Güner Yasemin Balci: Das Mädchen und der Gotteskrieger
S.Fischer Verlag, 320 Seiten, 19.99 Euro
"Klassisch-kitschiges Bild vom Traumprinzen"
In ihrem neuen Roman "Das Mädchen und der Gotteskrieger" beschreibt die Journalistin Güner Balci den Weg einer jungen Frau in den IS. Im Gespräch erzählt sie, was die jungen Muslima dazu bringt, sich freiwillig zu unterwerfen: der Wunsch anerkannt zu werden – und die Sehnsucht nach dem Traumprinzen.
Wie der IS junge Mädchen gezielt anwirbt, um sie als Dschihad-Bräute für die "Gotteskrieger" ins "Kalifat" zu locken, beschreibt die Fernsehjournalistin und Autorin Güner Balci ("Arabboy", "Arabqueen") in ihrem Roman "Das Mädchen und der Gotteskrieger". Am Beispiel ihrer fiktiven Heldin, der 16-jährigen Nimet aus Berlin, zeigt Balci, wie die teils noch Minderjährigen aus muslimischen Familien einer vermeintlichen großen Liebe aus dem Internet folgen – und merken erst, was wirklich geschehen ist, wenn es schon zu spät für eine Rückkehr ist.
Balci, die bereits viele Texte und TV-Beiträge über muslimische Jugendliche in Deutschland veröffentlich hat, sagt, sie habe bei ihren Recherchen für das Buch herausfinden wollen, was junge Mädchen, die keineswegs aus erzkonservativen muslimischen Familien stammten "so sehr daran begeistert, irgendwann einmal einem Mann zu gehören, der über ihr Leben bestimmt".
Faszination der Unfreiheit
Für viele Mädchen beginne diese Faszination dafür, ihr Leben in Unfreiheit zu verbringen, offenbar schon früh - wenn etwa einer der kleinkriminellen Jungs aus ihrem Viertel sie zu seiner Partnerin erwähle. Dahinter stecke ein "klassisch-kitschiges Bild" vom Traumprinzen und eine plumpe Vorstellung von Partnerschaft. "Später wird es dann attraktiv, diesen islamischen oder islamistischen Normen zu entsprechen, damit man Anerkennung findet, vor allem bei Männern."
Vielen jungen Frauen aus muslimischen Familien fehle genau diese Anerkennung innerhalb des Elternhause. Deshalb sei oft ein großes Geltungsbedürfnis die Triebfeder, sich auf junge Männer einzulassen, die sie in die IS-Kampfgebiete lockten. Hinzu komme, dass die Mädchen mit der Idee aufwüchsen, Teil eines Kollektivs zu sein, das von ihnen erwarte, später eine eigene Familie im Sinne der muslimischen Gemeinschaft zu gründen. Zugleich fehlten Bezugspersonen, die den Mädchen verdeutlichten, dass Islam und Freiheit kein Widerspruch sein müssten.
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Heute erscheint Güner Balcis neues Buch "Das Mädchen und der Gotteskrieger" im S.Fischer-Verlag. Sie ist ja schon mit ihren Büchern "Arab Boy" und "Arab Queen" bekannt geworden und wurde für ihre Fernsehreportagen wie zum Beispiel "Tod einer Richterin" preisgekrönt. Nun also ihr neues Buch, in dem sie erzählt, wie der IS Mädchen gezielt anwirbt, um sie als Dschihad-Bräute für die Gotteskrieger ins Kalifat zu locken. Güner Balci, Sie erzählen die Geschichte, wie ein Berliner Mädchen Stück für Stück zum radikalen Islam bekehrt wird, sich schließlich online in einen unbekannten Mann verliebt, der ihr vermeintlich versehentlich eine verirrte SMS auf ihr Handy schickt. Was hat sie interessiert, diese ja hochaktuelle Geschichte ganz fiktional zu schreiben?
