Guter Filz, böser Filz ...

Von Michael Watzke |
Familienpolitik in Bayern - ein harmloser Begriff bekam in den vergangenen Wochen einen besonderen Beigeschmack. Familienmitglieder wurden in großem Stil von Abgeordneten beschäftigt. Hier und da war dann auch von "Filz" zu lesen. Eigentlich ein harmloses Material, aus dem man wunderbar Pantoffeln schneidern kann.
Nirgendwo in Deutschland gibt es so viel Filz wie in Bayern. Genauer gesagt in Oberbayern, noch genauer gesagt in der Dorfstraße 1 in Attenkirchen bei Freising. Hier lebt Handwerksexpertin Christine Fochtmann, die aus Filz die verrücktesten Dinge macht:

"Ich hab alles Mögliche, zum Beispiel hier die Bremer Stadtmusikanten. Oder hier ist ein Elefant mit Jungem. Und diese Pinguine sind meine Lieblingsviecher."

Christine Fochtmann, gebürtige Sachsen-Anhaltinerin, ist in Bayern als Filz-Fachfrau bekannt. Ihr ganzes Haus ist von oben bis unten verfilzt.

"Das ist alles Filz. Das ist alles Wolle, aufgebaut praktisch aus so einem Knäuel, das wird erst nass aufgelegt und dann, wenn es einigermaßen verfilzt ist, also die Oberfläche, dann kommt man erst dazu, zu walken. Es ist wirklich eine Sucht, weil es so vielseitig ist."

Filzparadies Bayern
Der Freistaat Bayern ist ein gutes Pflaster für Filz. Geradezu ein Filzparadies, sagt die 49-jährige Familienmutter.

"Ja, weil es Gebiete in Bayern gibt, zum Beispiel Grünwald und die Gegend, da ist es schon so, dass ich heftig Umsatz machen kann. Dass die Leute mir die Sachen geradezu aus den Händen reißen und sagen: ‚Wir warten schon sehnsüchtig, dass Sie kommen!’"

Wer bei Christine Fochtmann eine Filz-Ente oder einen Filz-Specht für 13 Euro kauft, der bekommt eine Quittung. Immer. Da ist die erfahrene Kunsthandwerkerin pingelig, denn aus Filz sind bei ihr nur die Produkte, nicht die Buchhaltung.

Filz gehört nicht in die Politik – sondern auf den Kopf
"Ich hab ein Gewerbe angemeldet, dass ich es ordentlich abrechnen kann und keinen Ärger bekomme mit den Behörden."

Für Behörden-Filz hat Frau Fochtmann nichts übrig. Und die Abgeordneten-Affäre im bayerischen Landtag mit den Vorwürfen der Vettern-Wirtschaft findet sie…

"Schlimm. Eigentlich finde ich es schlimm, dass man immer wieder so enttäuscht wird von Persönlichkeiten, die eigentlich Vorbilder sein sollten. Wir haben die ja schließlich gewählt. Und dann suchen Sie nur ihren Vorteil und schauen, wie sie gut leben können, statt aufs Gemeinwohl zu schauen. Zumindest schöpfen sie die Möglichkeiten, die sie haben, bis zur Gänze aus."
Ein Beispiel ist der "Schüttelschorsch". Jener CSU-Fraktionsvorsitzende namens Georg Schmid, der jahrzehntelang seine Ehefrau als Sekretärin anstellte und ihr dafür pro Monat bis zu 5500 Euro netto bezahlte. Aus der Landtagskasse. Als Reporter den "Schüttelschorsch" fragten, ob das nicht ein wenig anrüchig sei, fragte er mit treuherzigem Blick zurück:

"Wieso? Es entspricht den gesetzlichen Grundlagen und ist auch richtig so. In dem Fall ist das legal und richtig und legitim und vernünftig. Und der Bestandsschutz gilt bis zum heutigen Tag."

Der Bestandsschutz galt für vieles, aber nicht für Georg Schmid. Der schwäbische Abgeordnete verlor nicht nur den Fraktionsvorsitz, sondern auch sein Mandat. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft - wegen des Verdachtes der Scheinselbständigkeit seiner Ehefrau. Der CSU-Politiker erkannte zu spät, dass er sich in der öffentlichen Meinung verfilzt hatte.

"Aus der heutigen Sicht und der heutigen Debatte heraus ist es so, dass man klar sagen muss, dass diese Übergangsregelung, die ja nicht limitiert war, heute in der öffentlichen Debatte wohl anders gesehen wird."

