Guido Crepax: "Valentina"

"Mind fucking" in Schwarzweiß

Ein Sortiment von Sex-Spielzeugen für Bondage- und SM-Spiele mit Maske, Peitsche, Fesseln und Dildos liegt auf einem Sondertisch zum Filmstart von "Fifty Shades of Grey".
Angesichts der durchsexualisierten Gesellschaft wirkt Crepax' "Valentina" heute eher harmlos. © Christian Charisius, dpa picture-alliance
Von Pieke Biermann |
Flash Gordons Schwester oder Lara Crofts Großmutter? In den 60er-Jahren war Guido Crepax' "Valentina" die Ikone des erotischen Erwachsenen-Comics. 50 Jahre nach ihrem ersten Auftreten legt der Avant-Verlag einen prachtvoll gemachten Band mit fünf Episoden vor.
Dass die 1950er- und frühen 60er-Jahre vom sexualpanischen Mehltau verklebt waren, haben ältere Mitbürger am eigenen Leib erfahren. Aber erinnert sich noch jemand wie plötzlich um die Mitte der 60er-Jahre allerlei amazonische Jungfrauen aufkreuzten: so unkeusch wie gattenlos? Eine wundersame Vermehrung, und zwar in Europa, noch bevor in den USA die ersten real existierenden Frauen - naja, nicht gerade sich eine beim Bogenschuss störende Brust amputierten, aber immerhin ihre BHs öffentlich verbrannten und auch sexuell militant auftraten.
Lara Crofts europäische Omas räumten so schlagfertig auf wie Amerikas Herren Flash Gordon, Dick Tracy und Mandrake: Barbarella 1962 von Frankreich aus im All, Modesty Blaise 1963 von England aus in aller Welt, die belgisch-französische Jodelle 1966 im alten Rom. Um nur die drei zu nennen. Und wenigstens dem geradezu schreienden Namen nach gehört Bond-Girl Pussy Galore (1964) in dieselbe Liga.
Die Ikonographischste von allen aber kam 1965 in Italien zur Welt: Valentina - als Spin-Off, fast beiläufig. Nur eben im frisch gegründeten und schnell legendären Mailänder Comic-Magazin "linus". Ihr Schöpfer Guido Crepax, ein preisgekrönter Werbe- und Plattencover-Illustrator, hatte eigentlich eine Superheld-Serie anfangen wollen, aber seinem Kunstexperten Phil Rembrandt aka Neutron eine Valentina Rosselli zugesellt, Fotojournalistin mit androgyner Anmutung und Louise-"Lulu"-Brooks-Bubikopf. Die sich sofort selbständig machte und Crepax 30 Jahre lang nicht los ließ, obwohl er auch noch eine Anita und eine Bianca durch die Panels schickte und literarische Vorlagen von der "Venus im Pelz" über "Justine" bis zur "Geschichte der O" illustrierte. Vielleicht lag's einfach daran, dass seine Frau Luisa fast so hieß wie sein Kinoschwarm Louise Brooks und auch fast so aussah.

Soft-Porno-Tagträume mit Bondage-Fetisch-Elementen

Valentina jedenfalls wurde zum paradigmatischen "Erwachsenen-Comic". Halb Europa lag ihr erotisch zu Füßen, nur die Deutschen kamen wieder mal zu spät, bemäkelten sie hämisch via "Zeit" und "Spiegel", setzten sie noch in den 1980er-Jahren auf den Index und hielten sie die letzten fast 20 Jahren ganz vom Markt fern. Jetzt, nachdem die Neunte Kunst - dank weniger hartnäckiger Streiter und über den Umweg als Graphic Novel - insgesamt feuilletonkompatibel geworden ist, könnte sich das ändern.
Pünktlich zum 50. Geburtstag bringt der Avant-Verlag fünf Episoden als Prachtband heraus. Jetzt kann man sehen, warum Valentina noch immer die Aufregendste von allen ist, obwohl ihre Soft-Porno-Tagträume mit den diversen Bondage-Fetisch-Elementen heute kaum noch einen Puls beschleunigen. Aber Sex ist wie Fußball bekanntlich ein "Ding im Kopf", und so gesehen ist Crepax' Kunst reinstes "mind fucking" in Schwarzweiß - von den Querverweisen zu Musik, Politik, Op- und PopArt über Persiflagen bis zu rasanten Perspektivwechseln und gewagten zerlegten Blickfängen. Fortsetzung folgt hoffentlich. Und bitte gern mit etwas mehr Futter fürs auch durch Editorisch-Historisches erregbare Hirn.

Guido Crepax: "Valentina"
Comic
Aus dem Italienischen von Paolo Caneppele und Günter Krenin
Avant-Verlag, Berlin 2015
207 Seiten, 34,95 Euro

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