Guy Verhofstadt: Europäische Wirtschaftsregierung muss handlungsfähig sein
Der Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament, Guy Verhofstadt, fordert eine europäische Wirtschaftsregierung unter Leitung des EU-Währungskommissars Olli Rehn. Diese müsse in den EU-Mitgliedsstaaten Wirtschaftsreformen durchsetzen können und vor allem dafür sorgen, dass der Stabilitätspakt eingehalten werde.
Marietta Schwarz: Eine Wirtschaftsregierung für die Eurozone, diese Forderung wird schon seit vielen Jahren im europäischen Raum ausgesprochen. In letzter Zeit aber, im Zuge der Erfahrungen mit Griechenland, Portugal und Irland, sind die Rufe lauter geworden. Schon im Juni sprach sich EZB-Präsident Jean-Claude Trichet dafür aus, jetzt wollen auch Bundeskanzlerin Merkel und der französische Staatspräsident Sarkozy eine europäische Wirtschaftsregierung einführen. Den Vorsitz soll demnach EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy haben, die Staats- und Regierungschefs der 17 Euroländer zweimal im Jahr tagen. Vor der Sendung sprach ich darüber mit Guy Verhofstadt, dem Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament, und ich fragte ihn zunächst, ob die Pläne von Merkel und Sarkozy denn seiner Vorstellung einer europäischen Wirtschaftsregierung entsprechen.
Guy Verhofstadt: Also nein, ich muss ganz ehrlich sagen, das, was Merkel und Sarkozy sich da jetzt ausgedacht haben unter Wirtschaftsregierung, das ist wirklich nicht das, was ich mir vorgestellt habe, weil Frau Merkel und Herrn Sarkozy schwebt ja vor, dass es von den Staatschefs ausgeht, die sich dann zweimal im Jahr treffen. Und ich finde, eine Wirtschaftsregierung, die müsste sich zweimal in der Woche treffen, damit sie wirklich funktionsfähig ist. Und das ist wirklich etwas ganz anderes, als wenn man sich dann auf allerhöchster Ebene nur zweimal pro Jahr trifft. Und deswegen ist das eben nicht die Wirtschaftsregierung, die ich mir vorgestellt habe, eine Wirtschaftsregierung, die dann wirklich auch handlungsfähig ist und auch wirklich Dinge durchsetzen kann, auch die Kraft hat, Dinge durchzusetzen.
Schwarz: Was kann denn der Vorschlag von Merkel und Sarkozy, was kann denn diese Form von gemeinsamer Wirtschaftsregierung erreichen?
Verhofstadt: Nun, natürlich hat dieser Vorschlag, der kann natürlich helfen. Dieser Rat, der Staatschef der EU-Zone, wie er Frau Merkel und Herrn Sarkozy jetzt vorschwebt, der wird natürlich nicht schaden, das nicht, aber es besteht nach wie vor eine Notwendigkeit, dass innerhalb der EU eine wirkliche Wirtschaftsregierung etabliert wird. Und das schlage ich eben vor, dass zum Beispiel die Kommissare, die sich mit Wirtschaft befassen in den einzelnen Ländern der Eurozone, dass sie ein Team bilden, eine Mannschaft bilden, die dann wirklich den Mitgliedsstaaten auch die wirtschaftlichen Reformen nicht nur vorschlagen kann, sondern sie auch wirklich durchsetzen kann und vor allen Dingen dafür sorgt, dass der Stabilitätspakt eingehalten wird. Und machen wir uns doch nichts vor – auf dem Level, wo das jetzt stattfindet, die EU-Staaten haben sich niemals selbst sozusagen regiert, das hat weder in der Vergangenheit funktioniert noch in der Gegenwart.
Schwarz: Aber der Vertrag von Lissabon sieht eine gemeinsame Wirtschaftsregierung ja gar nicht vor, also brauchen wir einen neuen Lissabon-Vertrag.
