Guantanamo als Kammerspiel
In seinem neuen Film zeichnet Regisseur Stefan Schaller Murat Kurnaz' Leben und Überleben im US-Gefangenenlager Guantanamo nach. Die Geschichte hat ihn nicht mehr losgelassen - und er entdeckte auch Parallelen zwischen sich und Kurnaz.
Liane von Billerbeck: 1725 Tage lang wurde der Bremer Murat Kurnaz im US-Lager Camp Delta Four Guantanamo festgehalten, fünf Jahre lang. Er wurde gefoltert, schikaniert, musste unter unmenschlichsten Bedingungen überleben, weil er mit den Terroranschlägen auf die USA vom 11. September 2001 in Zusammenhang gebracht wurde. Den Filmemacher Stefan Schaller hat diese Geschichte nicht mehr losgelassen, schließlich hat er einen Film über Kurnaz und sein Martyrium in Guantanamo gedreht, der am Donnerstag in die Kinos kommt. "5 Jahre Leben" heißt er, und er geht einem an die Nieren, dieser Film. Herr Schaller, herzlich willkommen!
Stefan Schaller: Hallo!
von Billerbeck: Was war es, das Ihr Interesse an Murat Kurnaz und dessen Schicksal ausgelöst hat?
Schaller: Zum einen war das schon die Zeit nach dem 11. September, wo ich gemerkt habe, wie sich unsere Gesellschaft verändert, wie der Terrorismus auf einmal Ängste schürt und wie irgendwie Gesetze geändert werden können und wie auf einmal der Kampf dagegen geführt wird, was das für Auswirkungen hat. Und das hat mir irgendwo auch Angst gemacht, dass man irgendwie da zu weit geht. Und dann habe ich eben in den Medien ganz am Anfang schon gelesen von dem sogenannten Bremer Taliban und hab dessen Geburtsjahr gesehen und hab gemerkt, wir sind der gleiche Jahrgang. Und dann hat mich das, wo mich diese Zeit so indirekt irgendwie beschäftigt hat und ganz viel gelesen hab und mich politisch versucht hab zu engagieren, hab ich gemerkt, da ist jemand so direkt betroffen und involviert und konnte es erst mal überhaupt gar nicht fassen, dass da nicht mehr an die Außenwelt dringt und dass dem Menschen nicht irgendwie ein ordentliches Verfahren gemacht wird. Und je mehr ich halt erfahren habe und dann auch später den Anwalt von Murat getroffen habe, habe ich schon schnell gemerkt, dass das eigentlich ein ganz großes Unrecht ist, abgesehen davon, dass das natürlich so oder so für mich nicht zulässig ist, in Rechtsstaaten irgendwie Folter anzuwenden, und ich auch nicht glaube, dass das effektiv sein kann. Ja, und so ist dieses Interesse langsam mehr und mehr eigentlich gewachsen.
von Billerbeck: Nun haben Sie Kurnaz’ Buch gelesen, seine Aufzeichnungen gehört und Reportagen gesehen und sich sicher ein Bild gemacht. Wie war es denn, als Sie ihm dann selbst begegnet sind – war er so, wie Sie ihn sich vorgestellt haben?
Schaller: Natürlich macht man sich irgendwelche Bilder und hört die Stimme auf Tonbandaufzeichnungen und guckt ihn sich an in der Presse. Da war schon …So viel hatte ich über den gekannt, dass das einen erst mal – als ich ihn persönlich vor mir sitzen hab – so eine positive Banalität hatte. Also ich war ganz beeindruckt von dem Humor, den er auch hatte, und von der Klarheit und von dem, wie er dem Leben gegenüber eingestellt war, dass er irgendwie so seinen Alltag wieder sucht und findet und geheiratet hat. Und da konnte ich das nicht so gleich fassen, dass das jetzt derselbe Mensch ist, den man so irgendwie über Jahre lang verfolgt.
von Billerbeck: Sie haben es ja gesagt, Sie sind der gleiche Jahrgang, 1982, und Sie sind einander nahegekommen. Aber haben Sie richtig so einen Draht zueinander gefunden? Es ist ja doch eine sehr unterschiedliche Sozialisation, die Sie beide hatten.
