordamerika verantwortlich war. 1989/90 war Fücks Co-Vorsitzender der Grünen und Senator für Umwelt und Stadtentwicklung in Bremen. Er hat zahlreiche Bücher publiziert, zuletzt erschien der Sammelband "Soziale Marktwirtschaft ökologisch erneuern".
Die große Erzählung über Ökologie und Klimaschutz ist ausgeblieben
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In der letzten Phase der Bundestagswahl spitzt sich der Wettstreit zwischen SPD und CDU zu. Aus dem Triell mit der grünen Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist laut Umfragen längst ein Duell zwischen Armin Laschet und Olaf Scholz geworden.
Eine Woche vor der Bundestagswahl zeigt sich der Publizist Ralf Fücks enttäuscht, dass es den Grünen im Wahlkampf offenbar nicht gelungen sei, eine überzeugende Erzählung zu entwickeln über Ökologie und Klimaschutz als großen Aufbruch, als "grüne industrielle Revolution".
Stattdessen sei es um Einschränkungen gegangen, um "Verbote hier und Gebote da" und nicht um ein großes Modernisierungsprogramm der Industriegesellschaft des 21. Jahrhunderts, so der Ex-Grünenpolitiker und langjährige frühere Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, der heute das "Zentrum liberale Moderne" (Libmod) leitet.
"Das ist der Schlüssel dafür, wenn man tatsächlich die politische Hegemonie gewinnen will", sagt er über das Modernisierungsprogramm.
Zu der Verantwortung der grünen Kanzlerkandidatin für diese Lage sagt Fücks: "Ich glaube nicht, dass man Annalena Baerbock verantwortlich machen kann, wenn die Grünen hinter ihren Erwartungen zurückbleiben."
Korrigierende Kraft oder Regierungspartei
Es sei die "Gretchenfrage", ob man die Grünen eher als korrigierende Kraft sehe oder als eine Partei, der man die Führung der Republik anvertraue. In Baden-Württemberg sei es gelungen, dass die Grünen den Sprung zur Volkspartei geschafft hätten. Dort traue man der Partei zu, das Land durch eine Umbruchsituation vor allem mit der Automobilindustrie zu steuern.
"Darauf kommt es ganz entscheidend an, ob man den Grünen zutraut, nicht nur engagiert für Klimaschutz einzutreten, sondern das in ein Modernisierungsprogramm für unsere Ökonomie zu verwandeln - wirklich Ökologie und Ökonomie unter einen Hut zu bringen", so Fücks. Das mache vermutlich den Unterschied zwischen 16 und 22 Prozent Wahlergebnis bei der Bundestagswahl aus.
Starke Rolle in künftiger Regierung
"Die Grünen werden voraussichtlich in jeder künftigen Koalition doch eine starke Rolle spielen", sagt Fücks. Insofern müsse man die Erwartungen jetzt nicht gänzlich abschreiben. Das gelte vor allem für die Klimapolitik. Er glaube, dass die nächste Regierung ein Klimapaket beschließen werde, wie es noch nicht da gewesen sei. Das gelte auch für die Einwanderungspolitik, Bildung und Chancengerechtigkeit.
Diese Themen würden die Grünen ebenfalls stärker nach vorne bringen, auch falls sie nicht ins Kanzleramt einziehen sollten.
Die Bundesrepublik befinde sich historisch an einem Punkt, an dem die Zeit für einen wirklichen Politikwechsel reif sei - und für einen Generationenwechsel, so Fücks. "Vor allem raus aus dieser Behäbigkeit und dem 'Weiter so' der letzten acht Jahre."
Dafür seien angesichts von Klimawandel, Digitalisierung und internationalen Umbrüchen die Herausforderungen zu groß.
"Zeitreise rückwärts" mit Laschet und Scholz
Außerdem habe sich die deutsche Gesellschaft in den vergangenen Jahren sehr verändert. Deshalb sei es eigentlich keine leere Hoffnung gewesen, dass diese Bundestagswahl künftig eine Zäsur darstellen würde. "Im Moment sieht es tatsächlich nicht so aus, jetzt haben wir eher wieder eine bipolare Situation."
Die Wahl zwischen Armin Laschet oder Olaf Scholz wirke wie eine "Zeitreise rückwärts", so der Publizist. "Mal sehen, ob es den Grünen nochmal gelingt, in der letzten Woche ganz vorne mitzuspielen."