Händel: Wahl läuft "sehr langsam" an
Angesichts der Anschlagsdrohungen der Taliban verläuft die Präsidentschaftswahl in Afghanistan schleppend. Viele Afghanen hätten sich "erstmal nicht rausgetraut", berichtet der EU-Wahlbeobachter Harald Händel.
Marietta Schwarz: Zum zweiten Mal seit dem Sturz der Taliban wählen die Afghanen heute einen neuen Präsidenten. Das letzte Mal wurde vor fünf Jahren abgestimmt; da standen die Wahlberechtigten noch Schlange an den Urnen. Hamid Karzai ging als Präsident aus diesen Wahlen hervor. Doch es hat sich viel geändert. Die Taliban sind wieder erstarkt und demonstrieren ihre Schlagkraft mit brutalen Anschlägen. Und mit der Politik des einstigen Hoffnungsträgers Hamid Karzai sind viele Afghanen unzufrieden. Angst und Schrecken herrschen in diesen Tagen. Der Gang ins Wahllokal ist alles andere als selbstverständlich.
Am Telefon bin ich jetzt mit Harald Händel verbunden. Er ist Wahlbeobachter der EU-Mission in Afghanistan und hält sich derzeit in Kabul auf. Guten Morgen, Herr Händel.
Harald Händel: Guten Morgen!
Schwarz: Herr Händel, die Wahllokale sind seit sieben Uhr heute Morgen geöffnet, also seit gut drei Stunden. Wie verläuft die Stimmabgabe seither?
Händel: Zum einen hat Ihre Reporterin die Lage hier sehr richtig geschildert. Dadurch, dass die Taliban natürlich angekündigt haben, die Wahllokale anzugreifen, und damit auch ernst gemacht haben in den letzten beiden Tagen sehr, sehr viele Angriffe auf Wahllokale und Wahlzentren noch bis gestern Abend stattgefunden haben, haben sich natürlich viele Afghanen heute früh erst mal nicht rausgetraut und in die Wahllokale. Es läuft sehr langsam an, zumal die Afghanen ja auch wissen, dass viele Anschläge in den letzten Tagen immer in den Morgenstunden stattgefunden haben. Das ist natürlich auch unsere große Sorge, dass die Taliban und andere Widerständler hier wissen, dass die Leute vielleicht alle erst später kommen werden und sich dann große Menschenansammlungen aussuchen werden für ihre Anschläge. Das ist die große Sorge und ich kann nur hoffen, dass das nicht passiert. Es läuft aber langsam an und wir hoffen natürlich auch, dass Sie die Wahlschlangen, die Sie vorhin von den letzten Wahlen beschrieben haben, auch heute wieder sehen werden.
Schwarz: Wie hoch ist denn das Bedürfnis nach einer demokratischen Wahl? Sind die Menschen politisch interessiert?
Händel: Ich muss dazu sagen, dass wir jetzt sechs Wochen hier im Land sind, und die Afghanen, die wir gesprochen haben, nicht nur die Funktionsträger und Kandidaten, sondern auch viele von NGOs und Leute auf der Straße, sind schon sehr interessiert und wollen auch wählen gehen. Viele wollen natürlich interessanterweise nicht den Präsidenten wählen und insofern muss man sehen, was dann wirklich herauskommt. Ich glaube schon, dass die Unzufriedenheit, die es zum Teil auch mit der Amtsführung gibt, die Unzufriedenheit, die es zum Teil im Land gibt mit dem sehr schleppenden Wiederaufbau in den vergangenen Jahren, dazu führen wird, dass viele Afghanen wählen werden. Ich glaube, dass sich in den großen Städten viele Afghanen nicht einschränken und einschüchtern lassen von den Taliban; ich befürchte aber, dass es in den ländlichen Gebieten, dort, wo viele Wahllokale gar nicht aufmachen können aus Sicherheitsgründen, ein bisschen anders aussieht. Aber das können wir heute Abend erst sagen; das wäre jetzt hier Kaffeesatzleserei.
