Gastarbeiterinnen

Minirock und wilde Streiks

56:31 Minuten
Eine Gruppe von Frauen steht vor einer Tafel, auf der etwas aufgeschrieben ist. Das Bild wirkt, als wäre es im Streikgetümmel entstanden.
Streik von Frauen beim Autozulieferer Pierburg in Neuss am 14. August 1973. Der Streik war ein sogenannter Wilder Streik. Der Anfang einer ganzen Serie. © picture alliance / Klaus Rose
Moderation: Jörg Plath |
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Die 22-jährige Nour ist eine von vielen sogenannten Gastarbeiterinnen, denen die Bundesrepublik das Wirtschaftswunder verdankt – und wilde Streiks. Gün Tank erzählt im Roman „Die Optimistinnen“ von kämpferischen und selbstbewussten Immigrantinnen.
Die Istanbulerin Nour reist 1972 in die Oberpfalz. Mit zahlreichen Frauen aus Südeuropa lebt sie in einem Wohnheim und arbeitet in der Fabrik. Nour trägt zuweilen Minirock, die älteren Frauen in der Oberpfalz Kopftuch. Die Wohnheimzimmer sind so eng, dass zwei der vier Frauen auf ihren Betten liegen müssen, wenn sich die anderen anziehen. Dass sie alle kein oder wenig Deutsch sprechen, hat Vorteile – für die Herren der Fabrik. Die Frauen kennen ihre Rechte nicht und können sie auch nicht formulieren. Nur dass sie in den Leichtlohngruppen schlechter als die Männer bezahlt werden, bleibt ihnen nicht verborgen.

Starke Frauen

Gün Tank erzählt in ihrem Debütroman „Die Optimistinnen. Roman unserer Mütter“ (S. Fischer) von starken Frauen. Sie gehören zur ersten Generation von Einwanderern, die nur auf Zeit bleiben sollen und meist auch wollen. Nour und ihre Kolleginnen erkämpfen 1973 bei einem Neusser Automobilzulieferer die Abschaffung der Leichtlohngruppe II. Fast ein Jahrzehnt später erst wird das Bundesarbeitsgericht die Leichtlohngruppen verbieten.
Der zweite, kursiv gesetzte Erzählstrang des Romans ist mit „Heute, eingetaucht im Gestern“ überschrieben. In ihm erinnert sich Nours in Berlin geborene Tochter Su an eine politische Kindheit und Jugend in Deutschland. Sie sehnt sich nach Istanbul und nach Dede mit seinen äußerst lebendigen Augenbrauen. Der Großvater verbindet die Begeisterung für Tina Turner mit tiefer Gläubigkeit und bestärkt seine Tochter Nour aus der Ferne, ihren Weg zu gehen.

Kaum Männer?

in der Reihe „Literatur und Wissenschaft“, die Deutschlandfunk Kultur gemeinsam mit dem Literaturhaus Berlin veranstaltet, hat sich Jörg Plath am 25.1.2023 mit der Autorin Gün Tank und der Frauen- und Geschlechterforscherin Sabine Hark von der TU Berlin über "Die Optimistinnen" unterhalten. Die Beobachtung, dass Dede einer der wenigen Männer in Tanks Roman ist, hat Sabine Hark ein wenig überrascht:

„Ich habe nicht einmal bemerkt, dass es recht wenige sind. Das Buch heißt ja auch ‚Die Optimistinnen‘. Warum sollte ich da die Männer vermissen?“

Das Glück des Krankenhauses

Gün Tank, die als Journalistin für türkische und deutsche Medien gearbeitet hat, eine Ausstellung über sogenannte Gastarbeiterinnen kuratierte und erst Integrationsbeauftragte eines Berliner Bezirks, jetzt eben dort Beauftragte für Behinderte ist, hatte nicht vor, als Schriftstellerin zu reüssieren:

„Ich habe mich viele Jahre mit der ersten Einwanderungsgeneration von Frauen beschäftigt, auch meine Mutter ist eingewandert. Dann fing ich irgendwann an zu schreiben. Das war so ein bisschen Empowerment. Es gab diese ewigen Debatten über Frauen, die nicht integriert seien, über Männer, die die Frauen unterdrücken, vor allem die muslimische Gemeinschaft wurde so beschrieben. Das war ganz anders als das, was ich in meinem Leben kennengelernt hatte. Ich will nicht sagen, dass es das nicht gibt. Es gibt in jeder Gesellschaft Gewalt gegen Frauen, in jeder Nation – wir wissen, wie die Zahlen in Deutschland sind. Aber ich wollte einfach losschreiben. (…) Ich habe nebenbei geschrieben, neben der Arbeit, im Urlaub, und dann hatte ich einfach Glück: Ich war schwanger und lag zwei Monate im Krankenhaus. Was macht man da? Man schreibt das Manuskript zu Ende.“

(pla)
Redaktioneller Hinweis: Es handelt sich um eine Langfassung des Gespräches , das am 27.1.2023 in der Sendung Zeitfragen lief.
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