"Er war sehr fortschrittlich im Denken"
Demnächst steht der 100. Todestag des Österreichers an: Obwohl er einer der bestbezahlten Künstler war, seien seine Bilder zu Lebzeiten nicht in öffentlichen Museen zu sehen gewesen, sagt Mona Horncastle. Mit Alfred Weidinger hat sie "Gustav Klimt – Die Biografie" verfasst.
Andrea Gerk: Postkarten, Tassen und sogar Bierdeckel zieren die Bilder des Wiener Künstlers Gustav Klimt. Jeder kennt seine goldverzierten Frauenporträts. Klimts Ästhetik scheint längst Allgemeingut. Umso erstaunlicher, dass jetzt seit 1969 erstmal wieder eine Biografie dieses außergewöhnlichen Künstlers erschienen ist. Verfasst haben sie Alfred Weidinger, der Direktor des Museums der Bildenden Künste in Leipzig, gemeinsam mit der Autorin und Kuratorin Mona Horncastle, die jetzt bei mir im Studio ist. Guten Morgen, Frau Horncastle!
Mona Horncastle: Guten Morgen!
Gerk: Nächste Woche jährt sich der Todestag von Klimt zum hundertsten Mal, aber ich nehme an, das war nicht der alleinige Anlass für diese Biografie. Wieso heißt es überhaupt "Die Biografie" und nicht "Eine Biografie"?
Horncastle: Na, einen Hinweis haben Sie gerade schon gegeben. Es gibt tatsächlich keine Biografie. Die letzte, 1969 gab es eine Publikation, die auf Quellen und Zeitzeugenberichten beruhte, und das war aber mehr eine Dokumentation. Herr Weidinger und ich haben – das ist das dritte Buch, das wir gemeinsam schreiben oder geschrieben haben, und das hat sich – es lag so auf der Hand, dass das mal gemacht werden muss. Unser Verleger hat uns gefragt. Wir waren eigentlich wegen einem anderen Klimt-Buch im Gespräch, und dann meinte er, Mensch, könnt ihr nicht vielleicht eine Biografie schreiben? Da gibt es ja gar nichts.
Auf vielen Büchern steht drauf "Leben und Werk", aber das sind dann alles Auszüge. Alfred Weidinger und ich haben eigentlich das Buch geschrieben, das wir uns immer gewünscht haben so bei unserer Recherche und Arbeit, nämlich eines, in dem alles drin ist, in dem alle Quellen drin sind und alle Belege und man so einen Überblick über sein Leben kriegt und eine Einordnung, weil ansonsten muss man durch Stapel Klimt-Publikationen durch, um sich so einzelne Schnippchen zusammenzusammeln.
Gerk: Und ich nehme an, dass Sie, da ja so viel Zeit auch zwischen dieser letzten Biografie und Ihrer jetzt vergangen ist, auch neue Quellen gefunden haben, oder wie war da die Lage?
Horncastle: Definitiv. Wobei, da muss ich fairerweise, die Kollegen haben die Quellen natürlich überwiegend auch gefunden, wir haben jetzt hier keine Geheimnisse aufgedeckt, bis auf zwei, drei Geschichten, die so noch nirgendwo stehen. Aber der Vorteil ist tatsächlich der, dass wir eben alle Quellen, und zwar nur die belegbaren Schriftstücke … Es ranken sich ja so viele Legenden um Klimt, und da haben wir Abstand von genommen, die dann weiterzuspinnen, weil wir sagen, die werden nicht dadurch wahr, dass wir sie immer wieder erzählen.
Gerk: Aber auch ohne Legenden liest sich das Buch ja auch wirklich packend. Dieses Leben ist ja wirklich faszinierend, und man wundert sich noch mal, wenn man das eben jetzt so wieder sich vergegenwärtigt, was für ein schräger Typ Klimt auch war, dass er heute ja eben, manche schon so, hach, das ist ja irgendwie so kitschig, es interessiert mich irgendwie nicht mehr … Was war denn so das Revolutionäre eigentlich damals an ihm?