Güner Balci: Mich hat schon immer fasziniert, was diese Mädchen so sehr daran begeistert, irgendwann einmal einem Mann zu gehören, der über ihr Leben bestimmt. Früher war das so, dass die Mädchen sich auch sehr schnell begeistern ließen von den kriminellen Jungs im Viertel – sie fanden das toll, dann an deren Seite zu glänzen als die einzige Auserwählte, vermeintlich einzige Partnerin. Später wurde das dann attraktiv mehr und mehr, diesen islamischen oder islamistischen Normen zu entsprechen, damit man Anerkennung findet, vor allem bei Männern. Und das hat mich immer sehr interessiert, was da die Beweggründe sind, weil ich wollte das irgendwie verstehen, wie es sein kann, dass man fast ganz freiwillig eine extreme Unfreiheit wählt.
von Billerbeck: Und wie erklären Sie sich das, nachdem Sie auch dieses Buch geschrieben haben, dass es dazu kommt?
Mädchen spielen Rolle "der Unberührten"
Balci: Meine Beobachtungen haben mich eigentlich dazu gebracht, noch mehr darüber nachzudenken, wie wichtig das Umfeld und die Sozialisation dieser jungen Mädchen ist. Ich habe festgestellt, dass die meisten Mädchen, mit denen ich zu tun hatte, die auch muslimisch geboren waren, aber eben nie in so einem erzkonservativen Verständnis von Islam aufgewachsen sind, die sich dann irgendwann islamistisch interessiert, orientiert, Tendenzen entwickelt haben, dass das immer junge Menschen waren, die auch schon in ihrer Familie gewisse Unfreiheiten erlebt haben und auch in diesem Milieu, in dem sie gelebt haben, als Frau immer eine ganz bestimmte Rolle einnehmen mussten. Als Mädchen immer die Rolle der Unberührten, der, die nicht leicht zu haben ist, die dann irgendwann die eine Auserwählte werden kann von ihrem Traumprinzen. Also das ist so ein ganz klassisch-kitschiges Bild, eine ganz plumpe Vorstellung eigentlich von Partnerschaft: Einer, und danach nie wieder einer. Das hat immer sehr stark das Leben dieser, der meisten Mädchen, die ich kennengelernt habe im Lauf der Jahre, geprägt.
von Billerbeck: Sie erzählen ja in dem Buch aus der Sicht des Mädchens und beschreiben, wie man so reinrutscht. Sie schreiben über Neugier, über Sehnsucht, auch über eine vermeintlich erste große Liebe, nur, dass die sich dann als was ganz anderes entpuppt, nämlich als professionelle Taktik radikaler Islamisten, die da Internet und Medien perfekt nutzen. Und ich hatte beim Lesen das Gefühl, es geht viel weniger um Ideologie, es geht eigentlich um Menschen, um Vorbilder, um Freunde, um ein Versprechen. Ist das so?
Extremes Geltungsbedürfnis
Balci: Ja, auf den ersten Blick ist das so. Auf den zweiten Blick muss man sagen, diese Subkultur, in der sich diese jungen Menschen bewegen, spielt auch eine enorm große Rolle, und da sind diese religiösen Gebote ein sicherer Faden, der sie hindurchführt. Und deshalb spielt das auch eine große Rolle. Das heißt, diese Ideologisierung ist nicht zu unterschätzen. Gleichzeitig ist es aber tatsächlich so, dass es hauptsächlich das Bedürfnis nach Anerkennung ist und ein extremes Geltungsbedürfnis. Und wenn das in keiner Weise im familiären Umfeld befriedigt wird oder im schulischen Umfeld, dann ist es sehr leicht, diese Jugendlichen zu überzeugen von einer Idee des Islams, der zerstörerisch ist.
von Billerbeck: Und das geht dann so weit, dass man so verblendet ist, dass man bereit ist, nach Syrien zu fahren und sich dem vermeintlich Geliebten als Dschihad-Braut anzuschließen, unterzuordnen?
