"Guter Sex" - Tagung zu katholischer Sexualmoral
Im Juni hatte der Bischof von Stuttgart eine Tagung über Kirche und Sexualität abgesagt. Nun findet sie doch statt, und Regina Ammicht-Quinn hofft, dass sich daraus eine Signalwirkung hinein in die Amtskirche ergibt.
Dieter Kassel: "Bischof sagt Tagung über Sex und Kirche ab", so oder so ähnlich lauteten die Schlagzeilen am 18. Juni dieses Jahres, als bekannt wurde, dass der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gerhard Fürst, eine Tagung zum Thema Kirche und Sexualität in seinem Bistum abgesagt hatte mit der Begründung, die Liste der Vortragenden klinge etwas einseitig und er fürchte, diese Veranstaltung könne innerhalb der Kirche zu Polarisierungen führen. Damals glaubten viele, das sei nun das endgültige Aus für diese geplante Tagung, aber diese Menschen haben sich geirrt: Die Tagung findet statt, heute und morgen in den Räumen der "Frankfurter Rundschau" in Frankfurt am Main. Die Theologin Regina Ammicht-Quinn, Professorin am Internationalen Zentrum für Ethik in der Wissenschaft an der Universität Tübingen, ist Mitorganisatorin dieser Veranstaltung, die stattfindet unter dem auch ursprünglich geplanten Titel "Let’s think about sex - Obsessionen der Moderne - Katholische Sexualmoral - Guter Sex", und ich begrüße sie jetzt am Telefon. Schönen guten Tag!
Regina Ammicht-Quinn: Guten Tag!
Kassel: Sind Sie inzwischen – das ist ja jetzt doch eine Weile her, diese Absage in Stuttgart –, sind Sie inzwischen vielleicht auch ganz froh, dass diese Tagung nun an einem so weltlichen Ort unter anderen Umständen stattfindet?
Ammicht-Quinn: Ich denke, es wäre gut und sinnvoll gewesen, dass diese Gespräche und die Diskussionen im kirchlichen Kontext stattgefunden hätten, auch weil die Anliegen vieler Menschen in Kirche und in Öffentlichkeit ja nicht weit voneinander entfernt sind. Da das nicht geht, sind wir nun heute die zweite Wahl, aber immer noch eine sehr gute zweite Wahl.
Kassel: Nun war gerade Papst Benedikt XVI. in Deutschland, und wenn man überlegt, was der gesagt hat während seines Aufenthalts zu diesem Thema, dann könnte man das Gefühl haben, so eine Tagung macht gar keinen Sinn mehr, denn er hat ja von Entweltlichung gesprochen, er hat eine Besinnung auf traditionelle kirchliche Werte gefordert. Wenn ich das mal auf die katholische Sexualmoral übertrage, dann gibt es doch eigentlich gar keinen Verhandlungsspielraum.
Ammicht-Quinn: Kirche pluralisiert sich, genauso wie Gesellschaft sich pluralisiert. Das bedeutet, es wird in Zukunft nicht mehr nur eine Position und nicht mehr nur eine Meinung geben. Und dabei ist wichtig, zu sagen, dass die Sexualmoral ja nun keinesfalls der Kernbestand des christlichen Glaubens ist. Wir müssten uns alle vielmehr fragen: Warum um Gottes Willen regen wir uns hier so auf? Woher kommt das Misstrauen, woher kommt die Angst gegenüber dem, was wir als menschliche Natur verstehen?
Kassel: Dann machen wir das doch bitte an einem Beispiel: Woher kommt denn zum Beispiel die Angst gegenüber Homosexualität in weiten Kreisen der katholischen Kirche?
Ammicht-Quinn: Die Angst gegenüber Homosexualität ist ja nicht nur eine kirchliche, sondern auch eine gesellschaftliche Angst. Sie hat tatsächlich zu tun mit einem merkwürdig verstandenen Naturrecht, bei dem man davon ausgeht, dass man aus einer in bestimmten Weise verstandenen menschlichen Natur auch moralische Regeln ableiten kann, und wo man mit einer Mischung aus Verachtung und Neid auf fortpflanzungsfreie Formen von Sexualität blickt.
