"Als wenn man darauf wartet, dass die letzten Erben sterben"
Julius H. Schoeps ist der Sprecher möglicher Erben der Gurlitt-Bilder und kritisiert, dass sich das Verfahren in die Länge zieht. Seit zwei Jahren sei nicht viel passiert. Deutschland brauche dringend ein Restitutionsgesetz.
Ulrike Timm: Über 1500 Bilder umfasst die Sammlung Gurlitt, Bilder von Matisse, Monet, Manet, Liebermann, die großen Maler des Impressionismus, des Realismus und des Expressionismus. Cornelius Gurlitt, der scheue alte Mann, der jahrzehntelang eine Phantomexistenz führte, hütete seine Schätze in Salzburg und in München. Welche Bilder ihm gehören, bei welchen das zweifelhaft ist und welche Bilder klar aus jüdischem Besitz stammen und in der Nazizeit als Diebesgut oder durch Erpressung den Besitzer wechselten, all das muss nun bei jedem einzelnen Bild genau geklärt werden.
Jetzt soll ein erstes Werk an die Erben des jüdischen Vorbesitzers zurückgegeben werden, "Die sitzende Frau" von Henri Matisse, und Cornelius Gurlitt hat mitteilen lassen, dass er solche geraubten Werke keinesfalls behalten will und auch auf gerichtlichem Wege sie nicht sozusagen verteidigen wird. Und dieses erste Bild soll auch dafür ein Zeichen sein. Julius Schoeps leitet das Moses-Mendelssohn-Zentrum für jüdische Studien in Potsdam und er ist Sprecher der Erben. Schönen guten Tag, ich grüße Sie!
Julius Schoeps: Ich grüße Sie!
Timm: Wie sehen Sie denn diese Ankündigung einer ersten Rückgabe? Kommt solch ein Zeichen an?
Schoeps: Also in jedem Fall: Gurlitt ist gut beraten durch seine Anwälte. Er hat einen Betreuer, Christoph Edel, und die Ankündigung, dass er jetzt Bilder zurückgeben will, das ist sehr zu begrüßen.
Timm: Ja, nun soll dieses Bild baldmöglichst zurückgegeben werden, aber geht das eigentlich derzeit überhaupt? Die Bilder sind doch alle unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft, da kommt doch zurzeit selbst Herr Gurlitt nicht ran.
Schoeps: Nun ja, also hier ist einiges zu klären. Die Staatsanwaltschaft hat diese Bilder schon seit zwei Jahren im Besitz und es ist nichts geschehen. Und die eingesetzte Task-Force soll das jetzt wohl untersuchen. Aber die Anwälte von Gurlitt wollen jetzt selbst die Provenienzforschung in die Hand nehmen. Das finde ich bemerkenswert. Und sie wollen auch Provenienzforscher aus dem Ausland hinzuziehen. Und das lässt hoffen, dass es zu einer schnellen Klärung der Sachverhalte kommt.
Timm: Dieses besagte Bild von Henri Matisse, das gehörte Paul Rosenberg, das war kein Mensch, der die Bilder im Safe aufbewahrt hat, der hat nach Kriegsende auf vielen Wegen versucht, seine Bilder zurückzubekommen, die Familie hat es versucht, haben eine große Bedeutung für die Familie, diese Bilder. Was bedeutet dieses Bild der Familie heute?
Schoeps: Nun, darauf kann ich keine Antwort geben. Es geht hier um historische Gerechtigkeit. Wenn das Bild unter Druck abgegeben werden musste oder geraubt worden ist, soll es nach den Kriterien der sogenannten Washingtoner Konferenz von 1998 den Erben zurückgegeben werden. Und es wird höchste Zeit, dass hier etwas in Bewegung kommt. Man wartet schon lange darauf, dass die Museen und Sammler endlich den Mund aufmachen.
Timm: Ich frage Sie eben auch, weil Sie Sprecher der Erben sind, und um zu klären: Es sind wahrscheinlich nicht nur finanzielle Gründe und wir haben das mal besessen, sondern auch eben ja Überlegungen der Moral und der Gerechtigkeit, warum Erben jetzt daran interessiert sind, diese Bilder so spät noch zurückzubekommen und auch deutlich zu sagen: Das war unser Besitz.
Schoeps: Sie sagen es. Es ist eine moralische Aufgabe, wenn man so will. Die Erben sind verpflichtet eigentlich, zu sehen, was da geschehen ist. Und die Schwierigkeiten, die sich ergeben, sind hier in Deutschland die rechtlichen Probleme, aber auf der anderen Seite gibt es moralische Ansprüche, die damit kaum miteinander zu verbinden sind.
Timm: Bislang haben sich erst sechs Erben gemeldet und die Rückgabe der Bilder eingefordert. Ist es eigentlich verwunderlich, dass es nicht mehr sind, oder schlicht der Situation geschuldet, dass man so vieles im Zusammenhang mit diesem Schatz einfach nur vermuten kann derzeit?
