Das Trauma von 1954
Vor 60 Jahren wurde der demokratisch gewählte Präsident Jacobo Arbenz mit Hilfe der amerikanischen CIA aus dem Amt geputscht. Jahrzehnte der Diktatur und des Terrors folgten. Die Aufarbeitung wird noch lange dauern, aber eine Wahrheitskommission habe einen wichtigen Grundstein in diesem Prozesse gelegt, sagt Anika Oettler.
Liane von Billerbeck: 1944, da begann für das mittelamerikanische Guatemala eine kurze Zeit demokratischer Blüte. Doch als der mit großer Mehrheit gewählte Präsident Jacobo Arbenz brachliegendes Land umverteilen wollte an landarme Bauern, da war es mit der Demokratie bald vorbei, und zwar für sehr lange Zeit. Am 18. Juni 1954, vor 60 Jahren also, putschte eine kleine Exilarmee mithilfe der CIA die Regierung weg. Das war ziemlich leicht, denn Guatemala war im wahrsten Sinne des Wortes eine Bananenrepublik: Große Teile des Landes der Infrastruktur gehörten der United Fruit Company, ein Unternehmen, das man wegen seiner Macht "el pulpo", "der Krake" nannte.
Aus Guatemala wurde ein Land, in dem sich eine Diktatur mit der nächsten blutigen Diktatur abwechselte. Anika Oettler ist Professorin an der Philipps-Universität Marburg. Die Soziologin hat zur Geschichte Mittelamerikas publiziert und war zu Feldforschungen in El Salvador, Nicaragua, Peru und Guatemala und sie ist außerdem Mitglied im Forschungsnetzwerk "Rekonfigurationen – Geschichte, Erinnerungen und Transformationsprozesse im Mittleren Osten und Nordafrika". Mit ihr habe ich vor unserer Sendung gesprochen, grüße Sie, Frau Oettler!
Anika Oettler: Ja, guten Tag!
von Billerbeck: Ein Putsch, der vor 60 Jahren stattfand, wie hat der Guatemala geprägt?
"Wird bis heute als das Trauma von 54 erinnert"
Oettler: Dieser Putsch wird in Guatemala bis heute als das Trauma von 54 erinnert, dass den Hoffnungen auf einen moderaten Umbau der Gesellschaft ein jähes Ende setzte. Die beiden Präsidenten des demokratischen Frühlings, das waren zwei, nämlich Juan José Arévalo und Jacobo Arbenz, waren mit einem Reformprogramm angetreten, das Verbesserung des Arbeiterschutzes und des Bildungssystems ebenso umfasste wie eine Modernisierung staatlicher Institutionen und eine Agrarreform. Mit dieser Agrarreform sollten eigentlich die extremsten Ausprägungen des Großgrundbesitzes und des Systems halbfeudaler Praktiken abgeschafft und Guatemala zu einem modernen und unabhängigen Land gemacht werden.
Der Putsch bedeutete also nicht nur die Rücknahme der eingeleiteten Reformen, sondern schlimmer noch eigentlich, er legte den Grundstein für eine staatliche Repressionspolitik unter dem Vorzeichen von Antikommunismus und dem Vorzeichen der berüchtigten Doktrin der nationalen Sicherheit. Was jetzt die unmittelbaren Folgen des Putsches anbelangt, so kann man sagen, dass in den ersten Monaten nach dem Putsch die vermeintlichen Anhänger von Arbenz interniert wurden, des Landes verwiesen oder aber auch ermordet.
von Billerbeck: Nun haben Sie ja geschildert, dass eines der Vorhaben dieser demokratisch gewählten Regierung eben der Versuch war, das Land, dieser fast feudalen Verhältnisse, was den Landbesitz betrifft, zu verändern und diese ja schreiende Ungerechtigkeit etwas abzumildern. Welchen Einfluss hatte die United Fruit Company, also dieser Bananenproduzent, diese Krake in Guatemala?
