Gute Beziehungen als Schlüssel zum Lernerfolg
Der dänische Familientherapeut Jesper Juul bezeichnet die Lernatmosphäre in unseren Schulen als unmenschlich, weil Kinder und Jugendliche dort fortwährend Langeweile und Kritik ausgesetzt seien. Er verlangt eine neue Kultur von Anerkennung und Respekt.
Radix – ist das lateinische Wort für Wurzel. Ein Radikaler zielt mit Wort und Tat auf Wurzeln, was, wie jeder Gärtner weiß, im Fall des so genannten Unkrauts nützen, in anderen Fällen aber doch sehr schaden kann. Von dem, was wir um uns herum an Kultur gepflanzt haben, ist manches angewachsen, manches nicht, dieses bedarf der Pflege, jenes wuchert von allein.
Der dänische Familientherapeut Jesper Juul nimmt in Augenschein, was aus jenen kulturellen Stecken wuchs, die man in ganz Europa pflanzte, um damit Kinder zu erziehen und zu bilden: Er schaut nach der Lebensfähigkeit unserer Schulsysteme.
Einige radikale Schulkritiker zielen mit interessanten Theorien auf den Umbau des ganzen "Systems Schule" oder fordern dessen Abschaffung. Jesper Juul ist ein Radikaler der anderen Art: Er betreibt Wurzelpflege, weil er die Schule für kein theoretisches System, sondern für etwas Organisches hält. Er will fördern und pflegen, was Wurzeln schlug und lebendig ist. Das sind für ihn vor allem die Beziehungen, die in den Räumen der Schule und in Bezug zu ihr zwischen Schülern, Lehrern und Eltern so mehr oder weniger blühen und gedeihen. Wo Schule lebt, meint Juul, ist das menschliche Klima ihre lebendige Wurzel.
Viele Stunden täglich über lange Jahre hin begegnen sich Schüler und Lehrer in Schulräumen, und diese Begegnungen sind sehr viel mehr als alle didaktische Theorie damit beabsichtigen kann. Wenn Lehrer und Schüler sich zeigen dürfen, bauen sich Beziehungsmuster, die fürs ganze Leben taugen. Weil sich die Schulbegegnungen tagtäglich wiederholen, können sie an Tiefe und Nuance gewinnen. Schule, behauptet Juul, ist durchaus etwas Organisches, Lebendiges, wenn man sie nur lässt.
Wo diese Beziehungen leben, findet ein Stoffwechsel statt, der allen Beteiligten nützt und dem Garten Schule seinen Sinn gibt. Wo sie aber erdrückt werden vom Leistungsdruck oder verdorren im Schatten der Langeweile, da stirbt die Schule ab, zeugt Unlust, Kränkung und Verweigerung.
Kinder können in einer Umgebung, die von Langeweile und Kritik geprägt ist, nicht lernen. Und obwohl dies eigentlich jedem Kind und jedem Erwachsenen klar ist, hat sich an unseren Schulen in dieser Hinsicht nichts geändert.
Juul traut dem Austausch, der zwischen Erwachsenen und Kindern stattfindet, alle pädagogische Theorie ist ihm allein das Mittel, diesen lebendigen Prozess zu fördern oder doch zumindest nicht zu behindern. Und so wenig, wie das Gras schneller wächst, wenn man daran zieht, kann man Erziehung befördern, wenn man Lehrer, Eltern, und Kinder unter Druck setzt.
Die Eltern versuchen meist, sich zwischen ihr Kind und die Schule zu stellen und nach beiden Seiten hin loyal zu sein. Angesichts des enormen Bildungsdrucks erzählen sie ihren Kindern (…), dass die Schule enorm wichtig ist, dass man ohne Bildung keine Zukunft hat, und so weiter und so fort. Und die Kinder fühlen sich wie Verbrecher, haben ein schlechtes Gewissen und müssen zudem die unausgesprochene Botschaft ihrer Eltern ertragen: Besonders helle bist du ja nicht gerade.
Der dänische Familientherapeut Jesper Juul nimmt in Augenschein, was aus jenen kulturellen Stecken wuchs, die man in ganz Europa pflanzte, um damit Kinder zu erziehen und zu bilden: Er schaut nach der Lebensfähigkeit unserer Schulsysteme.
Einige radikale Schulkritiker zielen mit interessanten Theorien auf den Umbau des ganzen "Systems Schule" oder fordern dessen Abschaffung. Jesper Juul ist ein Radikaler der anderen Art: Er betreibt Wurzelpflege, weil er die Schule für kein theoretisches System, sondern für etwas Organisches hält. Er will fördern und pflegen, was Wurzeln schlug und lebendig ist. Das sind für ihn vor allem die Beziehungen, die in den Räumen der Schule und in Bezug zu ihr zwischen Schülern, Lehrern und Eltern so mehr oder weniger blühen und gedeihen. Wo Schule lebt, meint Juul, ist das menschliche Klima ihre lebendige Wurzel.