Die Schadenfreude der anderen Parteien im bayerischen Landtag war anfangs gewaltig. FDP-Wirtschaftsminister Martin Zeil ließ sich mit einem original bayerischen Trachtenhut aus grauem Filz fotografieren, postete das Bild auf Facebook und schrieb darunter:

"Der Filz gehört nicht in die Politik, sondern auf den Kopf."

Sagt Martin Güller, Parlamentarischer Geschäftsführer der bayerischen SPD, bemerkte feixend.

Der CSU-Fraktionsvorsitzende Georg Schmid
Der CSU-Fraktionsvorsitzende Georg Schmid musste wegen der Abgeordnetenaffäre seinen Posten räumen.© CSU-Landtagsfraktion
Familienbetriebe wohin man schaut
"Wir sind überrascht, dass einige CSU-Abgeordnete den Begriff "Familienbetrieb" offensichtlich ganz anders definieren, als wir uns das vorgestellt hätten. Kleine Familienbetriebe sind was ganz Wichtiges, aber im Parlament haben sie nichts zu suchen."

Martin Güller, der hier noch kluge Ratschläge gibt, ist mittlerweile selbst zurückgetreten. Der SPD-Rechtsexperte unterhielt nämlich ebenfalls einen kleinen Familienbetrieb – er hatte seinen Stiefsohn angestellt. Die Staatsanwalt prüft Ermittlungen. Filz steckt nun mal in jeder Familie drin, bestätigt Christine Fochtmann, die Filz-Expertin aus Attenhausen.

"Familien-Filz trifft es, wirklich wahr. Also mein Sohn macht unsere Website. Ich hab so eine kleine Website, und er pflegt die Bilder immer ein. Mein Mann ist für die Aufbauten zuständig, wenn wir auf den Markt fahren. Und er hilft mir beim Verkaufen. Es ist wirklich toll."

Doch was bei Christine Fochtmann erlaubt und sogar notwendig ist, ist bei bayerischen Abgeordneten inzwischen verboten. Die dürfen seit neuestem keine Familienangehörigen mehr anstellen – bis zum vierten Grad des Verwandtschaftsverhältnisses, also den Cousins. Vetternwirtschaft soll im bayerischen Parlament der Vergangenheit angehören, beteuert Landtags-Präsidentin Barbara Stamm:

"Ich bedaure sehr, dass in den letzten Wochen das Ansehen des Parlaments so gelitten hat. Sie haben hier eine Präsidentin vor sich sitzen, die lange im Parlament ist, aber nie von einer solchen Regelung Gebrauch gemacht hat."

Filz: Ein widerstandsfähiges Material
Das neue bayerische Abgeordnetengesetz, das die Volksvertreter vor drei Wochen ohne Gegenstimme verabschiedeten, ist das schärfste in Deutschland. Es reicht weiter als etwa das hessische oder baden-württembergische. Aber kann ein Gesetz eine Kultur verändern? Oder ist Filz tiefer verwurzelt als Recht? Christine Fochtmann, die Textil-Künstlerin, hält ihren Werkstoff für unzerstörbar:

"Filz auseinander zu bekommen ist nicht möglich. Da muss man wirklich Gewalt anwenden oder muss es kaputt schneiden. Nicht mal reißen schafft man."

Das Geheimnis der unerhörten Widerstandskraft des Filzes liegt in den Härchen seines feinen Fells.

"Es ist die Epidermis-Schicht, die das Haar umkleidet. Es ist ja Tierhaarwolle. Und diese Epidermis-Schuppen stellen sich durch warmes Wasser und Seife auf. Praktisch wie so ein Tannenzapfen. Und wenn man das nächste Vlies auflegt, spreizen sich die Schuppen wieder ab. Und die greifen dann durch das Wasser ineinander. Und durch das Walken verhärtet sich das Ganze. Das wird immer enger durch das Streicheln und Reiben. Letztendlich wird dann ein sehr fester Filz daraus. Wenn man das möchte."

In der Handwerkskunst möchte man das. Aber in der Gesellschaft? Ist Filz dort immer schädlich? Oder gibt es auch guten, nützlichen Filz? Ist Filz vielleicht sogar unabdingbar für den Erfolg einer Gemeinschaft? Theo Waigel, CSU-Ehrenvorsitzender und früherer Bundesfinanzminister, führt die wirtschaftliche Stärke Bayerns auch darauf zurück, dass es im Freistaat einen besonders starken Zusammenhalt gibt.