Schaller: Ja, wir haben eine unterschiedliche Sozialisation, aber das ist dann doch erstaunlich, dass man dieselbe Musik kennt, mit der man irgendwo aufgewachsen ist, und irgendwie ähnliche Geschichten aus der Jugend in den 90ern so erlebt hat. Und trotz unterschiedlicher Sozialisation – gut, ich komme aus München, meine Eltern sind nicht Migranten sozusagen, ich bin Deutscher und er ist irgendwie türkischer Abstammung, aber trotzdem gab es da total viele Schnittmengen. Und das hat es dann schon erst mal leichter gemacht, so zu reden. Also da war nicht ein Distanz da, sondern da konnte ich ganz viel aus seiner Jugend, was in Bremen passiert ist, was ihn geprägt hat und warum er auch gläubig werden wollte, total nachvollziehen. Bei so gewissen Sachen konnten wir uns dann einfach sehr, sehr schnell verständigen.
von Billerbeck: Nun wurde immer gesagt, dass Murat Kurnaz dieses Martyrium Guantanamo gut überstanden hat, was immer das bedeutet – er hat inzwischen geheiratet, hat zwei kleine Kinder. Wie schätzen Sie das ein? Ist er tatsächlich zurück im richtigen Leben?
Schaller: Auf der einen Seite ja, auf der anderen Seite gab es von den verantwortlichen Personen nie eine offizielle Entschuldigung, und durch auch die damalige Berichterstattung hängt natürlich über der Person schon immer noch so ein Gesinnungsverdacht, nenne ich das jetzt mal, dass er doch vielleicht ein Terrorist gewesen wäre. Wie gesagt, für mich ist das absolut zu trennen von der Behandlung in Guantanamo, unabhängig von schuldig oder nicht. Im Falle von Murat Kurnaz gibt es einfach keinen einzigen Beweis, und der Mensch lebt im Alltag hier, geht mit seiner Geschichte positiv um, trägt sie weiter, macht Vorträge, aber in gewissem Maße gibt es natürlich trotzdem da in der Öffentlichkeit immer noch Vorbehalte ihm gegenüber, und das macht mich zu gewissen Teilen irgendwie traurig. Und was jetzt so die Haftzeit angeht, vonseiten von Murat: Ich bin da jedes Mal wieder erstaunt, wie er das verarbeitet hat. Und er hat so eine enorme Stärke, und dem war das eben wichtig, da heil rauszukommen und vor allem aber nicht was zu gestehen, was er nie getan hat. Und was der dafür in Kauf nehmen musste, ist unglaublich. Und der hat sein Leben nicht aufgegeben, also der hat einfach versucht, in Kleinigkeiten, so wie ich das aus den Geschichten immer mitbekommen habe, das Positive zu ziehen. Er hat sich irgendwie mit Tieren auseinandergesetzt, hat Sprachen gelernt, und er ist jetzt jemand, auch jetzt, der nicht so sehr zurückblickt. Also da bin ich teilweise so und hadere mit Entscheidungen in meiner Vergangenheit, und da ist jemand, der sagt: Ja, kann ich nichts mehr machen, die fünf Jahre sind weg, ich guck nach vorne. Und so hat er relativ klar auch in der Haft irgendwie versucht, die Dinge zu überstehen, und hat sich von Tag zu Tag irgendwie nach vorne gekämpft. Und das ist schon eine, glaube ich, Persönlichkeitscharaktereigenschaft, die sehr eigen bei ihm ist. Ich glaube, ganz bis zum Ende kann man es nie ergründen, wie jemand das schafft zu überstehen.
von Billerbeck: Stefan Schaller ist mein Gast, Regisseur des Films "5 Jahre Leben" über Murat Kurnaz, der jetzt in die Kinos kommt. Sie haben sich ja bei Ihrem Film für eine Art Kammerspiel entschieden – zwei Personen im Wesentlichen, die sich gegenüberstehen: Murnat Kurnaz und sein US-Verhörspezialist, Gail Holford. Der eine, der alle Register zieht, um diesen bärtigen Mann im Overall zu einem Geständnis zu bringen und dessen Verbringung nach Guantanamo wenigstens nachträglich zu legitimieren, und auf der anderen Seite jener schweigende, bärtige Mann, der irgendwann begreift, dass er nichts mehr zu verlieren hat und mit seinen Mitteln, wie zum Beispiel mit einem Hungerstreik, dagegenhält. War Ihnen relativ schnell klar, dass Sie dieses Kammerspiel wollten, diese zwei Personen, die sich da gegenüberstehen?