"Da bricht die Moderne aus, und zwar in allen möglichen Bereichen"
Horncastle: Er war ein Freigeist. Und er steht auch nicht allein da in dieser Zeit. Fin de siècle, Wien, da bricht die Moderne aus, und zwar in allen möglichen Bereichen. In der Medizin, in der Politik, Frauenbewegung entsteht, all diese Dinge. Die Musik wandelt sich und geht weg vom Historismus hin in die Moderne, und da war er tatsächlich in so einem Umfeld. Also in seiner Kunst kommt das auch alles zum Ausdruck. Tatsächlich, dieses Dekorative, was er definitiv hat, auch wenn er nicht als Dekorationskünstler in der späteren Zeit bezeichnet werden sollte – hat mich abgestoßen ganz am Anfang.
Ich wurde vor, ich glaube, fünf Jahren das erste Mal gefragt, ein Klimt-Buch zu schreiben, und das war innerhalb einer Reihe, und es war eine Comic-Reihe für Kinder, und da habe ich gesagt, um Gottes willen, Klimt … Also erst mal dieser ganze Schweinkram, wie soll ich das den Kindern erklären?
Und je mehr ich mich damit beschäftigt habe und vor allem mit ihm als Person beschäftigt habe, umso faszinierender fand ich ihn, weil er mutig war. Er hat sich nicht sonderlich geschert um irgendwelche gesellschaftliche Zwänge. Er hat durch bestimmte Entwicklungen in seinem Leben auch sehr viel Freiheit erlangt, und die hat er ausgelebt.
Und er war sehr fortschrittlich im Denken, nicht nur wie er Kunst gedacht hat und wie er alle möglichen Einflüsse hat einfließen lassen in sein Werk, sondern auch mit der Sezession. Die haben das ganze Ausstellungswesen revolutioniert.
Gerk: Da gab es ja auch Riesenskandale, diese Fakultätsbilder, die da gemalt wurden für die Universität, die waren ja ein Riesenskandal. Wenn man die heute anschaut – die sind ja leider nicht mehr erhalten –
Horncastle: Nein, die sind verbrannt.
Gerk: – dann fragt man sich, was hat die Leute daran so aufgebracht eigentlich?
"Diese nackten Körper waren obszön"
Horncastle: Nackte Körper, Schwangere, alte Männer. Der hat das Leben gezeigt. Er hat – und das ist jetzt so die medizinische Sicht auch – er hat sich auch mit Darwin beschäftigt. Und bei den Fakultätsbildern, das war ein Riesenskandal, das war auch für ihn existenziell bedrohlich. Er hat diesen Skandal aber nicht gesucht. Der war jetzt zunächst mal von seiner Haltung her kein Revolutionär, der sich mit allen anlegen wollte. Er ist unzählige Male zu den Professoren und hat nachgebessert und hat wieder nachgebessert und wieder, und immer noch war irgendwas.
Es war einfach, diese nackten Körper waren obszön, und vor allem haben die Fakultätsbilder nicht dieses positive Bild der Wissenschaften abgebildet, sondern haben eben auch die Schattenseiten des Lebens beinhaltet, und das hat die Professoren sehr gestört. Die wollten sich etwas idealisierter dargestellt haben.
Gerk: Interessant ist ja auch, dass, obwohl er so angeeckt ist erst mal und eben auch so ein Erneuerer war, dass er trotzdem auch finanziell so erfolgreich war. Das ist ja doch eine ungewöhnliche Kombination erst mal in der Zeit, oder?
"Klimt zu Lebzeiten war nicht in öffentlichen Museen"
Horncastle: Er war einer der bestbezahlten Künstler, und das liegt daran, dass er so revolutionär war und dass er modern war, weil, wer hat ihn gesammelt, wer hat Aufträge bei ihm gegeben für Porträts? Das war das jüdische Großbürgertum, und zwar fast ausschließlich.
Man kann, wenn man es ein bisschen überspitzt formuliert, sagen, für Klimt ist es ein Distinktionsmerkmal, dass er jüdischer Frauen gemalt hat und für die jüdische Bevölkerung in Wien oder für das Großbürgertum, das es sich leisten konnte, war es ein Distinktionsmerkmal, sich von Klimt malen zu lassen und Klimt zu sammeln.
