"Einer, der seine Obsessionen gelebt hat"
Von klein auf habe H. R. Giger "mit Albtraumwelten gearbeitet", sagt der Kunstkritiker Carsten Probst. "Zufälligerweise wurde er dann mit dieser fantastischen Begabung auch kommerziell entdeckt" - als Schöpfer von Monstern und Aliens.
Dieter Kassel: Der Schweizer Künstler H. R. Giger ist gestern im Alter von 74 Jahren gestorben. Das hat das Schweizer Fernsehen heute bekannt gegeben. Und wenn Sie auch vielleicht den Namen des Künstlers gerade zum ersten Mal gehört haben, dann kennen Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit trotzdem eines der von ihm geschaffenen, ja wie soll ich sagen, Werke, Objekte. Sie kennen nämlich vermutlich das Monster aus dem Film "Alien". Das hat er geschaffen, darüber hinaus durchaus auch Figuren für andere Filme, Plattencover und noch viel, viel mehr. Bei mir im Studio ist jetzt unser Kunstkritiker Carsten Probst. Schönen guten Tag erst einmal, Herr Probst.
Carsten Probst: Hallo, hallo.
Kassel: Wenn man jetzt wirklich dieses Alien-Monster vor Augen hat, so man sich überhaupt noch ordentlich daran erinnert und nur dieses kennt, hat man dann schon einen realistischen Eindruck von Gigers Kunst?
Probst: Ja, sagen wir es vielleicht einmal so, es gibt Künstler mit einer gespaltenen Biografie, die sich eigentlich an hohen Ideen von hoher Kunst orientieren, aber sich ein Leben lang mit irgendwelchen Jobs herumschlagen müssen. Es gibt aber auch Künstler, wo authentisch das eine in das andere übergeht. Und so einer war Giger, glaube ich. Also, er ist ein Typ, der, glaube ich, gelebt hat, was er gemacht hat. Auch wenn vielleicht jetzt dieser kommerzielle Erfolg bei ihm ein wenig den Blick auf das verzerrt, dass er tatsächlich von früh an mit solchen Figuren, mit solchen figürlichen Welten, mit solchen Albtraumwelten gearbeitet hat. Ich glaube, das liegt schon ein wenig wohl an seiner Erziehung, in seinem Elternhaus begründet. Es heißt immer so, seine katholische Erziehung in der Schweiz habe da schon mitgespielt. Aber er hat sich, soweit ich sehe, immer, immer mit solchen Welten beschäftigt.
Kassel: Aber was hat er denn außer diesen Filmfiguren, es gab ja noch andere Filme, alles gemacht?
Probst: Ja, fangen wir doch vielleicht mit seiner Ausbildung an, er hat eigentlich Architektur studiert. Architektur und Design. Und manche Kritiker, die also früher schon ein bisschen so gelästert haben über den Kitsch in seinem Werk, haben auch so von einer Restverwertung moderner Ideen gesprochen. Stichwort Mensch-Maschine-Koppelungen oder utopische Architekturen oder so gesamtkunstwerkliche Ideen. Das gab es ja alles Anfang des 20. Jahrhunderts und davor auch. Das waren riesige Entwürfe bis ins Bauhaus hinein. Das ist also durchaus nichts Unbekanntes. Und nun hat man ihm ja vorgeworfen, er hat es so verkitscht durch irgendwelche nackten Blondinen, die plötzlich in irgendwelchen Panzern auftauchen und so weiter. Aber so einfach ist es vielleicht doch nicht.