Schaller: Nee, das war mir nicht von Anfang an klar. Also ich war nur immer fasziniert von dieser Geschichte und hab dann schon versucht, Formen zu finden, wie man das erzählen kann. Mich hat auf der einen Seite wahnsinnig diese politische Dimension interessiert, und ich wollte eigentlich auch unbedingt diese Beteiligung der deutschen Seite mal offenlegen und zeigen, was da auch falsch gelaufen ist. Mir wurde dann aber klar, wenn ich einen Film aus Murats Sicht erzählen will, dann kann ich diese Seite nur anreißen, und das wollte ich nicht. Und ich hab dann mich eben klar für Murats Sicht entschieden und so radikal wie möglich diesen Prozess, wie überstehe ich das, auch mit einem positiven Ausblick versucht zu erzählen. Und im Drehbuchprozess hat dann eine gute Freundin von mir, auch eine Autorin, die Juli Zeh, die kennen Sie ja bestimmt, die hat mich dann beraten und hat immer gesagt: Stefan, alles, was mich an deinen Ansätzen so fasziniert, sind immer diese sprachlichen Sachen, auch da, wo Murat selber über die Folter spricht, und dieses intime Spiel, und versuch das doch mal zu verstärken. Und da ist es dann so langsam gewachsen, dass ich gemerkt habe, wenn ich ohne rein Gewalt immer zu zeigen oder artifiziell aufzubereiten, ganz dokumentarisch, was mich nicht so interessiert hätte, einfach einen Bericht zu liefern, so ein Gefühl dem Zuschauer geben will, was das heißt, was der durchmacht und wie er das übersteht, da hilft uns eben dieser Antagonist des Vernehmers, das Komprimieren auf eine Person und dieses intime Spiel der zwei. So ist das dann langsam in diese Richtung mehr und mehr entstanden.
von Billerbeck: Trotzdem sieht man in dem Film natürlich was von Folter, und es ist manchmal schwer auszuhalten, selbst wenn man eine ganze Menge darüber weiß. Es war ja sicher nicht so schwer, über Murat Kurnaz zu recherchieren, aber vermutlich noch viel schwerer rauszukriegen, was die US-amerikanische Seite da so gesammelt hat. Wie sind Sie denn an Informationen darüber gekommen, oder welche Informationen hatten Sie da?
Schaller: Ja, also grundsätzlich schwierig. Ich hab natürlich auch mal ans Verteidigungsministerium geschrieben und gefragt, kann ich mal da durchlaufen, durch Guantanamo …
von Billerbeck: Haben Sie eine Antwort bekommen?
Schaller: Nee, hab keine Antwort bekommen. Da dürfen ja auch gewisse Journalisten nur hin, und die dürfen dann auch nur gewisse Sachen sehen, zumal jetzt Guantanamo auch anders funktioniert als damals. Ich hab viel in den Medien gelesen, ich hab Bücher gelesen über die Entstehung, vor allem vom Lager, und hab versucht, Informationen oder Berichte zu lesen über Vernehmer allgemein, die in Geheimgefängnissen beschäftigt waren, auch in den Lagern in Bagram oder in Abu-Ghuraib im Irak oder in Kandahar, Afghanistan. Und so habe ich dann mehr und mehr versucht, ein Bild irgendwie rauszufiltern, was sich dann auch eben wie gesagt in den Recherchen bestätigt hat, dass es ganz vermehrt in gewissen Fällen – und so auch im Fall von Murat – um Informationsgewinnung nicht mehr ging, ist er ein Terrorist, weil es war klar, er hat nichts ausgeübt, sondern mehr und mehr, um diese Haft auch zu rechtfertigen, und mit welchen Mitteln diese Leute dann arbeiten. Der Film bietet da nur einen kleinen Ausschnitt aus den Möglichkeiten solcher Vernehmer sozusagen, aber das haben wir dann schon auch mit dem Schauspieler genau versucht zu recherchieren. Das sind, ja, Manipulationsspiele, die man sich eben … die versuchen, den Gefangenen zu brechen. So ging es dann so ein bisschen mehr, natürlich nie so direkt wie mit Murat Kurnaz, wo ich direkt wissen konnte, was ihn wo bewegt hat. Aber andererseits war da auch dann dadurch eine andere Freiheit noch mal. Also durch Murat war schon immer … da ist eine wirkliche Person, so ganz, ganz frei erfunden kann ich das nicht machen so, ich muss daran halten, und wie gesagt, das ist ja ein authentischer Film, aber wenn ich halt eben eine eigenständige Figur kreiere mit einem völlig freien Namen, wie den Vernehmer, dann hat das schon mal weniger Druck auf einen beim Schreiben.
von Billerbeck: Das heißt ja auch "nach einer wahren Begebenheit". Nun durften Sie nicht in Guantanamo drehen, wo haben Sie denn dieses US-Gefangenenlager namens Delta Camp Four aufgebaut?
