Kunst im Krieg

Wie gut schützt die Haager Konvention Kulturgut?

Ein Kunstrestaurator arbeitet an einem alten Basrelief aus Palmyra, das von Mitgliedern des IS zerstört wurde.
Ein altes Basrelief aus Palmyra wird im Nationalmuseum Damaskus restauriert. © picture alliance / dpa / TASS / Rustam Kilsinbayev
1954 wurde die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten beschlossen. Doch nicht zuletzt der Ukraine-Krieg zeigt: Zu Zerstörungen kommt es dennoch. Wie wirksam ist also die Konvention? Wie gut ist Deutschland aufgestellt?
Krieg kostet viele Menschenleben, Krieg bedeutet aber auch die Zerstörung wichtiger Kulturdenkmäler. Manchmal werden im Krieg auch Kunstwerke geraubt, in großem Stil haben das die Nazis in den von ihnen besetzten Ländern während des II. Weltkriegs getan. Im aktuellen Ukraine-Krieg soll die russische Armee mehr als 2000 Kunstwerke geraubt haben.
Weil solche Zerstörungen auch immer einen Angriff auf die kulturelle Identität des Landes bedeuten, wurde 1954 die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten beschlossen.

Was besagt die Haager Konvention?

Die Haager Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag. Er wurde vor 70 Jahren, am 14. Mai 1954, von 56 Staaten unter dem Dach der UNESCO geschlossen. Ziel der Konvention ist es, Kulturgut während bewaffneter Konflikte vor Zerstörung, Plünderung oder Diebstahl zu schützen. Die Unterzeichnenden waren der Überzeugung, "dass jede Schädigung von Kulturgut eine Schädigung des kulturellen Erbes der ganzen Menschheit bedeutet".
Seither prangt auf vielen Museen, Bibliotheken, Archiven, Depots und Baudenkmälern ein nach unten spitzes, blauweißes Emblem, das sogenannte Blue-Shield-Siegel, das sie als schützenswerte Kulturgüter ausweist.
Ein Mann schließt das Tor am Stolleneingang in Oberried.
Der Barbarastollen in Oberried im Schwarzwald steht als einziges Objekt in der Bundesrepublik Deutschland unter Sonderschutz nach den Regeln der Haager Konvention. Das zeigt das dreifach angeordnete blauweiße Kulturgutschutzzeichen. © picture-alliance / dpa / Rolf Haid
Deutschland hatte die Konvention erst im Jahr 1967 ratifiziert. 1999 wurde ein zweites Protokoll zur Haager Konvention verabschiedet. Dieses sah erheblich größere Schutzmaßnahmen vor.

Wie ist die Haager Konvention entstanden?

Schon die Haager Landkriegsordnung von 1899 verpflichtete einen Angreifer, Orte von religiöser, künstlerischer oder wissenschaftlicher Bedeutung zu schonen. Doch bereits im Ersten Weltkrieg zeigte sich, wie wenig vage Regeln taugen: Bibliotheken, Universitäten, Museen, Kathedralen, Denkmäler wurden geplündert, gebrandschatzt, gesprengt.
Auch der russischstämmige Künstler und Denker Nicholas Roerich hat schon vor Jahrzehnten darüber nachgedacht, wie sich Kulturgüter in einem bewaffneten Konflikt schützen lassen. Als Roerich-Pakt sind seine Ideen 1937 in die Geschichte eingegangen und 1954 in der Haager Konvention aufgegangen.

Was bringt die Haager Konvention für den Kulturgutschutz?

Restaurator Alexander Gatzsche, der sich auch beim Verein Blue Shield Deutschland engagiert, sagt, Krieg sei „auch eine kulturelle Katastrophe“. Indem Kulturgüter, die uns ausmachten, mitzerstört würden und dadurch „Identifikationspunkte“ verloren gingen.
Das Blue-Shield-Siegel kennzeichnet Kulturgüter, um sie vor der Zerstörung zu bewahren. So wissen auch Soldaten, die sich in der Kriegsregion nicht auskennen, dass es sich bei diesem oder jenem Gebäude um ein international geschütztes Kulturgut handelt.
Beteiligt sich ein Soldat trotzdem an der Zerstörung, kann er unter Umständen belangt werden. Denn die Zerstörung von Kulturgut ist ein Kriegsverbrechen, erklärt Birgitta Ringbeck von Blue Shield Deutschland. 
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat erstmals im Jahr 2016 ein Mitglied der islamistischen Terrororganisation "Ansar Dine" zu neun Jahren Haft verurteilt. Anführer Ahmad Al Faqi Al Mahdi war nachweislich an der Zerstörung einer Moschee und von neun Mausoleen in Timbuktu in Mali im Jahr 2012 beteiligt. „Das geschah übrigens während der 36. Tagung des UNESCO-Weltkulturerbekomitees in Sankt Petersburg unter russischem Vorsitz“, so Ringbeck.

Es geht hier um die Zerstörung unersetzlicher historischer Denkmäler und um einen rücksichtslosen Angriff auf die Würde und Identität ganzer Bevölkerungsgruppen, ihre Religion und ihre historischen Wurzeln.

Anklägerin Fatou Bensouda


Welche Kulturgüter wurden in den vergangenen Jahren dennoch zerstört?