Kassel: Ist das ein bisschen die Angst vor dem Ungezügelten, ja vor dem sogar Irrationalen? Denn solange man Sexualität nur zulässt im Kontext mit Fortpflanzung, ist das ja etwas sehr Berechenbares, etwas sehr Überschaubares. Sobald wir aber über Lust reden, über Liebe reden, vielleicht sogar über Geilheit, wird das Ganze natürlich auch unkontrollierbar.
Ammicht-Quinn: Sexualität per se ist nur immer temporär zähmbar und kontrollierbar. Sexualität per se hat mit Grenzüberschreitungen zu tun, und Grenzüberschreitungen im Sinne von Transzendenz ist natürlich auch Thema von Religion.
Kassel: Sie haben schon gesagt jetzt am Anfang des Gespräches, Sie finden es eigentlich durchaus immer noch schade, dass diese Tagung nun nicht in diesem katholisch-kirchlichen Kontext, also innerhalb des Bistums Rottenburg-Stuttgart zum Beispiel stattfinden kann – Frankfurt bei der "Rundschau" ist besser als nichts, aber: Was erwarten Sie denn nun von der Tagung, außer dass Gleichgesinnte sich relativ schnell einig sind? Wollen Sie wirklich ein Signal ausgehen lassen von dieser Tagung an die katholische Kirche?
Ammicht-Quinn: Wir wollen ein Signal ausgehen lassen an all die Menschen, die mit den Themen, mit denen wir es zu tun haben, befasst sind: Das sind viele Menschen in kirchlichen aber auch nicht-kirchlichen Vereinen, Verbänden, in Beratungsstellen, das sind Menschen in Jugendorganisationen, und das sind ganz einfach persönlich interessierte und betroffene Menschen. An die richtet sich unser Signal, weil ich davon ausgehe, dass Kirche natürlich nicht nur aus Amtsträgern besteht.
Kassel: Wie könnte denn mittelfristig da Bewegung aussehen, auch auf Seiten der katholischen Kirche? Ich frage mich an manchen Punkten, wie da ein Kompromiss aussehen kann, wenn die eine Seite sagt, die Amtskirche nämlich – bleiben wir noch mal bei der Homosexualität, da ist es immer so einfach klar zu machen –, wenn die Amtskirche sagt, Homosexualität ist eine Sünde und darf nicht praktiziert werden, und andere Menschen wie zum Beispiel auch Sie sprechen längst von Homosexualitäten und halten das für etwas ganz Normales, Alltägliches: Ich kann mir da bei diesen beiden Ansichten überhaupt keinen Kompromiss vorstellen.
Ammicht-Quinn: Ein möglicher Kompromiss ist, wenn man sich darauf besinnt, dass Sexualität nicht nur reglementiert, sondern kultiviert werden muss. Wenn nur reglementiert wird, und nicht kultiviert, dann sehen wir immer wieder in die Abgründe von sexueller Gewalt. Wenn wir noch mal – Stichwort Homosexualität – bei der Frage von Fruchtbarkeit bleiben, dann können wir Fruchtbarkeit als Gesetz verstehen: Sexualität ist nur dann erlaubt, wird nur dann zugelassen, wenn sie der Fruchtbarkeit dient. Wir können aber Fruchtbarkeit auch anders verstehen, nämlich als Symbolwert, der tatsächlich in diese Fragen der Kultivierung hineinreicht. Dann hieße nicht Fruchtbarkeit, es darf nur Geschlechtsverkehr stattfinden, wenn keine Empfängnis verhütet wird, sondern dann hieße Fruchtbarkeit: Die Energie in einer sexuellen Beziehung, in einer Liebesbeziehung muss in irgendeiner Art und Weise auch fruchtbar gemacht werden für die Welt. Und das kann natürlich ganz konkret im Glück eines Lebens mit Kindern passieren, das kann aber auch in vielen anderen Weisen geschehen.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute Vormittag mit Regina Ammicht-Quinn, Ehtik-Professorin, Theologin und Mitveranstalterin der Tagung "Let’s think about sex - Obsessionen der Moderne - Katholische Sexualmoral - Guter Sex", die, weil sie in Stuttgart im Bistum, wo sie ursprünglich mal geplant war, nicht stattfinden durfte, jetzt in den Räumen der "Frankfurter Rundschau" in Frankfurt am Main stattfindet. Wenn man, Frau Ammicht-Quinn, einer anderen Meinung ist als die katholische Amtskirche in Bezug auf Sexualität, warum dann, so wie ich das bei Ihnen spüre und bei anderen Menschen, dieser Kampf für Veränderung? Es ist ja niemand gezwungen, Mitglied der katholischen Kirche zu sein. Man muss auch nicht unbedingt, wenn man gläubiger Christ ist, Mitglied einer Kirche sein. Warum sagen Sie nicht einfach, was der Papst sagt, was die Amtskirche sagt, damit kann ich nichts anfangen – trete ich halt aus?
