Gute Saat

Gemüsestand auf einem Wochenmarkt
Gemüsestand auf einem Wochenmarkt © Jan-Martin Altgeld
Von Anja Schrum |
Kleingärtner und Kleinzüchter befürchten, dass durch die EU-Saatgutverordnung alte Sorten vom Einheitssaatgut der Industrie verdrängt werden. Verschiedene Initiativen und Betriebe haben sich der Bewahrung dieser Sorten angenommen - zum Beispiel die "Keimzelle" in Brandenburg.
In festen Schuhen stapft die 20-köpfige Gruppe durchs kniehohe Gras. Vorbei an einem verfallenen Stallgebäude mit leeren Fensterhöhlen. Eve Bubenik schreitet voraus, schiebt den Riegel eines hölzernen Gartentors auf.

Seit acht Jahren betreibt Bubenik hier, im brandenburgischen Dörfchen Vichel, den Öko-Saatgut-Betrieb "Keimzelle". Gemeinsam mit ihrem Kollegen Winni Brand vermehrt sie alte Gemüse- und Blumen-Sorten.

Biogärtnerin Julia, Landbau-Praktikantin Vanessa, Hobbygärtner Robert und die anderen blicken neugierig auf die langen Pflanzreihen, die sich bis zu den im Wind rauschenden Parkbäumen erstrecken. Der Saatgut-Kurs ist Teil des Modellvorhabens "On-farm-Erhalt alter Gemüsesorten" der Landwirtschaftlichen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität. Cornelia Lehmann koordiniert das Projekt:

"In dem Modellvorhaben geht es darum, alte Sorten von Kulturpflanzen wieder in Nutzung zu bringen, dass Gärtnereien solche alten Sorten wieder anbauen und den Kunden die Produkte wieder anbieten."

Eve Bubenik schreitet die Pflanzreihen entlang. Am Anfang jeder Reihe steckt ein Holzschildchen. "Butterkohl Goldberg" steht auf einem. Daneben "Paprika Bulgarische" oder "Tomate Seberia". Bubenik stapft zu einer Reihe schulterhoher Pflanzen. Sie sind an Pflöcke gebunden, damit sie nicht umfallen.

Eve Bubenick: "Über den Mangold ‒ was hatten wir gelernt? Welche Familie?" Vanessa: "Gänsefußgewächse." Eve: "Gänsefußgewächse, genau. Und? Selbst- oder Fremdbefruchter? Fremd! Und wer macht die Befruchtung? Wind… Also…"

Eve Bubenik nickt zufrieden. Die kräftigsten Mangold-Pflanzen des letzten Jahres hat sie im Keller überwintern lassen. Und im Frühjahr wieder ausgepflanzt. Nun ist der Mangold geschossen. Fängt an zu blühen und Samen zu bilden. Bubenik steckt ihren Kopf zwischen die grünen Blätter. Die Blüte kann man nicht sehen, erklärt sie…

"Man könnte es riechen (sie schnüffelt dran) … Doch! Er fängt schon an zu duften. Komischerweise, duftet es nach Honig… Da riecht der ganze Garten. Das haben auch nur Samenbauer, dies Vergnügen… (lacht)"

Gänsefußgewächs, Kreuzblütler, Doldenblülter, einhäusig oder zweihäusig, Selbst- oder Fremdbefruchter ‒ aufmerksam lauscht die Gruppe. Julia Kemna macht sich ein paar Notizen. Sie baut Bio-Gemüse an, vertreibt es auf einem Wochenmarkt. Ihre Kunden mögen alte Sorten, sagt sie, den Geschmack, das Aussehen. Doch: Viele Gemüsebauern arbeiten mit Einheitssaatgut, mit wenigen, hochgezüchteten Sorten:

"Und dadurch unterstützen sie ja alle diese große Saatgutindustrie und da ist so ein wichtiger Knackpunkt, wo ich denke, oh, da müsste noch viel mehr Bewusstsein reinkommen."

Sonst herrscht bald öde Langeweile auf Äckern und Tellern. Cornelia Lehmann nickt. Gerade kleine Gärtnereien sind wichtig, um die alten Sorten zu erhalten, findet sie:

"Direktvermarkter, die wirklich etwas erklären können zu den Sorten, sie können sagen, das hier ist ein Forellen-Salat, deswegen ist der so gesprenkelt und das ist ein Kopfsalat mit sehr zartem Blatt, vor über 100 Jahren war das bekannt und etwas Besonderes."

Winni: "Wenns geht, nicht alle durch meinen Giersch laufen!" Eve: "Ach ja, der Giersch, der ist - wir machen Wildkräuter und der ist zum Verkauf …"

Weiter geht es durch den weitläufigen Gemüse-Garten. Bubenik bleibt vor zwei Reihen mit Rüben stehen. "Rote Walze", Futterrübe, ist auf einem Schild zu lesen. Bubenik legt die Stirn in Falten. Die "Rote Walze", das ist ihr Sorgenkind.

Die Sorte ist so weit in Vergessenheit geraten, dass niemand mehr weiß, wie genau sie aussieht. Eve Bubenik hat Fachbücher und historische Saatgutkataloge gewälzt, alte Bauern befragt. Doch die Antworten sind widersprüchlich:

"Also ich weiß nicht, worauf ich selektieren soll." Winni: "Es weiß jetzt auch keiner so genau, was die Rote Walze ist. Ist die Wurzel rot, sind die Blätter auch rot oder dürfen die grün sein? Is' egal?"

Projekt-Koordinatorin Cornelia Lehmann pflückt ein Rübenblatt. Nickt. Sie kennt das Problem. Wenn keine Sorten-Beschreibung vorliegt, ist unklar, welche Pflanzen vermehrungswürdig sind und welche nicht.

"Das ist schwierig. Das ist auch mit ein Teil des Projektes, dass man da auch die Sortenbeschreibung erarbeitet."

Die Gruppe steuert eine Holzhütte mit Trockenrasen-Dach an. Drinnen, in der Hütte stapeln sich Plastikschüsseln in den Regalen. An den Wänden hängen Siebe in allen Größen, vom winzigen Teesieb bis zum Spezialsieb aus dem Baumarkt. Hier werden die unterschiedlichen Saaten gereinigt. Eve Bubenik stellt eine Plastikschüssel voller Samen auf den Tisch:

"Dann haben wir hier so’n Feldsalat (rührt in Schüssel) ziemlich verdreckt, unsere Spatzenkacke ist da drin. Und Holz und so was und dann haben wir hier eine ganze Batterie Siebe und dann geht’s los."

Das feine Saatgut fällt durchs Gitter, der grobe Dreck bleibt zurück.

"Und jetzt hab ich hier Hülsen und jetzt kann ich rausgehen in Wind und die (pustet) wegpusten lassen, indem ich das so in den Wind halte und dann blasen die alle weg. Das kann man zum Beispiel machen."

Die Hülsen fliegen davon, weil sie leicht sind. Die schwereren Samen bleiben zurück. Sie müssen weiter gereinigt und sehr gut getrocknet werden, sonst verderben sie, schärft Bubenik der Gruppe ein. Erst dann darf das Saatgut in Weckgläser abgefüllt werden. Gläserne Schatztruhen gewissermaßen, die die biologische und geschmackliche Vielfalt sichern helfen. Und im dunklen, kühlen Keller bis zur nächsten Aussaat aufbewahrt werden.
Mehr zum Thema