Der Kampf um die bezahlbare Heimatscholle
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Auf Hiddensee gibt es Ärger: Wie das berühmte gallische Dorf wehrt sich ein kleines Örtchen gegen rasant gestiegene Grundstückpreise und die Begehrlichkeiten der Hansestadt Stralsund, der das Land rund um die Eigenheime der Bewohner gehört.
Am 28. Januar in Stralsund beim Neujahrsempfang für die Lokaljournalisten. Zur Begrüßung erläutert der Oberbürgermeister die nächsten Bauvorhaben: 30 Millionen Euro für Schulen, 30 Millionen für Kaimauer, Strand und neue Seebrücke. Die Unesco-Weltkulturerbestadt am Strelasund will klotzen, nicht kleckern.
Auch deshalb könne er nicht einfach auf Geld verzichten, das der Stadt zusteht, erzählt Alexander Badrow später im Interview und bezieht das auch auf Stralsunds Grundstückserlöse auf der benachbarten Insel Hiddensee. Zugleich wolle er endlich den erbitterten Streit mit knapp hundert Familien im südlichsten Inselort Neuendorf befrieden. Doch der Reihe nach.
"Ja, diese wunderschöne Insel Hiddensee! Wenn man die noch nicht besucht hat, darf ich ausdrücklich sagen: Es gibt ja keinen Autoverkehr. Für mich ist das eine der schönsten Inseln, die es überhaupt auf der Welt gibt."
Konflikt seit 300 Jahren
So schwärmt der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern über das langgetreckte Eiland, dessen Form einem Seepferdchen gleicht. Doch als Till Backhaus vorigen Oktober zum Landeserntedankfest nach Hiddensee schippert und im Hafen von Neuendorf von der Fähre geht, ist die Idylle leicht gestört.
Mit lauten Sprechchören begrüßen ihn vierzig, fünfzig Mitglieder einer Bürgerinitiative "Grundstücksfragen e.V.". Auf ihren grellgrünen Signalwesten prangen Sprüche wie "Schluss mit den Stralsunder Machenschaften! Wir lassen uns nicht vertreiben!" Der SPD-Minister? Verständnisvoll.
"Wir haben hier seit gefühlten 300 Jahren einen Konflikt", erläutert Backhaus. "Diese Einwohner haben in Neuendorf Grund und Boden direkt unter ihrem Haus erworben, und das, was um das Haus herum ist, das gehört ihnen nicht und sie haben den Wunsch, es zu erwerben. Nun sind die Grundstückspreise aber so hoch gestiegen seit der Wende – von 40 Euro pro Quadratmeter Mitte der 90er-Jahre auf bis zu 600 Euro pro Quadratmeter. Da kann man sich vorstellen, dass die Menschen sagen, die in der DDR großgeworden sind oder dort seit Generationen leben: 'Also für 600 Euro – das können wir nicht!'"
Mit der Wiedervereinigung begann der Ärger
Die fraglichen Flächen gehören je zur Hälfte der Gemeinde Hiddensee und der Hansestadt Stralsund. Letztere war als Rechtsnachfolgerin eines alten Klosters Großgrundbesitzerin geworden.* 7000 Hektar Land um Stralsund, auf Rügen und auf Hiddensee nennt sie ihr Eigen – darunter auch jene Wiesen, auf denen die Neuendorfer ihre Häuser bauten.
Zu DDR-Zeiten unproblematisch: Die Neuendorfer – zumeist Fischer- oder Handwerkerfamilien –dürfen über diese Grundstücke gehen und Gärten anlegen zu einem lächerlichen Pachtzins, der sich nie erhöht. Mit der Wiedervereinigung 1990 beginnt der Ärger. Nun endlich wollen und dürfen viele Hiddenseer die Grundstücke zu ihren Häusern kaufen.
Nicht so in Neuendorf. Die meisten Einwohner dort erwerben nur den Grund direkt unter ihren Häusern. Die angrenzenden Flächen nutzen sie wie gewohnt weiter und überweisen der Stadt Stralsund dafür zweistellige Cent-Beträge als Pacht pro Quadratmeter. "Manche zahlten gar nichts", erinnert sich OB Alexander Badrow.
"Also die Idee vieler Hiddenseer waren eben: 'Na ja, das ist halt ’ne Fläche, die kann jeder nutzen und wir gehen da halt drüber wie andere auch. Das steht natürlich im Widerspruch zu dem, was in Deutschland als Recht gilt."
Auch die Ministerpräsidentin reiste an
2008 zum Oberbürgermeister von Stralsund gewählt, macht sich der CDU-Mann bei den Neuendorfern rasch unbeliebt. Zunächst steigt die Jahrespacht von durchschnittlich 26 Cent auf 3,20 Euro pro Quadratmeter. Das ist für die 1A-Toplage immer noch sehr moderat. Doch die bekanntermaßen störrischen Neuendorfer gehen auf die Barrikaden, und Stralsund vor Gericht.
"Wir waren dann ehrlicherweise ein bisschen enttäuscht, dass es dann über zehn Jahre gedauert hat, ehe man mal so einen richtungweisenden Spruch hatte. Der ist dann auch zugunsten der Hansestadt Stralsund ausgefallen. Jetzt ist natürlich die Situation da, dass wir rückwirkend zwar die Gelder kriegen. Aber es stellt sich natürlich trotzdem die Frage nach der Zukunft, die gelöst werden muss."