Verhofstadt: Nein, man muss diesen Vertrag von Lissabon natürlich nicht mehr ändern, aber da steht ja ganz klar drin, in diesem Vertrag von Lissabon, was die Wirtschaftszukunft eben auch der EU ist. Und es gibt mehrere Artikel in diesem Vertrag, die gerade auf die Stabilität achten und die gerade die Stabilität der Wirtschaft in diesem sogenannten Stabilitätspakt noch garantieren wollen. Und da müsste eben ein Beschluss irgendwie noch kommen, dass die EU-Kommission einfach mehr Macht erhält und das dann auch wirklich durchzusetzen.
Schwarz: Wie würde sich denn ein Finanzministerium für alle EU-Staaten ganz praktisch auf die Finanz- und Wirtschaftsministerien in den Ländern auswirken? Also, müssen die Minister dann bei jedem Vorhaben erst in Brüssel nachfragen, ob sie das Geld dafür auch ausgeben dürfen?
Verhofstadt: Nein, das ist natürlich überhaupt nicht notwendig, dass nun permanent die Finanzminister, der deutsche Finanzminister in dem Fall, zwischen Berlin und Brüssel hin- und herreist. Was ich glaube, ist, diese Wirtschaftsregierung, so wie ich sie verstehe, wird gebildet von einem Team innerhalb der Kommission, die dann geleitet wird von dem Präsident der Kommission, als in diesem Fall Mister Rehn.
Und dieses Team macht dann eben Vorschläge an alle Mitgliedsstaaten, das ist diese Arbeit dann dieser Wirtschaftsregierung. Sie setzt dann sozusagen Budgetreformen durch, fiskale Reformen durch und auch ökonomische Reformen durch, damit es wirklich dann auch einen einheitlichen europäischen Markt gibt. Weil wir sind jetzt, die Europäer sind die Einzigen auf der Welt, die irgendwie glauben, dass sie eine Einheitswährung haben können, die von 17 verschiedenen Regierungen ausgeht, aber die 17 verschiedene Finanzminister hat und von 17 verschiedenen Märkten ausgeht.
Schwarz: Trotzdem bedeutet das doch, in Finanzfragen würde die Haushaltshoheit der nationalen Parlamente mehr oder weniger ausgehebelt. Also zum Beispiel mit der deutschen Verfassung verträgt sich das nicht besonders gut.
Verhofstadt: Nein, das glaube ich nicht wirklich. Ich glaube nicht, dass es da wirklich ein Problem mit der deutschen Verfassung geben könnte, weil das, was diese Wirtschaftsregierung tut, ja nichts anderes ist, als dass eben dieser Stabilitätspakt mit eingehalten wird. Das sollte nicht wirklich im Widerspruch zur deutschen Verfassung stehen.
Und es sollte auch wirklich im Interesse Deutschlands sein, dass der Euro stark bleibt und dass diese Einheitswährung Euro eben auch stark bleibt, weil dank dieses starken Euros hat die deutsche Wirtschaft doch spektakuläre Erfolge feiern können, gerade was die Exportstärke Deutschlands angeht.
Schwarz: Herr Verhofstadt, momentan beweist die EU ja nicht gerade, dass sie handlungsfähiger ist als die nationalen Regierungen. Ist sie für diese großen Schritte tatsächlich gerüstet?
Verhofstadt: Ja, ich finde, da kann man auch einiges ändern, damit Europa in der Lage ist, in der Eurozone anders Dinge zu regeln. Und da gibt es einfach zwei Dinge: Einmal diese Wirtschaftsregierung, das fehlt zurzeit in der Eurozone, und dann das, was ich einen Einheitsmarkt für Staatsanleihen nennen würde. Das würde dazu führen, dass die Solidarität innerhalb der europäischen Gemeinschaft stärker wird, aber vor allen Dingen auch die Disziplin in der Eurozone. Und dass man endlich dann auch Sanktionen besser durchführen kann gegen Staaten, die den Stabilitätspakt eben verletzen und die sich nicht an diese Finanzdisziplin halten. Dafür wäre so ein Markt von Staatsanleihen sehr sinnvoll.
