Gülen-Bewegung

Schulen gründen, warum nicht?

Fethullah Gülen
Der in den USA lebende türkische Prediger Fethullah Gülen © dpa/picture-alliance
Von Pater Klaus Mertes |
Schulen gründen, den Koran studieren, Einfluss auf die Gesellschaft nehmen: Die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen steht dafür im Kreuzfeuer der Kritik. Für den Jesuitenpater Klaus Mertens klingen die Anliegen der Bewegung jedoch vertraut - und gar nicht anrüchig. Eine Verteidigung.
Wer das kirchliche und gesellschaftliche Leben erneuern will, muss Schulen gründen. So sahen das auch die protestantischen und katholischen Reformbewegungen im Europa des 16. Jahrhunderts trotz aller Gegensätze gleichermaßen. Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, wurde gefragt, wie man dem kirchlichen Leben seiner Zeit wieder auf die Beine helfen könnte. Seine Antwort bestand aus einem Wort: Schulen!

Es wird gegen Gülen gehetzt

Seit dem Putsch in der Türkei steht die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen unter Beschuss. Der türkische Präsident Erdogan fordert von den USA die Auslieferung Gülens. Der Mob überbietet sich mit Hasstiraden auf die Gülenisten. Die Hizmet-Bewegung von Gülen betreibt etwa 1.000 privat finanzierte Schulen. Vor allem in Entwicklungsländern gelten sie als hervorragend. Gülen-Schulen werden nun auf Druck Ankaras in der Türkei und in vielen anderen Ländern stillgelegt. Auch die Gülen-Schulen in Deutschland stehen unter Druck. Angesichts der Hetze und Schelte im Netz haben viele Eltern und Schüler Angst, wenn in diesen Tagen der Unterricht wieder beginnt.
Man muss nicht in allem mit der Gülen-Bewegung einverstanden sein - es gibt auch Opfer ihrer jahrelangen Kooperation mit der AKP Erdogans, aber es ist bedrückend zu sehen, wie die Propaganda Erdogans nun wirkt und Kollateralschäden verursacht. Der Hass kommt auch in Deutschland an und findet Verbündete bis in höchste Kreise.
Gülen gibt die Parole aus: Baut Schulen statt Moscheen! Will er also die Gesellschaft von unten islamisieren, wie nun im Pegida-Ton gemutmaßt wird? - Genauso gut könnte man dem Jesuitenorden Weltmachtstreben unterstellen. Der betreibt ja zurzeit weltweit etwa 900 Schulen und Hochschulen. Gülen fordert die Mitglieder seiner Bewegung auf, führende Positionen in der Gesellschaft und Politik zu besetzen. Na und? Das tat Ignatius zu seiner Zeit auch. Er wollte, dass Jesuitenschüler Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen. Soll man jetzt jungen Menschen abraten, Positionen in der Gesellschaft anzustreben, weil man das als Unterwanderungsstrategie missverstehen könnte?

Intransparent ist daran nichts

Gülen-Anhänger treffen sich in Zirkeln, bei denen sie gemeinsam den Koran auf der Basis der Schriften Gülens interpretieren. - Vergleichbares tun auch Jesuiten und Jesuitenschüler mit dem Evangelium. Intransparent ist daran nichts.
Die Gülen-Bewegung habe ein reaktionäres Frauenbild. - Das mag sein, aber das hatten Katholiken auch lange Zeit. Und manche haben es bis heute. Alle diese Verdächtigungen sagen wenig über die Verdächtigten. Sie sagen aber viel über Ängste und Angstanfälligkeit in Zeiten der Hetze. Ich lernte Mitglieder der Gülen-Bewegung als Leiter der Berliner Jesuitenschule in den Nullerjahren kennen. Sie waren am Austausch für Bildungsfragen interessiert. Wir veranstalteten gemeinsame Projekte mit muslimischen und christlichen Schülern. Ich durfte in großen Sälen zum Fastenbrechen sprechen und fand Interesse von frommen Muslimen an meiner christlichen Auslegung der heiligen Schrift. Ich lernte Redakteure der Zeitschrift "Zaman" kennen. Sie stellten sich der öffentlichen Debatte und hielten Kritik aus, ohne sich als Opfer von Islamophobie dagegen zu immunisieren.
Ich traue in diesen Tagen des Hasses und der Hetze lieber meinen eigenen Augen und Ohren, als der Propaganda und ihren Echos in der deutschen Öffentlichkeit. Eine Reform des Islam, ohne dass Muslime selbst zu Subjekten von Bildung werden, wird es nicht geben. Und das läuft über Schulen, mehr als über Moscheen. Was Christen für sich in Anspruch nehmen, dürfen Muslime auch für sich in Anspruch nehmen, nämlich Träger von Bildung zu sein – auch heute. Unterstellungen, Vorurteile, Hass und Hetze hingegen sind die Feinde der Bildung. Ich beteilige mich daran nicht.

Pater Klaus Mertes, 1954 geboren, ist seit 2011 Direktor des Kollegs St. Blasien. Von 2000 bis 2011 war er Rektor des Jesuitengymnasiums Canisius-Kolleg Berlin.

Der Autor mehrerer Bücher ist außerdem seit 2007 Chefredakteur der Informationsschrift "Jesuiten", einer quartalsweise erscheinenden Publikation der deutschsprachigen Jesuiten.

Klaus Mertes
© picture alliance / dpa / Foto: Karlheinz Schindler
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