Krieg, Energiekrise und die Folgen

Zurück in die Steinzeit?

Szene aus der Trickfilmserie "Familie Feuerstein" aus den 60er Jahren: Barney Geröllheimer und Fred Feuerstein in Ihrem prähistorischem Gefährt.
Es ist wirklich so, die Welt dreht sich rückwärts, meint Paul Stänner. © imago / Everett Collection / Hanna-Barbera
Eine Glosse von Paul Stänner · 06.07.2022
Energie aus Kohle, kürzer duschen wie Habeck oder gleich gar nicht mehr - und ein US-Waffenrecht wie in den Tagen des Wilden Westens: Der Kolumnist Paul Stänner sieht derzeit sehr viel Rückwärtsgewandtes am Werk und fragt sich: Wo wird das enden?
Liebe Hörerinnen und Hörer, heute fragen wir uns: Dreht die Welt sich rückwärts? Ist der Aufbruch in eine verträgliche Zukunft bereits abgesagt? Schauen wir uns doch mal um:
Wegen Putins Krieg in der Ukraine kommen plötzlich die Gespenster der Vergangenheit wieder ganz groß raus: Kohle und Atomstrom. AKW und Verstromer hätten eigentlich in der nahen Zukunft verschwinden sollen – aber weil russisches Gas fehlt bzw. inakzeptabel ist, müssen neue Brennstäbe und frische Kohle her. Schnellstens.
Natürlich nur vorübergehend, wie man uns gern versichert. Aber wir kennen die Parolen unserer politischen Parteien: Sind die Dinger erst einmal wieder zu voller Leistung hochgefahren, muss sich Leistung auch lohnen und dann qualmen und strahlen sie wieder wie früher. Und der Kampf um ihre Abschaltung beginnt erneut.

Bahnfahren wie in den 1940ern

Plötzlich sind wir wieder in den 50er-Jahren. Für die Wirtschaft hieß es, die Schlote müssten rauchen. Das taten sie dann auch. Die Autos hatten keine Katalysatoren und stanken wie der Leibhaftige. Kernkraft galt noch als Zukunftstechnologie, die uns für immer von Sorgen befreien würde. Von strahlendem Restmüll und anderen Umweltvergehen hatte keiner was gehört. Wer eine Dusche hatte – beileibe nicht alle – ließ sich glücklich und ausdauernd vom warmen Wasser beregnen.
Wer wünschte sich nicht diese schönen, unschuldigen 1950er-Jahre zurück? Einen ersten Schritt sind wir jetzt gegangen. Vergangenheit ist wieder Mode. Überall.
Wenn wir uns die Verspätungen bei der Bahn anschauen und ihre Probleme, Anschlüsse zu halten, ist nur einleuchtend, dass sie bald wieder zur Dampflok zurückkehren wird. Wie in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre.
Der russische Präsident Wladimir Putin versteht sein Reich als eine große, weltmächtige Herrschaft und nimmt sich das Recht heraus, ein anderes Land mit Krieg zu überziehen, weil er glaubt, die Vorsehung verlange diesen Raubzug von ihm.
Seine Utopie stammt offenbar aus der ersten Hälfte der 1940er-Jahre.

Waffenrecht wie im Wilden Westen

Noch weiter zurück will der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Er hat hat geurteilt:
a) Jeder darf offen eine Waffe tragen. An der Hüfte, in der Hand, über der Schulter oder am Sattel. So wie damals in den schönen Tagen des Wilden Westens, als man noch auf Indianer geschossen hat, die man auch so nennen durfte. Man sieht, es lebt der Nostalgische Gerichtshof der USA ungefähr in den 1850er- bis 1860er-Jahren.
b) Es bestimmte der Gerichtshof, Frauen müssen Kinder bekommen, so wie Gott, der Herr es ihnen zugeteilt hat. Geliebt in der Ehe oder vergewaltigt als Minderjährige – Gott hat es gegeben, also wird es zur Welt gebracht. Frauen schweigen und gebären. Das sind dann wohl die 1650er-Jahre.
Beide Urteile zusammengenommen eröffnen aber die Chance, dass man die Kinder auch später noch los wird – dass sie es bis in die Schule geschafft haben, bedeutet nicht, dass sie es auch bis ins Erwachsenenalter schaffen. Man erkennt, wie erstaunlich pragmatisch der Gerichtshof seine Urteile abgewogen hat.

Duschen wie in der Steinzeit

Unter all diesen Betrübnissen gibt es aber auch erfrischende Entwicklungen. Wenngleich sie, wie unter Deutschen üblich, nur zögerlich umgesetzt werden. Zum Beispiel hat Minister Habeck öffentlich verkündet, dass er jetzt kürzere Zeit duscht. Da sind die Protagonisten jener Welle, die aus den USA zu uns herüberschwappt, viel entschlossener und weiter. Sie lehnen den Gebrauch von Gas, heißem Wasser und Seife gänzlich ab und verzichten auf das Reinigen ihres gottgegebenen Körpers. Diese Leute möchten wieder zurück zu den hygienischen Verhältnissen, wie sie in der Steinzeit geherrscht haben. 
Liebe Hörerinnen und Hörer - es ist wirklich so. Die Welt dreht sich rückwärts.

Paul Stänner wurde in Ahlen in Westfalen geboren, hat in Berlin Germanistik, Theaterwissenschaft und Geschichte studiert. Er arbeitet als Rundfunkjournalist und Buchautor. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Agatha Christie in Greenway House“.

Paul Stänner im Porträt
© Deutschlandradio / Paul Stänner
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