Gut gehütet und beschützt
Protestantisch, ledig, verwitwet oder geschieden - auf jeden Fall ohne eine partnerschaftliche Beziehung. Die lenkt ab. Vom eigentlichen: einem Leben in christlicher Atmosphäre mit sozialer Einbindung in klösterlicher Umgebung.
Für gerade ältere Menschen ist die Einsamkeit ein großes Problem. Nach anfänglich zaghaften Rückzügen steht am Ende oft die völlige Isolierung. Nicht so im Zisterziensinnen Konvent Medingen. Gemeinsam essen, beten und arbeiten sie, die Konventualinnen. Und weltfremd sind sie nicht. Manche gehen nach Jahren auch wieder in ihr früheres Leben zurück. Allerdings nicht mehr mit dem alten Ballast, mit dem sie in den Stift eintraten.
Aufregung und Vorfreude im Kloster Medingen in der Lüneburger Heide. Die traditionelle Pfirsichbowle für das Dank- und Weihfest am 24. August muss vorbereitet werden, das heißt, 13 Konventualinnen und eine Altäbtissin schälen und schnippseln in schöner Eintracht und bester Laune in der großen Gemeinschaftsküche kistenweise Pfirsiche. Die amtierende Äbtissin Frau von Kleist, eine resolute, joviale Dame, geschieden, Ende 60, bereitet inzwischen in ihrer eigenen Wohnung ihre Rede für die abendliche Feier im Brauhaus vor und erinnert an den Anlass für das Fest.
"Wir feiern seit hunderten von Jahren immer am 24. August das Dank- und Weihfest, weil immer am 24. August eine Kirche neu geweiht wurde und zwar einmal 1241, sind dann 1336 hierher gekommen. Hier wurde die neue Kirche auch am 24. August geweiht, dann sind sie abgebrannt im 18. Jahrhundert. Und wieder am 24. August 1788 wurde diese Kirche geweiht. Und … aus der Tradition heraus wird immer am 24. August das Dank und Weihfest gefeiert, das hat insofern noch eine ganz besondere Bedeutung, weil die Äbtissin mit dem Krummstab in die Kirche einzieht und die Kaplanin mit dem großen Mauritius, das ist eine sehr feierliche Angelegenheit. Außerdem wird in der Kirche außer einem Gottesdienst auch das Salzgebet gesprochen, damit wir nicht vergessen, woher unser Reichtum kommt. Dann gibt es im Anschluss an den Gottesdienst einen Empfang unten im Festsaal, mit einem Gläschen Sekt vorweg geht es anschließend zum gemütlichen Beisammensein ins Brauhaus und dann werden da ein paar Reden geschwungen."
Mit dabei wird diesmal Gisela Gräwe sein: Anwärterin zur Konventualin, eine kräftige Frau burschikos, mit kurz geschnittenen braunen Haaren, in ihrem früheren Leben - wie die Konventualinnen hier ihr Dasein vor dem Eintritt ins Kloster bezeichnen - Besitzerin eines Damenwäschegeschäftes, die im Internet nach den Aufnahmekriterien ins Kloster Medingen recherchierte.
"Darin stand eben, dass man durchaus geschieden sein darf, verwitwet, also kein lediges, adliges Fräulein mehr sein muss, sondern durchaus bürgerlich und dass ich mich nicht einkaufen muss, was ich ursprünglich angenommen habe. Im Gegenteil, dass ich hier mietfrei wohnen kann. Ein Altersheim solange ich selber fit bin, kam für mich nicht in Frage, ich hätte mir auch keines leisten können, das muss ich sagen, mit einer normalen kleinen Rente können sie sich kein sehr gutes Altersheim leisten."
Aber sehr gut lebt es sich im Ziel der Sehnsucht, im Kloster Medingen. Der frühklassizistische Bau in Form eines gestauchten H mit der Klosterkirche in der Mitte des Querbalkens in seinen Farben englisch rot, ocker und weiß und seinen nach englischem Vorbild angelegten Landschaftsgärten, ähnelt eher einer Schlossanlage, als einem Kloster. In seiner Blütezeit kurz vor der Reformation lebten mehr als 100 Nonnen im Zisterzienserinnen Kloster Medingen. 1524 trat Herzog Ernst zu Braunschweig und Lüneburg – genannt der "Bekenner" dem Luthertum bei und ordnete die Reformation auch für die Heideklöster an. Doch die Äbtissin ließ die übersandten Lutherbibeln einfach öffentlich verbrennen. Ein mehr als 30-jähriger "Nonnenkrieg" entbrannte. Für diese Rebellion bestrafte der Herzog das Kloster mit Einzug der Ländereien zu seinem fürstlichen Kammergut, ließ Teile der Klosteranlage abreißen und gab den Nonnen erst ein kleinen Teil wieder zurück, als sie endlich 1555 das lutherische Glaubensbekenntnis annahmen. Wer heute hier aufgenommen werden will, muss laut der Äbtissin, Frau von Kleist - im Augenblick die einzige Adlige im Kloster Medingen - nicht viel mitbringen.
"Grundvoraussetzung ist, dass man evangelisch und alleinstehend und nicht zu alt ist, weil wir ja für das mietfreie Wohnen hier Arbeitsleistungen erbringen müssen. In Form von Führungen in erster Linie und dann gibt es ja noch eine Menge kleiner Nebenämter, die übernommen werden müssen."
Ein paar mehr Erwartungen sind aber doch zu erfüllen. Anwärterinnen sollten nicht älter als 65 sein, müssen eine Probezeit von einem halben Jahr bestehen, der Konvent muss sie akzeptieren und die Äbtissin überzeugen, die letztendlich entscheidet, wessen Bewerbung sie in Betracht zieht.
