Hamed Abdel-Samad: Mohamed. Eine Abrechnung
Droemer Verlag, München 2015
224 Seiten, 19,99 Euro
Psychogramm des Propheten
In "Mohamed - Eine Abrechnung" zeichnet der Publizist Hamed Abdel-Samad ein Bild des Propheten als Psychopath. Seine Vorgehensweise ist fragwürdig, findet der Islamwissenschaftler Stefan Weidner.
"Die Reform des Denkens beginnt, wenn Muslime es wagen, Mohamed aus dem Käfig der Unantastbarkeit zu entlassen und ihn Mensch werden zu lassen", heißt es gegen Ende des Buchs. Man ist geneigt, dem Autor zuzustimmen. Das neue Buch des vor allem aus dem Fernsehen bekannten, ägyptischstämmigen Publizisten Hamed Abdel-Samad über den Propheten des Islams will sowohl eine "Abrechnung" (so der Untertitel) mit dem geläufigen muslimischen Bild von Mohammed als auch eine Kritik an der historischen Figur Mohammeds sein.
Dem idealisierten Mohammed-Bild vieler Muslime setzt Abdel-Samad ein von ihm gezeichnetes, weitgehend negatives Mohammed-Bild entgegen. Dabei überrascht, dass der Autor offenbar überzeugt ist, dem echten, historischen Mohammed, ja sogar seiner psychischen Verfassung auf die Spur gekommen zu sein - obwohl der Prophet im Jahr 632 gestorben ist und es außer dem Koran keine Dokumente über ihn gibt, die bis in seine Lebenszeit zurückreichen.
Befund: Epileptiker und Psychopath
Im einleitenden Kapitel stellt Abel-Samad zunächst zutreffend fest, "dass wir keine eindeutigen historischen Belege haben für das, was er (Mohammed) tatsächlich getan oder gesagt hat. (…) Hinzu kommt, dass man einen Menschen, der im 7. Jahrhundert gelebt und gewirkt hat, nur schlecht nach dem Wissen und den Maßstäben des 21. Jahrhunderts beurteilen kann." Trotz dieser Feststellung unternimmt Hamed Abdel-Samad dann aber genau dies: Er beurteilt den Propheten von heute aus und stützt sich dabei auf die fragwürdigen Dokumente von einst.
Entsprechend mutwillig ist das Ergebnis: Der Befund, zu dem der Autor kommt, lautet, dass Mohammed ein Epileptiker und Psychopath gewesen sei. Das erinnert fatal an die Darstellung Mohammeds als Lügenpropheten, Epileptiker und paranoiden Despoten, wie sie die abendländisch-christliche Auseinandersetzung mit dem Islam seit den ersten Begegnungen und Konfrontationen im Mittelalter geprägt hat und wie sie heute von Islamfeinden und Islamkritikern, zu denen sich auch Abdel-Samad zählt, wiederbelebt wird.
Durchgehend wird das Wirken Mohammeds mit dem Wüten des Islamischen Staates (oder auch mit der Mafia) heute verglichen und aufgrund dessen verurteilt. Und wenn gesagt wird, Mohammed habe sich "radikalisiert", klingt dies, als hätte Abdel-Samad einen Verfassungsschutzbericht über den Propheten geschrieben. Auf den ersten Blick wirken solche argumentativen Kurzschlüsse ausgesprochen suggestiv und einleuchtend; auf den zweiten befremden sie.
Kein inhaltlicher Unterschied zum salafistischem Mohammed-Bild
Den Islamreformern wirft Abdel-Samad vor, nicht konsequent zu sein, wenn sie sich nur das aus den Mohammed-Überlieferungen herauspicken, was uns heute genehm scheint, andere Aspekte dagegen ausblenden. Sie gingen mit der Prophetenbiographie genauso um wie die Terroristen, die sich ebenfalls das herauspicken, was sie zur Rechtfertigung ihrer Taten gerade benötigten.
Abdel-Samad macht sich jedoch selbst einer viel größeren Naivität schuldig. Sein Islam- und Mohammed-Bild verdankt sich genau dem fundamentalistisch-salafistischen Islam, den es bekämpfen will. Der Unterschied zwischen der Mohammed-Darstellung Abdel-Samads und der eines Salafisten besteht nicht im Inhalt, sondern in der Wertung: Abdel-Samad findet verwerflich, was die Salafisten nachahmenswert finden. Beide glauben, es gäbe den wahren Mohammed, und sie wüssten, was dieser sei.
Mit Wertungen, Urteilen und Richtersprüchen ist uns jedoch in der Auseinandersetzung mit fragwürdigen Weltanschauungen nicht geholfen. Wir müssten sie vielmehr analysieren und dekonstruieren, um die Vermessenheit ihres Wahrheitsanspruchs zu entlarven, statt einfach neue Wahrheitsansprüche zu erheben.