Auch Ministerpräsidentin Manuela Schwesig reist vorigen Oktober zum Landeserntedankfest nach Hiddensee, ihrem Lieblingsurlaubsort. Die Neuendorfer "Interessengemeinschaft Grundstücksfragen e.V." spricht sie vor laufenden Fernsehkameras auf die ihrer Meinung nach "menschenunwürdiger" Pachterhöhung an. Doch Enttäuschung beim 72-jährigen Dachdeckermeister Günter Siebler:
"Wir müssen das immer alles aushalten und ich habe schon zweimal viereinhalbtausend Euro bezahlt. Wie lange soll ich’s denn noch machen, rückwirkend? Es geht nicht. Und wenn eine Landesregierung nicht Wucher von normalen Preisen unterscheiden kann, tut’s mir ganz furchtbar leid. Also ich hab’ zwar vorhin mit der Frau Schwesig ganz vernünftig gesprochen. Aber wenn sie sagt, als Ministerpräsident kann sie den Bürgermeister von Stralsund nicht in die Schranken weisen, dann frage ich mich ganz besorgt: Wozu wählen wir denn unsere Vertreter? Ich mein’, wir wollen keine Diktatur oder was. Aber wir wollen Fairness. Fairness in aller Form!"
Den Neuendorfer recht - den Stralsunder zu billig
Siegfried Siebler, der Vereinsvorsitzende, ergänzt: "Es geht da drum, dass wir die Gartenflächen um unsere Häuser – da sprechen wir von einem Grundstück bis circa 500 Quadratmeter – die möchten wir gerne erwerben für 80 Euro, damit wir jetzt endlich mal Ruhe bekommen und nicht immer Angst haben müssen vor ständigen Erhöhungen."
500 Quadratmeter in 1A-Lage mal 80 Euro – das macht 40.000 Euro. Doch was für die Neuendorfer nur recht klingt, ist für Stralsund deutlich zu billig. Zwar habe er im Blick, dass die meisten Neuendorfer die auf Hiddensee mittlerweile marktüblichen Grundstückspreise niemals aufbringen könnten, sagt Oberbürgermeister Badrow.
"Ich will, dass die Leute sich das weiter leisten können. Dass sie nie ihren Kindern sagen müssen: 'Pass auf! War ’ne schöne Zeit. Aber wenn du nicht 20 Millionen auf dem Konto hast, wird das hier nichts mehr mit unserem Haus.'"
Doch 80 Euro pro Quadratmeter auf Hiddensee? Ein unakzeptabler Schleuderpreis. "Ich habe natürlich Pflichten erstens gegenüber meinen Stralsunderinnen und Stralsundern, dass ich ihr Vermögen verwalte", sagt Badrow. "Das Innenministerium guckt da ganz genau hin – das müssen die auch. Also wir dürfen nichts irgendwem unter Wert begründungsfrei geben. Das können wir rechtlich nicht, und wir können es allerdings auch keinem Stralsunder erklären, der Pachten bezahlt oder ein Grundstück kauft, dass es anderswo anders läuft."
Kompromissvorschlag vom Landwirtschaftsminister
Voriges Jahr schaltet sich Landwirtschaftsminister Till Backhaus ein. Als sein "Weihnachtsgeschenk" präsentiert er im Dezember folgenden Kompromiss: Von dem schon moderat angesetzten Marktwert von 220 Euro pro Quadratmeter zahlen die Neuendorfer nur die Hälfte. Ebenfalls für 110 Euro pro Quadratmeter kauft das Landwirtschaftsministerium von Mecklenburg-Vorpommern die übrigbleibenden Flickenflächen. Alle Grundstücksverkäufe zusammen würden der Stadt Stralsund freilich nur die Hälfte der erzielbaren acht Millionen Euro einbringen und die strenge Kommunalaufsicht aus dem Innenministerium auf den Plan rufen.
Zum Ausgleich gestattet die Gemeinde Hiddensee der Hansestadt, einige ihrer Grundstücke auf der Insel als Bauland zu vermarkten. Und zwar meistbietend. Wichtig auch: Die Insulaner beziehungsweise deren Erben müssen die Stadt Stralsund am Gewinn beteiligen, falls sie ihr nun so günstig erworbenes Gesamtgrundstück auf dem freien Markt versilbern. Die Stralsunder Bürgerschaft signalisiert Zustimmung, was Vermittler Till Backhaus (SPD) freut.
Die Neuendorfer halten sich bedeckt
"Die Politik hat jetzt geliefert", sagt er. "Jetzt liegt es an den Hiddenseern. Nimmt man den Spatz in der Hand oder versucht man noch andere Dinge zu entwickeln mit der Taube auf dem Dach? Da wissen wir, wie sowas manchmal ausgeht. Also: Jetzt sind die Hiddenseer am Zuge."
Die Neuendorfer Interessengemeinschaft Grundstücksfragen e.V. lehnt derzeit Interviews ab. Kein Wunder: Ihre interne Diskussion über das Angebot ist delikat, denn jeder der 95 Einzelfälle liegt anders. Die Interessen sind verschieden. Doch niemand darf ausscheren, sonst platzt der Deal.
*Wir haben die Angaben über die Besitzverhältnisse bei den im Beitrag genannten Grundstücken präzisiert.