Ammicht-Quinn: Zunehmend viele Leute sagen das. Ich selber tue das nicht, weil es eine lange Geschichte ist, die auch zu meiner eigenen Geschichte gehört, und weil ich den Eindruck habe, dass viel Zukunftsfähiges da verborgen ist, wenn wir Tradition nicht länger verstehen als was, was man in eine Kiste packt und den Deckel drauf tut und unbeschadet von einer Generation zur anderen weitergibt, sondern wenn wir Tradition als etwas verstehen, was immer neu und auch an jeder Generation neu sich erproben muss.
Kassel: Man hat aber dann so leicht den Eindruck – und ich weiß nicht, ob der richtig ist, Zahlen, die das beweisen, haben wir beide nicht, aber man hat so den Eindruck: Die Amtskirche, die wirklich aus den Bischöfen besteht, aus den Herren, die sich jetzt gerade in Fulda zur Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz treffen und dann noch der Papst dazu, die haben diese klassische Sexualmoral – kein Sex außerhalb der Ehe, keine Homosexualität et cetera –, und die große Mehrheit denkt so wie Sie. Ist das denn sicher so? Warum kann es nicht eine Welt geben, in der es die katholische Kirche gibt, die verbietet das halt alles, und wem das nicht passt, der muss ja da nicht mitmachen?
Ammicht-Quinn: Die katholische Kirche besteht natürlich nicht aus ihrer Haltung zur Sexualmoral, und wenn wir die gesamten karitativen Werke der katholischen Kirche abziehen würden, dann sähe unsere Gesellschaft auch anders aus. Also, so ganz einfach ist es nicht, zu sagen, sollen die alten Herren doch machen, was sie wollen, und wir tun was Anderes – es geht um ein gemeinsames, ich denke auch immer noch um ein geteiltes Interesse an einer wertvollen Tradition und an der Zukunftsfähigkeit dieser Tradition.
Kassel: Das heißt, auch von dem heimlichen Kompromiss, den ja eigentlich große Teile der katholischen Kirche schon geschlossen haben – offiziell ist es nicht erlaubt, inoffiziell tun wir so manches, Stichwort Haushälterin –, davon halten Sie auch nichts?
Ammicht-Quinn: Nein, davon halte ich gar nichts. Wir haben viel zu viel Schweigen und viel zu viel Verschwiegenes innerhalb kirchlicher Strukturen, und nur durch dieses lang geübte Schweigen und Verschweigen dessen, was doch nicht so richtig genau passt, konnte sich das Drama der sexuellen Gewalt so lange fortsetzen.
Kassel: Aber gerade nach – Sie haben das Stichwort sexuelle Gewalt genannt –, gerade nachdem diese Fälle schweren Missbrauchs in Einrichtungen der katholischen Kirche bekannt wurden, gab es ja zunächst durchaus auch Katholiken, eine ganze Menge, die gesagt haben, jetzt müssen wir aber ganz offen darüber reden, sehr offen sein. Aber wenn wir jetzt sehen: Auch wenn die Bischofskonferenz ja den großen Dialog angekündigt hat, wenn wir jetzt sehen, wie es im Moment aussieht – rechnen Sie denn mit dieser Offenheit in nächster Zeit, rechnen Sie mit Veränderungen oder wenigstens Bereitschaft, ernsthaft über Veränderungen zu reden?
