Gurlitt-Kunstfund

Zypries: Es wird keinen neuen Umgang mit der NS-Raubkunst geben

Brigitte Zypries im Gespräch mit Katrin Heise |
Der Vorschlag des bayerischen Justizministers, im Falle von NS-Raubkunst die Verjährungsfristen aufheben zu lassen, sei verfassungsrechtlich schwierig, sagt die SPD-Abgeordnete Brigitte Zypries. "Für jede Form von Rückwirkung fehlt die notwendige Basis", betont sie und sieht keinen Anlass für neue Verfahren.
Katrin Heise: Verjährung - so mancher Gesetzeshüter beruft sich auf die Verjährung im Zusammenhang mit dem Fall Gurlitt und den Bildern, die gefunden wurden. Dabei hatten die Betroffenen viele Jahrzehnte gar keine Chance, ihre Rechte wahrzunehmen. Die Spur der Kunstwerke verlor sich ja irgendwo. Seit 1998 hat auch Deutschland das Washingtoner Abkommen unterschrieben, nach dem zumindest staatliche Stellen ungeachtet von Verjährungsfristen angehalten sind, unrechtmäßiges Eigentum ausfindig zu machen und dann zurückzugeben oder eben Ausgleich zu schaffen.
Im Falle einer Privatperson, wie Cornelius Gurlitt sie ja ist, greift dieses Abkommen nicht, es gibt lediglich den Wunsch der Bundesregierung an Privatpersonen, es den Museen gleichzutun. Zuzeiten des Washingtoner Abkommens, als es also abgeschlossen wurde, war sie Staatssekretärin im Innenministerium, später Bundesjustizministerin. Ich begrüße die Bundestagsabgeordnete der SPD, Brigitte Zypries. Schönen guten Morgen, Frau Zypries!
Brigitte Zypries: Guten Morgen, Frau Heise!
Heise: Warum wurden die Verjährungsfristen im Bezug auf die Raubkunst eigentlich nie aufgehoben? Es gab ja Anfang der 2000er-Jahre da schon mal so eine Bundesratsinitiative.
Zypries: Ich glaube - soweit ich weiß, sag ich mal so, ist es in Deutschland so, dass die Vorstellung von Ordnung, Schlussstrich und Rechtsfrieden immer vorgehend war der Frage, können wir diese ganze Vergangenheit aufarbeiten. Das ist der eine Gesichtspunkt, und der andere ist sicherlich auch ein finanzieller. Also ich fürchte, dass viele das richtig eingeschätzt haben, dass Deutschland diese ganzen Restitutionen im Grunde gar nicht zahlen kann.
Heise: Der bayerische Justizminister Bosberg erklärt ja jetzt im aktuellen "Spiegel", er habe einen Gesetzesvorschlag erarbeiten lassen, der vorsehe, dass Personen, die beim Erwerb "bösgläubig" waren, also die wussten, dass die Bilder ihren Eigentümern abhanden gekommen sind, wie sie abhanden gekommen sind – also, dass die sich auf Verjährung in Zukunft nicht mehr berufen können. Und das soll auch rückwirkend gelten. Er sagt selber, dass es verfassungsrechtlich wohl nicht unproblematisch, aber wir meinen, dass es das dann rechtfertigen kann.
Kunstexperte und Rechtsanwalt Raue bezeichnete diese Idee hier im Programm als "populistischen Schnellschuss" und er zweifle, ob überhaupt nachträglich so eine Verjährungsfrist aufgehoben werden kann. Wie ist da Ihre Meinung?
Zypries: Ich halte es auch für ausgesprochen fragwürdig. Und gerade, was die Frage der Rückwirkung anbelangt, ist es ganz schwierig, weil Sie haben ja eben auch gesagt, dass ist ja nichts, was jetzt zum ersten Mal auf die Tagesordnung käme, sondern das ist ja schon das eine oder andere Mal diskutiert worden. Die Schwierigkeiten wurden gesehen, und es wurde gleichwohl nicht gemacht. Für jede Form von Rückwirkung fehlt für meine Begriffe da die notwendige Basis. Also verfassungsrechtlich gesehen kann man den Eigentümern jetzt nicht sagen, na ja, das ist zwar schon hundert Mal diskutiert worden, aber jetzt machen wir's. Also, das würde nicht funktionieren, glaube ich.
Heise: Eine Aufhebung von Verjährungsfristen – was hätte das eigentlich tatsächlich zur Folge? Sie haben eben finanzielle Gründe und auch Rechtsfrieden angesprochen?