Schwarz: 17 Millionen Afghanen sind wahlberechtigt. Sie haben es gerade erwähnt: Es werden gar nicht alle Wahllokale öffnen können wegen der Sicherheitslage. Haben Sie einen Überblick darüber, wie viele Wähler davon betroffen sind?
Händel: Zurzeit gehen wir von ungefähr 1,2 bis 1,5 Millionen Wählern aus, das wären ungefähr zehn Prozent. Wir gehen von einer Wahlbeteiligung aus - Sie haben das ja im Vorfeld erwähnt und man hat auch viel lesen können, dass es viel mehr Wählerkarten gibt als potenzielle Wähler -, wir gehen in etwa von 12 bis 13 Millionen potenziellen Wählern aus und davon können ungefähr vielleicht 1,5 Millionen nicht wählen, weil die Sicherheitslage in ihren Gebieten das nicht zulässt.
Schwarz: Sie als Wahlbeobachter sollen ja prüfen, ob die Wahlen in diesem Land demokratisch ablaufen. Inwieweit ist das denn überhaupt möglich, bei ungefähr, habe ich gelesen, 250 ausländischen Beobachtern und knapp 27.000 teilweise extrem abgelegenen Wahllokalen?
Händel: Zum einen arbeiten wir mit internationalen Beobachtern nicht nur von der EU, sondern auch aus Japan und aus Amerika sind viele Beobachter hier. Wir arbeiten aber auch zusammen mit lokalen Beobachtern, und da gibt es eine Organisation, die ist frei und unabhängig von der Regierung. Die stellen ungefähr 7500 Wahlbeobachter und ich glaube, damit wird es möglich sein, einen guten Überblick zu bekommen, denn Sie müssen davon ausgehen, dass wir natürlich nicht nur in ein Wahllokal gehen und auch nicht angemeldet dort hingehen, sondern dass wir überraschend da sein werden. Wir waren bei der Öffnung in vielen Wahllokalen dabei, wir sind stichprobenartig in anderen dann und werden heute Abend bei der Auszählung auch dabei sein. Das heißt, die EU macht das ja seit zehn Jahren. Da haben wir mittlerweile 70 solche Wahlbeobachtungsmissionen durchgeführt. Wir haben eine ganz gute Erfahrung und eine ganz gute Methodologie, sodass wir das stichprobenartig dann hochrechnen können, wenn wir das statistische Material haben, und sagen können, was da genau passiert ist. Die Wahlbeobachter in den einzelnen Lokalen gucken natürlich: kommen die Wähler mit ihren Wahlscheinen, oder mit ihren Ausweisen, werden die Finger wirklich in Tinte getaucht, wählt jeder nur einmal, was läuft da ab, sind in der Wahlurne vielleicht schon Scheine drin und so weiter. Ich glaube, da sind auch viele, viele erfahrene Beobachter dabei, dass wir dort einen guten Überblick bekommen. Natürlich kann man nie ausschließen, dass es dann auch Betrug geben wird, erst recht in den Gebieten, wo die Sicherheitslage sehr, sehr angestrengt ist und nicht beobachtet werden kann.
Schwarz: Über die Wahlbeteiligung haben wir ja eben schon kurz geredet. Was ist denn, wenn die Wahlbeteiligung sehr gering ist? Dann stellt sich ja auch die Legitimität dieser Wahl in Frage.
Händel: Sicherlich, aber erst mal möchte ich davon jetzt noch nicht ausgehen. Ich hoffe, dass wir eine vernünftige Wahlbeteiligung haben, ähnlich wie beim letzten Mal, und dass wir auf dieser Grundlage dann auch diese Wahlen bewerten können.
Schwarz: Herr Händel, wann gehen Sie los? Waren Sie schon in einem Lokal?
