Gu Byeong-mo: "Frau mit Messer"
© Ullstein
Mord im Raubtierkapitalismus
03:48 Minuten
Gu Byeong-mo
Übersetzt von Wibke Kuhn
Frau mit MesserUllstein, Berlin 2022286 Seiten
22,99 Euro
Global nicht mehr wettbewerbsfähig: Die koreanische Schriftstellerin Gu Byeong-mo erzählt in ihrem Thriller "Frau mit Messer" von der beruflichen Krise einer in die Jahre gekommenen Auftragsmörderin.
Allein die Tatsache, dass Hornclaw das stolze Alter von 65 Jahren erreicht hat, spricht dafür, dass sie einen außergewöhnlich guten Job macht. Die ausschließlich unter ihrem Decknamen bekannte Protagonistin in Gu Byeong-mos erstem ins Deutsche übersetzten Roman „Frau mit Messer“ ist seit gut vierzig Jahren in der Schädlingsbekämpfungsbranche beschäftigt. So lautet zumindest die Eigenbezeichnung.
Wenn die Gelenke knacken
Mit anderen Worten: Sie ist eine Auftragsmörderin. Eine ziemlich gute sogar, aber mit zunehmendem Alter beginnen doch die Gelenke zu knacken. Die Reflexe werden langsamer, die Blicke auf ihre Mitmenschen weicher. Dass sie sich dagegen all die Jahre gesperrt, sich Freude, Genuss und Muße vorenthalten hat, ist ihre déformation professionelle. Doch ausgerechnet als sie beginnt, sich mit dem Gedanken an ein neues Leben anzufreunden, scheint es wie in einem ironischen Treppenwitz des Schicksals noch einmal ein Unbekannter ernsthaft auf Hornclaw abgesehen zu haben.
Die Killermaschine läuft nicht mehr rund
Es fließt nicht wenig Blut in „Frau mit Messer“, aber dass die Autorin die Gewalt überstilisiert und damit das Dasein als Auftragsmörderin romantisiert, lässt sich ihr nicht vorwerfen. Vielmehr lenkt sie den Fokus auf die logistischen Aspekte der Arbeit, die in den meisten Einträgen des Genres unterbelichtet bleiben. Auf die körperlichen Folgen der Einsätze, insbesondere auf Körper, die nicht der landläufigen Vorstellung einer perfekt ausgebildeten Killermaschine entsprechen.
Bürojob mit Schusswaffengebrauch?
Gu Byeong-mo thematisiert den Wettbewerb in der Branche, deren Agenturen gezwungen sind, einander unentwegt im Preis zu unterbieten. Sie beschreibt, wie der technische Fortschritt, die Globalisierung im Allgemeinen und der Raubtierkapitalismus ostasiatischer Ausprägung im Speziellen sich auch auf diesen Job auswirken.
Hornclaw hat all diese Entwicklungen am eigenen Leib erlebt. Die Umstellung auf platzsparende, diskrete Messer beispielsweise, weil Schusswaffen in den dichten Megacitys schlicht zu viel Aufmerksamkeit erregen. Ihr Broterwerb kommt einem bald so normal, so wie jeder beliebige Bürojob auch von profanen Ärgernissen durchsetzt vor, dass es einen direkt ins moralische Dilemma stürzt: Wofür verurteilen wir Hornclaw eigentlich noch?
Wider den Jugendwahn
Dass die alte Frau jenseits aller werberelevanten Zielgruppen chronisch übersehen und unterschätzt wird, verschafft ihr im Alltag einen bedeutenden Vorteil. Aber Hornclaw hegt dennoch einen Groll gegen diese von Jugend, von Schönheit und Erfolg besessene Gesellschaft, die ihr nicht einmal aus den richtigen Gründen mit einer Mischung aus Ignoranz und Verachtung begegnet. Eben nicht, weil sie für Geld Menschen umlegt, sondern schlicht, weil sie auf der Straße als Angehörige einer Generation zu erkennen ist, die ihre Zeit längst hinter sich hat.
Kriminalroman mit Generationenkonflikt
Hornclaw sieht, wie die großen Supermarktketten alteingesessene Marktverkäufer verdrängen, wie die Alten im Stadtbild räumlich isoliert bleiben, wie gerade Frauen in der Unsichtbarkeit verschwinden, wenn für sie nichts mehr bleibt, als sich um ihre Enkel zu kümmern. Ihr Blick auf die Welt, ihr beständig zwischen erschöpfter Resignation und Zynismus pendelnder Tonfall sind ein Ausdruck tief sitzenden Selbsthasses angesichts der Erkenntnis, dass ihre eigene Generation über Jahrzehnte unermüdlich an der Aufrechterhaltung dieses Status quo gearbeitet hat.