Schaller: Also wir hatten ja auch noch am Anfang diese X-Ray-Käfige, die im Freien sind, was uns wichtig war, dass wir echt so eine Karibikatmosphäre vermitteln, und wir hatten das Glück gehabt, dass Studio Babelsberg als Koproduzent eingestiegen ist und wir halt dann mit deren Hilfe diesen Film so erzählen konnten, dass es glaubwürdig als Karibik rüberkommt. Und wir haben das gedreht in Brandenburg tatsächlich, bei Tropical Islands. Da war so eine große Freifläche, und da konnte man dann eben das Lager draußen aufbauen, mit digitalen Effekten und so hat man das dann eben erweitert, und das Innenlager, wie gesagt, war in der Marlene-Dietrich-Halle in Babelsberg.
von Billerbeck: Der Film lebt ja von den beiden Hauptdarstellern, gerade wenn man eben so ein Kammerspiel zeigt – Sascha Alexander Geršak und Ben Miles. Wie aufwendig war denn die Suche, bis Sie die beiden gefunden hatten?
Schaller: Ja, also das war bei beiden schwierig. Wenn man seinen ersten Film macht als Regisseur und nicht den Riesennamen hat, dann ist es schwierig erst mal, bekannt … so Ausländer zu kriegen wie den Vernehmer, einen englischsprachigen oder einen amerikanischen Schauspieler, der gut genug ist. Den aus Deutschland heraus zu finden, ist schwierig genug, und wenn man selber noch ein junger Regisseur ist, schwierig. Da gab’s ganz viele verschiedene Ansätze. Als wir dann klar gesagt haben, wir müssten das so oder so auf Englisch drehen, haben wir in England mit der Lucinda Syson ein Casting gemacht, das ist eine Kollegin der deutschen Casterin – von Simone Bär. Aber das war wirklich dann auch knapp, einen Monat vor Dreh, als das erst feststand, wer das spielen kann. Und bei dem Sascha Geršak war das so, dass der kam in viele Castingrunden bei Simone Bär, und da habe ich auch lange überlegt, weil der ein bisschen anderes Alter hat. Aber ich wollte irgendwie jemanden finden, der diese Physis von Murat rüberbringt, wo dann, wenn jemand im Hungerstreik ist, auch der Unterschied sichtbar wird, was dieser Mensch durchmacht, und trotzdem irgendwie auch noch eine Emotionalität rüberbringen kann. Und da gab es so viele, viele Ansätze, aber letztendlich war der Sascha der, der so … auch beim Casting hat der ganz lange durchgehalten, das war … Eigentlich früh hatten wir ihn schon, und dann hab ich aber mal geguckt, wie lang hält er denn durch, wenn wir die nächste Runde ein bisschen später machen. Und er war da sehr geduldig und alles und hat einfach so eine Charaktereigenschaft auch, dass der nicht so leicht zu knacken ist und zu brechen, und das war so ein bisschen dann die Entscheidung.
von Billerbeck: Der Hauptdarsteller des Murat Kurnaz, der muss ja einiges aushalten im Laufe der Zeit. Er musste extrem abnehmen, weil ja ein Hungerstreik da gemacht wird, und das bleibt ja nicht ohne Auswirkungen, das kann man ja nicht schminken. Also wie haben Sie den darauf vorbereitet? Wie macht man so was, dass jemand so was spielen kann?
Schaller: Also in dem Fall war es klar, dass Sascha einfach hungern muss. Der hat während dem Dreh schon eine Diät gemacht, und dann hatten wir bis zum Ende vom Film eine Unterbrechung gemacht von drei Wochen, und da hat er dann gar nichts gegessen. Also er hat insgesamt wahrscheinlich so 20 Kilo verloren und dann noch mal trainiert, dass es ein bisschen dünner aussieht, mit Baucheinziehen und solchen Sachen. Und das war in dem Fall deswegen wichtig, weil man sich verändert, wenn man in kurzer Zeit so viel abnimmt. Und Murat Kurnaz hat teilweise noch viel mehr abgenommen durch den Hungerstreik, und da musste er da einfach, in Anführungsstrichen, durch. Und es war aber klar, dass da ein Team ist, dass er betreut ist vom Arzt und dass da Leute sind, die ihn auffangen, und dass wir es eben nur nachstellen und nicht wirklich in die Isolationshaft sind und jemandem kein Essen mehr geben.
von Billerbeck: Der Film kommt jetzt in die Kinos. Als ich ihn gesehen habe, habe ich gedacht, okay, im Fernsehen würde ich ihn mir angucken, aber würde ich für so einen Film ins Kino gehen? Das ist ja doch … Es sind harte Szenen, es ist manchmal schwer erträglich, was mit Murat Kurnaz da passiert. Befürchten Sie nicht, dass die Leute das so von sich weghalten wollen?