Oettler: Die hatten sehr große Ländereien zu sehr günstigen Konditionen erworben und zudem auch noch die Bahnstationen und den Hafen kontrolliert. Und diese United Fruit Company, die ja in den 1880er-Jahren gegründet worden ist, hatte sich innerhalb weniger Jahrzehnte wirklich in Guatemala zu dem mächtigsten politischen Player auch aufgeschwungen und war vom Investitionsklima in Guatemala deswegen auch sehr angetan, weil die diktatorischen Regime schwach, korrupt und damit auch sehr beeinflussbar gewesen sind. Und als dieses Projekt der Landreform sich konkretisiert hat, also etwa seit 1952, hatte die United Fruit Company eben berechtigte Sorge, dass es an ihren Landbesitz geht, und hat dann angefangen, in den USA direkt auch in informellen Kanälen politischen Einfluss auszuüben und die Angst sozusagen vor einer kommunistischen Machtübernahme in Guatemala zu schüren.
von Billerbeck: Man kann sich das heute kaum noch vorstellen, aber wir befinden uns ja damals in der Zeit des Kalten Krieges und da sind solche Ängste möglicherweise auf fruchtbaren Boden gefallen. Wie typisch ist denn dieser Fall Guatemala für Mittelamerika?
"Angst vor kommunistischen Umtrieben"
Oettler: Das, was man sicherlich sagen kann, ist, dass der Fall Guatemala insofern typisch ist, als wir es hier eben mit einer sehr starken sozialen Ungleichheit zu tun haben, auch mit dem starken politischen Gewicht von traditionellen Agraroligarchien. Und die United Fruit Company war eben ein Unternehmen, das in ganz Zentralamerika Ländereien hatte, und Guatemala war der wichtigste Bereich. Und insofern ist die Kräftekonstellation in Guatemala eben mit der in anderen Ländern nicht zu vergleichen. Das, was auf der anderen Seite ein sehr typisches Moment gewesen ist, ist diese extreme Angst vor kommunistischen Umtrieben, die ja auch in anderen Ländern die USA aufgescheucht hatte.
von Billerbeck: Wer waren denn nun die Putschisten und wie haben die es geschafft, den Einfluss der US-Regierung hinter sich zu kriegen oder von der US-Regierung geradezu eingesetzt zu werden, gesteuert zu werden?
Oettler: In den USA ist die Entscheidung zum Vorgehen gegen Arbenz sehr früh gefallen, nämlich schon im August 1953, also weit vor dem tatsächlichen Putschgeschehen. Und in der Folge hat dann CIA-Direktor Allen Dulles eigentlich als Pate dieses Putsches fungiert und man hat dann zum Beispiel Flugblattaktionen in Guatemala durchgeführt, man hat dann aber auch Waffenlieferungen und Ausbildungsstätten organisiert und hat sich dann vor allem mit dem US-Botschafter John Peurifoy Gedanken darüber gemacht, wer denn jetzt eigentlich federführend für dieses Putschgeschehen sein sollte.
Und man hat dann nach einer Figur suchen müssen, die sozusagen als guatemaltekischer Befreiungsheld für die konkrete Umsetzung sorgen würde, und erst an dem Punkt ist dann die Wahl auf Castillo Armas gefallen, der eigentlich ein recht simpler Antikommunist gewesen ist. Und er hat 1950 bereits einen Putschversuch unternommen, hatte dann eine sehr spektakuläre Flucht unternommen und war dann wie geschaffen für dieses Projekt, was aber eigentlich tatsächlich auf die Federführung des CIA zurückgeht.
von Billerbeck: Sie haben am Anfang schon geschildert, was danach mit den Anhängern des demokratisch gewählten Präsidenten geschah. Was wurde aus dem Land nach diesem Putsch, das für uns ja eigentlich immer noch verbunden ist mit blutigem Terror, Diktaturen und Autokratien?