Und es sollte auch wirklich im Interesse Deutschlands sein, was diese Euro-Obligationen, also diese Anleihen des Euros angeht, weil es gibt ja in Deutschland immer wieder die Kritik, dass das Deutschland einfach vielmehr kostet, diese Staatsanleihen, aber man könnte Deutschland ja auch garantieren, dass Deutschland nicht mehr bezahlt in Zukunft als das, was jetzt sowieso schon bezahlt. Und das, was ich diesen gemeinsamen Markt der Obligationen, also diesen gemeinsamen Markt von Staatsanleihen nenne, das würde einfach bedeuten, es wäre von einem Volumen zwischen 4000 und 5000 Milliarden Euro. Das ist genauso viel und genauso stark wie der amerikanische Markt. Und das könnte dann auch dazu führen, dass man die Zinsen wirklich auch senken könnte.
Schwarz: Der Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament Guy Verhofstadt war das. Herr Verhofstadt, herzlichen Dank für das Gespräch, merci!
Verhofstadt: Au revoir!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Guy Verhofstadt: Also nein, ich muss ganz ehrlich sagen, das, was Merkel und Sarkozy sich da jetzt ausgedacht haben unter Wirtschaftsregierung, das ist wirklich nicht das, was ich mir vorgestellt habe, weil Frau Merkel und Herrn Sarkozy schwebt ja vor, dass es von den Staatschefs ausgeht, die sich dann zweimal im Jahr treffen. Und ich finde, eine Wirtschaftsregierung, die müsste sich zweimal in der Woche treffen, damit sie wirklich funktionsfähig ist. Und das ist wirklich etwas ganz anderes, als wenn man sich dann auf allerhöchster Ebene nur zweimal pro Jahr trifft. Und deswegen ist das eben nicht die Wirtschaftsregierung, die ich mir vorgestellt habe, eine Wirtschaftsregierung, die dann wirklich auch handlungsfähig ist und auch wirklich Dinge durchsetzen kann, auch die Kraft hat, Dinge durchzusetzen.
Schwarz: Was kann denn der Vorschlag von Merkel und Sarkozy, was kann denn diese Form von gemeinsamer Wirtschaftsregierung erreichen?
Verhofstadt: Nun, natürlich hat dieser Vorschlag, der kann natürlich helfen. Dieser Rat, der Staatschef der EU-Zone, wie er Frau Merkel und Herrn Sarkozy jetzt vorschwebt, der wird natürlich nicht schaden, das nicht, aber es besteht nach wie vor eine Notwendigkeit, dass innerhalb der EU eine wirkliche Wirtschaftsregierung etabliert wird. Und das schlage ich eben vor, dass zum Beispiel die Kommissare, die sich mit Wirtschaft befassen in den einzelnen Ländern der Eurozone, dass sie ein Team bilden, eine Mannschaft bilden, die dann wirklich den Mitgliedsstaaten auch die wirtschaftlichen Reformen nicht nur vorschlagen kann, sondern sie auch wirklich durchsetzen kann und vor allen Dingen dafür sorgt, dass der Stabilitätspakt eingehalten wird. Und machen wir uns doch nichts vor – auf dem Level, wo das jetzt stattfindet, die EU-Staaten haben sich niemals selbst sozusagen regiert, das hat weder in der Vergangenheit funktioniert noch in der Gegenwart.
Schwarz: Aber der Vertrag von Lissabon sieht eine gemeinsame Wirtschaftsregierung ja gar nicht vor, also brauchen wir einen neuen Lissabon-Vertrag.
Verhofstadt: Nein, man muss diesen Vertrag von Lissabon natürlich nicht mehr ändern, aber da steht ja ganz klar drin, in diesem Vertrag von Lissabon, was die Wirtschaftszukunft eben auch der EU ist. Und es gibt mehrere Artikel in diesem Vertrag, die gerade auf die Stabilität achten und die gerade die Stabilität der Wirtschaft in diesem sogenannten Stabilitätspakt noch garantieren wollen. Und da müsste eben ein Beschluss irgendwie noch kommen, dass die EU-Kommission einfach mehr Macht erhält und das dann auch wirklich durchzusetzen.
Schwarz: Wie würde sich denn ein Finanzministerium für alle EU-Staaten ganz praktisch auf die Finanz- und Wirtschaftsministerien in den Ländern auswirken? Also, müssen die Minister dann bei jedem Vorhaben erst in Brüssel nachfragen, ob sie das Geld dafür auch ausgeben dürfen?