Schaller: Klar. Also das kann sein, dass jemand das vor sich weghält. Ich glaube, der Film hat trotzdem was, erst mal, weil er das übersteht und weil, wie er das übersteht, irgendwie, da trägt sich eine ganz tiefe menschliche Kraft durch, die für mich total tröstlich war.
von Billerbeck: Stefan Schaller war das, der Regisseur des Films "5 Jahre Leben" über Murat Kurnaz und dessen Jahre in US-Gefangenenlagern. Ab Donnerstag ist er im Kino zu sehen. Danke Ihnen für das Gespräch!
Schaller: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Stefan Schaller: Hallo!
von Billerbeck: Was war es, das Ihr Interesse an Murat Kurnaz und dessen Schicksal ausgelöst hat?
Schaller: Zum einen war das schon die Zeit nach dem 11. September, wo ich gemerkt habe, wie sich unsere Gesellschaft verändert, wie der Terrorismus auf einmal Ängste schürt und wie irgendwie Gesetze geändert werden können und wie auf einmal der Kampf dagegen geführt wird, was das für Auswirkungen hat. Und das hat mir irgendwo auch Angst gemacht, dass man irgendwie da zu weit geht. Und dann habe ich eben in den Medien ganz am Anfang schon gelesen von dem sogenannten Bremer Taliban und hab dessen Geburtsjahr gesehen und hab gemerkt, wir sind der gleiche Jahrgang. Und dann hat mich das, wo mich diese Zeit so indirekt irgendwie beschäftigt hat und ganz viel gelesen hab und mich politisch versucht hab zu engagieren, hab ich gemerkt, da ist jemand so direkt betroffen und involviert und konnte es erst mal überhaupt gar nicht fassen, dass da nicht mehr an die Außenwelt dringt und dass dem Menschen nicht irgendwie ein ordentliches Verfahren gemacht wird. Und je mehr ich halt erfahren habe und dann auch später den Anwalt von Murat getroffen habe, habe ich schon schnell gemerkt, dass das eigentlich ein ganz großes Unrecht ist, abgesehen davon, dass das natürlich so oder so für mich nicht zulässig ist, in Rechtsstaaten irgendwie Folter anzuwenden, und ich auch nicht glaube, dass das effektiv sein kann. Ja, und so ist dieses Interesse langsam mehr und mehr eigentlich gewachsen.
von Billerbeck: Nun haben Sie Kurnaz’ Buch gelesen, seine Aufzeichnungen gehört und Reportagen gesehen und sich sicher ein Bild gemacht. Wie war es denn, als Sie ihm dann selbst begegnet sind – war er so, wie Sie ihn sich vorgestellt haben?
Schaller: Natürlich macht man sich irgendwelche Bilder und hört die Stimme auf Tonbandaufzeichnungen und guckt ihn sich an in der Presse. Da war schon …So viel hatte ich über den gekannt, dass das einen erst mal – als ich ihn persönlich vor mir sitzen hab – so eine positive Banalität hatte. Also ich war ganz beeindruckt von dem Humor, den er auch hatte, und von der Klarheit und von dem, wie er dem Leben gegenüber eingestellt war, dass er irgendwie so seinen Alltag wieder sucht und findet und geheiratet hat. Und da konnte ich das nicht so gleich fassen, dass das jetzt derselbe Mensch ist, den man so irgendwie über Jahre lang verfolgt.
von Billerbeck: Sie haben es ja gesagt, Sie sind der gleiche Jahrgang, 1982, und Sie sind einander nahegekommen. Aber haben Sie richtig so einen Draht zueinander gefunden? Es ist ja doch eine sehr unterschiedliche Sozialisation, die Sie beide hatten.
Schaller: Ja, wir haben eine unterschiedliche Sozialisation, aber das ist dann doch erstaunlich, dass man dieselbe Musik kennt, mit der man irgendwo aufgewachsen ist, und irgendwie ähnliche Geschichten aus der Jugend in den 90ern so erlebt hat. Und trotz unterschiedlicher Sozialisation – gut, ich komme aus München, meine Eltern sind nicht Migranten sozusagen, ich bin Deutscher und er ist irgendwie türkischer Abstammung, aber trotzdem gab es da total viele Schnittmengen. Und das hat es dann schon erst mal leichter gemacht, so zu reden. Also da war nicht ein Distanz da, sondern da konnte ich ganz viel aus seiner Jugend, was in Bremen passiert ist, was ihn geprägt hat und warum er auch gläubig werden wollte, total nachvollziehen. Bei so gewissen Sachen konnten wir uns dann einfach sehr, sehr schnell verständigen.
von Billerbeck: Nun wurde immer gesagt, dass Murat Kurnaz dieses Martyrium Guantanamo gut überstanden hat, was immer das bedeutet – er hat inzwischen geheiratet, hat zwei kleine Kinder. Wie schätzen Sie das ein? Ist er tatsächlich zurück im richtigen Leben?
