Entscheidungen über Leben und Tod
Um der Abschiebung zu entgehen, können Flüchtlinge ein Gnadengesuch bei der Härtefallkommission stellen. Die gelernte Juristin Helene Bode ist Härtefallberaterin. Sie versucht, stichhaltige Argumente zu sammeln. Und schreibt teilweise höchst dramatische Geschichten auf.
"Es war einmal ein König, der hatte ein Pferd, aber kein Kind. Einmal flehte der König zu Gott: Gott schenke mir ein Kind, lass mich nicht kinderlos sein. Wem soll wohl später mein Reich und mein Schloss gehören?"
Helene Bode liest ein Märchen aus Georgien. Usbekistan, Serbien, Marokko – kaum ein Land fehlt in der Sammlung der 78-jährigen Berlinerin. Seit ihrer Jugend sammelt Helene Bode Märchenbücher. Und über Märchen versucht sie Zugang zu finden zu den Kulturen der Länder, aus denen die Menschen kommen, die sie unentgeltlich berät. Jeden Mittwoch fährt sie zur Härtefallberatung des Jesuiten Flüchtingsdienstes in Berlin.
"Das Asylverfahren negativ beschieden, teilweise haben sie auch die Verwaltungsgerichtsverfahren negativ hinter sich: Das Verwaltungsgericht hat gesagt: Nein. Manchmal schlagen sie vor: Gehen sie zur Härtefallkommission und dann sind wir zuständig. Illegal. Alles ausgepunktet."
Wenn sie für einen ratsuchenden Flüchtling Chancen sieht, die Abschiebung aus humanitären Gründen auszusetzen, schreibt Helene Bode, zart in Statur, forsch im Auftritt, einen Antrag. Die acht Mitglieder der Härtefallkommission, unter anderem Vertreter der Wohlfahrtsverbände, des Flüchtlingsrats und der Kirchen, diskutieren den Antrag und reichen ihn per Mehrheitsbeschluss an den Berliner Innensenator weiter. Der Innensenator trifft die letzte Entscheidung.
"Das hab ich bis heute nicht verwinden können"
Eine Ablehnung kann zum Todesurteil werden. Helene Bode erzählt von einem 16-jährigen Jugendlichen aus Pakistan, der von seinem Onkel in ein Verbrechen verwickelt wurde. Der Jugendliche hielt an der Tür Wache, während sein Onkel in der Wohnung einen Mord beging. Nach der Tat ging der Onkel auf eine Silvesterfeier. Der Jugendliche harrte auf der Treppe aus, bis die Polizei kam.
"Der Mann hat lebenslänglich, mit besonderer Schwere der Schuld, bekommen, der Junge acht Jahre. 16 Jahre alt, ist in die Jugendstrafanstalt gegangen und hat Glück gehabt und Verständnis gefunden und hat die Schule beendet und eine Lehre als Handwerker abgeschlossen und ist wegen besonders guter Führung zwei Jahre vorher entlassen worden. Und für den haben wir einen Antrag gestellt.
Und es war klar, der kommt nach Pakistan zurück, seine Eltern können nicht Sühne bezahlen. Er wird umgebracht. Das war ganz klar. Und der war 16, als das geschah. Der Antrag ist abgelehnt worden. Und der Junge ist abgeschoben worden. Und das hab' ich bis heute nicht verwinden können."
Bleiberecht aus humanitären Gründen ist Gnadenrecht. Flüchtlinge aus Ländern, die von den Behörden als sicher eingestuft wurden, oder Flüchtlinge mit Vorstrafen haben so gut wie keine Chance auf Gnade.
Humanitäre wie persönliche Argumente für ein Bleiberecht
Helene Bode blickt auf 40 Jahre Berufsleben als Strafverteidigerin zurück. Vor Gericht vertrat sie bis 2004 Bettler, Prostituierte, Obdachlose. Vorwiegend Menschen aus armen Verhältnissen, verwickelt in kleine und große Strafsachen.
"Ich bin nach wie vor auch der Auffassung, dass wir 'ne Zweiklassengesellschaft haben und eine Zweiklassenjustiz."
Helene Bode versucht in ihren Plädoyers für die nahezu rechtlosen Migranten alles, was sich mit dem Wort "Integration" verknüpfen lässt, stark zu machen, um den Innensenator günstig zu stimmen. Und sie sammelt humanitäre wie persönliche Argumente für ein Bleiberecht: Die Aussicht auf einen Arbeitsplatz etwa oder in Deutschland lebende Kinder.
"Aber es ist eben auch notwendig, teilweise höchst dramatische Geschichten dem anderen vor die Nase zu setzen und zu sagen: So, wenn du jetzt Nein sagst, dann hast du eigentlich als Mensch versagt. Überlege dir einmal, wie es diesem Menschen geht."