Gunter Pleuger: Irak-Krieg hat zum Umdenken geführt

Nach Ansicht des ehemaligen deutschen Botschafters bei den Vereinten Nationen, Gunter Pleuger, hat der Irak-Krieg dazu geführt, dass das Gewaltverbot der UN-Charta wieder ernster genommen wird. Auch die USA wachse die Einsicht, dass man sich an die beiden Ausnahmen zum Gewaltverbot, das Recht auf Selbstverteidigung und die Einwilligung des UN-Sicherheitsrates zum militärischen Eingreifen, zu halten habe, sagte Pleuger fünf Jahre nach Beginn des US-geführten Angriffs auf den Irak.
Gunter Pleuger: Guten Morgen, Herr Ricke!

Christopher Ricke: Wie erinnern Sie sich denn an diese entscheidenden Sitzungen, als sich zeigte, dass die USA wohl in den Krieg ziehen werden, egal, was der Sicherheitsrat dazu sagt?

Pleuger: Ich glaube, die entscheidende Sitzung war die Sitzung im Sicherheitsrat am 5. Februar 2003, als der amerikanische Außenminister Colin Powell die Gründe für ein militärisches Eingreifen der USA vortrug, und diese Gründe erkennbar für die meisten Mitglieder des Sicherheitsrats nicht der Realität entsprachen. Und da festigte sich die Überzeugung im Sicherheitsrat, dass der Krieg bevorstünde. Es hat dann noch eine Reihe von Initiativen gegeben zwischen dem 5. Februar und dem 20. März, um den Krieg wenigstens hinauszuschieben und den Inspektoren die Möglichkeit zu geben, ihre Arbeit zu beenden. Aber alle diese Initiativen waren erfolglos, und der Krieg hat dann am 20. März angefangen, außerhalb der UNO durch eine Koalition der Willigen.

Ricke: War denn wirklich vom ersten Augenblick an zu erkennen, dass die Gründe nicht triftig waren, dass hier eine Inszenierung stattfindet?

Pleuger: Das war weitgehend erkennbar, zum Beispiel die Behauptung, dass Saddam Hussein mit Al Kaida und den Taliban zusammenarbeite, war, glaube ich, nicht glaubhaft. Denn Saddam war ein säkularer, also ein weltlicher Diktator und betrachtete radikale Islamisten eher als seine Feinde. Das Zweite war, wir wussten, dass die Dokumente über die angeblichen Käufe von Yellowcake, das ist eine Vorstufe von Uran, in (…) so primitiv gefälscht waren, dass der Inspekteur El Baradei erzählte, dass seine Mitarbeiter beim ersten Durchlesen diese Dokumente als Fälschung erkannt hätten, und die Frage der Massenvernichtungswaffen und der fahrbaren Biolabore war ebenfalls sehr, sehr zweifelhaft. Deutschland hatte die Amerikaner vor dieser Information auch gewarnt, weil wir wussten, dass sie mit aller Wahrscheinlichkeit falsch war.

Ricke: Deutschland hatte den Vorsitz im Sicherheitsrat. Hatten Sie in diesem Augenblick irgendwo einen Zipfel der Hoffnung, einen Zipfel der Chance gesehen, diesen Krieg noch zu vermeiden?

Pleuger: Ich glaube, auf keinen Fall nach dieser Sitzung. Ich saß übrigens dieser Sitzung nicht selber vor, sondern Außenminister Fischer war nach New York gekommen, um in dieser Sitzung das Präsidium des Sicherheitsrats zu übernehmen. Und Fischer selbst hat ja auch danach das berühmte Wort geprägt, "we are not convinced", wir sind nicht überzeugt von den Daten der Darlegungen der amerikanischen Seite. Und ich glaube, in den darauffolgenden Wochen und Tagen schwand zunehmend die Hoffnung, dass es noch eine erfolgreiche Initiative zur Abwendung des Krieges geben könnte. Es haben Staaten wie Kanada, Mexiko und auch wir versucht, alle mit dem Ziel, den Inspektoren noch mehr Zeit zu geben, um ihnen die Möglichkeit zu geben darzulegen, dass Massenvernichtungswaffen im Irak nicht vorhanden waren.