"Meine Nase zuerst mal, es gibt Leute, die kommen gar nicht in den Konvent. Das sag ich von vornherein, es liegt ja nicht nur daran, dass man mit mir nicht auskommt, es gibt durchaus Möglichkeiten, dass man sich in anderen Klöstern wohlfühlt."
Gemeint sind die sechs Lüneburger Heideklöster, die alle ähnlich wie Medingen Wohnraum für Frauen anbieten, die ihren Lebensabend in einer klösterlichen Gemeinschaft gestalten wollen. Jeder Konventualin steht kostenlos eine eigene Wohnung zu, mit rund 75 qm, hell, freundlich, immer fünf Fenster sind eine Wohnung mit Bad und Küche. Nur für ihr leibliches Wohl muss jede selbst aufkommen.
"Sie kochen für sich selber, sie halten ihre Wohnung selber in Ordnung. Es wird ja nur wenig zusammen gegessen, an den hohen kirchlichen Feiertagen, dann kocht die Äbtissin, dann ist der ganze Konvent eingeladen, aber ansonsten sind sie wirtschaftlich für sich allein verantwortlich und haben trotzdem einen Platz, wo sie nicht alleine sind, wenn sie nicht alleine sein möchten."
Die Gründe, warum Kloster Medingen so beliebt ist, sind so unterschiedlich, wie die Frauen, die heute noch in "Zivil", in ihrer Alltagskleidung in der großen Gemeinschaftsküche beim Pfirsich schälen und schnippeln sitzen, in Röcken oder Kleidern, keine in Hosen, das ist ungeschriebene Kleiderordnung im Kloster. Maria Lütt ist seit 18 Jahren Konventualin.
"Eine meiner Freundinnen hat mehrere Tanten, die Äbtissinnen in solchen Klöstern waren und als ich 60 wurde, hat die zu mir gesagt, du gehörst ins Kloster. Und da hab ich gesagt, dir piept es wohl ... und wenn sie mich heute fragen, ist es eine gute Form des Altwerdens. … man hat Aufgaben, geht mit Menschen um, muss sich immer auch mit Geschichte und Kunstgeschichte befassen man hat eine eigene Wohnung, man kann sich zurückziehen, aber man kann eben auch immer mit andern zusammen sein."
Nähe und Ferne, aber auch Distanz sind den Damen wichtig. Den meisten genügt die Form der Nähe, dass sie sich täglich im Haus sehen, manchmal gemeinsam essen gehen oder mit der Äbtissin ins Thermalbad nach Bad Bevensen im Auto zu viert fahren. "Ja," sagen sie, "man sieht sich und man siezt" sich, bis auf wenige Ausnahmen.
"Da wo ich gearbeitet hab mit jungen Kollegen, da wurde sich nicht nur geduzt, sondern auch geküsst, da und da und da und das fand ich immer so furchtbar schrecklich. Ich habe gute Freunde mit denen ich mich sieze.
Sie duzen sich doch mit mehreren, Frau Schütze und Frau Zieman."
So friedlich die Stimmung hier auch wirkt, ein bisschen Rebellion ist auch unter den heutigen Stiftsdamen, allen voran bei ihrer Äbtissin immer noch vorhanden.
"Bei den Klöstern sind auch wieder Unterschiede, die Calenberger und die Lüneburger. Die Calenberger haben eigentlich das Vermögen eingebracht. Elisabeth von Calenberg hat in kluger Voraussicht, als die Reformation über das Land hereinbrach, und der Landesherr die Klostergüter alle eingezogen hat, unseres auch, wir haben ja sehr viel verloren. Da hat die ihre Calenberger Klöster in eine Stiftung eingebracht. Und das ist das Grundvermögen der Klosterkammer. Die Klosterkammer ist eigentlich nur die Behörde, die das verwaltet, dem Stiftungszweck entsprechend, das ist auch vertraglich festgelegt. Die Lüneburger sind wie gesagt erst 1937 dazu gekommen und da ist zu unserem Glück versäumt worden, dass man uns in die gleiche Kiste packt, wie die Calenberger. Hier ist die Äbtissin fast vorwiegend autonom. Ich habe einen eigenen Haushalt ich regiere hier für mich alleine mit meinem Konvent bis auf die Unterhaltung der Bauwerke. Da ist die Klosterkammer in der Pflicht. Für die sechs Lüneburger Klöster wollen sie das ändern, aber mit Hauen und Zähneklappern sind wir dagegen, weil wir sind das Kloster mit dem größten Konvent. Soviel hat keiner …"
Über einen Mangel an Bewerberinnen können sich die Medinger tatsächlich nicht beschweren. Altäbtissin Rothbarth meint zu wissen, woran das rege Interesse liegt.
"Das mit dem Auffüllen jetzt, dass jetzt keine Schwierigkeiten sind, das hat natürlich auch etwas mit dem Arbeitsmarkt zu tun. Eine Dame in einer bestimmten Position, die wird dann plötzlich entlassen, die ist zu alt für die freie Wirtschaft und dann ist ja wunderschön, ich gehe in ein Kloster und erfülle da noch einige Aufgaben."
