Gunter Gebauer über Geflüchtete im Mittelmeer

"Deutschland hat sich Ruhe erkauft"

07:24 Minuten
Die Kapitänin steht auf der Brücke und schaut auf die Geräte.
Mutiger Einsatz - auch wenn sie dafür vielleicht ins Gefängnis muss: Carola Rackete, Kapitänin des Seenotrettungsschiffes "Sea Watch 3". © Till M. Egen
Moderation: Axel Rahmlow |
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Die Kapitänin des Rettungsdienstes "Sea Watch" bietet der italienischen Regierung die Stirn, um Flüchtlinge in Sicherheit zu bringen. Die Situation zeige deutlich, wie sehr die EU beim Thema Migration versagt habe, sagt der Philosoph Gunter Gebauer.
Die Situation der Seenotrettungsschiffs "Sea Watch" ist weiterhin ungeklärt. Für den italienischen Innenminister Matteo Salvini ist "Sea Watch 3"-Kapitänin Carola Rackete eine Verbrecherin. Die Deutsche versucht, ihr Rettungsschiff zur italienischen Insel Lampedusa und die Flüchtlinge ans sichere Land zu bringen. Dieser Konflikt macht deutlich: Es braucht eine politische Lösung für das Thema Migration. So ist auch die Stoßrichtung eines Videos, in dem Rackete ein Statement zur Situation auf dem Schiff abgibt.
Unser Studiogast, der Philosoph Gunter Gebauer, sieht das ähnlich. Die junge Kapitänin sei eine mutige Frau: "Die EU guckt weg – wir alle gucken weg. Was im Mittelmeer geschieht, wollen wir gar nicht mehr wahrnehmen", sagt er. Die Ertrinkenden würden in den Medien nicht mehr "auf den ersten Seiten gezeigt".

Es geschieht nichts, um die Situation zu entschärfen

Der italienische Innenminister sei offenbar fest entschlossen, äußerste Härte zu zeigen und keinen der Flüchtlinge an Land zu lassen. Für Gebauer eine "unerträgliche Situation". Es geschehe nichts, um die Flüchtlinge entweder aufzunehmen oder aber in deren Heimat Verhältnisse schaffen, die ein besseres Leben dort gewährleisteten.
Deutschland wiederum sei mittlerweile froh, dass deutlich weniger Geflüchtete kämen – auch deshalb, weil die Situation angespannt sei wie nie. Zunehmende Gewalttaten wie der Mord an Walter Lübcke – einem Politiker, der sich für die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen stark gemacht hatte - ließen befürchten, dass regional Chaos zu erwarten sei, sollten wieder deutlich mehr Menschen in Deutschland Zuflucht suchen wollen. Man wisse mittlerweile einiges über Bürgerwehren, die Zugang zu Waffen hätten - und rechtsextreme Publikationen heizten die Stimmung weiter an, so Gebauer.

"Dann könnte wieder Gott-weiß-was passieren"

Um diese Situation zu entschärfen, habe Deutschland sich Entlastung und Ruhe erkauft: "Es gibt riesenhafte Zahlungen an die Türkei, jährlich, in Milliardenbeträgen, damit die Türkei die Flüchtlinge abfängt und in Lagern unterbringt." Deutschland wolle damit verhindern, dass die Unruhe, die im Augenblick im Land herrsche, noch größer werde. Deutlich mehr Unruhe könne sich Deutschland, "vorsichtig ausgedrückt", aber nicht leisten - "dann könnte wieder Gott-weiß-was passieren", sorgt sich Gebauer.
(mkn)
Das Porträt von Gunter Gebauer.
Die Flüchtlingssituation im Mittelmeer sei "unerträglich" findet Gunter Gebauer. © Bernd Wannenmacher / FU Berlin

Gunter Gebauer ist Philosoph, Sportwissenschaftler und Linguist. Seine Veröffentlichungen decken ein breites Spektrum ab: Von "Wittgensteins anthropologischem Denken" über die "Poetik des Fußballs" bis zu "Sprachen der Emotion". Bis zu seiner Emeritierung 2012 lehrte Gunter Gebauer Philosophie an der Freien Universität Berlin.

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