Guy Leschziner: "Nachtaktiv"

Gespenster der Nacht

05:58 Minuten
Buchcover zu Guy Leschziner: Nachtaktiv. Albträume, das Gehirn und die verborgene Welt des Schlafs
Für manche wird beim Schlafen jede Nacht ein Albtraum wahr. Davon und was man dagegen tun kann, erzählt Guy Leschziner in seinem Buch "Nachtaktiv". © Beltz
Von Susanne Billig |
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Der Neurologe Guy Leschziner leitet eines der größten Schlaflabore Europas. In seinem neuen Buch erzählt er in zwölf packenden Fallgeschichten von Menschen mit massiven Schlafstörungen und ihrer Heilung.
Wenn Adrian laut lacht, fängt sein Rücken an zu kribbeln. Er fühlt eine zittrige Schwäche im ganzen Körper, knickt wie eine Marionette in sich zusammen und stürzt bewegungsunfähig zu Boden.
Der Neurologe Guy Leschziner leitet am Guy’s Hospital in London eines der größten Schlaflabore Europas und hat dort bereits hunderte von Patientinnen und Patienten behandelt. Zwölf von ihnen haben ihm nun die Erlaubnis gegeben, in dem Buch "Nachtaktiv" die Geschichte ihrer Krankheit und Therapie zu erzählen.

Dramatische Fälle und ihre Heilung

Da ist Jackie, Mitte 70. Sie brettert nachts auf ihrem Motorrad umher – tief schlafend. Der 16-jährige Vincent fühlt sich täglich wie im Jetlag, verwechselt Morgen und Abend, Tag und Nacht. John, ein freundlicher Mann Anfang 80, macht seiner Frau Liz nachts das Leben zur Hölle, indem er sich im Schlaf auf sie wirft, an ihren Haaren zerrt und ihre Kehle umklammert. Janice, Ende 40, hat beim Einschlafen das Gefühl, ihr Herzschlag verlangsame sich und ihr Brustkorb werde so stark zusammengedrückt, dass sie fast erstickt. Vor Angst beißt sie sich auf die Zunge, bis ihr Mund mit Blut vollläuft. Jede Nacht.
Es sind dramatische Erfahrungen, die der Neurologe hier mit großer Anteilnahme schildert, und er sucht in akribischer medizinischer Detektivarbeit nach den richtigen Diagnosen: Wenn Adrians Muskeltonus zusammenbricht, könnte vieles der Grund sein: ein epileptischer Anfall, eine plötzliche Herzrhythmusstörung, eine Rückenmarksverletzung.

Der Schlaf: fein austariert, aber auch störungsanfällig

Erst wenn alles das ausgeschlossen werden kann, kommt eine Schlafstörung in Frage. Aber welche? In Adrians Gehirn, so konnte der Arzt schließlich herausfinden, wird die für eine REM-Schlafphase typische Muskellähmung tagsüber unkontrolliert eingeschaltet – das heißt "Kataplexie" und lässt sich mit Medikamenten lindern.
Mit jedem Kapitel begreift man mehr, wie fein austariert, aber eben auch störungsanfällig Schlaf- und Traumphasen sind. Detailreich schildert Guy Leschziner auf neuestem, oft überraschendem Forschungsstand, wie Psyche, Hormonhaushalt und Gehirn im Schlaf ineinandergreifen. Was nach unruhigen Beinen aussieht, hat in Wirklichkeit etwas mit entlegenen Hormonwegen zu tun. Was auf eine frühkindliche Traumatisierung zurückzugehen scheint, rührt tatsächlich von einer Epilepsie her.

Kompetent und spannend

So revolutionär die heutigen Erkenntnisse aus Schlaflaboren und der Hirnforschung sind – der Wissenschaft sind noch immer enge Grenzen gesteckt, wie der Autor sympathischerweise eingesteht. Das EEG, also die Ableitung von Strömen an der Kopfhaut, ist noch immer der Königsweg, um das schlafende Gehirn zu untersuchen. Doch diese Methode ist limitiert. "Stellen Sie sich vor", schreibt der Neurologe, "Sie hätten die Aufgabe, weltweit den Meeresboden der Ozeane zu vermessen, von den Wattgebieten der Nordsee bis in die Tiefen des Marianengrabens im Pazifik. Aber alles, was man Ihnen zur Verfügung stellt, sind Taucherbrille und Schnorchel."
Für alle, die eintauchen möchten in die geheimnisvollen Tiefen von Schlaf und Traum, ist "Nachtaktiv" genau richtig: kompetent und spannend.
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