Architektur gegen den Stillstand
In Spanien hat die Lust am Wandel die Architekturszene gepackt, vielleicht kein Zufall, schließlich haben Immobilienspekulanten das Land in die Krise gebracht. Nun entscheiden Guerilla-Architekten und Nachbarn gemeinsam, was um sie herum entsteht.
Ein altes Fabrikgelände in Barcelona. Von manchen Hallen bröckelt der Putz, die Fensterhöhlen sind leer. Vor dem zentralen Gebäude aber rankt Grün. Biblioteca Popular Josep Pons steht in gebogenen Eisenlettern an der Wand. Schilder weisen den Weg zu Probenräumen, einer Kletterhalle und zu einer Bar. Im Gemüsegarten harken zwei Jugendliche Unkraut.
Vor drei Jahren haben Anwohner das leerstehende Areal besetzt. Die Krise hatte die hochfliegenden Pläne eines Privatinvestors gestoppt. Gemeinsam mit der Architekturkooperative LaCol wird das 14 Hektar grosse Gelände von Can Batlló seitdem Stück für Stück in ein Kultur- und Sozialzentrum verwandelt.
"Für Can Batlló war die Krise ein großer Glücksfall, sonst wäre hier eine Vision von Stadt realisiert worden, die wir ganz schrecklich finden: mit überdimensionierten Verwaltungsgebäuden und Luxusappartments. Das riesige Areal sollte komplett zugebaut werden: Viel zu schnell! Stattdessen arbeiten wir jetzt peu à peu, die Anwohner entwerfen und bauen mit, so dass der Wandel besser zu verkraften ist."
Sagt Architekt Carles Baiges: Basisdemokratische Stadtentwicklung als Therapie für das krisengebeutelte Spanien, konzipiert nicht für die Ewigkeit, sondern entworfen für den unmittelbaren Bedarf. Denn an dem hat Spaniens Wirtschaft und Politik vorbeigeplant. Kollektive temporäre Architektur ist das Schlagwort im Jahr sieben nach dem Immobiliencrash.
Baugewerbe wartet vergeblich auf Aufträge
Während das etablierte Baugewerbe in lichtdurchfluteten Büros vergeblich auf Aufträge wartet, schlägt sich eine junge Generation von Guerilla-Architekten auf Nachbarschaftsversammlungen und in besetzten Häusern die Nächte um die Ohren. In Madrid entwickelt "Todo por la praxis“ Module, mit denen sich leerstehende Tragwerke im Nu zu Veranstaltungszentren umfunktionieren lassen. In Sevilla verwandeln Architektur-Aktivisten stillgelegte Baustellen in Abenteuerspielplätze, auf Barcelonas Brachen wachsen Tomaten und Skater rollen durch umgebaute Fabrikanlagen. Bei der Planung sind alle gleichberechtigt, Entscheidungen werden im Konsens getroffen, kein Projekt ist endgültig abgeschlossen.In Can Batlló hat man sogar für die Gestaltung einer einzigen Bibliothekswand eine Sonderversammlung einberufen.
"Die Leute betrachten das Gebäude dadurch viel mehr als ihr eigenes. Oft ist es doch so, dass bei Einzug erst mal viel Geld für Umbauten ausgegeben wird, einfach, weil man die künftigen Nutzer vorher nicht gefragt hat. Anders zu arbeiten, ist langsam und erst mal teuer, aber auf lange Sicht rentiert es sich doch. In Can Batlló haben alle über Design und Baumaterialien mitentschieden, und: Sie wissen, wie sie es selber machen können."
Das Potential dieser Stadtentwicklung von unten hat inzwischen auch die Lokalpolitik für sich entdeckt. Operierten die Guerilla-Architekten bislang in der Grauzone zwischen Aktivismus, Architektur und Kunst flattern in letzter Zeit immer häufiger Anfragen aus den Stadtverwaltungen auf die Schreibtische.
Nicht auf Genehmigungen warten
Die Stadt Barcelona etwa hat von Nachbarschaftsinitiativen Pläne für ein Dutzend innerstädtischer Brachen erstellen lassen. Im Garten von Germanetes spielen nach Schulschluss Kinder aus der Nachbarschaft, Anwohner feiern dort am Wochenende Geburtstag. Doch: Die weiße transportable Kuppel, unter der man sich zur Asamblea, der monatlichen Versammlung trifft, die gab es schon als für das Areal noch keine offiziellen Pläne existierten.
Aufgespannt hat sie Davíd Juarez vom Studio Straddle 3, in einer Nacht- und Nebelaktion. Denn trotz der frisch entfachten Liebe der Verwaltung zu basisdemokratischer Stadtplanung – auf Revoluzzer-Gesten verzichten, das, sagt David Juarez, geht nicht.
"Man muss die Dinge einfach machen, wenn man das wirklich will. Das ist die wichtigste Lektion. Wir können nicht auf Verträge oder Genehmigungen warten. Gemeinsam etwas zu bauen, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen – das ist immer auch ein Fest: Das ist es, was uns am Leben hält."
Ankommen gilt nicht, am allerwenigsten jetzt, wo alles im Fluss ist. Etwas anderes stünde den Apologeten des Wandels auch schlecht zu Gesicht.