"Ja, wollen wir vielleicht mal einen anderen Begriff als Filz wählen: In der modernen Wirtschafts-Philosophie sind doch Netzwerke kolossal wichtig. Sie werden als absolut positiv herausgestellt. Eine gewisse Vernetzung im persönlichen Bereich, über Facebook oder was auch immer, und auch im politischen Bereich über Leute, auf die ich mich verlassen kann, ist wichtig. Ohne ein entsprechendes Netzwerk hätte Helmut Kohl die Wiedervereinigung nicht durchsetzen können. Wenn er nicht das große Vertrauen von George Bush und Gorbatschow gehabt hätte, wäre das wahrscheinlich nicht möglich gewesen."
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Theo Waigel redet dem Filz nicht etwa das Wort. Er findet aber, dass Bayern zu Unrecht das Image eines Spezl-Staates hat.

"Es gibt in Bayern nicht mehr Filz als woanders. Ist die politische Situation in Berlin weniger oder stärker verfilzt als in Bayern oder Baden-Württemberg? Ich glaube, darauf könnte man sehr wohl eine interessante Antwort finden."

Eine Antwort, die sich Waigel verkneift. Der 74-Jährige ist derzeit damit beschäftigt, für seine Partei, die CSU, einen Ehrenkodex zu schreiben. CSU-Chef Seehofer hat Waigel gebeten, eine Art Verhaltensrichtlinie für Compliance-Fragen zu erstellen, also für Fragen, die im Graubereich zwischen Legalität und Legitimität wabern. Einen solchen Verhaltenskodex hat Waigel schon für den Siemens-Konzern formuliert, als der im Strudel der Schmiergeld-Affäre unterzugehen drohte.

"Die Politik unterscheidet sich schon davon. Man kann an die Politik nicht die gleichen Maßstäbe anlegen wie an die Wirtschaft. Manchmal hat die Politik sogar viel strengere Voraussetzungen. Politik ist "Dienst an der Gemeinschaft", res publica. Und das heißt: öffentlich."

Die Öffentlichkeit der Politik hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt. Als Theo Waigel noch aktiver Politiker war, da kostete ihn die Scheidung von seiner Ehefrau den Parteivorsitz. Bei Parteispenden oder der Beschäftigung von Familienangehörigen schaute die Öffentlichkeit dagegen nicht so genau hin.

"Es gibt Dinge, die interessieren heute niemanden mehr. Es gibt ganz sicher, was Moralvorstellungen anbelangt, Ehesituationen anbelangt, eine andere Offenheit. Auf der anderen Seite gibt es heute ein gnadenloses Herausstellen von Dingen. Darauf muss man eingestellt sein. Aber wer das als Politiker nicht will, der muss einen anderen Beruf wählen."

Wo Kant helfen kann – und wo nicht
Viele tun das mittlerweile. Waigel ist durchaus besorgt, dass sich immer mehr Menschen, die gut als Politiker geeignet wären, gegen die Politik entscheiden. Und für die Wirtschaft. Weil sie dort mehr verdienen können, größere Sicherheit finden und geregeltere Arbeitszeiten haben. Und weil sie und ihr politischer und privater Lebenswandel nicht so sehr im Mittelpunkt stehen. Die Abgeordneten-Affäre im bayerischen Landtag hat viele – vor allem junge Parlamentarier – verunsichert. Sie fühlen sich als Abzocker diffamiert, obwohl sich die meisten an Recht und Gesetz gehalten haben. In der CSU soll Theo Waigel mit dem Ehrenkodex, den er zusammen mit den Fraktionsspitzen der Partei erstellt, für Klarheit sorgen.

"Es gibt ja eine ganz einfache Maßnahme oder Einsicht, die zwar nicht bedeutet, dass man mehr Moral hat oder weniger, aber die trotzdem hilft: Wenn ich etwas nicht im Radio hören will oder nicht will, dass es in der Zeitung steht, dann darf ich es auch nicht machen. Es gibt ja so ein ungeschriebenes Gesetz, wo man auch selber, ich möchte fast sagen, ein Gespür hat. Wie das Sittengesetz oder der kategorische Imperativ von Immanuel Kant. Wenn man sich sagt oder selber fragt: ist das, was Du tust, auch Grundlage für alle anderen? Wärst Du damit einverstanden, dass auch alle anderen so handeln?"

Diese Grundregel mag in vielen Fällen eine hinreichende Antwort liefern. Aber allein ein Blick in das Bayerische Abgeordnetengesetz mit seinen 44 Artikeln zeigt: Manches liegt noch immer in einem Graubereich, den weder der kategorische Imperativ von Kant noch ein Ehrenkodex von Theo Waigel auflösen kann.