"Eine erste Welle des Terrors nach sich gezogen hatte"
Oettler: In den 60er-Jahren – ich mache jetzt mal so ein paar Sprünge – gab es eine erste Guerillabewegung im Osten des Landes, die dann auch eine erste Welle des Terrors nach sich gezogen hatte, aber sehr schnell niedergeschlagen werden konnte. In den 70er-Jahren gab es so etwas wie eine Reorganisation der Akteure des Konfliktgeschehens, wo auf der einen Seite in den indigenen Hochlandregionen des Landes soziale Bewegungen entstanden und sich verstärkt haben, und auf der anderen Seite eine zweite Guerillaorganisation angetreten ist. Und diese Organisation hat eben ihre Operationsgebiete auch in die indigenen Hochlandregionen verlagert.
Das Ganze hat dann zu einer militärischen Aufstandsbekämpfungsstrategie geführt, die man unter dem Schlagwort "Dem Fisch das Wasser entziehen" auch kennt, die dann darin bestand, tatsächlich die indigene Bevölkerung und die Zivilbevölkerung massiv zu bekämpfen. Und diese bewaffnete Auseinandersetzung in Guatemala, die insgesamt 36 Jahre dann andauern sollte, war eine, die sicherlich in den frühen 80er-Jahren insbesondere unter General Ríos Montt ihren Höhepunkt erlebt hatte, zwischen 81 und 83 sind ungefähr 81 Prozent aller Menschenrechtsverletzungen in diesem gesamten Zeitraum auch zu verzeichnen. Und das war eine Politik, die durch Bombardements, durch Massaker und durch die sogenannte Politik der verbrannten Erde sich dann ausgezeichnet hat.
von Billerbeck: Wenn man sich anguckt, wo Guatemala steht, dann muss man sich in Erinnerung rufen, dass genau diese Zeit, die Sie jetzt geschildert haben, eine sehr blutige war. 1996 haben die UN eine Wahrheitskommission eingesetzt und die hat den Horror in Guatemala dokumentiert. Und das sind 3.400 Seiten, eine Million Flüchtlinge, 200.000 Tote, 45.000 Verschwundene. Lassen sich solche Probleme denn so schnell aufarbeiten? Schnell, 96 bis heute ist ja eine gewisse Zeit, trotzdem wissen wir aus vielen Diktaturen und Regimen, dass so etwas dauert. Wie ist das in Guatemala?
"Es gab in Guatemala eine Wahrheitskommission"
Oettler: Sie hatten es gerade angesprochen, es gab in Guatemala eine Wahrheitskommission, auf der anderen Seite ein kirchliches Projekt, das sich ebenfalls mit der Aufarbeitung der Vergangenheit beschäftigt haben. Die haben auch beide sehr wichtige Grundsteine der Aufarbeitungsprozesse gelegt, indem sie Material gesammelt haben, indem sie Zeugen befragt haben. Das sind sicherlich Dokumente, die auch in späterer Zeit immer wieder neu und wiederverwendet werden können. Auf der anderen Seite hat es Versuche gegeben, prominente Täter des Geschehens auch strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Und der General, den ich vorhin angesprochen habe, Ríos Montt, der für den Höhepunkt der Gewalt in den frühen 80er-Jahren verantwortlich gewesen ist, ist tatsächlich auch verurteilt worden. Wobei man dazu sagen muss, dass es auf der einen Seite das erste Mal gewesen ist, dass wirklich ein verantwortlicher Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden ist, dieses Urteil ist dann aber später auch aufgehoben worden und man geht davon aus, dass eventuell 2015 ein neuerlicher Prozess beginnen wird.
von Billerbeck: Guatemala, 60 Jahre nach dem Putsch. Die Soziologin und Mittelamerikaexpertin Anika Oettler war meine Gesprächspartnerin von der Universität Marburg. Ich danke Ihnen!
Oettler: Gerne!
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