Ich glaube, er hat sein Studium dazu verwandt, diese Ideen, die zur Tradition gewissermaßen von Design- und Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts zugehört, noch einmal zu transformieren in eine Welt, die ihm ja in seinem Inneren sehr entsprach. Dann hat man später von surrealistischen Welten gesprochen. Ich glaube, soweit muss man nicht gehen. Es sind aber Traumwelten, es sind Fantasiewelten, in denen er unglaublich viele Einflüsse eingebaut hat. Und seine ersten Werke, die ihn auch kommerziell bekannt gemacht haben, aber ich glaube unabsichtlich, waren so etwas wie Gebärmaschinen oder Koffer-Babies. Oder solche Sachen, die wirklich an der Grenze zu einer Art surrealistischer Konzept-Kunst tatsächlich rangiert sind. Aber zufälligerweise wurde er dann mit dieser fantastischen Begabung auch kommerziell entdeckt und hat dieses Pferd geritten, muss man sagen, dann die nächsten 30 Jahre lang.
Kassel: Wobei andererseits auch die Produzenten seiner Filme immer gesagt haben, wir haben nicht ein Monster in Auftrag gegeben und der hat uns eines geliefert. Sondern er hat selber etwas geschaffen, was dann auch den Film inspiriert hat.
Probst: Das meinte ich mit diesem Authentischen eigentlich, das in seiner Biografie eigentlich angelegt ist. Er musste sich da nicht verbiegen, jetzt einmal jenseits dieser Frage von Kitsch oder nicht Kitsch. Ich habe den Eindruck, mit diesen Monstern, auch mit diesen, er hat ja eine Bar ausgestaltet oder hat überhaupt ganz in seinen Bildern immer Räume dazu gezeichnet. Es wirkt ja eigentlich immer wie ein Kontext, den er entwirft, der nicht nur eine einzelne Figur betrifft, sondern es ist eine ganze Welt, eine jenseitige Welt, eine Totenwelt in gewisser Weise, aber auch eine fantastische Welt, die was Romantisches, Schwarzromantisches hat. Er hat sich ja auch auf die schwarze Romantik oft bezogen, also auf das 19. Jahrhundert in England. Und ich glaube, das diese geschlossenen Welten ins sich eigentlich immer einen Kontext mit seiner eigenen, mit seinen eigenen Ängsten, mit seinen eigenen biografischen Einflüssen hat, die er selber so nie explizit geredet hat, sondern immer darauf verwiesen hat, ja es gab Einflüsse, aber schaut auch mein Werk an, dann wisst ihr, was los ist.
Kassel: Aber ich frage mich dann doch, wenn ein Künstler im Wesentlichen nicht nur, Sie haben auch andere Beispiele genannt, aber im wesentlichen doch Monster geschaffen. Er hat ja nicht nur über die Filme, sondern auch im anderen Zusammenhang. Was ist das für ein Mensch? Was weiß man über ihn?
Probst: Ja, er sagte ja über sich selber, er hätte schon als Drei- oder Vierjähriger einen Totenschädel auf einem Rollwagen hinter sich hergezogen. Und ich glaube, das Wort Spooky trifft es glaube ich ganz gut. Auf der einen Seite spricht er von seinem gutbürgerlichen Leben immer wieder, das er mit seiner Frau Carmen hatte und wie gut sie zueinander passen. Das wirkt alles unglaublich solide und er wirkt auch sehr geschäftstüchtig, durchaus. Also, er ist kein Spinner.
Auf der anderen Seite, glaube ich, wirkt er wie einer, der seine Obsessionen gelebt hat. Also tatsächlich ein Typ, den man nicht aus der Ruhe bringen durfte, der sich zurückzog, um dieses Werk zu schaffen, einen obsessiven Fleiß an den Tag gelegt hat, um all diese Welten zu schaffen, die er gemacht hat. In den letzten Jahren wurde es ein bisschen ruhiger, weil er gesagt hat, ich habe jetzt genug gemacht, aber in diesen Jahren zwischen Ende der 60er- bis Anfang der 90er-Jahre wirkte er einfach wie ein, ja, wirklich besessener Verfechter einer geschlossenen Welt, die er auch dieser Gegenwartswelt, dieser oberflächlichen Medienwelt entgegensetzen wollte, obwohl er ja gerade in den Medien so viel gearbeitet hat, erstaunlicherweise. Aber er wollte etwas Inneres nach außen kehren. Genauso.
Kassel: Danke schön.