Beispiel Peter Paul Gantzer. Wenn der Münchner SPD-Abgeordnete Peter Paul Gantzer in das Parkhaus des Landtags fährt, ist er nicht zu überhören. Sein Porsche röhrt so laut, dass es in der ganzen Tiefgarage dröhnt. Vom Parkplatz hat es Gantzer nicht weit ins Büro.

"Also ich hab’ den großen Vorteil, dass ich Vize-Präsident des bayerischen Landtags war. Aus diesem Grund habe ich im Landtag noch ein Büro. Das ist so eine Altregelung. Und aus diesem Grund mach’ ich aus meinem Büro auch meine politische Arbeit."

Das Abgeordnetenbüro bezahlt der Landtag. Der bezahlt auch Gantzers wissenschaftlichen Mitarbeiter. Nach Artikel 6 des Bayerischen Abgeordnetengesetzes erhält Gantzer aber zusätzlich noch eine steuerfreie Monatspauschale von knapp 3200 Euro, unter anderem für Büro- und Personalkosten im Stimmkreis. Ein Büro in seinem Stimmkreis im Münchner Norden unterhält Gantzer allerdings nicht. Mit folgender Begründung:

"Der Bürger kommt nicht sehr gern in so einen kleinen Ort rein, weil er weiß, er wird beobachtet. Weil er weiß, dass festgestellt wird: er geht zu einem SPD-Abgeordneten. Da gibt’s dann so eine psychologische Hemmschwelle. Deshalb bin ich lieber in München, in der Anonymität, sozusagen."

Eine psychologische Hemmschwelle gegen die SPD im Münchner Norden? Da schütteln sogar manche SPD-Fraktionskollegen im Landtag grinsend den Kopf. Aber nur heimlich. Denn Gantzer ist längst nicht der einzige Abgeordnete, der sich ein Büro im Wahlkreis spart. Auch die Grüne Fraktions-Chefin Margarete Bause hat kein Stimmkreis-Büro – und findet das völlig in Ordnung. Peter Paul Gantzer hat sein Abgeordnetenbüro im Landtag in ein "Bürgerbüro" umgetauft:

"Bürgerbüro heißt, dass ich eine Anzeige geschaltet habe, die seit 35 Jahren läuft: ‚Ärger mit Ämtern und Behörden? Gantzer hilft!’ Und dazu meine Telefonnummer."

Diese Hotline hat Gantzer kürzlich sogar im kleinen Kreis gefeiert – es gibt sie seit 35 Jahren, seit der SPD-Mann im Landtag sitzt. Tatsächlich tut der 74-Jährige nichts Ungesetzliches. Genau wie jene Abgeordneten, die Familienmitglieder beschäftigten. Auch das war bis vor kurzem erlaubt in Bayern. Trotzdem findet Roman Ebener, Sprecher der Initiative Abgeordnetenwatch.de:

"Ein Abgeordneter, der diese Pauschale in Anspruch nimmt, sollte auf jeden Fall ein Büro im Wahlkreis unterhalten, das für die Bürgerinnen und Bürger da ist. Wo man auch eine fachgerechte Antwort erwarten kann als Bürger."

Wenn Abgeordnete kein solches Büro unterhalten, sagt der Hamburger Politik-Beobachter…

"… dann sollten sie diese Pauschale dafür auch nicht in Anspruch nehmen, weil das sonst letztlich eine steuerfreie Erhöhung der eigenen Diät ist, ohne es dem eigentlichen Zweck zuzuführen."

Gantzer sieht das anders. Wenn er seine Essens- und Fahrtkosten genau abrechnen würde, sagt er, dann reichte die Pauschale nicht aus. Er gehe nämlich nicht bei McDonald’s essen, und sein Porsche habe einen immensen Benzinverbrauch. So sagt er das wörtlich.

"Wie ich überhaupt alles zahlen muss aus der Aufwandspauschale! Also der Kuli, die Schreibmaschine! Das alles geht von der Aufwandspauschale weg!"

Vor einigen Tagen hat sich der Bayerische Oberste Rechnungshof in die Debatte um die Versorgung der bayerischen Abgeordneten eingeschaltet. Der Präsident des ORH, Heinz-Fischer-Heidlberger, kündigt an:

"… eine Prüfung beim Landtagsamt vorzunehmen, die die gesamten Leistungen des Staates an die Abgeordneten umfasst. Die Diäten, die Kostenpauschale, die Mitarbeiter-Entschädigung und die IT-Ausstattung."