Ricke: Wenn man heute zurücksieht, über Unilateralismus nachdenkt, über Multilateralismus, über das Recht des Stärkeren, der in den Krieg ziehen will und die Herrschaft des Rechts, dass man eigentlich ein UN-Mandat dafür braucht. Wie groß ist denn in der Rückschau der Schaden, den die Vereinten Nationen damals genommen haben?

Pleuger: Ich glaube, dass der Irakkrieg dazu geführt hat, dass das in der Charta der Vereinten Nationen in Artikel eins niedergelegte Gewaltverbot heute wieder ernster genommen wird. Man kann natürlich eine Supermacht wie die USA nicht daran hindern, unilateral vorzugehen, und die USA haben das auch in früheren Zeiten schon in anderen Gegenden getan. Aber ich glaube, dass auch in den USA die Einsicht wächst, dass man sich an die beiden Ausnahmen halten muss vom Gewaltverbot, nämlich dass Selbstverteidigungsrecht und einen Beschluss des Sicherheitsrats zum militärischen Eingreifen nach Kapitel sieben. Wenn man über diese beiden Ausnahmen hinausgeht, dann landet man in der Tat nicht bei der Stärke des Rechts, sondern beim Recht des Stärkeren.

Ricke: Nun hat sich ja Deutschland auch nicht immer an die Regeln gehalten. Man denke an die Beteiligung am Kosovokrieg. Ist Deutschland ein Land, das dennoch auf die multilateralen Bedingungen verstärkt hinweisen darf?

Pleuger: Ich glaube, dass Deutschland in den Vereinten Nationen und in der internationalen Staatengemeinschaft den Ruf genießt, besonders multilateralistisch vorzugehen und die multilaterale Politik in besonderem Maße zu fördern. Das haben wir nicht nur in den zwei Jahren bewiesen, in denen wir Mitglied des Sicherheitsrates waren, sondern das war eine Konstante deutscher Politik seit unserem Beitritt zu den Vereinten Nationen im Jahre 1973.

Ricke: Der Irakkrieg ist nun so gekommen, wie er gekommen ist, nach fünf Jahren dauert er eigentlich immer noch an. Gibt es denn eine Lehre, einen Wissensgewinn, den man aus diesem Konflikt ziehen kann, wenigstens ein kleines Plus für die Geschichtsbücher?

Pleuger: Ich glaube, dass zweierlei Erfahrungen aus diesem Krieg wichtig sind. Erstens mal, dass man politische Probleme nicht allein mit militärischen Mitteln lösen kann. Das gilt für die Bekämpfung des Terrorismus, für die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Das gilt aber auch für die Wiederherstellung von Recht und Ordnung in einem Lande, das durch Bürgerkrieg oder durch andere Kriege und Krisen zerrissen ist. Und die zweite Erfahrung ist, dass regionale Krisen und regionale Probleme zusammenhängen und deshalb auch nur im Zusammenhang gelöst werden können.

Sehen Sie, wenn Sie den Irak stabilisieren wollen, dann brauchen Sie die Mitwirkung auch der Nachbarn. Ich halte es aber nicht für sehr wahrscheinlich, dass beispielsweise Iran zu einer konstruktiven Mitarbeit bereit sein wird, bevor das Iranproblem, das nukleare Problem der Iraner, nicht gelöst ist. Und man kann das irakische Problem auch nicht ohne die Mitwirkung der Syrier lösen. Und ich glaube, dass auch nicht wahrscheinlich ist, Syrien zur Mitarbeit zu gewinnen, bevor nicht das Problem der von Israel okkupierten Golanhöhen und annektierten Golanhöhen gelöst ist. Das heißt, Sie brauchen ein umfassendes Stabilitäts- und Friedensprogramm für die gesamte Region, wenn Sie die Region auf Dauer stabilisieren wollen. Die Lösung einzelner Konflikte getrennt verspricht jedenfalls keinen nachhaltigen Frieden.