Nazi-Deutschland raubte im Zweiten Weltkrieg Unmengen von Kunstschätzen in ganz Europa und versteckte sie im Salzbergwerk Altaussee in Österreich, in der Merkers-Mine in Thüringen, im Schloss Neuschwanstein. Die „Monuments Men“, spezielle US-Militäreinheiten mit Kunstverstand, machten viele Verstecke ausfindig. Verewigt wurde ihre Geschichte 2014 im gleichnamigen Spielfilm mit George Clooney, Bill Murray und Matt Damon.
Doch auch nach dem II. Weltkrieg ging die Zerströrung von Kulturgütern weiter: In Kambodscha beschädigte und zerstörte die Diktatur der Roten Khmer Ender der 1970er-Jahre Tausende Tempel, Moscheen und Kirchen. Im bosnischen Mostar zerbrach 1993 die Bogenbrücke Stari Most unter kroatischem Beschuss. 2004 wurde sie wiederaufgebaut. In Bamiyan, im Zentrum Afghanistans, zerstörten die Taliban 2001 gewaltige Buddha-Statuen. Im Irak und in Syrien hinterließ die Terrororganisation „Islamische Staat“ zwischen 2014 und 2017 auch viel kulturelle Verwüstung.

Was ändert der Krieg in der Ukraine?

Für Peter Lauwe vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, „dass diese Konvention eigentlich aktueller, bedeutsamer und wichtiger denn je ist“, auch weil Kulturgüter zum Teil gezielt in den Fokus genommen würden.
Aktuellstes Beispiel: Cherson in der Ukraine. Bevor sich russische Truppen 2022 aus der Stadt zurückzogen, räumten sie die Depots des Kunstmuseums und packten die bedeutende Sammlung europäischer Werke in viele Lkw, Statuen wurden von ihren Sockeln getrennt und die Besatzer stahlen aus der St.-Katharinen-Kathedrale die Gebeine des verehrten Feldmarschalls Potemkin – einst der Liebhaber von Zarin Katharina der Großen.
Gerade in den Museen der Ukraine manifestiere sich die kulturelle und nationale Identität des Landes. Dort könne man die eigene ukrainische Kultur, Kunstentwicklungen und die eigene Sprache nachverfolgen, sagt Christoph Grunenberg, Direktor der Bremer Kunsthalle.

Wie gut schützt Deutschland seine Kulturgüter?

Jedes Land ist für den Schutz seiner eigenen Kulturgüter verantwortlich. In Deutschland sind dafür Zivilbehörden und Bundeswehr zuständig. Im Ernstfall müssten möglichst viele Kulturgüter identifiziert, gesichert und gegebenenfalls evakuiert werden. 
Die Konvention verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, schon im Vorfeld von bewaffneten Konflikten diesen Schutz vorzubereiten – also in Friedenszeiten, sagt Peter Lauwe.
Im Barbarastollen in der Nähe von Freiburg werden seit 1975 Kopien der wichtigsten Dokumente der Republik gelagert, etwa die Krönungsurkunde Ottos des Großen von 936, die Goldene Bulle von 1356, die Baupläne des Kölner Doms und das Grundgesetz sowie Tausende Unterlagen zu seiner Entstehungsgeschichte. Die Kopien aus der Bundessicherungsverfilmung befinden sich auf Mikrofilmen, die in Edelstahlbehältern verpackt sind. Der Vorteil an Mikrofilm ist seine Beständigkeit und Nicht-Manipulierbarkeit. Außerdem braucht die Archivierung keinen Strom.
Politik und Experten von Bund, Ländern und Vereinen debattieren dennoch darüber, wie mehr getan werden könnte und ob Mikrofilm noch zeitgemäß ist. Im Grunde habe man sich davon schon verabschiedet, sagt Peter Lauwe. Womöglich komme das Kulturerbe bald in die Cloud und auch an verschiedene Orte: „Um eben die Wahrscheinlichkeit, dass alles gleichzeitig zerstört wird, möglichst klein halten zu können.“
Kulturelle Einrichtungen wie Museen, Archive und Bibliotheken haben jeweils eigene Notfallpläne für Katastrophen und Krieg. Vieles wird längst digital archiviert - und zwar zur Sicherheit mehrfach. Spätestens seit dem Brand der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek 2004 in Weimar und dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 ist man besonders sensiblisiert.

Was könnte Deutschland beim Kulturgutschutz verbessern?

Bisher gebe es beim deutschen Kulturgutschutz zu wenig Fachexpertise innerhalb der Streitkräfte, bemängelt Kulturwissenschaftler und Reserveoffizier Alexander Gatzsche. Er engagiert sich bei der Deutschen Gesellschaft für Kulturgutschutz. Als Vorbild nennt er Großbritannien, Italien und die USA, die eigene Kulturgut-Schutzeinheiten haben.
Auch Susann Harder, Präsidentin des Vereins Blue Shield, sagt: „In Friedenszeiten können Sie viel erreichen. Im Krieg sind Ihnen dann oftmals die Hände gebunden.“ So habe es in der Ukraine wie in den meisten Ländern kaum Vorbereitungen zum Schutz von Kulturgütern im Falle eines Krieges gegeben.
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