Viele kleine und größere Ämter sind in Medingen zu besetzen, in erster Linie die Führungen durch die Klosteranlage, die jede der Konventualinnen übernehmen muss und die nach einem strengen Dienstplan eingeteilt werden. In den Sommermonaten ist das besonders wichtig für die täglich dreimal angesetzten Klosterführungen. Diesem Dienst hat Äbtissin von Kleist aber ein bisschen von der starren Regelung, dass zwischen Mai und Oktober keine Konventualin verreisen darf, genommen:
"Jetzt dürfen die Damen zwei Wochen im Sommer weg. Wir haben festgestellt, wenn man das nicht macht, dann gehen die Damen auf dem Zahnfleisch, das gibt einen Zickenkrieg zum Ende der Saison, besonders die älteren, da sind die Nerven nicht mehr so und dann haben die sich in die Flicken gekriegt wegen Kleinigkeiten. Und jetzt geht das ganz gut. Man muss da schon konsequent sein."
Konsequent sein gehört eben zu den Pflichten einer Äbtissin, die als selbständige Unternehmerin einen richtigen Wirtschaftsbetrieb zu unterhalten hat, die Menschenkenntnis braucht und auch mal Brücken schlagen und diplomatisches Geschick beweisen muss, wenn es gilt bei Streitigkeiten zu vermitteln.
"Wenn es denn da wirklich auch mal kriselt, dann knöpfe ich mir sozusagen jede Einzelne vor und mache beiden klar, dass es eigentlich Kinderkram ist, sich über dieses oder jenes aufzuregen. Es lohnt doch eigentlich gar nicht und meistens hilft es auch was."
Eine Krise, bei der sie wenig vermitteln konnte war ihre Bestellung
zur Äbtissin, die traditionell auf Lebenszeit vom Konvent gewählt und nicht von der Klosterkammer bestimmt wird.
"Und dann ist meine Vorgängerin sehr krank geworden, und dann haben also zwei Damen gesagt, auf die Dauer geht das dann nicht. Und dann hat mich der Präsident angerufen und in die Klosterkammer bestellt und das erste was er sagte, als ich kam war: drei Stellen als Äbtissin sind vakant, wo wollen Sie denn hin. Hab ich gesagt, da ist er falsch informiert, Äbtissin wollte ich nicht werden, ich wollte Konventualin in Medingen werden. Und da hat er gesagt, ja Medingen könnte ich aber nur als Äbtissin. In der Regel hätte er das gar nicht tun dürfen. Und meine Vorgängerin war auch sehr sauer, als sie das mitkriegte, dass er mich da bestellt hatte und mehr oder weniger schon Nägel mit Köpfen gemacht hat, was sie also überhaupt nicht gut fand und ich habe das dann versucht auszuräumen, dass ich nicht an ihrem Stuhl säge, weil ich hatte das ja nie vor, hierher zu gehen als Äbtissin und wenn es dann eben nicht anders ging, na ja und dann hat der Konvent mich gewählt."
Altäbtissin Rothbarth, die 84-jährige weißhaarige Dame, mit strahlend blauen Augen aus denen der Schalk blitzt, ist nach Ihren eigenen Worten eigentlich immer um Haltung bemüht, trotzdem bestätigt sie, dass sie "sehr sauer" war.
"Und als ich dann hörte, dass er in meiner Abwesenheit, die er genau wusste, war er hier gewesen und hatte Frau von Kleist mitgebracht und sagte, hier werde der Äbtissinnen Posten frei und ich würde aus Altersgründen aufhören. Ich hatte noch kein Wort gesagt. Aber er musste ja auch irgendwas sagen. Und Frau Äbtissin hat das mitgespielt. Ja und als ich wieder kam, meine Damen standen alle da ganz besorgt und sagten mir das und ich sagte, na warten wir doch mal ab, was kommt."
Altäbtissin Frau Rothbarth, die erste Äbtissin, die nicht adelig ist, verheiratet war, verwitwet ist und drei Kinder hatte, ist aber ähnlich als Quereinsteigerin zur Äbtissin geworden, auch sie war keinen Tag lang Konventualin, wie sie sagt, sondern wurde auch geholt, weil die amtierende Äbtissin krank war. Altäbtissin Frau von Bülow lebt heute, 97jährig im Altenheim neben dem Konvent, denn bei Pflegebedürftigkeit steht die Vertreibung aus dem Paradies an.
"Ja, das hört sich jetzt so schlimm an, wenn wir nachts nicht mehr alleine sein können, dann ist es so dass wir nicht hier bleiben können. Das wissen wir aber von vornherein. Das wird uns, eh wir uns entscheiden, wird uns das gesagt und es gibt ein Kloster, was uns dann aufnehmen würde, Marienwerder. Das darf man ja nicht vergessen, wir haben ja kein Pflegepersonal hier im Hause. Und dann muss man natürlich als Äbtissin dafür sorgen, dass ne Wohnung dann mal frei wird, dass man jemand Junges aufnehmen kann. Aber ich glaube, jedes Kloster braucht auch jüngere, sonst würde das Kloster auch allmählich leer stehen. Daran sind ja auch viele Klöster dann auch eingegangen, weil es dann keinen Nachwuchs mehr gab."
Die derzeitige Nachwuchs-Konventualin hat sich die ersten Sporen schon verdient, hat mal 14 Tage hintereinander, oder mal nur ein Wochenende zur Probe in ihrer späteren möglichen Wohnung gelebt und hat sich von allen Konventualinnen beschnuppern lassen.
"Dann wird man während dieser ganzen Woche rumgereicht, das heißt, vier mal am Tag sind sie bei einer Konventualin zum Essen eingeladen, Frühstück bei einer, Mittag bei einer, Kaffee oder Tee bei einer und Abendbrot bei einer anderen. Das bedeutet eben, dass jede Konventualin die Gelegenheit hat, unter vier Augen mit ihnen zu sprechen, um sie ein bisschen kennen zu lernen. Und man selbst auch die Konventualinnen. Sie können sich denken, dass das anstrengend ist, alleine schon die vier Mahlzeiten am Tag. Lacht. Aber auch das habe ich gepackt."