Viele Stunden täglich über lange Jahre hin begegnen sich Schüler und Lehrer in Schulräumen, und diese Begegnungen sind sehr viel mehr als alle didaktische Theorie damit beabsichtigen kann. Wenn Lehrer und Schüler sich zeigen dürfen, bauen sich Beziehungsmuster, die fürs ganze Leben taugen. Weil sich die Schulbegegnungen tagtäglich wiederholen, können sie an Tiefe und Nuance gewinnen. Schule, behauptet Juul, ist durchaus etwas Organisches, Lebendiges, wenn man sie nur lässt.
Wo diese Beziehungen leben, findet ein Stoffwechsel statt, der allen Beteiligten nützt und dem Garten Schule seinen Sinn gibt. Wo sie aber erdrückt werden vom Leistungsdruck oder verdorren im Schatten der Langeweile, da stirbt die Schule ab, zeugt Unlust, Kränkung und Verweigerung.
Kinder können in einer Umgebung, die von Langeweile und Kritik geprägt ist, nicht lernen. Und obwohl dies eigentlich jedem Kind und jedem Erwachsenen klar ist, hat sich an unseren Schulen in dieser Hinsicht nichts geändert.
Juul traut dem Austausch, der zwischen Erwachsenen und Kindern stattfindet, alle pädagogische Theorie ist ihm allein das Mittel, diesen lebendigen Prozess zu fördern oder doch zumindest nicht zu behindern. Und so wenig, wie das Gras schneller wächst, wenn man daran zieht, kann man Erziehung befördern, wenn man Lehrer, Eltern, und Kinder unter Druck setzt.
Die Eltern versuchen meist, sich zwischen ihr Kind und die Schule zu stellen und nach beiden Seiten hin loyal zu sein. Angesichts des enormen Bildungsdrucks erzählen sie ihren Kindern (…), dass die Schule enorm wichtig ist, dass man ohne Bildung keine Zukunft hat, und so weiter und so fort. Und die Kinder fühlen sich wie Verbrecher, haben ein schlechtes Gewissen und müssen zudem die unausgesprochene Botschaft ihrer Eltern ertragen: Besonders helle bist du ja nicht gerade.
Schule ist das repressivste aller Systeme
Jesper Juul, Jahrgang 1948, ist einer der bedeutendsten Familientherapeuten Europas, er beschäftigt sich seit Jahren mit der Lehrerfortbildung; nahe an der Erziehungs- und Bildungspraxis nicht nur in Dänemark, nennt er unser Schulsystem das repressivste aller ihm bekannten Systeme. Sofortmaßnahmen seien überfällig und möglich: Das Lehrer-Schüler-Verhältnis ließe sich mit ehrlicher Anerkennung und einer Kommunikation auf Augenhöhe sofort verbessern.
In diesem Band sind Aufsätze und Interviews aus den letzten Jahren versammelt. Eher episodisch und dialogisch als systematisch kommen Juuls Erfahrungen zur Sprache, die er zum Beispiel mit so genannten Schulverweigerern, mit ratlosen Eltern und gekränkten Lehrern gemacht hat. Dabei entwickelt er seine allgemeinen Sätze stets aus konkreten Fällen, seine Texte folgen demselben Prinzip, das er auch aufs schulische Lernen angewendet sehen will: Sie nähern sich ihrem Gegenstand immer neu und immer wieder neugierig. So entwickelt er Begriffspaare, die das, was er über Schule sagen will, dialektisch umkreisen, im Spannungsfeld von Gegensätzen: Bildungsrecht statt Schulpflicht, Integrität statt Kränkung, Empathie statt Drohung, gleichwürdiger Dialog statt Definitionsmacht, Selbstgefühl statt Versagensangst.
Nicht der gehorsame Befehlsempfänger solle am besten in der Schule abschneiden, gebraucht werde heute der Erfinder, der Kreative, und der, sagt Juul, war immer schon ein schwieriger Schüler oder gar Schulverweigerer. Um die Schule zu verweigern, um das eigene, vielleicht diffuse Unbehagen daran zu bekennen, brauche man viel Mut: Wer außer diesem dänischen Schul-Gärtner hat es je gewagt, den Mut der Schulverweigerer anzuerkennen!
Für mich ist es immer wieder eine furchtbare Erfahrung, wenn aufgeweckte Kinder, die über so viel Lebensfreude, Intelligenz und gute Voraussetzungen verfügen, Tag für Tag leiden müssen. Was nicht an einzelnen Lehrern liegt, sondern an einer allgemeinen Stimmung und Lernatmosphäre, die man nur als unmenschlich bezeichnen kann.