Schaller: Auf der einen Seite ja, auf der anderen Seite gab es von den verantwortlichen Personen nie eine offizielle Entschuldigung, und durch auch die damalige Berichterstattung hängt natürlich über der Person schon immer noch so ein Gesinnungsverdacht, nenne ich das jetzt mal, dass er doch vielleicht ein Terrorist gewesen wäre. Wie gesagt, für mich ist das absolut zu trennen von der Behandlung in Guantanamo, unabhängig von schuldig oder nicht. Im Falle von Murat Kurnaz gibt es einfach keinen einzigen Beweis, und der Mensch lebt im Alltag hier, geht mit seiner Geschichte positiv um, trägt sie weiter, macht Vorträge, aber in gewissem Maße gibt es natürlich trotzdem da in der Öffentlichkeit immer noch Vorbehalte ihm gegenüber, und das macht mich zu gewissen Teilen irgendwie traurig. Und was jetzt so die Haftzeit angeht, vonseiten von Murat: Ich bin da jedes Mal wieder erstaunt, wie er das verarbeitet hat. Und er hat so eine enorme Stärke, und dem war das eben wichtig, da heil rauszukommen und vor allem aber nicht was zu gestehen, was er nie getan hat. Und was der dafür in Kauf nehmen musste, ist unglaublich. Und der hat sein Leben nicht aufgegeben, also der hat einfach versucht, in Kleinigkeiten, so wie ich das aus den Geschichten immer mitbekommen habe, das Positive zu ziehen. Er hat sich irgendwie mit Tieren auseinandergesetzt, hat Sprachen gelernt, und er ist jetzt jemand, auch jetzt, der nicht so sehr zurückblickt. Also da bin ich teilweise so und hadere mit Entscheidungen in meiner Vergangenheit, und da ist jemand, der sagt: Ja, kann ich nichts mehr machen, die fünf Jahre sind weg, ich guck nach vorne. Und so hat er relativ klar auch in der Haft irgendwie versucht, die Dinge zu überstehen, und hat sich von Tag zu Tag irgendwie nach vorne gekämpft. Und das ist schon eine, glaube ich, Persönlichkeitscharaktereigenschaft, die sehr eigen bei ihm ist. Ich glaube, ganz bis zum Ende kann man es nie ergründen, wie jemand das schafft zu überstehen.
von Billerbeck: Stefan Schaller ist mein Gast, Regisseur des Films "5 Jahre Leben" über Murat Kurnaz, der jetzt in die Kinos kommt. Sie haben sich ja bei Ihrem Film für eine Art Kammerspiel entschieden – zwei Personen im Wesentlichen, die sich gegenüberstehen: Murnat Kurnaz und sein US-Verhörspezialist, Gail Holford. Der eine, der alle Register zieht, um diesen bärtigen Mann im Overall zu einem Geständnis zu bringen und dessen Verbringung nach Guantanamo wenigstens nachträglich zu legitimieren, und auf der anderen Seite jener schweigende, bärtige Mann, der irgendwann begreift, dass er nichts mehr zu verlieren hat und mit seinen Mitteln, wie zum Beispiel mit einem Hungerstreik, dagegenhält. War Ihnen relativ schnell klar, dass Sie dieses Kammerspiel wollten, diese zwei Personen, die sich da gegenüberstehen?
Schaller: Nee, das war mir nicht von Anfang an klar. Also ich war nur immer fasziniert von dieser Geschichte und hab dann schon versucht, Formen zu finden, wie man das erzählen kann. Mich hat auf der einen Seite wahnsinnig diese politische Dimension interessiert, und ich wollte eigentlich auch unbedingt diese Beteiligung der deutschen Seite mal offenlegen und zeigen, was da auch falsch gelaufen ist. Mir wurde dann aber klar, wenn ich einen Film aus Murats Sicht erzählen will, dann kann ich diese Seite nur anreißen, und das wollte ich nicht. Und ich hab dann mich eben klar für Murats Sicht entschieden und so radikal wie möglich diesen Prozess, wie überstehe ich das, auch mit einem positiven Ausblick versucht zu erzählen. Und im Drehbuchprozess hat dann eine gute Freundin von mir, auch eine Autorin, die Juli Zeh, die kennen Sie ja bestimmt, die hat mich dann beraten und hat immer gesagt: Stefan, alles, was mich an deinen Ansätzen so fasziniert, sind immer diese sprachlichen Sachen, auch da, wo Murat selber über die Folter spricht, und dieses intime Spiel, und versuch das doch mal zu verstärken. Und da ist es dann so langsam gewachsen, dass ich gemerkt habe, wenn ich ohne rein Gewalt immer zu zeigen oder artifiziell aufzubereiten, ganz dokumentarisch, was mich nicht so interessiert hätte, einfach einen Bericht zu liefern, so ein Gefühl dem Zuschauer geben will, was das heißt, was der durchmacht und wie er das übersteht, da hilft uns eben dieser Antagonist des Vernehmers, das Komprimieren auf eine Person und dieses intime Spiel der zwei. So ist das dann langsam in diese Richtung mehr und mehr entstanden.