Ammicht-Quinn: Ach wissen Sie, wenn ich in die Zukunft schauen könnte oder in die Herzen der Amtsträger – ich weiß es ganz einfach nicht.
Kassel: Das ist ein schönes Schlusswort. Zwei Tage in die Zukunft schauen können Sie, was die Tagung angeht, darüber hinaus ist es ja auch nicht möglich. Regina Ammicht-Quinn war das, Professorin am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen und Mitorganisatorin der Tagung "Let’s think about sex - Obsessionen der Moderne - Katholische Sexualmoral - Guter Sex", die heute und morgen in Frankfurt am Main stattfindet bei der "Frankfurter Rundschau". Frau Ammicht-Quinn, ich danke Ihnen sehr.
Ammicht-Quinn: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Regina Ammicht-Quinn: Guten Tag!
Kassel: Sind Sie inzwischen – das ist ja jetzt doch eine Weile her, diese Absage in Stuttgart –, sind Sie inzwischen vielleicht auch ganz froh, dass diese Tagung nun an einem so weltlichen Ort unter anderen Umständen stattfindet?
Ammicht-Quinn: Ich denke, es wäre gut und sinnvoll gewesen, dass diese Gespräche und die Diskussionen im kirchlichen Kontext stattgefunden hätten, auch weil die Anliegen vieler Menschen in Kirche und in Öffentlichkeit ja nicht weit voneinander entfernt sind. Da das nicht geht, sind wir nun heute die zweite Wahl, aber immer noch eine sehr gute zweite Wahl.
Kassel: Nun war gerade Papst Benedikt XVI. in Deutschland, und wenn man überlegt, was der gesagt hat während seines Aufenthalts zu diesem Thema, dann könnte man das Gefühl haben, so eine Tagung macht gar keinen Sinn mehr, denn er hat ja von Entweltlichung gesprochen, er hat eine Besinnung auf traditionelle kirchliche Werte gefordert. Wenn ich das mal auf die katholische Sexualmoral übertrage, dann gibt es doch eigentlich gar keinen Verhandlungsspielraum.
Ammicht-Quinn: Kirche pluralisiert sich, genauso wie Gesellschaft sich pluralisiert. Das bedeutet, es wird in Zukunft nicht mehr nur eine Position und nicht mehr nur eine Meinung geben. Und dabei ist wichtig, zu sagen, dass die Sexualmoral ja nun keinesfalls der Kernbestand des christlichen Glaubens ist. Wir müssten uns alle vielmehr fragen: Warum um Gottes Willen regen wir uns hier so auf? Woher kommt das Misstrauen, woher kommt die Angst gegenüber dem, was wir als menschliche Natur verstehen?
Kassel: Dann machen wir das doch bitte an einem Beispiel: Woher kommt denn zum Beispiel die Angst gegenüber Homosexualität in weiten Kreisen der katholischen Kirche?
Ammicht-Quinn: Die Angst gegenüber Homosexualität ist ja nicht nur eine kirchliche, sondern auch eine gesellschaftliche Angst. Sie hat tatsächlich zu tun mit einem merkwürdig verstandenen Naturrecht, bei dem man davon ausgeht, dass man aus einer in bestimmten Weise verstandenen menschlichen Natur auch moralische Regeln ableiten kann, und wo man mit einer Mischung aus Verachtung und Neid auf fortpflanzungsfreie Formen von Sexualität blickt.
Kassel: Ist das ein bisschen die Angst vor dem Ungezügelten, ja vor dem sogar Irrationalen? Denn solange man Sexualität nur zulässt im Kontext mit Fortpflanzung, ist das ja etwas sehr Berechenbares, etwas sehr Überschaubares. Sobald wir aber über Lust reden, über Liebe reden, vielleicht sogar über Geilheit, wird das Ganze natürlich auch unkontrollierbar.
Ammicht-Quinn: Sexualität per se ist nur immer temporär zähmbar und kontrollierbar. Sexualität per se hat mit Grenzüberschreitungen zu tun, und Grenzüberschreitungen im Sinne von Transzendenz ist natürlich auch Thema von Religion.