Zypries: Der Vorteil ist wirklich auch, dass man dann sagen kann, nach 30 Jahren ist klar, wer der Eigentümer ist. Und dann kann es eben nur noch darum gehen, im Wege einer Goodwill-Aktion und eines gegenseitigen Verständnisses eine Lösung zu finden.
Heise: In diesem Fall wird dann aber doch Unrecht zementiert!
Zypries: Ja, aber man kann es ja nach 30 Jahren oft auch gar nicht mehr richtig verfolgen, und man muss dann eben sagen, so, so ist es nun mal. Und alle anderen Sachen können nur noch in anderer Art und Weise abgearbeitet werden. Herr Raue, mit dem Sie ja offenbar schon gesprochen haben, macht das ja vorbildhaft vor, wie ich finde. Der kümmert sich ja sehr um die Frage von ehemals jüdischem Besitz und um die Rückgabe. Und eins der Verfahren, die da angewandt werden, ist ja auch, dass man das Bild dann verkauft und das Geld geteilt wird zwischen den an dem Verfahren Beteiligten.
Heise: Wir haben das Stichwort Restitution ja schon angesprochen und auch das Stichwort Washingtoner Abkommen. Das wurde '98 geschlossen bei gleichzeitiger Beibehaltung eben dieser Verjährungsfristen. Das wirkt auf manche wie Doppelmoral, die damals angewendet wurde und bis heute gültig ist.
Zypries: Ja, Sie haben völlig recht. Die Washingtoner Erklärung bezieht sich nur auf öffentliche Museen und öffentliche Sammlungen und bezieht sich nicht auf die Privatleute. Und da steckt aber natürlich genau die Erkenntnis dahinter, dass es für private schwierig gewesen wäre, sie zu verpflichten in der Art und Weise.
Heise: Gleichzeitig ist die Frage, warum hat man damals eigentlich keine gesetzliche Regelung getroffen, was die Restitution angeht, also die Museen wirklich gezwungen, in ihren Archiven nachzugucken. Warum hat man nur appelliert?
Zypries: Das kann ich Ihnen, ehrlich gesagt, auch nicht beantworteten. Ich weiß, dass es diese Appelle gab. Ich weiß, dass auch Einzelne, die sich an diese Appelle gehalten haben, von anderen dann angefeindet wurden, weil das Besitzdenken dann offenbar doch über die Moral geht. Aber warum man das gesetzlich nicht gemacht hat, kann ich Ihnen, ehrlich gesagt, nicht sagen.
Heise: Brigitte Zypries zum Thema NS-Raubkunst, Verjährung und Restitution. Frau Zypries, es wird zurzeit ja sehr heftig darüber diskutiert, über diesen ganzen Zusammenhang. Und es wird auch in Koalitionsverhandlungen gerade zusammengesessen. Ihr Parteigenosse Ehrmann sagte hier im Deutschlandradio Kultur, dass man innerhalb der Koalitionsverhandlungen dieses Thema beim Punkt "Lebendiges Erinnern" auch aufgreifen möchte. Ist da zum Beispiel so eine gesetzliche Regelung oder über die Verjährungsfristen – wird das tatsächlich diskutiert?
Zypries: Da bin ich überfragt. Ich bin nicht in der Arbeitsgruppe, die diese Themen Kunst und Kultur bearbeitet hat, weil ich die digitale Agenda mache. Und deswegen war ich bei denen gar nicht dabei. Also wird man noch ein paar Tage warten müssen, dann sieht man es.
Heise: Also bisher jedenfalls hat man sich damit nicht dann irgendwie raus gewagt mit einer solchen gesetzlichen Regelung, die da vielleicht zu treffen wäre. Denn in den Koalitionsgesprächen, wo Bund und Länder ja zum Teil zusammengesessen haben und eben die große Koalition, die dann ja viel Macht hätte, da könnte man ja so ein umstrittenes oder vielleicht auch schwieriges Gesetz ja auf den Weg bringen.
"Eine Vielfalt von Tatbeständen"
Zypries: Na ja, mit Macht alleine ist es da ja nicht zu tun, wenn es um Rechtsfragen geht. Also diese Frage von rückwirkend aufheben und Verjährungsfristen verändern, das ist nicht einfach. Und ich weiß auch nicht, ob wir damit weiterkommen. Ich kann das aber auch nicht schlussendlich beurteilen, weil ich dazu zu wenig in den Fällen drin bin.