Druck, Misstrauen, Kontrolle sind krank machende Umstände, das wissen die Arbeitspsychologen seit langem. Und 80 Prozent der Unterrichtswirksamkeit hängt von der Beziehungskompetenz der Lehrer ab, auch das ist nicht neu. Neu ist die Priorisierung, die Juul vorschlägt: Erst die Beziehung, dann alles andere. Vorsätzliche Erziehung nützte sowieso nichts, weil…
… alle Erwachsenen, die Zeit mit Kindern verbringen, durch ihre bloße Existenz automatisch erziehen und die bewusste Erziehung ohnehin keinen großen Einfluss hat.
Juul nähert sich der Schullandschaft nicht mit dem Bulldozer, sondern als liebevoll besorgter Gärtner, der hegen will, was da gedeiht. Er sieht das Lebendige an der Schule, die wir haben, er sieht das trocken Dürre daran, das Verdorrende und Absterbende, er sieht das Überhitzte, Überstürzte, das zum Infarkt Neigende. "Schulinfarkt" heißt sein neues Buch, das Schulbesorgten aller Art aus den Herzen sprechen wird.
Man braucht weder die Struktur zu ändern noch mehr Mitarbeiter einzustellen, Man muss nur dafür Sorge tragen, dass es den Menschen innerhalb der Schule gut geht. (…) Eines ist gewiss – Änderungen in der Schule kommen nicht von oben, sie müssen von unten kommen.
In diesem Band sind Aufsätze und Interviews aus den letzten Jahren versammelt. Eher episodisch und dialogisch als systematisch kommen Juuls Erfahrungen zur Sprache, die er zum Beispiel mit so genannten Schulverweigerern, mit ratlosen Eltern und gekränkten Lehrern gemacht hat. Dabei entwickelt er seine allgemeinen Sätze stets aus konkreten Fällen, seine Texte folgen demselben Prinzip, das er auch aufs schulische Lernen angewendet sehen will: Sie nähern sich ihrem Gegenstand immer neu und immer wieder neugierig. So entwickelt er Begriffspaare, die das, was er über Schule sagen will, dialektisch umkreisen, im Spannungsfeld von Gegensätzen: Bildungsrecht statt Schulpflicht, Integrität statt Kränkung, Empathie statt Drohung, gleichwürdiger Dialog statt Definitionsmacht, Selbstgefühl statt Versagensangst.
Nicht der gehorsame Befehlsempfänger solle am besten in der Schule abschneiden, gebraucht werde heute der Erfinder, der Kreative, und der, sagt Juul, war immer schon ein schwieriger Schüler oder gar Schulverweigerer. Um die Schule zu verweigern, um das eigene, vielleicht diffuse Unbehagen daran zu bekennen, brauche man viel Mut: Wer außer diesem dänischen Schul-Gärtner hat es je gewagt, den Mut der Schulverweigerer anzuerkennen!
Für mich ist es immer wieder eine furchtbare Erfahrung, wenn aufgeweckte Kinder, die über so viel Lebensfreude, Intelligenz und gute Voraussetzungen verfügen, Tag für Tag leiden müssen. Was nicht an einzelnen Lehrern liegt, sondern an einer allgemeinen Stimmung und Lernatmosphäre, die man nur als unmenschlich bezeichnen kann.
Druck, Misstrauen, Kontrolle sind krank machende Umstände, das wissen die Arbeitspsychologen seit langem. Und 80 Prozent der Unterrichtswirksamkeit hängt von der Beziehungskompetenz der Lehrer ab, auch das ist nicht neu. Neu ist die Priorisierung, die Juul vorschlägt: Erst die Beziehung, dann alles andere. Vorsätzliche Erziehung nützte sowieso nichts, weil…
… alle Erwachsenen, die Zeit mit Kindern verbringen, durch ihre bloße Existenz automatisch erziehen und die bewusste Erziehung ohnehin keinen großen Einfluss hat.
Juul nähert sich der Schullandschaft nicht mit dem Bulldozer, sondern als liebevoll besorgter Gärtner, der hegen will, was da gedeiht. Er sieht das Lebendige an der Schule, die wir haben, er sieht das trocken Dürre daran, das Verdorrende und Absterbende, er sieht das Überhitzte, Überstürzte, das zum Infarkt Neigende. "Schulinfarkt" heißt sein neues Buch, das Schulbesorgten aller Art aus den Herzen sprechen wird.
Man braucht weder die Struktur zu ändern noch mehr Mitarbeiter einzustellen, Man muss nur dafür Sorge tragen, dass es den Menschen innerhalb der Schule gut geht. (…) Eines ist gewiss – Änderungen in der Schule kommen nicht von oben, sie müssen von unten kommen.
Jesper Juul: Schulinfarkt - Was wir tun können, damit es Kindern, Eltern und Lehrern besser geht
Kösel Verlag München, 2013
192 Seiten, 17,99 Euro
Kösel Verlag München, 2013
192 Seiten, 17,99 Euro
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Jesper Juul: "Pubertät. Wenn Erziehen nicht mehr geht", Kösel Verlag, 208 Seiten
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