Gruseliges Seelentheater
Gabriele Wohmann gilt als Meisterin der deutschen Kurzgeschichte. In ihrem neuen Erzählungsband analysiert sie mit kristallklarem Blick die moralische Mickrigkeit und kleinteilige Borniertheit ihrer Figuren, deren Alltag mit quälender Langeweile angefüllt ist.
Vielleicht sei sie ja wirklich eine "Graphomanin". Denn das Schreiben verschafft der 1932 in Darmstadt geborenen Gabriele Wohmann nach eigener Aussage eine "Art psychosomatische Befriedigung". 1958 debütierte sie mit dem Erzählungsband "Mit einem Messer" und gilt seitdem, obwohl sie sich in allen Genres mühelos bewegt, als Meisterin der deutschen Kurzgeschichte.
Eine Gattung, die nach 1945 für einen literarischen Neubeginn stand und ästhetische Impulse vor allem aus der amerikanischen Short Story bekam. Dass sie für Wohmann bis heute eine ideale literarische Form darstellt, um konzentriert und mit hohem Tempo erzählen zu können, beweisen erneut die 18 Erzählungen des Bandes "Wann kommt die Liebe".
Im Zentrum steht die Lebensart deutscher Wohnstubeninsassen, die das Monströse in sich kultivieren. Einmal losgelassen, können sie ihr unheilvolles Tun selbst nicht mehr stoppen. An winzigen Details entzündet sich die Katastrophe: an einem Salatblatt, einer Haarfrisur oder dem Blick des Nachbarn.
Berthilda Escher in "Die Feindin" klaut, wo sie geht und steht. Doch sie ist keine Kleptomanin im herkömmlichen Sinn. Schuld an ihren unheilvollen Entgleisungen ist eine abgrundtiefe Geistesabwesenheit, von der sie sich getrieben fühlt.
Souverän und mit sarkastischem Unterton seziert Wohmann in "Sumpfzypressen" eine in die Jahre gekommene Ehe beim Essen. Dass etwas mit dem Salat nicht stimmt, den die Frau angerichtet hat, liest sich als raffinierte Verschiebetechnik, um den gebremsten Wahnsinn, der diese Ehe aufrechterhält, bloßzulegen. Von Wohmanns gnadenloser Bestandsaufnahme bleiben auch junge Paare nicht verschont. Frank liebt die wenig attraktive Marja wie "Humus", in dem er wurzelt und sich stärkt, während in seinem Geäst verbotene Vögel nisten.
Auffällig ist, dass in den Erzählungen das Essen eine enorme Rolle spielt, wobei aus der existenziellen Notwendigkeit ein entlarvendes Ritual wird. Während in "Pasta Tonnato" die heiß ersehnte Speise aus Eifersucht im Müll landet, wird in "Der Gärtner" dem unerwarteten Besuch nur widerwillig das "Lieblingssaisongebäck" geopfert. Angesichts solch kulinarischer Rachefeldzüge stellt sich Erleichterung ein, wenn endlich ein Joint geraucht oder nach der Whiskyflasche gegriffen wird.
Mit kristallklarem Blick analysiert Wohmann die moralische Mickrigkeit und kleinteilige Borniertheit ihrer Figuren, deren Alltag inhaltsleer, aber mit quälender Langeweile angefüllt ist. Die Langeweile erweist sich überhaupt als ein Leitmotiv, das sich wie eine klebrige Masse über alle Erzählungen ergießt.
Chapeau, mit welcher Sprachkraft Gabriele Wohmann das vor fünf Jahrzehnten entfachte gruselige Seelentheater noch immer zu inszenieren versteht.
Besprochen von Carola Wiemers
Gabriele Wohmann: Wann kommt die Liebe, Erzählungen
Aufbau Verlag, Berlin 2010
203 Seiten, 19,95 Euro
Eine Gattung, die nach 1945 für einen literarischen Neubeginn stand und ästhetische Impulse vor allem aus der amerikanischen Short Story bekam. Dass sie für Wohmann bis heute eine ideale literarische Form darstellt, um konzentriert und mit hohem Tempo erzählen zu können, beweisen erneut die 18 Erzählungen des Bandes "Wann kommt die Liebe".
Im Zentrum steht die Lebensart deutscher Wohnstubeninsassen, die das Monströse in sich kultivieren. Einmal losgelassen, können sie ihr unheilvolles Tun selbst nicht mehr stoppen. An winzigen Details entzündet sich die Katastrophe: an einem Salatblatt, einer Haarfrisur oder dem Blick des Nachbarn.
Berthilda Escher in "Die Feindin" klaut, wo sie geht und steht. Doch sie ist keine Kleptomanin im herkömmlichen Sinn. Schuld an ihren unheilvollen Entgleisungen ist eine abgrundtiefe Geistesabwesenheit, von der sie sich getrieben fühlt.
Souverän und mit sarkastischem Unterton seziert Wohmann in "Sumpfzypressen" eine in die Jahre gekommene Ehe beim Essen. Dass etwas mit dem Salat nicht stimmt, den die Frau angerichtet hat, liest sich als raffinierte Verschiebetechnik, um den gebremsten Wahnsinn, der diese Ehe aufrechterhält, bloßzulegen. Von Wohmanns gnadenloser Bestandsaufnahme bleiben auch junge Paare nicht verschont. Frank liebt die wenig attraktive Marja wie "Humus", in dem er wurzelt und sich stärkt, während in seinem Geäst verbotene Vögel nisten.
Auffällig ist, dass in den Erzählungen das Essen eine enorme Rolle spielt, wobei aus der existenziellen Notwendigkeit ein entlarvendes Ritual wird. Während in "Pasta Tonnato" die heiß ersehnte Speise aus Eifersucht im Müll landet, wird in "Der Gärtner" dem unerwarteten Besuch nur widerwillig das "Lieblingssaisongebäck" geopfert. Angesichts solch kulinarischer Rachefeldzüge stellt sich Erleichterung ein, wenn endlich ein Joint geraucht oder nach der Whiskyflasche gegriffen wird.
Mit kristallklarem Blick analysiert Wohmann die moralische Mickrigkeit und kleinteilige Borniertheit ihrer Figuren, deren Alltag inhaltsleer, aber mit quälender Langeweile angefüllt ist. Die Langeweile erweist sich überhaupt als ein Leitmotiv, das sich wie eine klebrige Masse über alle Erzählungen ergießt.
Chapeau, mit welcher Sprachkraft Gabriele Wohmann das vor fünf Jahrzehnten entfachte gruselige Seelentheater noch immer zu inszenieren versteht.
Besprochen von Carola Wiemers
Gabriele Wohmann: Wann kommt die Liebe, Erzählungen
Aufbau Verlag, Berlin 2010
203 Seiten, 19,95 Euro