Verhofstadt: Nein, das ist natürlich überhaupt nicht notwendig, dass nun permanent die Finanzminister, der deutsche Finanzminister in dem Fall, zwischen Berlin und Brüssel hin- und herreist. Was ich glaube, ist, diese Wirtschaftsregierung, so wie ich sie verstehe, wird gebildet von einem Team innerhalb der Kommission, die dann geleitet wird von dem Präsident der Kommission, als in diesem Fall Mister Rehn.
Und dieses Team macht dann eben Vorschläge an alle Mitgliedsstaaten, das ist diese Arbeit dann dieser Wirtschaftsregierung. Sie setzt dann sozusagen Budgetreformen durch, fiskale Reformen durch und auch ökonomische Reformen durch, damit es wirklich dann auch einen einheitlichen europäischen Markt gibt. Weil wir sind jetzt, die Europäer sind die Einzigen auf der Welt, die irgendwie glauben, dass sie eine Einheitswährung haben können, die von 17 verschiedenen Regierungen ausgeht, aber die 17 verschiedene Finanzminister hat und von 17 verschiedenen Märkten ausgeht.
Schwarz: Trotzdem bedeutet das doch, in Finanzfragen würde die Haushaltshoheit der nationalen Parlamente mehr oder weniger ausgehebelt. Also zum Beispiel mit der deutschen Verfassung verträgt sich das nicht besonders gut.
Verhofstadt: Nein, das glaube ich nicht wirklich. Ich glaube nicht, dass es da wirklich ein Problem mit der deutschen Verfassung geben könnte, weil das, was diese Wirtschaftsregierung tut, ja nichts anderes ist, als dass eben dieser Stabilitätspakt mit eingehalten wird. Das sollte nicht wirklich im Widerspruch zur deutschen Verfassung stehen.
Und es sollte auch wirklich im Interesse Deutschlands sein, dass der Euro stark bleibt und dass diese Einheitswährung Euro eben auch stark bleibt, weil dank dieses starken Euros hat die deutsche Wirtschaft doch spektakuläre Erfolge feiern können, gerade was die Exportstärke Deutschlands angeht.
Schwarz: Herr Verhofstadt, momentan beweist die EU ja nicht gerade, dass sie handlungsfähiger ist als die nationalen Regierungen. Ist sie für diese großen Schritte tatsächlich gerüstet?
Verhofstadt: Ja, ich finde, da kann man auch einiges ändern, damit Europa in der Lage ist, in der Eurozone anders Dinge zu regeln. Und da gibt es einfach zwei Dinge: Einmal diese Wirtschaftsregierung, das fehlt zurzeit in der Eurozone, und dann das, was ich einen Einheitsmarkt für Staatsanleihen nennen würde. Das würde dazu führen, dass die Solidarität innerhalb der europäischen Gemeinschaft stärker wird, aber vor allen Dingen auch die Disziplin in der Eurozone. Und dass man endlich dann auch Sanktionen besser durchführen kann gegen Staaten, die den Stabilitätspakt eben verletzen und die sich nicht an diese Finanzdisziplin halten. Dafür wäre so ein Markt von Staatsanleihen sehr sinnvoll.
Und es sollte auch wirklich im Interesse Deutschlands sein, was diese Euro-Obligationen, also diese Anleihen des Euros angeht, weil es gibt ja in Deutschland immer wieder die Kritik, dass das Deutschland einfach vielmehr kostet, diese Staatsanleihen, aber man könnte Deutschland ja auch garantieren, dass Deutschland nicht mehr bezahlt in Zukunft als das, was jetzt sowieso schon bezahlt. Und das, was ich diesen gemeinsamen Markt der Obligationen, also diesen gemeinsamen Markt von Staatsanleihen nenne, das würde einfach bedeuten, es wäre von einem Volumen zwischen 4000 und 5000 Milliarden Euro. Das ist genauso viel und genauso stark wie der amerikanische Markt. Und das könnte dann auch dazu führen, dass man die Zinsen wirklich auch senken könnte.
Schwarz: Der Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament Guy Verhofstadt war das. Herr Verhofstadt, herzlichen Dank für das Gespräch, merci!
Verhofstadt: Au revoir!
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