Kassel: Sie haben schon gesagt jetzt am Anfang des Gespräches, Sie finden es eigentlich durchaus immer noch schade, dass diese Tagung nun nicht in diesem katholisch-kirchlichen Kontext, also innerhalb des Bistums Rottenburg-Stuttgart zum Beispiel stattfinden kann – Frankfurt bei der "Rundschau" ist besser als nichts, aber: Was erwarten Sie denn nun von der Tagung, außer dass Gleichgesinnte sich relativ schnell einig sind? Wollen Sie wirklich ein Signal ausgehen lassen von dieser Tagung an die katholische Kirche?
Ammicht-Quinn: Wir wollen ein Signal ausgehen lassen an all die Menschen, die mit den Themen, mit denen wir es zu tun haben, befasst sind: Das sind viele Menschen in kirchlichen aber auch nicht-kirchlichen Vereinen, Verbänden, in Beratungsstellen, das sind Menschen in Jugendorganisationen, und das sind ganz einfach persönlich interessierte und betroffene Menschen. An die richtet sich unser Signal, weil ich davon ausgehe, dass Kirche natürlich nicht nur aus Amtsträgern besteht.
Kassel: Wie könnte denn mittelfristig da Bewegung aussehen, auch auf Seiten der katholischen Kirche? Ich frage mich an manchen Punkten, wie da ein Kompromiss aussehen kann, wenn die eine Seite sagt, die Amtskirche nämlich – bleiben wir noch mal bei der Homosexualität, da ist es immer so einfach klar zu machen –, wenn die Amtskirche sagt, Homosexualität ist eine Sünde und darf nicht praktiziert werden, und andere Menschen wie zum Beispiel auch Sie sprechen längst von Homosexualitäten und halten das für etwas ganz Normales, Alltägliches: Ich kann mir da bei diesen beiden Ansichten überhaupt keinen Kompromiss vorstellen.
Ammicht-Quinn: Ein möglicher Kompromiss ist, wenn man sich darauf besinnt, dass Sexualität nicht nur reglementiert, sondern kultiviert werden muss. Wenn nur reglementiert wird, und nicht kultiviert, dann sehen wir immer wieder in die Abgründe von sexueller Gewalt. Wenn wir noch mal – Stichwort Homosexualität – bei der Frage von Fruchtbarkeit bleiben, dann können wir Fruchtbarkeit als Gesetz verstehen: Sexualität ist nur dann erlaubt, wird nur dann zugelassen, wenn sie der Fruchtbarkeit dient. Wir können aber Fruchtbarkeit auch anders verstehen, nämlich als Symbolwert, der tatsächlich in diese Fragen der Kultivierung hineinreicht. Dann hieße nicht Fruchtbarkeit, es darf nur Geschlechtsverkehr stattfinden, wenn keine Empfängnis verhütet wird, sondern dann hieße Fruchtbarkeit: Die Energie in einer sexuellen Beziehung, in einer Liebesbeziehung muss in irgendeiner Art und Weise auch fruchtbar gemacht werden für die Welt. Und das kann natürlich ganz konkret im Glück eines Lebens mit Kindern passieren, das kann aber auch in vielen anderen Weisen geschehen.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute Vormittag mit Regina Ammicht-Quinn, Ehtik-Professorin, Theologin und Mitveranstalterin der Tagung "Let’s think about sex - Obsessionen der Moderne - Katholische Sexualmoral - Guter Sex", die, weil sie in Stuttgart im Bistum, wo sie ursprünglich mal geplant war, nicht stattfinden durfte, jetzt in den Räumen der "Frankfurter Rundschau" in Frankfurt am Main stattfindet. Wenn man, Frau Ammicht-Quinn, einer anderen Meinung ist als die katholische Amtskirche in Bezug auf Sexualität, warum dann, so wie ich das bei Ihnen spüre und bei anderen Menschen, dieser Kampf für Veränderung? Es ist ja niemand gezwungen, Mitglied der katholischen Kirche zu sein. Man muss auch nicht unbedingt, wenn man gläubiger Christ ist, Mitglied einer Kirche sein. Warum sagen Sie nicht einfach, was der Papst sagt, was die Amtskirche sagt, damit kann ich nichts anfangen – trete ich halt aus?