von Billerbeck: Trotzdem sieht man in dem Film natürlich was von Folter, und es ist manchmal schwer auszuhalten, selbst wenn man eine ganze Menge darüber weiß. Es war ja sicher nicht so schwer, über Murat Kurnaz zu recherchieren, aber vermutlich noch viel schwerer rauszukriegen, was die US-amerikanische Seite da so gesammelt hat. Wie sind Sie denn an Informationen darüber gekommen, oder welche Informationen hatten Sie da?
Schaller: Ja, also grundsätzlich schwierig. Ich hab natürlich auch mal ans Verteidigungsministerium geschrieben und gefragt, kann ich mal da durchlaufen, durch Guantanamo …
von Billerbeck: Haben Sie eine Antwort bekommen?
Schaller: Nee, hab keine Antwort bekommen. Da dürfen ja auch gewisse Journalisten nur hin, und die dürfen dann auch nur gewisse Sachen sehen, zumal jetzt Guantanamo auch anders funktioniert als damals. Ich hab viel in den Medien gelesen, ich hab Bücher gelesen über die Entstehung, vor allem vom Lager, und hab versucht, Informationen oder Berichte zu lesen über Vernehmer allgemein, die in Geheimgefängnissen beschäftigt waren, auch in den Lagern in Bagram oder in Abu-Ghuraib im Irak oder in Kandahar, Afghanistan. Und so habe ich dann mehr und mehr versucht, ein Bild irgendwie rauszufiltern, was sich dann auch eben wie gesagt in den Recherchen bestätigt hat, dass es ganz vermehrt in gewissen Fällen – und so auch im Fall von Murat – um Informationsgewinnung nicht mehr ging, ist er ein Terrorist, weil es war klar, er hat nichts ausgeübt, sondern mehr und mehr, um diese Haft auch zu rechtfertigen, und mit welchen Mitteln diese Leute dann arbeiten. Der Film bietet da nur einen kleinen Ausschnitt aus den Möglichkeiten solcher Vernehmer sozusagen, aber das haben wir dann schon auch mit dem Schauspieler genau versucht zu recherchieren. Das sind, ja, Manipulationsspiele, die man sich eben … die versuchen, den Gefangenen zu brechen. So ging es dann so ein bisschen mehr, natürlich nie so direkt wie mit Murat Kurnaz, wo ich direkt wissen konnte, was ihn wo bewegt hat. Aber andererseits war da auch dann dadurch eine andere Freiheit noch mal. Also durch Murat war schon immer … da ist eine wirkliche Person, so ganz, ganz frei erfunden kann ich das nicht machen so, ich muss daran halten, und wie gesagt, das ist ja ein authentischer Film, aber wenn ich halt eben eine eigenständige Figur kreiere mit einem völlig freien Namen, wie den Vernehmer, dann hat das schon mal weniger Druck auf einen beim Schreiben.
von Billerbeck: Das heißt ja auch "nach einer wahren Begebenheit". Nun durften Sie nicht in Guantanamo drehen, wo haben Sie denn dieses US-Gefangenenlager namens Delta Camp Four aufgebaut?
Schaller: Also wir hatten ja auch noch am Anfang diese X-Ray-Käfige, die im Freien sind, was uns wichtig war, dass wir echt so eine Karibikatmosphäre vermitteln, und wir hatten das Glück gehabt, dass Studio Babelsberg als Koproduzent eingestiegen ist und wir halt dann mit deren Hilfe diesen Film so erzählen konnten, dass es glaubwürdig als Karibik rüberkommt. Und wir haben das gedreht in Brandenburg tatsächlich, bei Tropical Islands. Da war so eine große Freifläche, und da konnte man dann eben das Lager draußen aufbauen, mit digitalen Effekten und so hat man das dann eben erweitert, und das Innenlager, wie gesagt, war in der Marlene-Dietrich-Halle in Babelsberg.
von Billerbeck: Der Film lebt ja von den beiden Hauptdarstellern, gerade wenn man eben so ein Kammerspiel zeigt – Sascha Alexander Geršak und Ben Miles. Wie aufwendig war denn die Suche, bis Sie die beiden gefunden hatten?
