"Häuptling Abendwind"

Punk-Operette mit Bierbauch

Ein Mann trinkt Bier beim "British Beer Festival" in London
Ein wesentliches Element der Dortmunder Punk-Operette: Bier. © picture alliance / dpa
Von Stefan Keim |
Landschaften aus Bierkästen und Männerbäuche, die unter zu kurzen Shirts hervorluken: Die Bochumer Punk-Band "Die Kassierer" hat am Theater Dortmund Johann Nestroys Operette "Häuptling Abendwind" auf die Bühne gebracht.
Häuptling Abendwind, der Sanfte, vom Stamme der Groß-Lulu erwartet hohen Besuch. Von der nahen Insel Papatutu kommt Häuptling Biberhahn, der Heftige. Bei so einem Staatsbankett muss natürlich ein Braten auf den Tisch, möglichst Menschenfleisch. Doch die Vorratskammer ist leer. Da passt es perfekt, dass gerade ein fremder Friseur bei den Groß-Lulu aufgetaucht ist. Häuptlingstochter Atala hat sich zwar in den hübschen Mann verliebt, aber Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen.
"Der Heimatgesang voll Harmonie! – Ja, die Melodie, der uralte Song, das helle Klingklong, gewinnt mir sie. Welche Melodie! Welch herrlicher Klang! Der Heimatgesang, voll Harmonie.- Ja, die Melodie, der uralte Song, das helle Klingklong, gewinnt mir sie."
Politiker spielen keine Rolle, die machen sich schon selbst zum Clown
Von hellem Klingklong ist allerdings wenig zu hören in der Punk-Operette "Häuptling Abendwind". Volker Kampfgarten, Mitch Maestro, Nikolaj Sonnenscheiße und Wolfgang Wendland – die Kassierer – hauen drauf, dass es kracht.
"Wir haben teilweise Sachen neu geschrieben. Teilweise haben wir bestehende Kassierersongs umgetextet. Und teilweise passten auch Sachen, die wir spielen, so in das Konzept rein, dass wir sie unverändert benutzen konnten."
Sagt Sänger Wolfgang Wendland. Und wo bleiben Offenbach und Nestroy?
"Sehr frei hach Nestroy, und den Offenbach gibt´s eigentlich gar nicht mehr so richtig."
Regisseur Andreas Beck hat zwar die Geschichte behalten, aber die Grundaussage verändert. Nestroy und Offenbach parodierten Mitte des 19. Jahrhunderts in den menschenfressenden Indianern die Mächtigen ihrer Zeit.
"Heutzutage muss man sich nicht mehr über Politiker lustig machen. Die machen sich schon alleine zum Clown, und da muss man nicht mehr drüber nachdenken. Uns ging es eher darum: Kann man heute leben, indem man Fleisch isst und Alkohol trinkt und raucht und sich nicht politisch korrekt verhält?"
"Wie Georg Simmel in der 'Hauptfrage der Philosophie' geschrieben hat, dass es hauptsächlich darum geht, voraussetzungsfrei zu denken und dass man nicht alles durch eine Brille sieht. Dass man irgendwie wenn man sich mal satt essen will sich ein Stück Fleisch nimmt. Man denkt immer mit, dass es gesünder ist, einen Salat zu essen. Aber ideologisch so einen einseitigen Weg zu gehen und zu sagen, ich bin beispielsweise vegan, oder ich habe diese und jene Ideologie, wo ich mein ganzes Leben nach ausrichte, das finde ich nicht schön."
"Ich rieche, rieche Menschenfleisch..."
Schauspieler tragen bunte Trashklamotten
Punk bedeutet Freiheit. Freiheit für den Männerbauch zum Beispiel. Wolfgang Wendlands T-Shirt ist zu kurz und bedeckt die fulminante Wampe nur zum Teil. Die anderen Bandmitglieder tragen kurze Hosen. An Indianer erinnert überhaupt nichts auf der Bühne. Eine Landschaft aus Bierkästen ist darauf aufgebaut, eine Leuchtschrift am Rand zeigt den Namen "Bier-Galerie". Eine Anspielung auf die "Thier-Galerie", die neue, schicke Shopping-Mall direkt neben dem Theater. Die Schauspieler tragen bunte Trashklamotten, die aussehen, als hätte man sie aus den hintersten Ecken des Fundus gekratzt. Im Dialog der beiden Häuptlinge erlebt man allerdings auch Theatermittel aus dem 19. Jahrhundert, wie das Beiseite-Sprechen.
"Beim letzten Mal hatte ja noch jeder von uns eine Frau. Irgendjemand muss sie mir geraubt haben. – Ich kenne den Unbekannten, er aber ahnt nichts. Auch meine wurde heimlicherweise entführt. – Natürlich von meinen Leuten, und er hat keinen Dunst davon. – In anderen Leuten werden ja auch Frauen entführt. Aber hier, in den Menschenfressergegenden, werden sie ja gleich gefressen."
Einmal spielen die Kassierer sogar eine Melodie von Jacques Offenbach, den Cancan aus der Operette „Orpheus in der Unterwelt". Wer die ekstatischen Performances in ihren Konzerten kennt, die Orgien aus Rhythmus, Nacktheit und zermatschten Nahrungsmitteln, wird auch im Theater Dortmund nicht enttäuscht. Das Festmahl ist eine hübsche Sauerei mit Knochen, Nudeln und viel Tomatensoße. Und am Ende fallen die Männerhosen. Dennoch wirkt die Show auf der Probe keinesfalls schockierend, sondern verspielt, durchgeknallt und fröhlich. Mit dem Begriff Operette mag mancher Besucher seine Schwierigkeiten haben, aber völlig falsch wirkt diese Gattungsbezeichnung nicht. Wolfgang Wendland:
"Und insofern, dass ja Punk überwiegend ja auch Sachen sind, die man mitsingen kann, ist es der Operette ähnlicher als der Oper oder dem Musical."
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