Güterverkehr in Deutschland

Alles immer gleich und sofort

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Güterwaggons auf dem Verschiebebahnhof Maschen in Niedersachsen. © picture-alliance/dpa
Von Stephan Rammler |
Allen Prognosen zufolge wird der Güterverkehr in Deutschland immer weiter und in erheblichem Umfang ansteigen. Besondere Wachstumsraten weist der Versandhandel auf. Der Mobilitätsforscher Stephan Rammler hält das für eine problematische Folge der digitalen Revolution.
Mein Büro liegt unter dem Dach eines Mehrfamilienhauses. Bislang war das kein Problem. Dann kam der Internethandel. Manchmal klingeln Boten mehrmals am Tag bei mir um Pakete abzugeben. Die Anderen sind tagsüber aus dem Haus. Sie bestellen Spielzeug, Kinderkleidung, Medizin, alles was das Netz so hergibt. Gerade mit Kindern ist das bequemer. Ich habe Verständnis dafür. Doch sie kümmern sich nicht darum, wann geliefert wird, nur schnell soll es sein. So bin ich oft die letzte Hoffnung der gestressten Kurierfahrer, ihre Pakete schon beim ersten Versuch loszuwerden. Manchmal traue ich mich kaum bei Licht zu arbeiten. Es zieht die Expressfahrer an wie Laternen die Mücken. Vielleicht sollte ich das Malheur als Chance sehen und eine Paketstation als Nebenerwerb anmelden.
Mal im Ernst: Das Internet macht unser Leben viel bequemer. Doch der Internethandel ist zugleich ein Problem für alle, die sich ihre Städte leiser, sauberer und grüner wünschen. Der elektronische Handel hat zu einem irren Wachstum der Kurier-, Express- und Paketzustelldienste geführt. Meistens sind es DHL, Hermes oder UPS, die mit der Lieferung beauftragt werden und oft sind es schlecht bezahlte Subunternehmer mit alten und dreckigen Dieselkleintransportern, die die Pakete liefern und dabei obendrein die Straßen, Rad- und Fußwege blockieren.

Schlagwort "digitalisierte grüne Logistik"

Lösungen für den wachsenden Güterverkehr werden heute also händeringend gesucht! Eine der wichtigsten Fragen dabei ist, wie sich das Wachstum von weiteren Emissionen und anderen nachteiligen Effekten entkoppeln lässt. Schon bald erwarten Experten einen globalen Warenumsatz im Wert von 3000 Milliarden Dollar und damit eine Verdopplung der heutigen Zahlen! Die Folge: Steigende Klimagasemissionen, mehr Schadstoffe, Überlastung der Infrastrukturen.
Deswegen sind die derzeitigen Visionen und großen Entwürfe der Mobilitätswirtschaft, die unter dem Schlagwort "digitalisierte grüne Logistik" firmieren auch für uns Konsumenten und Stadtbewohner von großen Interesse. Von selbstfahrenden Elektrotransportern und rollenden Warenverteilzentren, über autonome Drohnen bis hin zur Vision eines "physical internet", in dem Päckchen - von Algorythmen gesteuert - sich ihren Weg selbst suchen, finden sich die vielfältigsten Vorschläge. Ihnen allen ist bei aller Unterschiedlichkeit eines gemeinsam: sie basieren auf digitaler Logistik, mit der die heute oft noch sehr unbefriedigende Effizienz des Güterverkehrs massiv gesteigert werden kann.

Konsumverhalten sollte hinterfragt werden

Dankenswerter Weise werden also Techniken entwickelt und erprobt. So weit, so gut, könnte man meinen. Doch weiß die Verkehrsforschung mittlerweile recht genau, dass die Technik alleine meist nur zu kurzen Entspannungsphasen führt, auf die weiteres Wachstum folgt. Wo Verkehrsinfrastrukturen durch digitalisierte Effizienzsteigerung entlastet werden, entsteht Freiraum, der über kurz oder lang neue Nachfrage gebiert.
Deswegen sollte bei aller Technikeuphorie nicht vergessen werden, dass es letztlich die Lebensstile, die Gewohnheiten und die verkehrsintensiven Raum- und Siedlungsstrukturen sind, die den Güterverkehr wachsen lassen. "Alles von überall her, zu jeder Tages- und Jahreszeit und so schnell und so günstig wie möglich" - das ist das Mantra der digitalen Konsumepoche. Alle Technik wird am Ende nicht helfen, wenn wir nicht beginnen, dieses Konsumverhalten zu hinterfragen.

Stephan Rammler
ist Mobilitäts- und Zukunftsforscher und Gründungsdirektor
des Instituts für Transportation Design (ITD) und Professor für Transportation Design & Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.

Stephan Rammler ist Mobilitäts- und Zukunftsforscher.
© Nicolas Uphaus
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