Händel: Ja. Heute früh war ich in einem Wahllokal, in zwei Wahllokalen. Das interessante an der Geschichte war, dass natürlich in den zwei Stunden von sieben bis neun hier wenig Leute da waren und ich in den zwei Wahllokalen auch nur eine einzige Frau gesehen habe, und das bei einer Bevölkerungsdichte oder der Tatsache, wo die Hälfte der Bevölkerung hier Frauen sind.
Schwarz: Vielen Dank für Ihre Eindrücke, Herr Händel, Wahlbeobachter in Afghanistan. Herr Händel, vielen Dank für das Gespräch und einen guten Verlauf des Tages.
Händel: Bitte schön!
Am Telefon bin ich jetzt mit Harald Händel verbunden. Er ist Wahlbeobachter der EU-Mission in Afghanistan und hält sich derzeit in Kabul auf. Guten Morgen, Herr Händel.
Harald Händel: Guten Morgen!
Schwarz: Herr Händel, die Wahllokale sind seit sieben Uhr heute Morgen geöffnet, also seit gut drei Stunden. Wie verläuft die Stimmabgabe seither?
Händel: Zum einen hat Ihre Reporterin die Lage hier sehr richtig geschildert. Dadurch, dass die Taliban natürlich angekündigt haben, die Wahllokale anzugreifen, und damit auch ernst gemacht haben in den letzten beiden Tagen sehr, sehr viele Angriffe auf Wahllokale und Wahlzentren noch bis gestern Abend stattgefunden haben, haben sich natürlich viele Afghanen heute früh erst mal nicht rausgetraut und in die Wahllokale. Es läuft sehr langsam an, zumal die Afghanen ja auch wissen, dass viele Anschläge in den letzten Tagen immer in den Morgenstunden stattgefunden haben. Das ist natürlich auch unsere große Sorge, dass die Taliban und andere Widerständler hier wissen, dass die Leute vielleicht alle erst später kommen werden und sich dann große Menschenansammlungen aussuchen werden für ihre Anschläge. Das ist die große Sorge und ich kann nur hoffen, dass das nicht passiert. Es läuft aber langsam an und wir hoffen natürlich auch, dass Sie die Wahlschlangen, die Sie vorhin von den letzten Wahlen beschrieben haben, auch heute wieder sehen werden.
Schwarz: Wie hoch ist denn das Bedürfnis nach einer demokratischen Wahl? Sind die Menschen politisch interessiert?
Händel: Ich muss dazu sagen, dass wir jetzt sechs Wochen hier im Land sind, und die Afghanen, die wir gesprochen haben, nicht nur die Funktionsträger und Kandidaten, sondern auch viele von NGOs und Leute auf der Straße, sind schon sehr interessiert und wollen auch wählen gehen. Viele wollen natürlich interessanterweise nicht den Präsidenten wählen und insofern muss man sehen, was dann wirklich herauskommt. Ich glaube schon, dass die Unzufriedenheit, die es zum Teil auch mit der Amtsführung gibt, die Unzufriedenheit, die es zum Teil im Land gibt mit dem sehr schleppenden Wiederaufbau in den vergangenen Jahren, dazu führen wird, dass viele Afghanen wählen werden. Ich glaube, dass sich in den großen Städten viele Afghanen nicht einschränken und einschüchtern lassen von den Taliban; ich befürchte aber, dass es in den ländlichen Gebieten, dort, wo viele Wahllokale gar nicht aufmachen können aus Sicherheitsgründen, ein bisschen anders aussieht. Aber das können wir heute Abend erst sagen; das wäre jetzt hier Kaffeesatzleserei.
Schwarz: 17 Millionen Afghanen sind wahlberechtigt. Sie haben es gerade erwähnt: Es werden gar nicht alle Wahllokale öffnen können wegen der Sicherheitslage. Haben Sie einen Überblick darüber, wie viele Wähler davon betroffen sind?