Das war eine Abgrenzung gegenüber dem christlichen Bürgertum, das sich am Adel orientiert hat, und so haben wollte das das jüdische Großbürgertum auch, aber die brauchten eine Unterscheidung. Und da hat so eins das andere gegeben, im Übrigen auch der Grund, warum Klimt fast nur in Privatsammlungen hing. Klimt zu Lebzeiten war nicht in öffentlichen Museen.
Gerk: Wie ging das dann, er ist ja sehr früh gestorben, wie ging das dann nach seinem Tod weiter, wie wurden seine Bilder rezipiert?
Horncastle: Der geriet recht schnell in Vergessenheit, weil die Bilder waren nicht zugänglich, die wurden dann auch in der Sezession nicht mehr ausgestellt. Die hingen dann nur noch in den Häusern der Besitzer, und es kam zu seinem … Zehn Jahre nach seinem Tod gab es noch mal eine Ausstellung in Österreich, und dann wurde es sehr still, und 1938 mit dem sogenannten Anschluss wurden seine Mäzene enteignet, und dann sind die Bilder aber auch irgendwie verschwunden.
Und ganz lange wurde Klimt überhaupt nicht mehr betrachtet, also vor allem nicht, wenn man – heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen.
Gerk: Ich wollte gerade sagen, dieser kometenhafte Aufstieg, aus was heraus kam der?
"Das Kunstrückgabegesetz wurde geändert, und damit war erstmals eine Grundlage da"
Horncastle: Der kam ja recht spät. Späte 1990er-Jahre. Und der kam durch eine Änderung der Gesetzeslage. Das Kunstrückgabegesetz wurde geändert, und damit war erstmals eine Grundlage da, wenn man eine Rückforderung gestellt hat, dass man auch zumindest ein bisschen Aussicht hatte, dass man seine Werke zurück kriegt als Erbe. Dann immer noch kompliziert wegen Ausfuhrgesetz, und das muss dann – vielleicht kriegt man es wieder, aber man darf es auf gar keinen Fall ins Ausland mitnehmen. Und dann wurde das marketingtechnisch ziemlich gut gemacht mit der "Goldenen Adele".
Das war ein medialer Aufschrei weltweit, und das hat die Preise enorm in die Höhe gepuscht. Davor konnten sich das die Erben gar nicht leisten, jahrelang zu streiten, ohne eine Gewissheit, dass man auch was gewinnt, beziehungsweise wenn man das Werk zurückkriegt, dass es dann auch was wert ist. Und ab da war das dann aber sicher. Und das hat auch zu tun, es war eben eine Zeit, in der der Kunstmarkt ohnehin anfing, sich zu überhitzen. Also da kommen eben diese beiden Dinge zusammen, und wie es heute aussieht, wissen wir ja.
Gerk: Und würden Sie sagen, er hat auch als Künstler heute noch wirklich eine Bedeutung?
Horncastle: Viel zu wenig. Seine Kunst und diese touristische Marketingaufbereitung überdeckt, was für ein großartiger Mensch er wohl war. Wie integer er war. Wie viel er auch geschaffen hat. Nur weil da jetzt Gold auf Bildern ist – die "Goldene Adele" ist das bekannteste, aus besagtem Grund, wie wir es gerade mit der Restitution hatten.
Die Porträts, die er danach gemalt hat, in die fließen die asiatischen Einflüsse ein, da fließt der Impressionismus ein. Seine Landschaftsgemälde sind absolut unvergleichlich, wenn man es misst an der Zeit, in der er es gemacht hat und unter welchen Einflüssen er stand.
Und die Wiener Moderne war später als eine Moderne in Berlin oder von Paris ganz zu schweigen. Davon müssen wir nicht reden, dass die ein bisschen hinterher waren. Das kann jetzt auch nur ich sagen, als Nicht-Wienerin, Entschuldigung. Es wird einfach wahnsinnig viel Marketing getrieben, er ist der Publikumsmagnet, und dadurch verschwindet er als Person.
Gerk: Und deshalb wollen wir ihn wiederentdecken dank Ihres Buchs, Mona Horncastle. Vielen Dank, dass Sie hier waren! Und die Biografie von Mona Horncastle und Alfred Weidinger ist beim Verlag Brandstätter erschienen, 325 Seiten kosten 29 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.