Weil sich Gisela Gräwe unter Frauen sehr wohl fühlt, gut mit ihnen zurecht kommt und ihr ganzes Berufsleben nur mit Frauen zu tun hatte, kann sie sich eben gerade eine Lebensgemeinschaft unter Frauen sehr gut vorstellen, wie sie selbst sagt.
"Man hat auch so, so Idealvorstellungen von einer Lebensgemeinschaft unter einem Dach. Und da hab ich inzwischen geguckt, dass es eben, wo Menschen zusammenkommen überall menschelt. aber ich denke, das passt sich von alleine an, wenn man in der Gemeinschaft lebt."
Oder man verlässt das Kloster ohne Angabe von Gründen wieder, in der eineinhalbjährigen Probezeit, aber auch danach stehen die Tore in beide Richtungen offen. Das Kloster beherzigt immer noch das alte Zisterzienserwort: "Das Tor ist offen, das Herz noch mehr." Und einige der Konventualinnen haben in den letzten Jahren auch den Schritt durch das Tor hinaus wieder gewagt.
"Ja, das hat es auch schon gegeben, hier glaube ich einmal, soweit ich mich erinnern kann. Und eine ist nach drei Jahren wieder weg gegangen, aber sie ist nicht neu liiert. Sie ist aber gegangen, um zu heiraten. Ne, ich hab jetzt eben Frau Klein gemeint. Nein, Frau Hoffmann, sie ist weg gegangen, um zu heiraten aber dann hat sie nicht geheiratet, die hat nicht geheiratet, weil er verstorben ist dann."
Alles darf man, verwitwet, geschieden, ledig, nur nicht verheiratet sein, wenn man ins Kloster geht, das löst Empörung aus.
"Das ist ja ... ich hab keinen Mann mehr, sie haben den vielleicht noch 50 Jahre und dann soll ich immer zugucken wie gut es ihnen geht. Ja, ja, die einen haben ihre Zweisamkeit und die anderen sind allein. Ja ich mein, wer einen Ehemann noch hat, der ist doch in Zweisamkeit. Also ne gewisse Ordnung muss es schon geben… ich finde es schon richtig, dass man geschieden sein muss. Also ich denke man muss sich entscheiden, man kann nicht nur halb ins Kloster gehen."
Alleine ist aber in der Klostergemeinschaft keine. Und manchmal wurde aus der Not eine Tugend gemacht. Als im vorigen Jahrhundert die Stiftsdamen nicht mehr die Töchter der Lüneburger Patrizierfamilien oder aus adligem Haus waren, die mit reichem Hausstand und eigenen Zofen in den Konvent eintraten, durch ihre Mitgift den Besitz des Klosters mehrten und somit großen Reichtum einbrachten, sondern Frauen aus der Bürgerschicht waren, fehlte dem Kloster das Geld für Personal. Selbsthilfe und Nachbarschaftshilfe musste das bis dahin zahlreiche Personal ersetzen.
"Die Damen haben alle eine sogenannte Schlüsseldame, das bedeutet, wenn man in Urlaub fährt, ist die Dame verantwortlich zum Blumengießen und wenn man zurückkommt steht meistens der Ohnmachts-Happen vor der Tür, damit man nicht gleich über den leeren Kühlschrank stolpert, sondern, dass draußen schon etwas bereit steht, was man .. um den ersten Hunger zu stillen, den Ohnmachts-Happen eben nennt. Und das hat sehr viel Wärme. Und die Schlüsseldame kümmert sich auch um einen, wenn man mal krank wird, man hat eine Grippe, braucht morgens eine Bouillon, der Arzt muss reingelassen werden. Dafür ist sie zuständig."
Für Büroarbeit und Finanzbuchhaltung, als verlässliche rechte Hand der Äbtissin ist Sigrid Manzke, die Sekretärin zuständig, zierlich, klein mit hochgesteckten blonden Haaren führt sie seit Jahren die Bürogeschäfte im Kloster. Und hat einen ganz besonderen Bezug zu Medingen.
"Und zwar bin ich 45 mit meiner Mutter und älteren Schwester vor den Kriegswirren eben geflohen und wir sind hier mit dem Hindenburgtreck von Neudegg - Hindenburg hierher gekommen und der Hindenburg hatte hier eine Adresse, denn die Schwester des alten Generalfeldmarschalls lebte hier und so sind wir eben hier gelandet und das Kloster hat die Türen aufgemacht und Flüchtlinge aufgenommen und die Konventualinnen haben ihre Wohnungen geteilt und das Haus war bis unters Dach voll. Natürlich waren damals auch sehr viele Kinder hier im Haus, wir waren über dreißig Kinder. Es war einfach wunderschön, ein Kloster sein Zuhause nennen zu können, ist schon etwas Besonderes."
Bis zu ihrer Hochzeit hat sie bei Ihrer Mutter, die als Kriegerwitwe weiterhin als Mieterin im Kloster geblieben war, gelebt. Ihr Auszugstag …
"… das war mein Hochzeitstag Das war schon was, schon komisch, aus einem Kloster raus zu heiraten."
Inzwischen sind die Vorbereitungen zum Dank und Weihefest so gut wie abgeschlossen und der Konvent ist bereit mit dem kostbaren Krummstab aus dem Jahr 1494 und der Statue des Heiligen Mauritius, ihres Schutzpatrons, in die Kirche einzuziehen, vor der Äbtissin von Kleist stand, als sie das erste Mal nach Meingen kam, um sich vorzustellen.
