Haare als Politikum
„Das Beste ist eigentlich, unapologetisch, also ohne jegliche Kompromisse, krauses, nach oben wachsendes Haar zu entstigmatisieren", sagt Malcolm Ohanwe. © Getty Images / Phamai Techaphan
Afrofrisuren werden stigmatisiert
13:05 Minuten
Oprah Winfrey, Naomi Campbell, Michelle Obama – die erfolgreichsten schwarzen Frauen tragen glattes Haar. Der Journalist Malcolm Ohanwe hat sich mit den Gründen dafür intensiv beschäftigt. Und er kennt die Risiken und Nebenwirkungen solcher Stylingmethoden.
„Wenn du mit schwarzen Menschen sprichst, die zum Beispiel einen langen Afro tragen oder sogenannte Dreadlocks oder Zöpfe oder irgendwelche Frisuren, die für weiße europäische Köpfe als exotisch gelten, berichten diese Menschen eigentlich fast täglich davon, einen komischen Spruch zu bekommen.“
Das sagt Malcolm Ohanwe, Journalist und Podcaster, der solche Erfahrungen kennt. „Letzte Woche war ich einfach nur in einer Bar – ich habe kurze Haare, aber jemand hat mir einfach immer so über den Kopf gestrichen, weil ‚das fühlt sich so cool an‘. Aber man fühlt sich dann halt wie so eine Ziege in so einem Tierpark." Das sei eine "sehr unangenehme und sehr entmenschlichende Erfahrung", selbst wenn sie nett oder als Annäherung intendiert sei.
Aufwachsen im Afro-Shop des Vaters
Ohanwe hat sich intensiv mit dem Thema Haare beschäftigt, und es ist auch ein Teil seiner Biografie – sein Vater betrieb einen sogenannten Afro-Shop in München.
Andre Walker habe als Friseur von Oprah Winfrey in den 90er-Jahren ein eigenes System etabliert. „Da werden vier große Typen beschrieben: glatt, wellig, lockig und kraus. Und umso näher deine Haare dran sind an einem glatten europäischen Standard, umso leichter sind meistens deine Erfahrungen im Alltag mit Integration, bei der Jobsuche oder bei anderen Dingen.“
Erfolgreiche schwarze Frauen – stets geglättet
Oprah Winfrey, Naomi Campbell oder Michelle Obama – die erfolgreichsten schwarzen Frauen tragen glattes Haar. Die Autorin und Journalistin Ciani-Sophia Hoeder hatte kürzlich geschrieben, wenn Michelle Obama ihre Haare nicht geglättet hätte, dann wäre ihr Mann nicht Präsident geworden.
„Ich glaube, dass es tatsächlich so ist“, sagt Ohanwe, „dass wenn Menschen, aber vor allem Frauen nach oben wachsende Afrofrisuren tragen, dass dieser Personen eine politische Ideologie nachgesagt wird.“ Diese Stigmatisierung von historisch afrikanischen Frisuren sei ein weltweites Problem, „sogar in Staaten, wo die mehrheitliche Bevölkerung schwarz ist, weil die alle auch durch weiße, europäische Kolonialterrorist*innen ehemals besetzt worden sind.“
Dabei ist Haare zu glätten eine schwierige, teils schädliche Prozedur. „Das Schlimmste ist das Relaxing“, weiß Ohanwe. Hier wird eine weiße, streng und nach Schwefel riechende Paste auf Haare und Kopf verteilt. „Es brennt dann höllisch“, doch nach 20 Minuten Einwirkzeit habe man das gewünschte Ergebnis. Allerdings nicht ohne, teils mit schweren Nebenwirkungen bis hin zu vernarbter Kopfhaut, auf der Haare nur schwer nachwachsen könnten.
Jada Pinkett Smith – kein Einzelschicksal
Jada Pinkett Smith, über deren rasierten Kopf sich Oscar-Moderator Chris Rock kürzlich lustig gemacht hatte – was ihm eine Ohrfeige von Ehemann Will Smith einbrachte –, erleidet mit ihrer Alopezie, starkem Haarausfall, kein zufälliges Einzelschicksal. Auch andere Styling-Methoden sind schädlich. So werde beim Weaving an eng am Kopf angelegte, geflochtene Zöpfe, sogenannte Cornrows, noch einmal fremdes Haar gewoben, beschreibt Ohanwe, das am Haaransatz zerre – und auch zu Haarverlust führen könne.
„Das Beste ist eigentlich, unapologetisch, also ohne jegliche Kompromisse, krauses, nach oben wachsendes Haar zu entstigmatisieren. Friseur*innen sollten lernen, wie man mit sehr dichten Locken umgehen kann“, wünscht sich der Journalist. Im deutschsprachigen Raum werde immer mehr darüber gesprochen und immer mehr Menschen würden sich dazu entscheiden, ihre Haare natürlich zu tragen. „Es bräuchte Richter*innen, es bräuchte Polizist*innen und in allen Ebenen Leute, die einfach ganz selbstverständlich dicken Afro tragen.“
(cwu)