Stark verkleinerter Philosoph
Suse Wächter bemüht sich am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg um den Philosophen Günther Anders und sein berühmtes Buch "Die Antiquiertheit des Menschen". Das Ergebnis ist armselig und enttäuschend.
Vor bald sechs Jahrzehnten sprach und schrieb noch kein Wissenschaftler vom "Ende des Wachstums" (wie Anfang der 70er-Jahre der Club of Rome) und "Grün" war Mitte der 50er-Jahre nur eine Farbe und noch kein politisches Programm. Aber der 1902 in Breslau geborene Philosoph und Schrift-steller Günther Anders beschrieb angesichts der beginnenden Moderne von Technologie und Zivilisation "Die Antiquiertheit des Menschen" und nahm vor allem den Verlust der Menschlichkeit ins Visier, den die Macht-Übertragung an immer neue und bessere und verlässlichere Maschinen mit sich bringen werde.
1980 erschien unter diesem Titel Band 2 der Anders-Analysen – und der Autor wurde so etwas wie der erste grüne Philosoph. Anders lesen lohnt immer noch und immer wieder – aber was sollte das Theater anfangen können mit diesem Diskurs? Speziell im Theater der "Projekte" soll sie ja manchmal unumgänglich sein – die Frage danach, wer um alles in der Welt sich das ausgedacht hat. Die Dramaturgie? Für deren großes Interesse an dem Anders-Werk sowie den intellektuellen Folgen spricht das klug sortierte Programmheft. Oder war etwa die Regisseurin (und an sich ja sehr bewährte Puppenspiel-Strategin!) Suse Wächter selber darauf aus, "Die Antiquiertheit des Menschen" zu erkunden mit den eigenen, sehr speziellen Theatermitteln? Für diese Regie-Lust am Material spricht nach der Premiere so gut wie gar nichts. Den weiten Horizont des Fortschritts- und Zivilisations-Kritikers Günther Anders jedenfalls hat der kleine Abend im Malersaal vom Schauspielhaus auch nicht im Ansatz vermessen können.
Die Dampflok ist ein Ereignis
Obwohl auch "groß" gedacht worden ist – von der Bühnenbildnerin Janina Audick. Sie hat eine veritable (und auch schon recht antiquierte!) Uralt-Lokomotive auf die Bühne gestellt, vermutlich das größte Schauspielhaus-Requisit seit langem ... Die Lok fährt quasi aufs Publikum zu; im Führerhäuschen rummelt ein Musiker und Geräusche-Macher, Tender und Schornstein lassen sich öffnen und bespielen. Und eine der Puppen, die die Regisseurin Suse Wächter führt, ist eine Knochenfrau von vor-vor-vor-vorgestern – das Skelett, angetan mit vorzeitlichem Fummel, berichtet, dass sie zu den ersten gehörte, die von diesem "Pacific"-Dampfross durch den Wilden Westen und über die Prärie gezogen wurden. Hinter der Lok flirrt im Video dieses leere Land und setzt sich dann (als Video) in Bewegung, um ratzfatz in der computerisierten Neuzeit anzukommen. Keine Frage – diese Lok ist ein Ereignis.
Aber schon das Drumherum schwächelt beträchtlich. Eine Art Cowboy entert dieses Ross aus Stahl; er ballert ein bisschen rum (und erlegt dabei sogar eine veritable Indianerin!); danach bewährt er sich als Schaf-Hüter. Wie bitte? Schafe? Im Wilden Westen? Ach. Aber Schafsmasken und wolliges Outfit für den bewährten Hamburger Kinder-Chor der "Alsterspatzen" waren wohl leichter anzufertigen als Rinder-Kostüme ... Naja.
Der Cow-, also besser Sheep-Boy kehrt kurz darauf als einer von uns ins Heute und Hier zurück – und schämt sich nun öffentlich der eigenen Anfälligkeit für menschliche Mängel und Fehler; angesichts der forcierten technischen Perfektion eines modernen Handy-Wunderwerks. Das soll beim Schauspieler Aljoscha Stadelmann nun wie halb improvisierter Alltagsdiskurs klingen – erweist sich aber in erster Linie als mäßig originell geschriebener Text. Dafür wird der Zeitgenosse beim Schämen von Dr. Sigmund Freud psychotherapeutisch beraten – so kommt eine weitere der von Regisseurin Wächter geführten Puppen ins Spiel; sie spricht sie auch, in diesem Fall eher unbeholfen wienerisch. Das dritte Gliederwesen in ihren Händen ist übrigens Karl Marx, der einiges von der toten Indianerin lernt, die gelegentlich weise aus dem Jenseits spricht. Und aus dem Tender der Lok. Später bringt auch die Schauspielerin Sachiko Hara eine moderne Puppe mit – die Kopie ihrer selbst.
Notlösung Kinderchor
Szenisch war's das. Personell auch – und das ist die ärgste Enttäuschung dieses auch gedanklich recht armseligen Abends: Von einer "Puppen-Show" (wie im Untertitel versprochen) kann hier nun wirklich überhaupt nicht die Rede sein. Das Schauspieler-Paar trägt fast die ganze Last des wirklich nur im Ansatz mit dem Denken des Philosophen Anders verbundenen Textes, der Kinderchor sieht vor allem niedlich aus und hört sich auch so an – wirkt aber wie eine Notlösung. Weil sich ohne ihn noch weniger ereignen würde auf der Bühne ... Und was die wirklich sehr seltene Kunst der klug strukturierten Mensch-und-Puppe-Dramaturgie betrifft – da ist der Kölner Puppenspieler Moritz Sostmann der Kollegin Wächter derzeit um Längen voraus, mit dem neuen Stück von Lars Norén.
Zum Schluss gibt's Weihnachtskekse in Hamburg. Naja. Info-Zettel über die aktuelle Ausgabe des Buches von Günther Anders (im Verlag C.H. Beck) wären auch nicht schlecht.