Händel: Zurzeit gehen wir von ungefähr 1,2 bis 1,5 Millionen Wählern aus, das wären ungefähr zehn Prozent. Wir gehen von einer Wahlbeteiligung aus - Sie haben das ja im Vorfeld erwähnt und man hat auch viel lesen können, dass es viel mehr Wählerkarten gibt als potenzielle Wähler -, wir gehen in etwa von 12 bis 13 Millionen potenziellen Wählern aus und davon können ungefähr vielleicht 1,5 Millionen nicht wählen, weil die Sicherheitslage in ihren Gebieten das nicht zulässt.
Schwarz: Sie als Wahlbeobachter sollen ja prüfen, ob die Wahlen in diesem Land demokratisch ablaufen. Inwieweit ist das denn überhaupt möglich, bei ungefähr, habe ich gelesen, 250 ausländischen Beobachtern und knapp 27.000 teilweise extrem abgelegenen Wahllokalen?
Händel: Zum einen arbeiten wir mit internationalen Beobachtern nicht nur von der EU, sondern auch aus Japan und aus Amerika sind viele Beobachter hier. Wir arbeiten aber auch zusammen mit lokalen Beobachtern, und da gibt es eine Organisation, die ist frei und unabhängig von der Regierung. Die stellen ungefähr 7500 Wahlbeobachter und ich glaube, damit wird es möglich sein, einen guten Überblick zu bekommen, denn Sie müssen davon ausgehen, dass wir natürlich nicht nur in ein Wahllokal gehen und auch nicht angemeldet dort hingehen, sondern dass wir überraschend da sein werden. Wir waren bei der Öffnung in vielen Wahllokalen dabei, wir sind stichprobenartig in anderen dann und werden heute Abend bei der Auszählung auch dabei sein. Das heißt, die EU macht das ja seit zehn Jahren. Da haben wir mittlerweile 70 solche Wahlbeobachtungsmissionen durchgeführt. Wir haben eine ganz gute Erfahrung und eine ganz gute Methodologie, sodass wir das stichprobenartig dann hochrechnen können, wenn wir das statistische Material haben, und sagen können, was da genau passiert ist. Die Wahlbeobachter in den einzelnen Lokalen gucken natürlich: kommen die Wähler mit ihren Wahlscheinen, oder mit ihren Ausweisen, werden die Finger wirklich in Tinte getaucht, wählt jeder nur einmal, was läuft da ab, sind in der Wahlurne vielleicht schon Scheine drin und so weiter. Ich glaube, da sind auch viele, viele erfahrene Beobachter dabei, dass wir dort einen guten Überblick bekommen. Natürlich kann man nie ausschließen, dass es dann auch Betrug geben wird, erst recht in den Gebieten, wo die Sicherheitslage sehr, sehr angestrengt ist und nicht beobachtet werden kann.
Schwarz: Über die Wahlbeteiligung haben wir ja eben schon kurz geredet. Was ist denn, wenn die Wahlbeteiligung sehr gering ist? Dann stellt sich ja auch die Legitimität dieser Wahl in Frage.
Händel: Sicherlich, aber erst mal möchte ich davon jetzt noch nicht ausgehen. Ich hoffe, dass wir eine vernünftige Wahlbeteiligung haben, ähnlich wie beim letzten Mal, und dass wir auf dieser Grundlage dann auch diese Wahlen bewerten können.
Schwarz: Herr Händel, wann gehen Sie los? Waren Sie schon in einem Lokal?
Händel: Ja. Heute früh war ich in einem Wahllokal, in zwei Wahllokalen. Das interessante an der Geschichte war, dass natürlich in den zwei Stunden von sieben bis neun hier wenig Leute da waren und ich in den zwei Wahllokalen auch nur eine einzige Frau gesehen habe, und das bei einer Bevölkerungsdichte oder der Tatsache, wo die Hälfte der Bevölkerung hier Frauen sind.
Schwarz: Vielen Dank für Ihre Eindrücke, Herr Händel, Wahlbeobachter in Afghanistan. Herr Händel, vielen Dank für das Gespräch und einen guten Verlauf des Tages.
Händel: Bitte schön!