"Es hat mich fasziniert. Ich hab hier vorne vor dem Tor gestanden, die Kirche vor mir und diese beiden Seitenflügel und ich hatte das Gefühl, die machen so die Arme auf und sagen herzlich willkommen. Ich wollte nirgendwo anders hin, nur nach Medingen."
Aufregung und Vorfreude im Kloster Medingen in der Lüneburger Heide. Die traditionelle Pfirsichbowle für das Dank- und Weihfest am 24. August muss vorbereitet werden, das heißt, 13 Konventualinnen und eine Altäbtissin schälen und schnippseln in schöner Eintracht und bester Laune in der großen Gemeinschaftsküche kistenweise Pfirsiche. Die amtierende Äbtissin Frau von Kleist, eine resolute, joviale Dame, geschieden, Ende 60, bereitet inzwischen in ihrer eigenen Wohnung ihre Rede für die abendliche Feier im Brauhaus vor und erinnert an den Anlass für das Fest.
"Wir feiern seit hunderten von Jahren immer am 24. August das Dank- und Weihfest, weil immer am 24. August eine Kirche neu geweiht wurde und zwar einmal 1241, sind dann 1336 hierher gekommen. Hier wurde die neue Kirche auch am 24. August geweiht, dann sind sie abgebrannt im 18. Jahrhundert. Und wieder am 24. August 1788 wurde diese Kirche geweiht. Und … aus der Tradition heraus wird immer am 24. August das Dank und Weihfest gefeiert, das hat insofern noch eine ganz besondere Bedeutung, weil die Äbtissin mit dem Krummstab in die Kirche einzieht und die Kaplanin mit dem großen Mauritius, das ist eine sehr feierliche Angelegenheit. Außerdem wird in der Kirche außer einem Gottesdienst auch das Salzgebet gesprochen, damit wir nicht vergessen, woher unser Reichtum kommt. Dann gibt es im Anschluss an den Gottesdienst einen Empfang unten im Festsaal, mit einem Gläschen Sekt vorweg geht es anschließend zum gemütlichen Beisammensein ins Brauhaus und dann werden da ein paar Reden geschwungen."
Mit dabei wird diesmal Gisela Gräwe sein: Anwärterin zur Konventualin, eine kräftige Frau burschikos, mit kurz geschnittenen braunen Haaren, in ihrem früheren Leben - wie die Konventualinnen hier ihr Dasein vor dem Eintritt ins Kloster bezeichnen - Besitzerin eines Damenwäschegeschäftes, die im Internet nach den Aufnahmekriterien ins Kloster Medingen recherchierte.
"Darin stand eben, dass man durchaus geschieden sein darf, verwitwet, also kein lediges, adliges Fräulein mehr sein muss, sondern durchaus bürgerlich und dass ich mich nicht einkaufen muss, was ich ursprünglich angenommen habe. Im Gegenteil, dass ich hier mietfrei wohnen kann. Ein Altersheim solange ich selber fit bin, kam für mich nicht in Frage, ich hätte mir auch keines leisten können, das muss ich sagen, mit einer normalen kleinen Rente können sie sich kein sehr gutes Altersheim leisten."
Aber sehr gut lebt es sich im Ziel der Sehnsucht, im Kloster Medingen. Der frühklassizistische Bau in Form eines gestauchten H mit der Klosterkirche in der Mitte des Querbalkens in seinen Farben englisch rot, ocker und weiß und seinen nach englischem Vorbild angelegten Landschaftsgärten, ähnelt eher einer Schlossanlage, als einem Kloster. In seiner Blütezeit kurz vor der Reformation lebten mehr als 100 Nonnen im Zisterzienserinnen Kloster Medingen. 1524 trat Herzog Ernst zu Braunschweig und Lüneburg – genannt der "Bekenner" dem Luthertum bei und ordnete die Reformation auch für die Heideklöster an. Doch die Äbtissin ließ die übersandten Lutherbibeln einfach öffentlich verbrennen. Ein mehr als 30-jähriger "Nonnenkrieg" entbrannte. Für diese Rebellion bestrafte der Herzog das Kloster mit Einzug der Ländereien zu seinem fürstlichen Kammergut, ließ Teile der Klosteranlage abreißen und gab den Nonnen erst ein kleinen Teil wieder zurück, als sie endlich 1555 das lutherische Glaubensbekenntnis annahmen. Wer heute hier aufgenommen werden will, muss laut der Äbtissin, Frau von Kleist - im Augenblick die einzige Adlige im Kloster Medingen - nicht viel mitbringen.
"Grundvoraussetzung ist, dass man evangelisch und alleinstehend und nicht zu alt ist, weil wir ja für das mietfreie Wohnen hier Arbeitsleistungen erbringen müssen. In Form von Führungen in erster Linie und dann gibt es ja noch eine Menge kleiner Nebenämter, die übernommen werden müssen."
Ein paar mehr Erwartungen sind aber doch zu erfüllen. Anwärterinnen sollten nicht älter als 65 sein, müssen eine Probezeit von einem halben Jahr bestehen, der Konvent muss sie akzeptieren und die Äbtissin überzeugen, die letztendlich entscheidet, wessen Bewerbung sie in Betracht zieht.
"Meine Nase zuerst mal, es gibt Leute, die kommen gar nicht in den Konvent. Das sag ich von vornherein, es liegt ja nicht nur daran, dass man mit mir nicht auskommt, es gibt durchaus Möglichkeiten, dass man sich in anderen Klöstern wohlfühlt."