Balci: Man muss sich das so vorstellen: Wenn man aufwächst mit der Idee, dass man Teil eines Kollektivs ist, und das ist auch im Fall meiner Heldin so, sie kommt aus einer türkischen Familie, man bezeichnet sich als Moslem, auch wenn man nicht tatsächlich praktiziert, aber man hat auf jeden Fall als Mädchen das Ziel, es wird einem auch so beigebracht, irgendwann dann die eigene Familie zu haben, sprich den eigenen Mann, und auch in einem erlaubten Rahmen Sexualität zu leben. Und klar, wenn man sich dann als junges Mädchen ziemlich blind, Hals über Kopf in einen jungen Mann verliebt, der eine besondere Begabung hat, junge Mädchen auch von sich zu überzeugen, wie in dem Fall von Saed, dann hat man natürlich die Idee, das ist jetzt mein zukünftiger Mann, das wird dann meine eigene Familie. Und natürlich kann ich mich dann auch von meiner Stammfamilie trennen, denn ich beginne ja etwas Richtiges, es ist ja im erlaubten Rahmen, das ist ja islamisch koscher sozusagen.
von Billerbeck: Und ich bin auserwählt. Das ist ja vielleicht auch noch so ein Moment, das da vorkommt. Das Mädchen, das Sie im Buch beschreiben – und Sie haben das ja eben auch schon mal erwähnt –, das kommt eben nicht aus einem streng muslimischen Elternhaus, trägt anfangs kein Kopftuch, geht auch nicht ständig in die Moschee. Trotzdem, am Ende gelingt es dem IS, dieses Mädchen an sich zu binden, also ein Mädchen, das eigentlich eher unreligiös ist auch, wie andere. Wir kennen ja solche Fälle, die aus ganz normalen, sogenannten guten Verhältnissen kommen. Wie viel haben solche Geschichten von Radikalisierung wie die fiktive in Ihrem Buch auch zu tun mit Religion und mit Islam?
Schwarz-weißes Islamverständnis
Balci: Es ist ein ganz bestimmtes Islamverständnis, was bei diesen Jugendlichen vorherrscht und das dann irgendwann auch ausgeprägter gelebt wird. Das heißt, oft ist es so, dass eben diese Sinnsuche, ganz schnelle Antworten findet in einem sehr einfachen, schwarz-weißen Islamverständnis. Und das Problem, das dem zugrunde liegt, ist das, was auch Nimet lebt: Sie hat von Haus aus nicht viel mitbekommen, um sich gewisse Dinge ihrer Religion selbst anzueignen, um auch reflektiert daranzugehen. Es gibt keine Struktur. Es gibt niemand, der an Nimet herantritt und ihr sagt, pass mal auf, du bist Muslimin, und Islam und freies Individuum kann sich total vertragen, das ist eigentlich eine neue moderne Vorstellung von Islam, wie wir sie heute in Europa auch leben und praktizieren. Das gibt es überhaupt nicht in dieser Subkultur. Dann kann es sehr schnell passieren, dass man da bei den falschen Leuten landet.
von Billerbeck: Da höre ich Ihr Plädoyer für einen aufgeklärten Islam. Wir erleben ja nun gerade, dass der radikalere, unaufgeklärtere an Boden gewinnt. Aber wie viel haben solche Geschichten auch mit der sozialen Kluft in Deutschland zu tun? Wie viel haben solche Radikalisierungstendenzen vielleicht auch mit Wut zu tun?
Balci: Ganz viel. Weil das ist der Nährboden. Im Großen und Ganzen ist diese fortschreitende Trennung der Gesellschaft für mich im Grunde genommen der Nährboden dafür, dass auch eine Gesellschaft in ihren Werten auseinanderbrechen kann, sprich, dass junge Menschen sich so ausgegrenzt fühlen und sich dann auch selbst ausgrenzen, weil sie sich dann irgendwo zugehörig fühlen wollen, dass es am Ende tatsächlich dazu führen kann, dass sie dann zum Beispiel einem islamischen Extremismus sich näher fühlen als unseren freiheitlichen Grundwerten.
von Billerbeck: Güner Balci war meine Gesprächspartnerin. Ihr neues Buch erscheint heute, "Das Mädchen und der Gotteskrieger" im S. Fischer-Verlag, 320 Seiten hat es. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Balci: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.