Schoeps: Nun, also das ist eine sehr komplexe Materie. Sie müssen davon ausgehen, dass es viele Bilder gibt, wo es keine Erben mehr gibt, weil sie ermordet worden sind. Und nun kommt ein Problem auf uns alle zu. Wie lösen wir das? Die Österreicher haben das meines Erachtens glänzend gemacht: Sie haben ein Restitutionsgesetz verabschiedet, 2002 glaube ich, und in diesem Restitutionsgesetz steht drin: Wenn ein Bild definiert worden ist als Raubkunst, wird es von den Museen herausgegeben und auf den Kunstmarkt gebracht, und das Bild oder das Kunstwerk wird dann auktioniert, verkauft, und der Erlös wird irgendwelchen Opferstiftungen zugeführt. Das finde ich eine durchaus akzeptable Formel.
Timm: Würden Sie das für Deutschland fordern?
Schoeps: Ich fordere das schon seit Längerem für Deutschland, einmal ein Restitutionsgesetz, wo diese Dinge festgeschrieben werden.
Timm: Und die Bilder, bei denen das dann beim besten Willen nicht zu klären ist, die sollen dann praktisch verkauft werden und dann für andere Zwecke sollte man das Geld sammeln?
Schoeps: Ja. Ich meine, natürlich will ein Museum Bilder, die von Bedeutung sind, behalten. Da habe ich ja Verständnis für. Aber dann muss man Formeln finden, wie man das macht, dann muss man Fonds auflegen, wo Museen Gelder beantragen können, um mit Erben zu verhandeln und so weiter und so fort. Das lässt alles zu wünschen übrig im Moment.
Timm: Sie sind Sprecher der Erben.
Schoeps: Nein, ich bin nicht Sprecher der Erben, sondern ich bin Sprecher der Familie Mendelssohn-Bartholdy.
Timm: Aber Sprecher von den Menschen, die jetzt Bilder zurückfordern.
Schoeps: So gesehen ja.
Timm: So gesehen meinte ich das. Das ist mir schon klar, dass Sie nicht Sprecher aller Erben sein können, die noch gar nicht ermittelt worden sind. Aber was genau macht es so schwer, berechtigte Ansprüche nicht nur nachzuweisen, sondern auch durchzusetzen?
Schoeps: Die Schwierigkeit für die Erben ist, dass sie belegen müssen, dass ein Bild, ein Kunstwerk ihren Vorfahren, ihrem Großvater gehört hat, und da fangen die Probleme an. Wie soll beispielsweise eine ältere Frau in Buenos Aires oder in Caracas, die so eine dunkle Erinnerung hatte, ja, bei meinem Vater hing ein Bild im Arbeitszimmer, aber so genau weiß ich nicht mehr, was es war, wie soll sie das machen? Weder hat sie die Mittel, um einen Provenienzforscher anzustellen, noch die Möglichkeit, einen Anwalt zu beauftragen. Also da fangen die Schwierigkeiten an.
Timm: Wenn Sie schauen auf diese jetzt zweijährige Geschichte um diese Bilder – der Schatz ist ja doch länger bekannt, als er der Öffentlichkeit bekannt ist –, wenn Sie sich das anschauen, ist diese Geschichte um die Sammlung Gurlitt auch ein Beispiel, das wie unter dem Brennglas noch mal die ganze Problematik von Besitz und Enteignung jüdischer Familie beleuchtet und damit auch ein Stück der Geschichte Deutschlands in der Nazizeit?
Schoeps: Selbstverständlich. In diesem Fall ist der eigentliche Skandal ein anderer. Die Staatsanwaltschaft hat diese Bilder vor zwei Jahren beschlagnahmt und seitdem ist nicht viel geschehen. Da liegt der Skandal. Man hat den Verdacht, man wartet darauf, dass her die letzten Erben oder diejenigen, die einen Erbanspruch stellen können, sterben.
Timm: Was wäre denn jetzt aus Ihrer Sicht der nächste notwendige und der nächste richtige Schritt? Denn dass in den letzten zwei Jahren sehr viel schiefgelaufen ist, da sind sich ja alle drüber einig. Was sollte man jetzt sofort tun und ändern?
Schoeps: Als das, was jetzt die Anwälte von Gurlitt machen, ist ganz in Ordnung, das begrüße ich sehr. Sie nehmen die Sache selbst in die Hand, die Provenienzforschung, und haben also auch vor, wenn festgestellt wird, das ist Raubkunst und es gibt Erben, denen man das zurückgeben kann, dass sie diese Bilder und die Kunstwerke herausgeben.
Timm: Julius Schoeps, er leitet das Moses-Mendelssohn-Zentrum für jüdische Studien in Potsdam, ist Sprecher der Familie Mendelssohn und als solcher auch Sprecher von Erben der Bilder des Gurlitt-Schatzes. Herr Schoeps, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch!
Schoeps: Bitte schön!
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