Gemeint sind die sechs Lüneburger Heideklöster, die alle ähnlich wie Medingen Wohnraum für Frauen anbieten, die ihren Lebensabend in einer klösterlichen Gemeinschaft gestalten wollen. Jeder Konventualin steht kostenlos eine eigene Wohnung zu, mit rund 75 qm, hell, freundlich, immer fünf Fenster sind eine Wohnung mit Bad und Küche. Nur für ihr leibliches Wohl muss jede selbst aufkommen.
"Sie kochen für sich selber, sie halten ihre Wohnung selber in Ordnung. Es wird ja nur wenig zusammen gegessen, an den hohen kirchlichen Feiertagen, dann kocht die Äbtissin, dann ist der ganze Konvent eingeladen, aber ansonsten sind sie wirtschaftlich für sich allein verantwortlich und haben trotzdem einen Platz, wo sie nicht alleine sind, wenn sie nicht alleine sein möchten."
Die Gründe, warum Kloster Medingen so beliebt ist, sind so unterschiedlich, wie die Frauen, die heute noch in "Zivil", in ihrer Alltagskleidung in der großen Gemeinschaftsküche beim Pfirsich schälen und schnippeln sitzen, in Röcken oder Kleidern, keine in Hosen, das ist ungeschriebene Kleiderordnung im Kloster. Maria Lütt ist seit 18 Jahren Konventualin.
"Eine meiner Freundinnen hat mehrere Tanten, die Äbtissinnen in solchen Klöstern waren und als ich 60 wurde, hat die zu mir gesagt, du gehörst ins Kloster. Und da hab ich gesagt, dir piept es wohl ... und wenn sie mich heute fragen, ist es eine gute Form des Altwerdens. … man hat Aufgaben, geht mit Menschen um, muss sich immer auch mit Geschichte und Kunstgeschichte befassen man hat eine eigene Wohnung, man kann sich zurückziehen, aber man kann eben auch immer mit andern zusammen sein."
Nähe und Ferne, aber auch Distanz sind den Damen wichtig. Den meisten genügt die Form der Nähe, dass sie sich täglich im Haus sehen, manchmal gemeinsam essen gehen oder mit der Äbtissin ins Thermalbad nach Bad Bevensen im Auto zu viert fahren. "Ja," sagen sie, "man sieht sich und man siezt" sich, bis auf wenige Ausnahmen.
"Da wo ich gearbeitet hab mit jungen Kollegen, da wurde sich nicht nur geduzt, sondern auch geküsst, da und da und da und das fand ich immer so furchtbar schrecklich. Ich habe gute Freunde mit denen ich mich sieze.
Sie duzen sich doch mit mehreren, Frau Schütze und Frau Zieman."
So friedlich die Stimmung hier auch wirkt, ein bisschen Rebellion ist auch unter den heutigen Stiftsdamen, allen voran bei ihrer Äbtissin immer noch vorhanden.
"Bei den Klöstern sind auch wieder Unterschiede, die Calenberger und die Lüneburger. Die Calenberger haben eigentlich das Vermögen eingebracht. Elisabeth von Calenberg hat in kluger Voraussicht, als die Reformation über das Land hereinbrach, und der Landesherr die Klostergüter alle eingezogen hat, unseres auch, wir haben ja sehr viel verloren. Da hat die ihre Calenberger Klöster in eine Stiftung eingebracht. Und das ist das Grundvermögen der Klosterkammer. Die Klosterkammer ist eigentlich nur die Behörde, die das verwaltet, dem Stiftungszweck entsprechend, das ist auch vertraglich festgelegt. Die Lüneburger sind wie gesagt erst 1937 dazu gekommen und da ist zu unserem Glück versäumt worden, dass man uns in die gleiche Kiste packt, wie die Calenberger. Hier ist die Äbtissin fast vorwiegend autonom. Ich habe einen eigenen Haushalt ich regiere hier für mich alleine mit meinem Konvent bis auf die Unterhaltung der Bauwerke. Da ist die Klosterkammer in der Pflicht. Für die sechs Lüneburger Klöster wollen sie das ändern, aber mit Hauen und Zähneklappern sind wir dagegen, weil wir sind das Kloster mit dem größten Konvent. Soviel hat keiner …"
Über einen Mangel an Bewerberinnen können sich die Medinger tatsächlich nicht beschweren. Altäbtissin Rothbarth meint zu wissen, woran das rege Interesse liegt.
"Das mit dem Auffüllen jetzt, dass jetzt keine Schwierigkeiten sind, das hat natürlich auch etwas mit dem Arbeitsmarkt zu tun. Eine Dame in einer bestimmten Position, die wird dann plötzlich entlassen, die ist zu alt für die freie Wirtschaft und dann ist ja wunderschön, ich gehe in ein Kloster und erfülle da noch einige Aufgaben."
Viele kleine und größere Ämter sind in Medingen zu besetzen, in erster Linie die Führungen durch die Klosteranlage, die jede der Konventualinnen übernehmen muss und die nach einem strengen Dienstplan eingeteilt werden. In den Sommermonaten ist das besonders wichtig für die täglich dreimal angesetzten Klosterführungen. Diesem Dienst hat Äbtissin von Kleist aber ein bisschen von der starren Regelung, dass zwischen Mai und Oktober keine Konventualin verreisen darf, genommen:
"Jetzt dürfen die Damen zwei Wochen im Sommer weg. Wir haben festgestellt, wenn man das nicht macht, dann gehen die Damen auf dem Zahnfleisch, das gibt einen Zickenkrieg zum Ende der Saison, besonders die älteren, da sind die Nerven nicht mehr so und dann haben die sich in die Flicken gekriegt wegen Kleinigkeiten. Und jetzt geht das ganz gut. Man muss da schon konsequent sein."
