Verwobene Verhältnisse
10:26 Minuten
Die Performerin Alicia Agustín und das Kollektiv Guerilla Architects beschäftigen sich im Berliner Radialsystem mit der Stadtplanung in der Hauptstadt und den Folgen von Corona. Die Arbeit ist als Trilogie angelegt.
Es ist Ortserkundung und Kommentar zugleich: "1 km² Berlin – Tragödie der offenen Stadt", heißt das Projekt des 2012 in London gegründeten Künstlerkollektivs Guerilla Architects, das sich aus studierten Architekten und Architektinnen zusammensetzt, die ihre berufliche Praxis auch in künstlerische Präsentationsformen umsetzen – so wie jetzt im Berliner Radialsystem. Es geht um Immobilienspekulationen und um die Ambivalenzen zeitgenössischer Stadtentwicklung – am Beispiel des Berliner Spreeufers, wo Mercedes-Benz-Arena, Malls und ein alter Kiez rund um die historische Markthalle aufeinanderprallen.
Suche nach Verantwortlichen
Alicia Agustín hat dabei als Autorin, Regisseurin und Performerin mitgewirkt. Sie sagt: "Als die Guerilla Architects mit mir darüber gesprochen haben, wie wir performative Formate finden könnten, da ging es mir zum Beispiel darum, wie wir da eine emotionale Verbindung hinkriegen und auch vielleicht etwas, das nicht nur eine Fingerzeig-Geste ist von: Guck mal, die bösen Investor*innen." Es gehe ihr viel mehr um die Frage: "Wer ist da eigentlich alles verantwortlich und wie verwoben sind eigentlich die ganzen Verhältnisse?"
Die auf eine Trilogie angelegte Arbeit ist mitten in den Proben von der Pandemie erwischt worden. "Ursprünglich war das tatsächlich geplant als eine Führung und Prozession, wo es auch wichtig war, die Zuschauer*innen als potentielle Käufer*innen direkt anzusprechen. … Durch die Coronakrise, die dann kam, wussten wir nicht, ob das noch möglich sein würde und haben überlegt: Wie kann man das Format anders erlebbar machen."
Unter Coronabedingungen
Herausgekommen ist die Imitation eines Immobilienshowrooms, in den immer nur zwei Besucher eingelassen werden. Für Alicia Agustín sind die inzwischen geltenden Einschränkungen und Abstandsgebote tatsächlich existentiell. "Als das so sehr frisch war, dachte ich: Wahnsinn! Keine einzige der Performances, die ich in meiner Karriere gemacht habe, wäre jetzt erlaubt. Denn es ging auch sehr viel um Körperkontakt, darum sehr nahe beieinander zu sein, mit dem Publikum direkt zu agieren."
Die Performerin gibt zu: "Das tut weh. Nun kann ich aber auch nicht da sitzen und jammern? Was bringt das?" Für das aktuelle Projekt sind andere, kreative Wege gefunden worden. Und auch für die beiden nachfolgenden Teile werden wohl noch die bestehenden Einschränkungen gelten.
"Diese künstlerische Fantasie und Naivität von: Wie machen jetzt ein Riesending! – die ist gerade nicht da." Die Coronaauflagen denken Alicia Agustín und die Guerilla Architects inzwischen immer mit. "Aber daraus wird jetzt wieder versucht, ein Spiel zu machen. Wie kann ich das umwandeln in etwas, das vielleicht sogar Spaß machen kann? Nicht nur als eine Wiederholung dieses Schmerzes, den wir gerade alle haben, wenn wir unseren Alltag betrachten."
(amu)