Günther Birkenfeld: "Wolke – Orkan – und Staub"
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Peter Graf
Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2018
438 Seiten, 25,00 Euro
Jeder hat an seiner eigenen Schuld zu tragen
Zu früh für seine Zeit: Günther Birkenfeld zeichnete bereits in den 1950er-Jahren in "Wolken – Orkan – und Staub" ein differenziertes Bild der deutschen Gesellschaft zur NS-Zeit. Jetzt wird die Trilogie neu entdeckt.
Günther Birkenfeld, 1901 in Cottbus geboren, arbeitete in den Zwanzigerjahren als Lektor in Berlin und begann seine schriftstellerische Laufbahn 1929 mit dem Jugendroman "Dritter Hof links". Else Lasker-Schüler, die er als Dichterin verehrte, schrieb dazu eine hymnische Kritik. 1933 wurde der Roman verboten, doch Birkenfeld blieb im Land und wich auf historische Romane aus, schrieb über Kaiser Augustus und über Gutenberg.
Ein Exemplar des "Augustus" ließ er Mussolini zukommen, doch es wäre reine Spekulation, daraus abzuleiten, er wäre ein Anhänger des italienischen Faschismus gewesen. Nach 1945 setzte er sich für die konstruktive Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld ein, war ein entschiedener Demokrat und Antikommunist, der im Nachkriegs-Berlin mit Melvin Lasky und der vom CIA finanzierten Zeitschrift "Der Monat" zusammenarbeitete.
Literaturgeschichtliche Legenden
Dieser biographische Spannungsbogen ist auch in der Romantrilogie "Wolken – Orkan – und Staub" spürbar, die in den Jahren 1938, 1943-45 und 1950 spielt, also in der Hochphase der nationalsozialistischen Erfolge, während der Zerstörung Berlins und schließlich in der Zeit der Entbehrung und der sich verschärfenden Ost-West-Konfrontation.
Allein dieser Dreischritt räumt mit mehreren literaturgeschichtlichen Legenden auf: Der Legende, es hätte in der Nachkriegszeit keine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und der deutschen Schuld gegeben und der Legende, Luftkrieg und die Zerstörung der Städte sei von der deutschen Literatur vernachlässigt worden.
Allerdings spricht der Misserfolg dieser durchaus ambitionierten Trilogie vielleicht doch dafür, dass die Zeit damals, 1955, noch nicht reif war für derlei differenzierte Rückblicke.
Besonders der erste Teil hat es in sich. Im Mittelpunkt steht Anna, eine junge, mutige Frau, zu deren Freunden ein jüdischer Arzt gehört, der es gerade noch rechtzeitig ins Ausland schafft. Sie verliebt sich in einen Widerstandskämpfer, der heimlich Flugblätter druckt, und bekommt ein Kind von ihm. Der Geliebte wird geschnappt, gefoltert und hingerichtet.
Sie kooperiert mit einem dubiosen, sehr dicken Grafen, der als Produzent von Fallschirmseide zu den Kriegsgewinnlern zählt, zugleich aber für Verfolgte und in Not Geratene eine geheime Zufluchtsstätte schafft.
Kein schlichtes Schwarz-Weiß-Gemälde
Ihr etwas langweiliger Freund Michael hält trotz des Kindes zu ihr, doch die Beziehung steckt in einer Krise. Nimmt man dazu die Figur des Dichters Jürgen Hechta, der dem mit Birkenfeld befreundeten Lyriker Peter Huchel nachempfunden ist, oder die Frau des Grafen, die mit Mussolini sympathisiert, dann ahnt man, wie sorgfältig Birkenfeld allzu schlichte Schwarz-Weiß-Gemälde vermeidet. Jeder hat an eigener Schuld zu tragen.
Teil zwei lebt mehr von den äußeren Begebenheiten, den Nächten im Bombenkeller, dem Leben in Ruinen. Teil drei schließlich behandelt mit dem Strafprozess gegen Annas Neffen noch einmal sehr genau ein Einzelschicksal.
Peter, in Teil eins noch ein netter, herumstreunender Hitlerjunge, geriet im Krieg in ein Kommando der SS, das in Polen in Massenvernichtungsaktionen eingebunden war. Weil er das nicht aushielt, kehrte er aus dem Heimaturlaub nicht zurück, sondern versteckte sich in einem Keller, zusammen mit anderen Herausgefallenen.
Nach dem Krieg bilden sie eine Robin-Hood-artige Diebesbande, und landen schließlich vor Gericht. Daneben geht es weiter um Anna und ihre Ehe mit Michael, die in eine Katastrophe mündet.
Birkenfeld schreibt einen unambitionierten, realistischen Stil. Er ist kein filigraner Sprachkünstler, aber ein präziser Dramaturg. Und er schlägt mit dieser Trilogie einen großen historischen Bogen, der viel zum Verständnis des Alltags, der Nöte und Sorgen und Schuldverstrickungen der Deutschen beiträgt.