Bei dieser Prüfung will der Rechnungshof auch Vergleiche mit Landtagen in anderen Bundesländern anstellen. In NRW etwa wird die Kostenpauschale für die Mandatsausstattung spitz abgerechnet, die Abgeordneten müssen also Belege für ihre Ausgaben erbringen. Das erhöht einerseits den bürokratischen Aufwand. Andererseits geht es um Millionensummen. Allein Peter Paul Gantzer hat in seiner Abgeordnetenkarriere annähernd eine Million Euro nur aus der Kostenpauschale erhalten. Dass der Bayerische Oberste Rechnungshof nun das Abgeordnetenrecht unter die Lupe nimmt, findet Gantzer überflüssig.

"Ich bin der festen Überzeugung, dass der ORH nicht viel zu tun hat, weil wir ja gerade einen Gesetzesentwurf ausarbeiten, der total den Bundestagsbestimmungen entspricht."

"Es lohnt sich, anständig zu sein"
Das trifft zu - auf die Beschäftigung von Verwandten, die der bayerische SPD-Spitzenkandidat Christian Ude derzeit lautstark bei der CSU kritisiert. Es trifft nicht zu auf die Regelung der mandatsbezogenen Kosten. In dieser Frage sind sich die Parteien uneinig – und zwar auch in den eigenen Reihen, sagt Theo Waigel:

"In der CSU ist das ein paar Mal auf Parteitagen diskutiert worden. Hin und her. Ich kenne Steuerberater, Steuersachverständige, die das gefordert haben. Vorgetragen haben. Gesagt haben: Das muss jeder Mittelständler machen. Folglich kann’s auch jeder Abgeordnete machen. Es ist trotzdem bisher anders entschieden worden. Und es gibt viele Gründe zu sagen: Wir wollen im Steuerrecht ein Stück Vereinfachung mit mehr Pauschalen haben. Jedenfalls war das meine Vorstellung damals als Bundesfinanzminister."

Theo Waigel gießt seinem Gast noch einen Kaffee ein. In seinem kleinen Haus im Allgäu gibt es keinen Prunk, keinen Luxus. Es sieht nicht so aus, wie man sich mit etwas Fantasie das Anwesen eines früheren Bundesfinanzministers vorstellen könnte, der heute als "Vater des Euro" gilt. Waigels Wohnsitz wirkt eher wie das gemütliche Heim eines pensionierten Oberstudienrates.

Irgendwo im Bücherregal hinter dem Esszimmertisch vermutet man die Schriften Immanuel Kants neben katholischen Sozialethikern und – vielleicht – einem Buch von Anselm Grün. Man hört Waigel zu, wie er über den kategorischen Imperativ redet, und fragt sich, ob er wohl gleich indigniert eine seiner gewaltigen schwarzen Augenbrauen hochziehen wird, wenn man ihm gesteht, dass einem der kategorische Imperativ seit dem Studium nicht mehr so recht geläufig ist. Aber Waigel lächelt nur altersmilde.

"Eine ganz einfache Methode, um den vielleicht komplizierten Kant’schen kategorischen Imperativ in unser tägliches Leben zu übersetzen, hat mir Wladyslaw Bartoszewski gegeben, der frühere polnische Außenminister. Der in seinem Leben unglaublich viel mitgemacht hat. Von den Nazis eingesperrt wurde, von den Kommunisten eingesperrt wurde. Und der vor ein paar Jahren über ein Büchlein, in dem er über sein Leben berichtet, als Überschrift geschrieben hat: ‚Es lohnt sich, anständig zu sein’."

Man möchte nach einem solchen Satz nicht mehr nach Filz suchen. Weder im bayerischen Landtag noch an den Topflappen in Theo Waigels Küche. Auf Wikipedia kann man lesen, dass archäologische Funde belegen, Filz habe es schon in der Jungsteinzeit gegeben. Er wird vermutlich auch in den kommenden Jahren nicht aussterben. Wir werden mit ihm leben müssen. Denn er hat, sagt Filz-Expertin Christine Fochtmann, nur einen natürlichen Feind:

"Die Motten! Die suchen sich eine Unterkunft und legen da ihre Eier rein. Dann wird’s übel."

Angesichts zunehmender Altersarmut haben die Sozialverbände diese Woche Alarm geschlagen: Fast jede zweite Rente hat 2012 weniger als 700 Euro betragen. Reicht das zum Leben?
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