Fakt ist wenigstens: Wir haben es ja bei diesen ganzen Sachen mit einer ganzen Vielzahl von Tatbeständen zu tun, die gegebenenfalls auch anders beurteilt werden müssen. Also wir haben einmal Bilder, die richtig gekauft wurden vom Eigentümer, und da kann man dann darüber diskutieren, wurde da der reelle Preis bezahlt oder wurde vielleicht aus Angstgründen schon zu niedrig gegriffen. Das wird schwer alles zu beurteilen sein.
Und die Frage, ob das dann eben ein rechtmäßiger Verkauf war oder nicht, ist ganz schwierig. Und so was dann jetzt noch mal in rechtliche Formen zu gießen, ist komplex.
Die einfachen Fälle, da wurde was gestohlen vom Eigentümer oder enteignet aufgrund eines Gesetzes, dessen völkerrechtliche Gültigkeit wir heute alle in Frage stellen, die sind da verhältnismäßig einfach. Aber es ist eben so eine Vielfalt von Tatbeständen, die es, glaube ich wenigstens, schwierig macht, da eine einhellige Regelung zu treffen.
Und wenn man da mit irgendeinem Punkt wieder anfängt, dann macht man natürlich alles wieder auf – das muss man auch sehen.
Brigitte Zyries (SPD)
Brigitte Zyries (SPD)© AP
Heise: Sie haben das Völkerrecht eben gerade angesprochen. Der Historiker Götz Aly, der sich mit Eigentumsaneignung während des Dritten Reichs beschäftigt hat, der schrieb in der aktuellen "Zeit", die Kunsthändler hatten in vielen Fällen die Bilder aus dem besetzten Ausland mit den Devisen des jeweiligen Landes bezahlt. Der Vorgang geschah völkerrechtswidrig und unter Zwang, und deshalb sei das Völkerrecht anzuwenden. Sehen Sie die Möglichkeit auch?
Zypries: Na ja, der sagt ja, wenn ich das richtig verstanden habe, dass Deutschland quasi aufgefordert sei, diese ganzen Kunstgegenstände in die jeweiligen Länder zurückzugeben, die mit dem Geld gekauft wurden. Ich kann das jetzt nicht beurteilen, ob das überhaupt eine richtige Recherche ist, muss ich gestehen, das weiß ich nicht, ob das so stimmt.
Wenn wenigstens, ist das einer der vielen Fälle, von denen ich ja eben schon sprach, das wir ja eine ganze Vielzahl von unterschiedlichen Fällen haben, wie man in Deutschland an diese Bilder gekommen ist und die dann gegebenenfalls unterschiedlich beurteilt werden müssten. Und, um ehrlich zu sein, also für den jetzigen Fall würde uns dieser Ansatz ja nicht weiterhelfen.
"Man muss gucken, wo kommen die Bilder her"
Heise: Nur im Fall der Bilder, die tatsächlich dann aus dem Ausland sich im Hause Gurlitt befunden haben. Frau Zypries, insgesamt ...
Zypries: Na ja, das ist ja nicht gesagt, dass die dann so erworben wurden. Das ist ja die Schwierigkeit. Also es nützt nichts. Man muss ja bei jedem einzelnen Bild das machen, was man so Provenienzforschung nennt. Also man muss gucken, wo kommen die Bilder her, welchen Weg sind sie gegangen. Denn natürlich kann auch ein Bild aus dem Ausland auf einem ganz anderen Wege nach Deutschland gekommen sein.
Heise: Insgesamt klingen Sie sehr zögerlich, was jetzt im Moment passieren könnte. Sehen Sie eine Hoffnung insgesamt in dieser Diskussion, dass da tatsächlich jetzt nach vielen, vielen Jahrzehnten ein Unrecht, was von vielen so empfunden wird, was jetzt so hochkommt, dieses Gefühl, dass da neue Wege gefunden werden können?
Zypries: Ich halte es ehrlich gesagt für unwahrscheinlich. Ich glaube, dass diese Sammlung Gurlitt dafür auch zu wenig bedeutend ist, dass es viele Bilder sind, die nicht so, also nicht berühmt sind, nicht zu solchen Verfahren Anlass geben. Deswegen denke ich nicht, dass das jetzt noch mal ein vollständig neues Umdenken wird.
Heise: Sagt Brigitte Zypries, Bundestagsabgeordnete und ehemalige Bundesjustizministerin. Ich danke Ihnen, Frau Zypries!
Zypries: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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