Konsequent sein gehört eben zu den Pflichten einer Äbtissin, die als selbständige Unternehmerin einen richtigen Wirtschaftsbetrieb zu unterhalten hat, die Menschenkenntnis braucht und auch mal Brücken schlagen und diplomatisches Geschick beweisen muss, wenn es gilt bei Streitigkeiten zu vermitteln.
"Wenn es denn da wirklich auch mal kriselt, dann knöpfe ich mir sozusagen jede Einzelne vor und mache beiden klar, dass es eigentlich Kinderkram ist, sich über dieses oder jenes aufzuregen. Es lohnt doch eigentlich gar nicht und meistens hilft es auch was."
Eine Krise, bei der sie wenig vermitteln konnte war ihre Bestellung
zur Äbtissin, die traditionell auf Lebenszeit vom Konvent gewählt und nicht von der Klosterkammer bestimmt wird.
"Und dann ist meine Vorgängerin sehr krank geworden, und dann haben also zwei Damen gesagt, auf die Dauer geht das dann nicht. Und dann hat mich der Präsident angerufen und in die Klosterkammer bestellt und das erste was er sagte, als ich kam war: drei Stellen als Äbtissin sind vakant, wo wollen Sie denn hin. Hab ich gesagt, da ist er falsch informiert, Äbtissin wollte ich nicht werden, ich wollte Konventualin in Medingen werden. Und da hat er gesagt, ja Medingen könnte ich aber nur als Äbtissin. In der Regel hätte er das gar nicht tun dürfen. Und meine Vorgängerin war auch sehr sauer, als sie das mitkriegte, dass er mich da bestellt hatte und mehr oder weniger schon Nägel mit Köpfen gemacht hat, was sie also überhaupt nicht gut fand und ich habe das dann versucht auszuräumen, dass ich nicht an ihrem Stuhl säge, weil ich hatte das ja nie vor, hierher zu gehen als Äbtissin und wenn es dann eben nicht anders ging, na ja und dann hat der Konvent mich gewählt."
Altäbtissin Rothbarth, die 84-jährige weißhaarige Dame, mit strahlend blauen Augen aus denen der Schalk blitzt, ist nach Ihren eigenen Worten eigentlich immer um Haltung bemüht, trotzdem bestätigt sie, dass sie "sehr sauer" war.
"Und als ich dann hörte, dass er in meiner Abwesenheit, die er genau wusste, war er hier gewesen und hatte Frau von Kleist mitgebracht und sagte, hier werde der Äbtissinnen Posten frei und ich würde aus Altersgründen aufhören. Ich hatte noch kein Wort gesagt. Aber er musste ja auch irgendwas sagen. Und Frau Äbtissin hat das mitgespielt. Ja und als ich wieder kam, meine Damen standen alle da ganz besorgt und sagten mir das und ich sagte, na warten wir doch mal ab, was kommt."
Altäbtissin Frau Rothbarth, die erste Äbtissin, die nicht adelig ist, verheiratet war, verwitwet ist und drei Kinder hatte, ist aber ähnlich als Quereinsteigerin zur Äbtissin geworden, auch sie war keinen Tag lang Konventualin, wie sie sagt, sondern wurde auch geholt, weil die amtierende Äbtissin krank war. Altäbtissin Frau von Bülow lebt heute, 97jährig im Altenheim neben dem Konvent, denn bei Pflegebedürftigkeit steht die Vertreibung aus dem Paradies an.
"Ja, das hört sich jetzt so schlimm an, wenn wir nachts nicht mehr alleine sein können, dann ist es so dass wir nicht hier bleiben können. Das wissen wir aber von vornherein. Das wird uns, eh wir uns entscheiden, wird uns das gesagt und es gibt ein Kloster, was uns dann aufnehmen würde, Marienwerder. Das darf man ja nicht vergessen, wir haben ja kein Pflegepersonal hier im Hause. Und dann muss man natürlich als Äbtissin dafür sorgen, dass ne Wohnung dann mal frei wird, dass man jemand Junges aufnehmen kann. Aber ich glaube, jedes Kloster braucht auch jüngere, sonst würde das Kloster auch allmählich leer stehen. Daran sind ja auch viele Klöster dann auch eingegangen, weil es dann keinen Nachwuchs mehr gab."
Die derzeitige Nachwuchs-Konventualin hat sich die ersten Sporen schon verdient, hat mal 14 Tage hintereinander, oder mal nur ein Wochenende zur Probe in ihrer späteren möglichen Wohnung gelebt und hat sich von allen Konventualinnen beschnuppern lassen.
"Dann wird man während dieser ganzen Woche rumgereicht, das heißt, vier mal am Tag sind sie bei einer Konventualin zum Essen eingeladen, Frühstück bei einer, Mittag bei einer, Kaffee oder Tee bei einer und Abendbrot bei einer anderen. Das bedeutet eben, dass jede Konventualin die Gelegenheit hat, unter vier Augen mit ihnen zu sprechen, um sie ein bisschen kennen zu lernen. Und man selbst auch die Konventualinnen. Sie können sich denken, dass das anstrengend ist, alleine schon die vier Mahlzeiten am Tag. Lacht. Aber auch das habe ich gepackt."
Weil sich Gisela Gräwe unter Frauen sehr wohl fühlt, gut mit ihnen zurecht kommt und ihr ganzes Berufsleben nur mit Frauen zu tun hatte, kann sie sich eben gerade eine Lebensgemeinschaft unter Frauen sehr gut vorstellen, wie sie selbst sagt.