Ammicht-Quinn: Zunehmend viele Leute sagen das. Ich selber tue das nicht, weil es eine lange Geschichte ist, die auch zu meiner eigenen Geschichte gehört, und weil ich den Eindruck habe, dass viel Zukunftsfähiges da verborgen ist, wenn wir Tradition nicht länger verstehen als was, was man in eine Kiste packt und den Deckel drauf tut und unbeschadet von einer Generation zur anderen weitergibt, sondern wenn wir Tradition als etwas verstehen, was immer neu und auch an jeder Generation neu sich erproben muss.
Kassel: Man hat aber dann so leicht den Eindruck – und ich weiß nicht, ob der richtig ist, Zahlen, die das beweisen, haben wir beide nicht, aber man hat so den Eindruck: Die Amtskirche, die wirklich aus den Bischöfen besteht, aus den Herren, die sich jetzt gerade in Fulda zur Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz treffen und dann noch der Papst dazu, die haben diese klassische Sexualmoral – kein Sex außerhalb der Ehe, keine Homosexualität et cetera –, und die große Mehrheit denkt so wie Sie. Ist das denn sicher so? Warum kann es nicht eine Welt geben, in der es die katholische Kirche gibt, die verbietet das halt alles, und wem das nicht passt, der muss ja da nicht mitmachen?
Ammicht-Quinn: Die katholische Kirche besteht natürlich nicht aus ihrer Haltung zur Sexualmoral, und wenn wir die gesamten karitativen Werke der katholischen Kirche abziehen würden, dann sähe unsere Gesellschaft auch anders aus. Also, so ganz einfach ist es nicht, zu sagen, sollen die alten Herren doch machen, was sie wollen, und wir tun was Anderes – es geht um ein gemeinsames, ich denke auch immer noch um ein geteiltes Interesse an einer wertvollen Tradition und an der Zukunftsfähigkeit dieser Tradition.
Kassel: Das heißt, auch von dem heimlichen Kompromiss, den ja eigentlich große Teile der katholischen Kirche schon geschlossen haben – offiziell ist es nicht erlaubt, inoffiziell tun wir so manches, Stichwort Haushälterin –, davon halten Sie auch nichts?
Ammicht-Quinn: Nein, davon halte ich gar nichts. Wir haben viel zu viel Schweigen und viel zu viel Verschwiegenes innerhalb kirchlicher Strukturen, und nur durch dieses lang geübte Schweigen und Verschweigen dessen, was doch nicht so richtig genau passt, konnte sich das Drama der sexuellen Gewalt so lange fortsetzen.
Kassel: Aber gerade nach – Sie haben das Stichwort sexuelle Gewalt genannt –, gerade nachdem diese Fälle schweren Missbrauchs in Einrichtungen der katholischen Kirche bekannt wurden, gab es ja zunächst durchaus auch Katholiken, eine ganze Menge, die gesagt haben, jetzt müssen wir aber ganz offen darüber reden, sehr offen sein. Aber wenn wir jetzt sehen: Auch wenn die Bischofskonferenz ja den großen Dialog angekündigt hat, wenn wir jetzt sehen, wie es im Moment aussieht – rechnen Sie denn mit dieser Offenheit in nächster Zeit, rechnen Sie mit Veränderungen oder wenigstens Bereitschaft, ernsthaft über Veränderungen zu reden?
Ammicht-Quinn: Ach wissen Sie, wenn ich in die Zukunft schauen könnte oder in die Herzen der Amtsträger – ich weiß es ganz einfach nicht.
Kassel: Das ist ein schönes Schlusswort. Zwei Tage in die Zukunft schauen können Sie, was die Tagung angeht, darüber hinaus ist es ja auch nicht möglich. Regina Ammicht-Quinn war das, Professorin am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen und Mitorganisatorin der Tagung "Let’s think about sex - Obsessionen der Moderne - Katholische Sexualmoral - Guter Sex", die heute und morgen in Frankfurt am Main stattfindet bei der "Frankfurter Rundschau". Frau Ammicht-Quinn, ich danke Ihnen sehr.
Ammicht-Quinn: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.