Schaller: Ja, also das war bei beiden schwierig. Wenn man seinen ersten Film macht als Regisseur und nicht den Riesennamen hat, dann ist es schwierig erst mal, bekannt … so Ausländer zu kriegen wie den Vernehmer, einen englischsprachigen oder einen amerikanischen Schauspieler, der gut genug ist. Den aus Deutschland heraus zu finden, ist schwierig genug, und wenn man selber noch ein junger Regisseur ist, schwierig. Da gab’s ganz viele verschiedene Ansätze. Als wir dann klar gesagt haben, wir müssten das so oder so auf Englisch drehen, haben wir in England mit der Lucinda Syson ein Casting gemacht, das ist eine Kollegin der deutschen Casterin – von Simone Bär. Aber das war wirklich dann auch knapp, einen Monat vor Dreh, als das erst feststand, wer das spielen kann. Und bei dem Sascha Geršak war das so, dass der kam in viele Castingrunden bei Simone Bär, und da habe ich auch lange überlegt, weil der ein bisschen anderes Alter hat. Aber ich wollte irgendwie jemanden finden, der diese Physis von Murat rüberbringt, wo dann, wenn jemand im Hungerstreik ist, auch der Unterschied sichtbar wird, was dieser Mensch durchmacht, und trotzdem irgendwie auch noch eine Emotionalität rüberbringen kann. Und da gab es so viele, viele Ansätze, aber letztendlich war der Sascha der, der so … auch beim Casting hat der ganz lange durchgehalten, das war … Eigentlich früh hatten wir ihn schon, und dann hab ich aber mal geguckt, wie lang hält er denn durch, wenn wir die nächste Runde ein bisschen später machen. Und er war da sehr geduldig und alles und hat einfach so eine Charaktereigenschaft auch, dass der nicht so leicht zu knacken ist und zu brechen, und das war so ein bisschen dann die Entscheidung.
von Billerbeck: Der Hauptdarsteller des Murat Kurnaz, der muss ja einiges aushalten im Laufe der Zeit. Er musste extrem abnehmen, weil ja ein Hungerstreik da gemacht wird, und das bleibt ja nicht ohne Auswirkungen, das kann man ja nicht schminken. Also wie haben Sie den darauf vorbereitet? Wie macht man so was, dass jemand so was spielen kann?
Schaller: Also in dem Fall war es klar, dass Sascha einfach hungern muss. Der hat während dem Dreh schon eine Diät gemacht, und dann hatten wir bis zum Ende vom Film eine Unterbrechung gemacht von drei Wochen, und da hat er dann gar nichts gegessen. Also er hat insgesamt wahrscheinlich so 20 Kilo verloren und dann noch mal trainiert, dass es ein bisschen dünner aussieht, mit Baucheinziehen und solchen Sachen. Und das war in dem Fall deswegen wichtig, weil man sich verändert, wenn man in kurzer Zeit so viel abnimmt. Und Murat Kurnaz hat teilweise noch viel mehr abgenommen durch den Hungerstreik, und da musste er da einfach, in Anführungsstrichen, durch. Und es war aber klar, dass da ein Team ist, dass er betreut ist vom Arzt und dass da Leute sind, die ihn auffangen, und dass wir es eben nur nachstellen und nicht wirklich in die Isolationshaft sind und jemandem kein Essen mehr geben.
von Billerbeck: Der Film kommt jetzt in die Kinos. Als ich ihn gesehen habe, habe ich gedacht, okay, im Fernsehen würde ich ihn mir angucken, aber würde ich für so einen Film ins Kino gehen? Das ist ja doch … Es sind harte Szenen, es ist manchmal schwer erträglich, was mit Murat Kurnaz da passiert. Befürchten Sie nicht, dass die Leute das so von sich weghalten wollen?
Schaller: Klar. Also das kann sein, dass jemand das vor sich weghält. Ich glaube, der Film hat trotzdem was, erst mal, weil er das übersteht und weil, wie er das übersteht, irgendwie, da trägt sich eine ganz tiefe menschliche Kraft durch, die für mich total tröstlich war.
von Billerbeck: Stefan Schaller war das, der Regisseur des Films "5 Jahre Leben" über Murat Kurnaz und dessen Jahre in US-Gefangenenlagern. Ab Donnerstag ist er im Kino zu sehen. Danke Ihnen für das Gespräch!
Schaller: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.