"Man hat auch so, so Idealvorstellungen von einer Lebensgemeinschaft unter einem Dach. Und da hab ich inzwischen geguckt, dass es eben, wo Menschen zusammenkommen überall menschelt. aber ich denke, das passt sich von alleine an, wenn man in der Gemeinschaft lebt."
Oder man verlässt das Kloster ohne Angabe von Gründen wieder, in der eineinhalbjährigen Probezeit, aber auch danach stehen die Tore in beide Richtungen offen. Das Kloster beherzigt immer noch das alte Zisterzienserwort: "Das Tor ist offen, das Herz noch mehr." Und einige der Konventualinnen haben in den letzten Jahren auch den Schritt durch das Tor hinaus wieder gewagt.
"Ja, das hat es auch schon gegeben, hier glaube ich einmal, soweit ich mich erinnern kann. Und eine ist nach drei Jahren wieder weg gegangen, aber sie ist nicht neu liiert. Sie ist aber gegangen, um zu heiraten. Ne, ich hab jetzt eben Frau Klein gemeint. Nein, Frau Hoffmann, sie ist weg gegangen, um zu heiraten aber dann hat sie nicht geheiratet, die hat nicht geheiratet, weil er verstorben ist dann."
Alles darf man, verwitwet, geschieden, ledig, nur nicht verheiratet sein, wenn man ins Kloster geht, das löst Empörung aus.
"Das ist ja ... ich hab keinen Mann mehr, sie haben den vielleicht noch 50 Jahre und dann soll ich immer zugucken wie gut es ihnen geht. Ja, ja, die einen haben ihre Zweisamkeit und die anderen sind allein. Ja ich mein, wer einen Ehemann noch hat, der ist doch in Zweisamkeit. Also ne gewisse Ordnung muss es schon geben… ich finde es schon richtig, dass man geschieden sein muss. Also ich denke man muss sich entscheiden, man kann nicht nur halb ins Kloster gehen."
Alleine ist aber in der Klostergemeinschaft keine. Und manchmal wurde aus der Not eine Tugend gemacht. Als im vorigen Jahrhundert die Stiftsdamen nicht mehr die Töchter der Lüneburger Patrizierfamilien oder aus adligem Haus waren, die mit reichem Hausstand und eigenen Zofen in den Konvent eintraten, durch ihre Mitgift den Besitz des Klosters mehrten und somit großen Reichtum einbrachten, sondern Frauen aus der Bürgerschicht waren, fehlte dem Kloster das Geld für Personal. Selbsthilfe und Nachbarschaftshilfe musste das bis dahin zahlreiche Personal ersetzen.
"Die Damen haben alle eine sogenannte Schlüsseldame, das bedeutet, wenn man in Urlaub fährt, ist die Dame verantwortlich zum Blumengießen und wenn man zurückkommt steht meistens der Ohnmachts-Happen vor der Tür, damit man nicht gleich über den leeren Kühlschrank stolpert, sondern, dass draußen schon etwas bereit steht, was man .. um den ersten Hunger zu stillen, den Ohnmachts-Happen eben nennt. Und das hat sehr viel Wärme. Und die Schlüsseldame kümmert sich auch um einen, wenn man mal krank wird, man hat eine Grippe, braucht morgens eine Bouillon, der Arzt muss reingelassen werden. Dafür ist sie zuständig."
Für Büroarbeit und Finanzbuchhaltung, als verlässliche rechte Hand der Äbtissin ist Sigrid Manzke, die Sekretärin zuständig, zierlich, klein mit hochgesteckten blonden Haaren führt sie seit Jahren die Bürogeschäfte im Kloster. Und hat einen ganz besonderen Bezug zu Medingen.
"Und zwar bin ich 45 mit meiner Mutter und älteren Schwester vor den Kriegswirren eben geflohen und wir sind hier mit dem Hindenburgtreck von Neudegg - Hindenburg hierher gekommen und der Hindenburg hatte hier eine Adresse, denn die Schwester des alten Generalfeldmarschalls lebte hier und so sind wir eben hier gelandet und das Kloster hat die Türen aufgemacht und Flüchtlinge aufgenommen und die Konventualinnen haben ihre Wohnungen geteilt und das Haus war bis unters Dach voll. Natürlich waren damals auch sehr viele Kinder hier im Haus, wir waren über dreißig Kinder. Es war einfach wunderschön, ein Kloster sein Zuhause nennen zu können, ist schon etwas Besonderes."
Bis zu ihrer Hochzeit hat sie bei Ihrer Mutter, die als Kriegerwitwe weiterhin als Mieterin im Kloster geblieben war, gelebt. Ihr Auszugstag …
"… das war mein Hochzeitstag Das war schon was, schon komisch, aus einem Kloster raus zu heiraten."
Inzwischen sind die Vorbereitungen zum Dank und Weihefest so gut wie abgeschlossen und der Konvent ist bereit mit dem kostbaren Krummstab aus dem Jahr 1494 und der Statue des Heiligen Mauritius, ihres Schutzpatrons, in die Kirche einzuziehen, vor der Äbtissin von Kleist stand, als sie das erste Mal nach Meingen kam, um sich vorzustellen.
"Es hat mich fasziniert. Ich hab hier vorne vor dem Tor gestanden, die Kirche vor mir und diese beiden Seitenflügel und ich hatte das Gefühl, die machen so die Arme auf und sagen herzlich willkommen. Ich wollte nirgendwo anders hin, nur nach Medingen."